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„Religionen und Naturwissenschaften“

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„Nachdem wir nun die Forderungen kennen gelernt haben, welche einerseits die Religion, andererseits die Naturwissenschaft an unsere Einstellung zu den höchsten Fragen weltanschaulicher Betrachtung knüpft, wollen wir jetzt prüfen, ob und wie weit diese beiden Arten von Forderungen miteinander in Einklang zu bringen sind.

Zunächst ist selbstverständlich, dass diese Prüfung sich nur auf solche Gebiete beziehen kann, in denen Religion und Naturwissenschaft zusammenstoßen. Denn es gibt weite Bereiche, in denen sie gar nichts miteinander zu tun haben. So sind alle Fragen der Ethik der Naturwissenschaft fremd, ebenso wie andererseits die Größe der universellen Naturkonstanten für die Religion ohne jede Bedeutung ist. Dagegen begegnen sich Religion und Naturwissenschaft in der Frage nach der Existenz und nach dem Wesen einer höchsten, über die Welt regierenden Macht. Und hier werden die Antworten, die sie beide darauf geben, wenigstens bis zu einem gewissen Grade miteinander vergleichbar. Sie sind keineswegs im Widerspruch miteinander, sondern sie lauten übereinstimmend dahin, dass erstens eine von den Menschen unabhängige vernünftige Weltordnung existiert, und dass zweitens das Wesen dieser Weltordnung niemals direkt erkennbar ist, sondern nur indirekt erfasst bzw. geahnt werden kann.

Die Religion benutzt hierfür ihre eigentümlichen Symbole. Die exakte Naturwissenschaft ihre auf Sinnesempfindungen begründeten Messungen. Nichts hindert uns also – und unser nach einer einheitlichen Weltanschauung verlangender Erkenntnistrieb fordert es – die beiden überall wirksamen und doch geheimnisvollen Mächte, die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der Religion, miteinander zu identifizieren. Danach ist die Gottheit, die der religiö- se Mensch mit seinen anschaulichen Symbolen sich nahe zu bringen sucht, wesensgleich mit der naturgesetzlichen Macht, von der dem forschenden Menschen die Sinnesempfindungen bis zu einem gewissen Grade Kunde geben.

Bei dieser Übereinstimmung ist aber doch auch ein grundsätzlicher Unterschied zu beachten. Für den religiösen Menschen ist Gott unmittelbar und primär gegeben. Aus ihm, aus seinem allmächtigen Willen, quellen alles Leben und alles Geschehen in der körperlichen wie in der geistigen Welt. Wenn er auch nicht mit dem Verstand erkennbar ist, so wird er doch durch die religiösen Symbole in der Anschauung unmittelbar erfasst und legt seine heilige Botschaft in die Seelen derer, die sich ihm gläubig anvertrauen. Im Gegensatz dazu ist für den Naturforscher das einzig primär Gegebene der Inhalt seiner Sinneswahrnehmungen und der daraus abgeleiteten Messungen. Von da aus sucht er sich auf dem Weg der induktiven Forschung, Gott und seiner Weltordnung als dem höchsten, ewig unerreichbaren Ziel nach Möglichkeit anzunähern.

Wenn also beide, Religion und Naturwissenschaft, zu ihrer Betätigung des Glaubens an Gott bedürfen, so steht Gott für die eine am Anfang, für die andere am Ende alles Denkens. Der einen bedeutet er das Fundament, der anderen die Krone des Aufbaues jeglicher weltanschaulicher Betrachtung. Diese Verschiedenheit entspricht der verschiedenen Rolle, welche Religion und Naturwissenschaft im menschlichen Leben spielen. Die Naturwissenschaft braucht der Mensch zum Erkennen, die Religion aber braucht er zum Handeln. Für das Erkennen bilden den einzigen festen Ausgangspunkt die Wahrnehmungen unserer Sinne. Die Voraussetzung einer gesetzlichen Weltordnung dient hier nur als die Vorbedingung zur Formulierung fruchtbarer Fragestellungen. Für das Handeln ist aber dieser Weg nicht gangbar, weil wir mit unseren Willensentscheidungen nicht warten können, bis die Erkenntnis vollständig oder bis wir allwis-send geworden sind. Denn wir stehen mitten im Leben und müssen in dessen mannigfachen Anforderungen und Nöten oft sofortige Entschlüsse fassen oder Gesinnungen betätigen, zu deren richtiger Ausgestaltung uns keine langwierige Überlegung verhilft, sondern nur die bestimmte und klare Weisung, die wir aus der unmittelbaren Verbindung mit Gott gewinnen.

