Читать книгу Als meine Fehler laufen lernten - Erma Bombeck - Страница 8
Die Gebote eines Vaters
ОглавлениеIn der Küche war die Stimme kaum zu hören.
»Sie kommt aus dem Wohnzimmer«, sagte der eine Sohn.
»Wie dumm, ich hatte nicht gemerkt, daß jemand im Zimmer war. Ich wollte gerade die Lichter ausknipsen.«
Wir alle erstarrten zu einem lebenden Bild.
»Ich will nur noch ein paar mehr Lampen anknipsen«, fuhr die Stimme fort. »Das kann ich mir leisten, ich bin unabhängig und reich, wißt ihr.«
Ich lächelte. »Es ist euer Vater, der ›Fürst der Finsternis‹, er will uns etwas zu verstehen geben«, sagte ich. »Sag mir nichts«, sagte mein Sohn. »Laß mich raten. Dad steht im leeren Wohnzimmer und redet mit sich selbst, um uns wissen zu lassen, daß wir beim Verlassen des Zimmers mal wieder die Lampen nicht ausgeknipst haben.«
Der andere Sohn schüttelte den Kopf. »Manches ändert sich nie.« Die Ansprache nämlich war Tradition. Dreißig Jahre lang verschwendete mein Mann seine Zeit darauf, in Zimmern, in denen niemand mehr war, die Lampen auszuknipsen, im Bad die Wasserhähne zuzudrehen und warf sich über den Zähler in der Hoffnung, dadurch die Scheibe am Rotieren zu hindern.
Seine Ermahnungen, Geld und Energie zu sparen, fielen auf taube Ohren. Seine zehn Gebote gegen Verschwendung und Mißbrauch lagen wie die zerbrochenen Gesetzestafeln zwischen nassen Handtüchern und sich auflösender Seife. Mehr als dreißig Jahre lang hatte er tapfer gegen die allgemeine Indolenz angekämpft – einsam und unbeachtet. Seinem Haushaltsevangelium wurde nie der erhoffte Respekt gezollt.
* | Du sollst den Wasserhahn zudrehen, besonders wenn du fünfzehn Jahre alt bist und beide Arme bewegen kannst. |
* | Du sollst das Telefon einhängen, wenn du so lange geredet hast, daß der Gebührenzähler heiß wird. |
* | Du sollst nicht vor der offenen Tür des Eisschrankes so lange warten, bis etwas zu tauen anfängt. |
* | Du sollst nicht begehren den Heißwasservorrat der übrigen Familie. |
* | Du sollst Vaters und Mutters Thermostat ehren und auf Normalstand belassen. |
* | Du sollst an die Stromrechnung vom vorigen Monat denken und dich im Dunklen freuen. |
Es gab noch mehr Gebote, aber diese waren auf den Gesetzestafeln eingegraben. Er begann sie seinen Kindern einzutrichtern, sobald sie alt genug waren, um das Wörtchen »nein« zu begreifen.
Die Telefongesellschaft machte ihm das nicht leicht. Auf allen Reklamen sah es so lustig und vergnüglich aus, lange Telefonate zu führen. Oma und Opa hingen am Hörer und lauschten, wie ihr Enkelkind sein Bäuerchen machte. Oder eine ganze Band drängte sich in eine einzige Telefonzelle, um den Tubaspieler anzurufen, der mit eingegipster Lippe hatte daheimbleiben müssen. Manchmal sah man auch College-Freundinnen, die von der Ostküste zur Westküste telefonierten, um einander mit Tränen in den Augen einen Sonnenuntergang zu schildern.
Vielleicht ist es mal so gewesen. Doch das war, bevor Opa und Oma feststellten, daß das Bäuerchen sie 9 Dollar 12 Cent kostete. Bevor die Band ihre Instrumente zu Geld machen mußte, um diesen Anruf zu tätigen. Bevor Freundinnen merkten, daß es billiger kam, im Bus zu dem Sonnenuntergang hinzufahren, als darüber am Telefon miteinander zu reden.
Unsere Telefonrechnung veranlaßte meinen Mann, die ersten Regeln für künftige Ferngespräche aufzustellen.
* | Bevor du anrufst, geh auf die Toilette. |
* | Putz dir die Nase und trink ein Glas Wasser. |
* | Lies den Wetterbericht der Stadt, die du anrufst, damit das »Wie ist denn das Wetter bei euch?« wegfallen kann. |
* | Rechne dir die Zeitverschiebung aus, damit du dir die Frage »Wie spät ist es denn gerade bei euch« sparen kannst. |
* | Streite mit deinem Bruder, bevor du die Nummer wählst. Gelächter kostet Geld. Spar es auf, bis du eingehängt hast. |
* | Wiederhole dich nicht. Wenn jemand sagt: »ich liebe dich«, brauchst du nicht zu erwidern: »Ich liebe dich auch.« Ein einfaches »dito« genügt. |
* | Tiere oder Kleinkinder am Telefon sind reine Zeitverschwendung. Sie bellen/lachen/reden/singen immer erst, wenn sie hören, daß der Gesprächspartner eingehängt hat. Also schreib lieber Briefe. |
Aber so richtig auf die Palme trieb es den guten Dad, wenn er in die Küche kam und seine drei Kinder vor beiden weit geöffneten Türen des Kühlschranks fand, so daß ihnen die Haare in der Nase zusammenfroren. Auch für so etwas wußte er eine Regel. Er besann sich dabei auf sein System mit unserem Panzerschrank. Wenn er ein Dokument für die Steuer herausholte, notierte er es auf einem kleinen Zettel. Wenn er eine Versicherungspolice oder unsere Pässe wieder deponierte, schrieb er das auf. So konnte er mit einem Blick erkennen, was im Panzerschrank war und was nicht.
