Читать книгу Vergib ihnen seine Schuld - Erren Werg - Страница 7

Mittwoch, 15. April 2015

Оглавление

Luft-Angriffe gegen Farc-Rebellen in Kolumbien

Die Waffenruhe in Kolumbien hat nur einen Monat lang gehalten. Nachdem mehrere Soldaten von den Farc-Rebellen getötet wurden, lässt Präsident Santos nun wieder Luftangriffe gegen die Guerilla fliegen.“

Von außen betrachtet ist es schwer, die Guten und die Bösen ausfindig zu machen. Wer hat Recht und wer hat Unrecht? Wer sind die Bösen und wer die Guten? Alle Konflikte haben wohl irgendwo ihren Ursprung. Aber diesen Ursprung ausfindig zu machen und eine Schuldzuweisung eindeutig zu begründen, ist in den meisten Fällen unmöglich.

***

11.22 Uhr

„Wir haben gestern über Stauffenberg und in diesem Zusammenhang über das Unrecht gesprochen, das den Juden durch Hitler wiederfahren ist. In dieser Stunde wollen wir nochmal etwas genauer die Geschichte der Juden in Deutschland betrachten.“

Georg stöhnte: „Muss das sein?“ In der ersten Reihe flüsterten zwei Mädchen einander etwas zu und lachten dann. Der Rest der Klasse sah Meiner abwartend an.

Meiner holte aus, indem er zunächst mit den Schülerinnen und Schülern wiederholte, was diese über die Vergabe von Krediten und die Zahlung von Zinsen gelernt hatten. Die Wiederholung gestaltete sich mühsam. Larissa betrachtete ständig ihre rosagefärbten Fingernägel, Dana begutachtete ihre Haarspitzen und Iwan hatte Mühe, die Augen offen zu halten. „Und was hat das mit den Juden zu tun?“, fragte Michael, der von den Klassenkameradinnen und -kameraden meist „Mike“ genannt wurde, schließlich gelangweilt.

„Da es den Christen im Mittelalter verboten war, Zinsen zu verlangen, konnten nur die Juden Geld verleihen. Und viele Menschen haben sich Geld von ihnen ausgeliehen, weil sie es brauchten“, erklärte Meiner. Sein Blick fiel auf Kevin, der einen Bluterguss unter dem rechten Auge hatte. Gestolpert und gegen den Kasten geflogen wahrscheinlich. Oder ein Fahrradunfall. Vielleicht auch eine harmlose Schlägerei mit einem Freund, bei dem dieser ein bisschen zu weit ausgeholt hatte. Irgendetwas würde Kevin ihm schon präsentieren, wenn er ihn nach der Ursache fragte. Also fragte er nicht danach. Nicht mehr.

„Aber das war doch eine gute Sache, schließlich war den Leuten ja damit geholfen, wenn sie sich Geld ausleihen konnten“, schlussfolgerte Mehmed.

„Ich glaube, die haben ziemlich viel Zinsen verlangt, oder?“, sagte Linus, einer der wenigen Schüler, welche die ganze Zeit schon aufgepasst hatten.

„Genau, die Judenschweine“, raunte Georg. Zielsicher warf Meiner Georgs Namen wie ein Messer durch den Raum und verschärfte seine Wortattacke mit einem vernichtenden Blick. Georg duckte sich, als wolle er der Mahnung ausweichen.

Meiner fuhr in ruhigem Ton fort: „Wer Kredite vergibt, verlangt natürlich für das Ausleihen des Geldes Zinsen. Das ist heute so und das war früher so. An und für sich ist dies nicht verwerflich. Jedoch vergisst der Mensch schnell die Hilfe des anderen, wenn es ihm dreckig geht. Manche Schuldner konnten ihre Schulden samt den Zinsen nicht zurückzahlen und weil sie darunter sehr litten, machten sie die Juden für ihr Elend verantwortlich.“

„Das ist ja nicht gerade die feine Art“, meinte Lisa.

„Bald wurden die Juden als Wucherer und Betrüger hingestellt!“, erklärte Meiner.

„Denen soll man mal sagen, dass Juden ihnen Geld haben gegeben, damit sie sind dankbar. Basta“, erklärte Iwan. Zunehmend mehr Jugendliche erwachten wieder aus ihrer Schlaf- oder Langeweilehaltung. Larissa allerdings fand ihre rosaroten Fingernägel immer noch wesentlich interessanter als das Unterrichtsgespräch.

