Читать книгу Als meine Fehler laufen lernten - Erma Bombeck - Страница 5
Hab Vertrauen zu mir,
ich bin doch deine Mutter
ОглавлениеFreitag, 18 Uhr 30
Mutter kam aus der Garage rückwärts in die Küche und jonglierte mit ihrer Handtasche, einer Einkaufstasche und einer großen Hutschachtel.
»Hier riecht es aber gut«, sagte sie und stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich zu.
»Zwiebel im Müllzerkleinerer«, sagte ich. »Du hättest keinen Nachtisch mitzubringen brauchen.«
»Weiß ich. Leg das auf einen Teller, dann kann ich die Schachtel wieder mitnehmen, danke.«
Sie hob den Deckel. »Na, riecht das nicht köstlich?«
»Riecht nach Fruitcake. Ich hasse Fruitcake.«
»Ich begreife dich nicht«, sagte sie. »Dein Großvater war ganz wild auf Fruitcake.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Er hat dich so lieb gehabt. Du warst sein Liebling. Allein die kandierte Ananas hat 6 Dollar gekostet.«
»Ich hasse Ananas, Mutter.«
»Das Rezept stammt von deiner Tante Elly. Die mochtest du doch immer so gern.«
Die Unterhaltung war idiotisch, und ihr Verlauf lag fest. Warum gab ich nicht einfach zu, daß Menschen, die gern Fruitcake essen, »anders« sind. Ich wäre nicht überrascht, wenn Fruitcake-Anhänger die nächste größere Religionsgemeinschaft des zwanzigsten Jahrhunderts gründen würden.
Ich habe noch nie im Leben einen Fruitcakebackenden kennengelernt, der mich nicht zum Glauben aller Fruitcake-Fans hätte bekehren wollen. Ich konnte in Mutters Küche stehen und ohne eine Spur von Humor verkünden: »Ich mag keinen Fruitcake. Ich habe Fruitcake nie gemocht. Ich habe über 10 000 verschiedene Arten durchprobiert und es ist mein Wunschtraum, nie wieder eine probieren zu müssen.« Nur um zu erleben, wie Mutter eine Scheibe vor mich hinstellte und sagte: »Versuch mal den, der ist ganz anders.«
Fruitcake ist nie »anders«. Er ist sich mehr oder weniger immer gleich, birgt unweigerlich ein Sortiment unverträglicher kandierter Früchte im Inneren und zeichnet sich dadurch aus, daß er gewichtiger ist, als der Herd, in dem er gebacken wurde. Außerdem widerspricht er allen Regeln kulinarischer Kriterien. Nie heißt es: »Dieser Fruitcake ist so leicht, daß man ihn beim Essen gar nicht wahrnimmt.«
Weil nämlich Fruitcake gar nicht schwer genug sein kann. Und noch etwas, was ich an Fruitcake-Fans hasse, wenn man ihren Kuchen ablehnt, lächeln sie. Leute, die so etwas tun, mag ich nicht. Es ist unnatürlich. Es wäre mir angenehmer, wenn sie rundheraus sagten: »Na, denn nicht, liebe Tante. Es hat mich 45 Dollar gekostet, ihn herzustellen und könnte ich, wie ich wollte, ich würde ihn dir, du undankbares Geschöpf, auf den Fuß fallen lassen.«
Vor einem solchen Menschen empfände man Respekt. Doch nein, Fruitcake-Fans stellen sich neben einen, sehen zu, wie man sich das Probierstück in die Hand spuckt und sagen: »Aber saftig ist es, was?«
»Du bist eigensinnig«, sagte Mutter und verlagerte den Beton-Kuchen auf eine Platte. »Meinem Schwiegersohn wird er schon schmecken.«
Das war übrigens eine der größten Überraschungen meines Ehelebens gewesen. Der Mann, der bei der Hochzeit noch »nicht gut genug für mich« gewesen war, hatte sich inzwischen zu etwas gewandelt, was »doppelt soviel wert« war wie ich. Das hätte ich mir nie träumen lassen, daß sie einmal gegen mich Partei ergreifen würde. Schließlich sollten Mütter doch treu zu ihren Kindern halten, im Recht oder im Unrecht.
