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Sonntag, 19. April 2015

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Gedenken an Opfer in Konzentrationslagern

Heute wird in den früheren KZ´s Ravensbrück und Sachsenhausen an die Befreiung vor 70 Jahren erinnert.“


Man möchte die Schuld bekennen. Aber vor den Folgen des Bekenntnisses hat man Angst. Und darum schweigt man und hofft, dass die Vergangenheit vergessen wird und man sie selbst vergessen kann. Ich weiß, dass das feige ist. Aber die Angst vor den Folgen, die die Wahrheit nach sich zieht, ist größer als das Gefühl der Feigheit. Und so wahrt jeder seinen Schein, bis jemand den Lichtschalter gefunden hat und ihn ausknipst.

***

13.40 Uhr

„Sag Jack zu mir!“, hatte er gesagt und gegrinst. Wie lächerlich kam es ihr jetzt vor, wenn sie sich daran erinnerte. Sie musste sich unweigerlich schütteln vor Scham. Es war eine perfide Situation gewesen. Sie hatte gelacht, es für ein Spiel gehalten, nicht darüber nachgedacht, warum er ausgerechnet Jack als Namen gewählt hatte. Mit dem Namen verband sie einen verwegenen Kerl, ein wenig undurchsichtig, geheimnisvoll, rau, aber leidenschaftlich. Keinen Mörder.

„Die Jalousien klemmen manchmal“, erklärte sie der jungen Frau, die fest die Hand ihres Freundes hielt, während sie auf dem anderen Arm ein Baby trug. Asha öffnete das Fenster und zog an der Jalousie. Die Wohnungsbesitzerin hatte sie gebeten, den Nachmietern die Wohnung zu zeigen und ihnen auch gleich die Schlüssel zu übergeben, sofern ihr das zeitlich möglich sei. „Sie müssen einmal kurz und kräftig ziehen, dann loslassen und schließlich noch einmal sanfter anziehen. Dann klappt es“, erklärte Asha. Sie wollte die Vorgehensweise demonstrieren. Das Baby sah ihr aufmerksam zu, aber es klappte nicht. Die Jalousie klemmte immer noch. Entschuldigend verzog sie den Mund zu einem Lächeln: „Na ja, manchmal funktioniert es!“ „Da werden wir die Vermieterin fragen“, sagte die junge Dame selbstbewusst, ließ die Hand ihres Freundes los und streckte ihm das Baby entgegen: „Nimm du mal.“ Unbeholfen und wenig motiviert packte der Kerl das Baby, das sofort zu schreien begann. Asha hätte es ihm am liebsten abgenommen.

„Danke, dass Sie die Wände streichen und ich das nicht mehr tun muss!“, sagte Asha. „Ist in Ordnung“, antwortete die Dame knapp. Asha sah noch einmal sehnsüchtig zu dem Balkon hinüber, auf dem ihr Idol immer gestanden und die Pflanzen gepflegt hatte. Niemand war zu sehen.

„Wir werden das gleich morgen machen“, sagte die Frau befehlstonartig zu dem Kerl, der das Baby ziemlich heftig auf seinem Arm hin und her bewegte. Asha konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen: „Ist dem Baby das nicht zu wild?“ Der junge Mann schüttelte den Kopf: „Da schläft sie immer ein dabei!“

Die junge Frau schritt zur Küchenzeile und öffnete den Kühlschrank. Eingehend prüfte sie, ob er sauber war. Schließlich schloss sie zufrieden die Türe. „Der Ofen geht, ja?“ Asha nickte gedankenverloren. Sie hatte nicht gedacht, dass er mit dem Namen Jack einen Schwerverbrecher verband, einen Frauenmörder aus dem vorletzten Jahrhundert. Oft hatte er sie mit Handschellen am Bett festgekettet, ja. Es war alles ein Spiel gewesen. Ein fremdartiges, prickelndes Spiel. Hatte sie gedacht.

Das Baby schrie immer noch. „Sind die Nachbarn lästig?“, fragte die Frau. Sie fuhr mit der Hand über die Anrichte. „Lästig?“ Asha runzelte die Stirn. „Unangenehm, störend, eben Nervensägen“, suchte die Frau nach Synonymen. „Nein, keineswegs. Unter mir wohnt ein älteres Ehepaar. Das ist sehr nett. Und wer nebenan wohnt, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht!“

„Bei der Wohnung, in der wir jetzt leben, ist es echt ein Kreuz. Wenn die Kleine mal zu laut ist, stehen die Laschkes schon wieder auf der Matte.“ Asha nahm an, dass die Laschkes irgendwelche Nachbarn dieser Leute waren. „Die haben natürlich selber keine Kinder. Ist ja klar!“ Die Frau verdrehte die Augen.