„Na ja“, sagte Meiner skeptisch, „es gab ja auch einige Juden, die tatsächlich sehr in ihre eigene Tasche wirtschafteten und zu viel Zinsen verlangten. Aber wie immer sollte man aufpassen mit Pauschalurteilen. Weil einige Juden Fehler gemacht hatten, hieß es gleich, alle Juden seien Wucherer. Und das führte so weit, dass bereits im Mittelalter Pogrome stattfanden.“

„Was ist ein Prognom?“, fragte Dana. „Ein kleiner Zwerg“, kommentierte Tom. Ein paar lachten. „Sehr lustig“, sagte Dana und verdrehte die Augen.

„Pogrom bedeutet so viel wie „Verwüstung, Zerstörung“. Man hat sich gewaltsam gegen die Juden gewendet. Nicht erst unter Hitler, sondern bereits im Mittelalter wurden sie von aufgebrachten Bürgern, die einfach alle Juden als schlechte Menschen hinstellten, weil sie Zinsen verlangten, erschlagen“, erklärte Meiner.

„Das ist ja voll gemein“, rief Natalie.

„Man muss wissen, dass Menschen immer nach Sündenböcken suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Und wenn es vielen Menschen schlecht geht, suchen sie nach einem Volk oder einer Gruppe, die sie zum Sündenbock machen können. Das war immer so und ist bis heute so.“

„Aber man bringt bei uns keine Juden mehr um“, stellte Mike fest.

„Man bringt viele Menschen mit Worten um: die Jugendlichen sind heutzutage alle doof, die Lehrer sind alle gemein, die Bankangestellten sind alle korrupt und die Flüchtlinge alle Islamisten!“, setzte Meiner entgegen. „Ich glaube, man muss sich immer vor Pauschalurteilen hüten“, mahnte er.

„Sie meinen: Juden sind nicht gleich Juden. Mohammedaner sind nicht gleich Mohammedaner, Lehrer sind nicht gleich Lehrer“, sagte Natalie.

„Selbst Mörder sind nicht gleich Mörder“, fügte Tom hinzu und grinste.

Meiner nickte: „So ist es.“

***

18.49 Uhr

„Hör auf damit!“, flehte sie und drehte ihr Gesicht so weit nach links, wie sie nur konnte, damit er ihr keinen weiteren alkoholgetränkten Kuss auf die Lippen drücken konnte.

„Du liebst es doch so, oder? Hast dich doch nie dagegen gewehrt! Du wolltest doch Abwechslung haben, mal was anderes ausprobieren, was! Verdammt geil, hm!“ Er saß neben ihr auf der Bettkannte, lachte scheußlich, kalt, teuflisch, und betrachtete lüstern ihren Körper.

„Mach mich hier los!“, fauchte sie wütend und drehte ihm den Kopf in einer raschen Bewegung wieder zu, „Das ist nicht mehr lustig.“ Sie spuckte ihm jedes einzelne Wort in der Hoffnung entgegen, dass er zur Vernunft kommen würde. Gleichzeitig zerrte sie an den Handschellen, obwohl sie wusste, dass sie keine Chance hatte, sich daraus zu befreien.

„Ach, ist es das nicht? Nein? Es ist nicht lustig?“, sagte er, sich an ihrer verzweifelten Ohnmacht erlabend. Dann ging sein selbstgefällig amüsierter Tonfall in ein bedrohliches Zischen über: „Es ist auch nicht lustig, dass du mir in den Rücken fällst.“ Er ließ seine Hand zuerst an ihrer rechten Wange entlang gleiten und drückte dann selbige zwischen Daumen und Zeigefinger so fest zusammen, dass es schmerzte. Sie warf den Kopf wieder auf die Seite, sodass er loslassen musste.