Es war anders gelaufen. Mein Mann brachte ihr bei irgendeiner Gelegenheit einen Blumenstrauß und sie sagte: »Erma hat mir nie Blumen mitgebracht, die man nicht abzustauben braucht.«
Und wenn wir gemeinsam ins Auto stiegen, sagte sie: »Ich bin noch nie auf dem Beifahrersitz gesessen. Erma hat immer gesagt, wenn ich das Fenster runterkurbele, wird mir hinten auch nicht schlecht.«
Als dann die Kinder kamen, stellte sie ihr Verbleiben im Familienverbund auf eine Zerreißprobe. Ich kratzte eines Abends eben Essensreste von den Kindertellern in den Mülleimer, da fragte mein Mann: »Willst du denn nichts davon aufheben?«
Ich erwartete Hilfestellung von Mutter. Sie aber sah mich an, als sei ich etwas, was leider nicht in die Falle unterm Spültisch gegangen war, und sagte: »Spare in der Zeit, so hast du in der Not. Ich habe sie weiß Gott dazu erzogen. Aber wir konnten ihr ja nie beibringen, den Pfennig zu ehren. Wenn sie hinausmüßte und Geld verdienen, so wie du, wäre sie vielleicht sparsamer.«
Seit Jahren hat sich mein Mann immer wieder anhören müssen, wie eigensinnig ich bin, wie ich dazu neige, mehr Geld auszugeben als ich habe, wie launisch ich bin, wie wenig geduldig, wie unfähig, etwas fertig zu machen, wie rasch mein Interesse verfliegt und wie wenig Ziele ich im Leben habe. Ich habe oft daran gedacht, »heim zu Muttern« zu ziehen, aber wozu? Mein Mann wäre ja schon dort gewesen – beim Fruitcake-Essen.
»Du bist also fest entschlossen, daß Thanksgiving* bei dir gefeiert wird?« fragte ich. »Wir haben es den Kindern schon gesagt, sie freuen sich darauf.«
»Aber ja, es sei denn, ihr wolltet es gern bei euch machen?«
»Mutter«, sagte ich, »ich weiß doch, daß du es herrlich findest, dich inmitten deiner Familie abzustrapazieren ... mit deinem besten Geschirr und all den Aufregungen im letzten Moment. Außerdem kann kein Mensch außer dir einen Puter so braten, daß er aussieht wie aus dem Bilderbuch. Ich weiß nicht, wie du das Jahr für Jahr fertigbringst.«
Mutter lächelte, in eigene Gedanken versunken.
Erma zieht mal wieder die Nummer »Oma genießt das« ab, wie jedes Jahr! Was ist da schon zu genießen? Warum glauben die eigentlich, eine fünfundsechzigjährige Frau stünde gern um 4 Uhr auf, ränge mit einem nackten Puter, stünde gern über einem Toaster und versuchte, altbackenes Brot in frische Fülle zu verwandeln, und verbrächte zehn Stunden damit, eine Mahlzeit zu kochen, die in zwölf Minuten verschlungen ist. Sie hat es leicht, sie braucht nur eine Tüte Paprika-Chips und vier Klappstühle mitzubringen.
Und was den Puter »wie aus dem Bilderbuch« betrifft: Alle glauben, ein Puter sei ein kollernder Spaßvogel. Wenn sie einen brieten, würden sie ihn als das erkennen, was er ist, ein boshafter, leicht beleidigter, rachsüchtiger alter Kerl, der es »einem schon noch heimzahlen wird«. Kein Mensch begreift, daß ein Puter erst dann gar ist, wenn es ihm paßt. Ich habe schon Fünfundzwanzigpfünder gehabt, die in zwei Stunden durch waren, noch ehe die Pasteten ausgekühlt, die Kartoffeln und Gemüse gar, die Preiselbeeren kaltgestellt, ja noch ehe die Gäste von daheim losgefahren waren.