Sie allein vermag uns die innere Festigkeit und den dauernden Seelenfrieden zu gewährleisten, den wir als das höchste Lebensgut einschätzen müssen. Und wenn wir Gott außer seiner Allmacht und Allwissenheit auch noch die Attribute der Güte und der Liebe zuschreiben, so gewährt die Zuflucht zu ihm dem Trostsuchenden Menschen ein erhöhtes Maß sicheren Glücksgefühls.

Gegen diese Vorstellung lässt sich vom Standpunkt der Naturwissenschaft nicht das Mindeste einwenden, weil ja die Fragen der Ethik, wie wir schon betont haben, gar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich gehören. Wohin und wie weit wir also blicken mögen, zwischen Religion und Naturwissenschaft finden wir nirgends einen Widerspruch, wohl aber gerade in den entscheidenden Punkten völlige Übereinstimmung. Religion und Naturwissenschaft, sie schließen sich nicht aus, wie manche heutzutage glauben oder fürchten, sondern sie ergänzen und bedingen einander.

Wohl den unmittelbarsten Beweis für die Verträglichkeit von Religion und Naturwissenschaft auch bei gründlich kritischer Betrachtung bildet die historische Tatsache, dass gerade die größten Naturforscher aller Zeiten – Männer wie Keppler, Newton, Leibnitz – von tiefer Religiosität durchdrungen waren. Zu Anfang unserer Kulturepoche waren die Pfleger der Naturwissenschaft und die Hüter der Religion sogar durch Personalunion verbunden. Die älteste angewandte Natur- wissenschaft, die Medizin, lag in den Händen der Priester. Und die wissenschaftliche Forschungsarbeit wurde noch im Mittelalter hauptsächlich in den Mönchszellen betrieben. Später, bei der fortschreitenden Verfeinerung und Verästelung der Kultur, schieden sich die Wege allmählich immer schärfer von einander, entsprechend der Verschiedenheit der Aufgaben, denen Religion und Naturwissenschaft dienen. Denn so wenig sich Wissen und Können durch weltanschauliche Gesinnung ersetzen lassen, ebenso wenig kann die rechte Einstellung zu den sittlichen Fragen aus rein verstandesmäßiger Erkenntnis gewonnen werden.

Aber die beiden Wege divergieren nicht, sondern sie gehen einander parallel und sie treffen sich in der fernen Unendlichkeit an den nämlichen Zielen. Um dies recht einzusehen, gibt es kein besseres Mittel als das fortgesetzte Bemühen, das Wesen und die Aufgaben einerseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, andererseits des religiösen Glaubens, immer tiefer zu erfassen. Dann wird sich in immer wachsender Klarheit herausstellen, dass, wenn auch die Methoden immer verschieden sind, denn die Wissenschaft arbeitet vorwiegend mit dem Verstand, die Religion vorwiegend mit der Gesinnung, der Sinn der Arbeit und die Rich-tung des Fortschrittes doch vollkommen miteinander übereinstimmen.

Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skeptizismus und gegen Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen und das Richtungsweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott.“

„Hin zu Gott“. Das ist das, was man nur als Mensch dieser Kultur tun kann. Was Planck hier in großartiger Weise vorweg nimmt, ist eine Erkenntnis, die nach dem zweiten Weltkrieg der Philosoph Karl Jaspers zum ersten Mal formuliert hat, als er darauf hingewiesen hat, dass die europäische Kultur zwei große Traditionen hat.

Die erste Tradition ist 3.000 Jahre alt und man kann sie als „Transzendenzfähigkeit“ begreifen. Wir haben plötzlich Gott entdeckt. Das ist überall auf der Welt geschehen, ist aber vor allem in die europäische Kultur eingegangen. Auch Zarathustra in Persien, Konfuzius in China, Buddha in Indien und die Propheten im Nahen Osten haben ihn entdeckt. Überall war plötzlich die Idee da, dass es sozusagen eine zweite Wirklichkeit gibt, zu der ich hinstreben kann, von der ich etwas empfangen kann. Das ist die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz. Die gehört zu uns.

4 Portraits (Pauli, Einstein, Planck und Heisenberg)

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