„Ich bin dir nicht in den Rücken gefallen. Aber es war falsch, so zu handeln. So wird alles nur noch schlimmer. Man darf nicht schlagen. Das ist Unrecht!“

„Man darf nicht schlagen?“, lachte er zynisch und klatschte in die Hände. „Ein bisschen Schläge haben noch keinem geschadet! Hab ich auch bekommen!“ Seine Augen schienen zu glühen, sein Atem ging immer heftiger. „Würde dir vielleicht auch mal nicht schaden, hm? Sadomaso. Shades of Grey und so. Weiß man doch, dass ihr Weiber auf so was steht, was!“

„Mach mich jetzt los hier!“, keifte sie. Aber er verzog nur seine Mundwinkel zu einem Grinsen. Seine Hand griff nach ihrem Oberschenkel, glitt bis zum Knie und dann in die entgegengesetzte Richtung. „Jack!“, sagte er lüstern. „Jack ist ein Guter, merk dir das!“ Die Hand bewegte sich mit leichtem Druck von den Oberschenkeln über Becken, Bauch, Brüste und Hals bis zu ihrem Gesicht. Mit seinen Fingern strich er erneut über ihre Backe. Sie versuchte dem Streicheln abermals durch eine heftige Kopfbewegung zu entkommen. Verdammtes Arschloch!

„Schau mal, was Jack da hat!“, seuselte er in einem widerlichen Ton, holte etwas aus der Schublade und hob einen USB-Stick hoch. „Weißt du eigentlich, was Jack da hat?“, fragte er und lachte laut. „Da ist was Wunderschönes drauf!“ Sie riss die Augen auf. „Möchtest wissen, was, oder?“ Er warf den USB-Stick in die Höhe und fing ihn mit einer Hand auf. „Sind hübsche Aufnahmen. Würden dir gefallen!“ Wieder lachte er. „Und sie werden Karl gefallen. Hab ich dir schon mal von Karl erzählt?“

„Nein, du hast mir noch nie von Karl erzählt und ich weiß auch nicht, was auf diesem verdammten Stick ist. Du machst mich jetzt los und dann gibst du mir den Stick und dann kannst du mir von Karl erzählen“, sagte sie in einem scharfen Ton. Aber sein süffisantes Lachen erstickte jedes Bemühen ihrerseits. „Den werde ich Karl schicken, da wird er staunen, der alte Sack! Was der kann, kann ich schon lange!“ Wieder ein hässliches Lachen.

„Aber jetzt werden wir den erstmal in Sicherheit bringen. Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Vielleicht zeige ich ihn dir ja später!“ Er verließ das Schlafzimmer, stolperte an der Türe über seine eigenen Schuhe, schleuderte sie mit einem Fluchen gegen die Wand und ging in ein anderes Zimmer. Sie horchte, wo er hinging. Der Holzboden im Wohnzimmer knarzte.

Er blieb dort nicht lange, kehrte mit einem Päckchen Zigaretten in der Hand zurück und setzte sich auf ihr Becken. „Na, wollen wir denn mal?“, sagte er anzüglich und beugte sich nach vorne, um sie zu küssen. Dabei legte er die Zigarettenschachtel neben einem Feuerzeug, einem Hammer und einem leeren Glas auf dem Nachtkästchen ab. Er hinterließ bei der Berührung seiner Lippen einen ekelhaften Spuckefleck auf ihrer Wange.

„Hör auf damit! Verdammt noch mal, du machst alles kaputt!“, quietschte sie.

„Du hast alles kaputt gemacht!“, zischte er und umklammerte sodann mit seiner Hand die untere Hälfte ihres Gesichts. Er drückte wieder so fest zusammen, dass es schmerzte: „Du lebst jetzt in einer Familie. Und in einer Familie gelten Regeln. Und diese Regeln muss man einhalten. Das muss er wissen. Und das musst du wissen.“ Er ließ sie los und nahm Feuerzeug und Zigarettenschachtel in die Hand.

„Verflucht, das sind keine Regeln, das ist Gewalt!“, fluchte sie und zappelte mit dem Körper, während er unbeeindruckt davon eine Zigarette aus der Schachtel holte.

Sie hatte es zugelassen vorhin, dass er das Spiel mit den Handschellen einleitete. Sie hatte mitgemacht. Wie sonst auch. Dabei war er angetrunken gewesen. Und sie hasste betrunkene Typen. Warum hatte sie ihr Gehirn eben gerade nicht in Bewegung gesetzt? Er wolle sich entschuldigen, hatte er gesagt. Es täte ihm leid. Von wegen! Shit, wie blöd war sie eigentlich! In ein paar Sekunden konnte sich die Welt ändern. In ein paar Sekunden konnte sich ein Mensch ändern. Verflixt, warum hatte sie mitgemacht, sich anketten lassen, obwohl er schon angetrunken gewesen war? Für einen Moment verachtete sie sich. Es war weniger die Angst vor ihm als die Verachtung ihrer selbst, die ihr nun Tränen in die Augen trieb.