Und ich habe Zehnpfünder gehabt, die acht Stunden im Rohr waren und immer noch aussahen, als tranchiere man rohen Schinken. Manchmal fragt man sich, ob sich das erste Thanksgiving in Massachusetts wirklich als so religiöses Fest abgespielt hat, wie die Kinderbücher es schildern. Die Abbildungen sehen immer so idyllisch aus: Indianer umarmen die Weißen, alles ist Frieden und Harmonie. Ich kann nicht glauben, daß nicht irgendwo eine Hausfrau verärgert geäußert hat: »Wenn der Fliehende Hirsch seine stinkende Pfeife rauchen will, soll er dazu gefälligst hinausgehen.«
So machte Erma es ja auch immer an Weihnachten mit den Spielsachen, bis ich sie durchschaute. »Warum läßt du die Bongo-Trommeln nicht bei Großmama«, pflegte sie zu sagen, »dann hast du was zum Spielen, wenn du zu Besuch kommst.«
Diese Trommeln klangen nämlich wie tausend Kamele, die einem über die Augenlider trampeln.
»Ich habe deine Cousine Marie und ihren Mann zu Thanksgiving eingeladen«, sagte Mutter. »Deine Geschirrtücher könnten übrigens einen Schuß Chlorbleiche vertragen.«
»Ich dachte, mit der sprichst du nicht mehr, weil ihre Tochter dir nie für das Etui mit Füller und Bleistift gedankt hat, das du ihr zum Abitur geschickt hast.«
»Sie hat dann schließlich doch eine Briefkarte geschrieben«, sagte sie. »Außerdem kann ich niemand lange böse sein.«
Richtig. Und wenn man daran glaubt, dann glaubt man auch, daß Nancy Reagan jeden Freitagabend »Falcon Crest« sieht. Meine Mutter hat die Rache zu einer Kunstform erhoben. Jedes Jahr beim Familientreffen erfragen wir bei ihr, wer gerade in Ungnade gefallen ist und mit wem wir sprechen dürfen.
Die Länge ihrer Verurteilung hängt von der Schwere des Vergehens ab.
»Du bist nicht ans Telefon gegangen, als ich anrief, weil du genau wußtest, daß ich es bin.« (Vier Jahre!)
»Du hast mir nie die drei Dollar wiedergegeben, die ich dir bei Margarets Beerdigung für Blumen vorgestreckt habe.« (Achtzehn Jahre!)
»Ich war die letzte, die erfuhr, daß du in der Hoffnung bist.« (Zwei Jahre!)
»Als du dir meine Fotoalben anschautest, war das Bild von Vater noch drin. Als du weggingst, war es verschwunden!« (Fünfundzwanzig Jahre!)
»Du weißt ja, was ich meine!« (Der gefürchtete Groll auf Lebenszeit!)
Ich weiß noch, daß ich zu einem Familientag kam, zu dem man ein Programm gebraucht hätte, um zu wissen, auf welcher Seite des Picknicktisches man sitzen sollte. Ich trat zu meiner Cousine Doris und fragte: »Sprechen wir dieses Jahr miteinander?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie.
»Und warum nicht?«
»Ich habe deiner Mutter seinerzeit keine Einladung zu Robbies Taufe geschickt.«
»Und wie alt ist Robbie jetzt?«
»Sechsunddreißig.«
Ich nahm meinen Teller und wollte weiterrücken.