Er dachte, das müsse auch beim Kühlschrank funktionieren, daher notierte er den Inhalt an der Kühlschranktür und bat seine Familie, alles Entnommene und Hinzugefügte auf dieser Liste zu vermerken.
Eine Kohlroulade hatte sieben Ein- und Ausgänge, woraus man ersah, daß keiner wußte, was es war, ehe er nicht hineingebissen hatte. Ein Schlauberger trug ein: Entnommen fünfunddreißig Kirschen und zwei Pfirsiche, rückerstattet zweiunddreißig Kirschsteine und zwei Pfirsichkerne. Eine Schachtel Backpulver wurde herausgeholt und wieder hineingetan mit einem Zettel: »Zuviel Arbeit!«
Die vermutlich rührendste Eintragung unter »Entnommen« waren Eiswürfel mit der Notiz: »Hätte sie gern ersetzt, weiß aber nicht, wie man sie macht.«
Er gab sich solche Mühe! Wie oft versammelte er die Kinder an der Tür und sprach: »Heute wollen wir einmal den Thermostaten durchnehmen. Wenn es in eurem Zimmer kalt ist, was tut ihr dann?«
Einer der Jungen trat vor und stellte den Thermostaten auf 25 Grad.
»Du bist auf dem richtigen Wege, aber du brauchst noch Feinschliff«, sagte sein Vater. »Wenn es nun in deinem Zimmer zu heiß wird – was unausbleiblich ist –, was machst du dann?«
»Ein Fenster auf«, gähnte unsere Tochter.
Sie hörten sich aufmerksam seine Rede »Papi ist kein reicher Mann« an und folgten ihm pflichtschuldigst zum Zähler, wo er ihnen die rotierende Scheibe zeigte. Er erklärte ihnen, wieviel er für jede kleine Umdrehung zu zahlen hatte. Als ich von weitem beobachtete, wie seine Lippen das Wort »bankrott« bildeten, tat er mir direkt leid.
Schließlich sagte einmal einer von den Kindern: »Moment! Willst du damit sagen, je kälter es draußen wird, desto mehr verbraucht die Heizung, damit es drin warm bleibt? Und jedesmal, wenn es bei ihr ›Klick‹ macht, kostet es Geld?«
Mein Mann nickte freudig.
»Das hättest du dir aber überlegen müssen, ehe du dir drei Kinder anschaffst«, sagte er.
Hie und da wird unser Heim mit einem Atomkraftwerk verwechselt, mit einem Film-Uraufführungstheater, einem nächtlichen Baseballstadion oder dem Ausgangspunkt für einen Faschingszug.
Trotz all der Vorträge meines Mannes darüber, wie ein Lichtschalter funktioniert, sind wir noch immer der einzige Leuchtturm, dessen Strahlen den in der Wüste von Arizona irrenden Seeleuten heimleuchtet.
Ich erinnere mich, daß wir einmal nachts heimkamen und 32 brennende Lampen vorfanden. Mein Mann warf die ganze Familie aus den Betten und beorderte sie ins Eßzimmer. Dort blätterte er in einem Stoß Papiere voller Zahlen.
»Habt ihr gewußt«, fragte er, »daß jeder von euch, der heiß badet, mich im Jahr 135 Dollar kostet, und die Waschmaschine 350?«
»Willst du damit sagen, wir sollten alle gleichzeitig im Spülgang der Waschmaschine baden?« gähnte eines der Kinder.
»Ich will damit sagen, daß wir uns mal alle etwas genauer ansehen wollen, was um uns her geschieht. Ein Duschbad ist wesentlich billiger. Es verbraucht weniger Wasser.«
Sie dankten ihm für seine Mitteilungen und standen auf.
»Sitzengeblieben!« befahl er. »Ein Wasserbett kostet an Strom 4 Dollar 35 Cent pro Jahr, bis es warm ist, eine Heizdecke aber nur 2 Dollar 20.«
»Na, großartig«, sagte unser Sohn. »Warum stellen wir uns nicht alle in den Haartrockner, um warm zu bleiben. Der kostet im Jahr nur 1 Dollar 75.«
»Für einen Zehner mehr«, sagte ein anderer Sohn, »könnten wir uns den Dreck gleich mit dem Staubsauger absaugen.«
Geschlagen zog mein Mann ab.
»Euer Vater hat nicht unrecht«, mahnte ich die Kinder. »Schließlich zahlt er die Rechnungen und hat keinen anderen Dank dafür als Verschwendung. Von nun an wollen wir doch immer erst nachdenken, wieviel Strom etwas kostet, ehe wir es einschalten.«
Als mein Mann zum Frühstück kam, fragte er: »Wo ist der Kaffee?«
»Ich hab ihn auf dem Popcorn-Popper gekocht«, sagte unsere Tochter. »Der verbraucht nur für 40 Cents Strom, die elektrische Kaffeemaschine aber für 5 Dollar 40.«
Der eine Sohn rasierte sich nicht mehr, weil das pro Jahr 40 Cents kostete. Der andere kam zu spät zur Arbeit, weil er den Stecker seines Elektroweckers (1 Dollar 20) rausgezogen hatte, und aus dem Kühlschrank drang ein sonderbarer Geruch, weil ihn eingeschaltet zu lassen 109 Dollar 45 kostete.
Ich bot meinem Mann eine Scheibe in der Sonne getoastetes Brot an, aber er ging an mir vorbei zur Tür.
Es war also vorauszusehen gewesen, daß er schließlich mit sich selber redete.