„Oh, du kannst ja weinen! Das wollte ich mal sehen“, sagte er zynisch und zündete sich die Zigarette an.

„Du hattest dein Vergnügen, jetzt lass den Unsinn. Das ist nicht mehr erregend, das ist nur noch widerlich!“ Das letzte Wort löste sich in einem Schluchzen auf.

„Ist es das?“, fragte er und grinste amüsiert. Abgrundtiefer Hass stellte sich bei ihr ein. Wenn sie nur weglaufen hätte können. Weit weg. Aber sie lag hier angekettet im Halbdunkel. Er hatte die Jalousien heruntergelassen und nur das Licht aus dem Flur drang durch die offene Tür ins Zimmer und beleuchtete die abartige Szene.

Er ließ von ihr ab, stand auf, legte seine glühende Zigarette auf die Zigarettenschachtel und nahm den Hammer vom Nachtkästchen. Er hob ihn hoch und hielt ihn so, als wolle er ihn im nächsten Moment auf sie herabschleudern. Sie riss die Augen weit auf und wollte zu schreien anfangen. Sofort ließ er sich mit dem Hammer in der Hand auf das Bett plumpsen und presste seine freie Hand auf ihren Mund. „Ich habe es ihm gut gemeint. Wenn man fleißig ist, bekommt man einen guten Job. Nicht wenn man faul rumhängt. Er soll das eher kapieren als ich. Das hab ich ihm klargemacht. Ist alles nur gut gemeint. Aber du machst es kaputt!“, raunte er. Er hob den Hammer wieder ein wenig höher und lachte höhnisch. Ihr ganzer Körper war starr vor Schreck. Doch dann legte er den Hammer schnell wieder an den alten Platz, ohne seine Hand von ihrem Mund zu nehmen. „Nicht die Nachbarn erschrecken! Der Alte von nebenan steckt eh überall seine Nase rein! Nicht schreien!“ Er flüsterte es ihr zu, als wäre sie ein kleines, unartiges Mädchen. Langsam löste er die Hand von ihrem Mund. Sie blieb stumm.

„Den Hammer habe ich zum Aufhängen DEINES Bildes gebraucht. Du wolltest das Bild mit dieser beknackten scheiß Katze unbedingt im Gang aufhängen. Und - habe ich es aufgehängt?“ Sie sagte nichts, starrte ihn nur entsetzt an. „Ich habe meine Aufgaben erledigt. Ich habe dein scheiß Bild im Flur aufgehängt. Ich halt mich an das, was du quatschst. Ich halt mich an Regeln. Also halt du dich auch an die Regeln, sonst kann ich verdammt unangenehm werden.“ Er hockte sich wieder auf ihr Becken, nahm erneut die Zigarette, paffte genüsslich und als er fast zu Ende geraucht hatte, drückte er ihr die freie Hand wieder auf den Mund. Die andere Hand näherte sich ihr langsam. Sie versuchte auszuweichen, aber es ging nicht.

Es tat scheußlich weh. Sie schrie in seine Hand, aber seine Hand erstickte ihren Ruf weitgehend. „Wenn du nicht willst, dass ich ihm etwas antue, dann bist du still, wenn ich die Hand wieder von deinem Mund nehme. Kein Wort zu irgendjemandem. Du bereust es sonst! Denk an ihn. Du magst ihn doch, oder?“ Seine Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Langsam nahm er die Hand wieder von ihrem Mund. „Trag was Langes, bis es verheilt ist“, raunte er. Dann machte er die Handschellen auf. Sie befreite ihre Hände, drehte sich um und heulte, obwohl sie es hasste, so zu reagieren. Doch sie fühlte sich ohnmächtig zu tun, was sie gerne getan hätte. Er nahm den Hammer und ging damit in die Küche, wo er sich ein weiteres Bier holte.


***


Vergib ihnen seine Schuld

Подняться наверх