»Und was ist mit Estelle? Spreche ich mit der?«
»Nicht, solange sie die Backform nicht wiederbringt, die deine Mutter ihr vor zwanzig Jahren mitgegeben hat.«
»Ich freue mich auf Marie«, sagte ich zu Mutter. »Ich habe sie nicht mehr gesehen seit dem Familientag, an dem sie sich den letzten Picknicktisch im Schatten aneignete.«
Mutter hob ruckartig den Kopf. »Ach, das war Marie?«
»Vergiß es. Wahrscheinlich hab ich es verwechselt«, sagte ich hastig. »Na, und wie genießt ihr beiden Liebesleute Papas Pensionierung?«
»Ach, es ist wundervoll«, sagte sie. »Gestern hat dein Vater den Dunstabzug in der Küche saubergemacht und morgen entkalkt er mir den Teekessel.«
»Und was hat er heute getan?«
»Er hat mir beigebracht, mit gespreizten Beinen zu gehen, damit auf dem Dielenläufer nicht immer nur die Mitte abgetreten wird.«
»Und wir glaubten uns schon Sorgen machen zu müssen, ihr beide könntet euch auf die Nerven gehen!«
Wenn meine Tochter einen Funken Vernunft hätte, würde sie sich Sorgen machen. Ich könnte Bücher schreiben über Nerven. Möglicherweise eine Art Fibel zum Ausmalen, für die Frauen aller in Pension gegangenen Ehemänner der Welt.
Siehe Jim.
Jim ist früher herumgelaufen und gesprungen und hinter Kunden hergejagt. Jetzt bleibt Jim zu Hause. Er hat eine neue Uhr und sagt einem die Zeit, auch wenn man sie gar nicht wissen will. Es ist Zeit aufzustehen.
Es ist Zeit, den Ölfleck von der Einfahrt wegzuputzen, ehe man ihn im ganzen Haus herumtritt.
Es ist Zeit, die Gewürze alphabetisch zu ordnen.
Es ist Zeit zum Essen (Lunch, Dinner, Frühstück, Brotzeit, Imbiß, Party).
Manchmal benimmt sich Jim wie ein Logierbesuch.
»Wo hast du die Gläser für Eistee?«
»In der Toilette in der Diele ist kein Papier mehr.«
»An der Tür ist jemand, der etwas verkaufen will.«
»Ich würde das Geschirr ja wegräumen, aber ich weiß nicht, wo alles hingehört.«
Manchmal benimmt Jim sich, als habe er einen für einen Sommerjob engagiert.
»Wer war denn am Telefon und was wollte er?«
»Wo gehst du hin und wann kommst du wieder?«
»Ich glaube, der Rasen kann keinen Tag länger warten.«
Männer, die in Pension sind, wie Jim, rationalisieren den Haushalt, nach dem Motto: es ist billiger, sich die Teebeutel selber zu machen als sie fertig zu kaufen.
Heiz doch nicht das Rohr für eine einzige gebackene Kartoffel. Mach ein ganzes Dutzend und frier sie ein.
Siehe da! Jim schlägt neben der Haustür einen Nagel ein, damit man die Wagenschlüssel hinhängen kann.
Siehe da! Jim schlägt einen Nagel neben dem Telefon ein, damit man den Bleistift anhängen kann.
Siehe da! Jim schlägt einen Nagel in die Schreibtischplatte, um die unbezahlten Rechnungen draufzuspießen. Siehe da: Jim macht einen wahnsinnig.
Alles kam ganz überraschend. Ich wußte fünfundvierzig Jahre lang nicht, daß ich einen Mann geheiratet habe, der so viel von allem versteht: von Spülmaschinen, Bohnerwachs, Feinwäsche und ihrer Behandlung, Fleckenentfernen, Kindern und wie man verhindert, daß Bananen braun werden.
Auch Jim ist überrascht. Er wußte gar nicht, wie ich in meiner Ungeschicklichkeit fünfundvierzig Jahre lang ohne ihn den Haushalt habe führen können.
Alle wundern sich, daß er mehr zu tun hat denn je.
Ich nicht.