Asha hatte sich als kleines Kind schon gewünscht, einmal eine große Familie zu haben. Vier Kinder hätte sie gerne gehabt.

„Ist irgendwo Schimmel?“, plapperte die potentielle Nachmieterin weiter, „Vermieter sagen einem sowas ja nicht und vorübergehend kriegt man das Zeug ja weg, sodass man nichts davon merkt. Aber wo einmal Schimmel ist, kommt er immer wieder. Vielleicht ist das ja der Grund, warum die Bude so günstig ist. Seien Sie ehrlich!“ Asha wehrte ab: „Nein, Schimmel habe ich nie entdeckt.“ Sie dachte an die vielen schimmligen Stellen in Ralphs Wohnung und fügte dann hinzu: „Die Wohnung ist echt klasse für den Preis.“ Die Frau sah sich die Wände trotzdem genau an.

Ashas erster Freund war einer aus ihrer Klasse gewesen, ein braver Kerl, der sich kaum traute, sie anzufassen. Es war auch nie zum Geschlechtsverkehr gekommen. Das erledigte dann ein Partyfang, den sie einmal und nie wieder sah. Wenn es blöd gelaufen wäre, hätte sie damals schon schwanger werden können, weil sie kein bisschen aufgepasst hatte. Vielleicht hätte man auch sagen sollen, wenn es gut gelaufen wäre. Damals hatte sie ja nicht gewusst, dass ihre Gebärmutter anderes vorhatte als zu gebären.

„Können Sie mal die Markise auf dem Balkon ausfahren?“, fragte die junge Frau jetzt. Der wortkarge Mann dackelte mit dem inzwischen schlafenden Kind hinter ihr her auf den Balkon. Asha hatte die Markise schon lange nicht mehr ausgefahren. Entsprechend schwer ließ sich die Kurbel bedienen, mit der man den Sonnenschutz funktionstüchtig machte.

Asha hätte mit Ramon ein Kind adoptieren sollen, das wäre wahrscheinlich die Lösung aller nachfolgenden Probleme gewesen. Schließlich gab es genug dieser bemitleidenswerten Kreaturen, wenn nicht hier in Deutschland, dann anderswo auf der Welt. Ramon hatte das sogar einmal vorgeschlagen. Aber sie hatte es abgewehrt, hatte gemeint, dass das nicht dasselbe sei, wie selbst ein Kind zu zeugen. Ausgerechnet sie musste das sagen, die sie doch selbst von ihren Pflegeeltern adoptiert worden war! Welcher Teufel hatte sie da nur geritten? In ihrer Sturheit hatte sie es sich schließlich mit Ramon versaut. Vielleicht war das hier nun die Buße für den wohl größten Fehler ihres Lebens.

„Ich denke, wir machen eine neue Markise hin. Kann ja mein Pa erledigen“, sagte die Frau jetzt. Doch der Mann, an den sie ihre Rede wahrscheinlich richtete, war im Begriff, wieder hineinzugehen, um sich mit dem Kind auf dem Boden niederzulassen, bis seine Partnerin endlich auch noch den letzten Winkel genau begutachtet hatte, ehe sie von Asha den Haustürschlüssel in Empfang nahm. Mit einem angedeuteten Lächeln legte sie ihn schlussendlich in die schmalen Hände der Frau.

Es war noch keinen Monat her, als Ralph ihr einen Schlüssel für seine Wohnung überreicht hatte. Wie hatte sie sich darüber gefreut, jetzt Teil seiner Familie zu sein. Auch wenn Sie Ralphs Wohnung nicht heimelig fand und der Sauberkeitsgrad dieser Wohnstätte allem anderen als ihren Erwartungen entsprach, hatte sie sich darüber gefreut. Als Ralph Asha beim ersten Kennenlernen mitgeteilt hatte, dass er ein alleinerziehender Vater war, sah sie die Gelegenheit gekommen, endlich eine Familie zu haben. Zwar war sein „Kind“ schon 17, aber trotzdem – es war sein Kind. Und Kinder hatte sie sich schließlich immer gewünscht. Ralph war zu einem Zeitpunkt gekommen, da sie akzeptiert hatte, dass sie nie eigene Kinder würde kriegen können, aber der Wunsch nach Kindern noch nicht verschwunden war. Und mit Kevin konnte er eventuell noch in Erfüllung gehen. Zwar hatte sich der Junge ihr gegenüber nie besonders aufgeschlossen gezeigt, aber anfangs war er zumindest neutral gewesen. Seine Sticheleien hatten erst später angefangen und dann immer mehr zugenommen.

***


Vergib ihnen seine Schuld

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