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Einaug und Bettler

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Im Advent war in die oberdeutschen Länder nach einem gar kurzen, beißenden Frost laues Wetter eingefallen. Das trieb gegen Abend jene ungewissen Leute aus den ächzenden Häusern – drangvolle Geister, die zu allen Unzeiten den Frühling wittern und, ist er da, über eine keimende, blühende Selbstverständlichkeit hinaus den Herbststurm ersehnen, der dürres Laub von den Bäumen reißt und morsche Dächer eindrückt.

Wo sie in Städten wohnten, wateten sie, so schnell es ging, durch auf geweichte Gassen, deren karges Himmelslicht von Überhängen und Giebeln, auch durch die feinen Erkerlein fast verzehrt wurde. Sie schlugen mit ihrer Seitenwehr, die sie nicht halten konnten, denn beide Hände mußten Hut und Mantel zwingen, gegen Schweinekoben, die gute Bürger vor dem Gademfenster stehen hatten, um gelegentlich durch ein freundliches Grunzen und den säuerlichen Duft an ihre ehrlich gefestigte Seßhaftigkeit und eine gediegene Lebensfreude erinnert zu werden – verläßliche Genießer. Und jedesmal quiekten die vom föhnigen Wetter beunruhigten Tiere nervös auf, wenn das schlenkernde Kurzschwert eines jener Ungewissen gegen die Kobenwand prallte.

Der Weg dieser Leute ging durch das nächstbeste Tor. Er war nicht weit. Die Mauern umschlossen ihre Stadt innig und fest. Jenseits von Tor und Graben sumpfte noch etliche hundert Schritte das Pfahldorf. Dann fühlte der Fuß den Rasen. Sie konnten aufatmen von der beklemmenden Brutwärme, die man in jedem Hause gehegt wußte. Der feuchte Rasen wusch die Sohlen sauber, und irgendeine gefällige Bodenwelle neigte den Rücken.

Der Himmel war weit. Seine bleifarbigen Wolkenbänke schwammen in großen Höhen. Die dunklen Äcker schienen vor Sattheit zu zerfließen. Durch die schwarzen Äste und Buschruten surrte der warme, nasse Wind. Ein Rabe hob sich, taumelte mit schweren Flügelschlägen gegen die entführende Gewalt an, er sank entmutigt. Und im Süden, da hing noch ein Streifen herrlichen Goldes ins jenseitige Tal hinein. Es durchbrach das Maßwerk der Baumkronen. Daran konnten jene Ungewissen ihren Frieden trinken, nach dem sie so arg gelechzt hatten, daß ihnen allbereits ein jeder ausgewichen war.

Doch auch sie, die Drangvollen, mußten ins Gefüge zurück, noch ehe das letzte Licht erlosch. Sie dankten Gott, daß sie mit heilen Gliedern in die Mauern kamen, wenn sie zu lange gezögert hatten, denn ihre Stiefel waren in den Tiefen der Landstraße beinahe stecken geblieben. Die Laterne im Torwege strömte ein beschämendes Gefühl der Sicherheit aus. Und so verdächtig sie aufgetreten waren, als sie durchs Tor hinausstürmten, so einnehmend und vertraulich blickten ihre Augen jetzt unter dem windwirren Haar und dem verdrückten Hute in die der Stadtwache. – Das war schon Neumondnacht. Ob sich auch der Himmel klärte, es wäre vergeblich, von Sternen zu verlangen, daß sie alle Menschenwege erhellten.

Freundlich bricht der erdwarme Schein durch die Ritzen der Gademfenster. Und öffnet sich eine Tür, daß eine helle Flur ihr Licht, Menschenstimmen und Handwerkslärm auf die Gasse schüttet, dann zittert das Herz des heimkehrenden, ungewissen Gastes. Er denkt an seine einsame Stube, an sein scheues Weib, an die fragenden Augen seiner Kinder, an das fremde Lächeln der Hausgenossen, an Vorsicht und Befangenheit all der anderen, die er Brüder und Schwestern nennen möchte. Er ist voll grenzenloser Liebe und weiß, daß er nicht Laut noch Miene hat, seine Liebe zu sagen. Er läuft nach Hause. Eines der Kinder wird er an sich drücken und es staunend stehen lassen. Er wird seinem Weibe die schwere Wäschebütte auf den Boden tragen, wird ihr hastig die Wange streicheln. Und seine Stiefel! Er wird auf das enge Höfchen eilen, die Stiefel reinigen, als habe er eine Sünde gutzumachen. Aber dann … dann steigt er die Holztreppe hinauf in sein Reich, das den anderen unheimlich und verdächtig ist.

Draußen vor den Mauern liegt die unwahrscheinlich laue Adventnacht. Was ein Mensch ist, hat sich hinter Dach und Wand, und seien sie ärmlichstes Stroh und Kleibwerk, verzogen; alles Tier ist verkrochen.

Es war eine Neumondnacht. Lichter und leichter wurden die Wolkenschwärme, und steifer zog der feuchte, warme Wind.

Er preßte den Mantel einem Wanderer straff über die Brust und blähte das graue Tuch hinter den Schultern hoch auf. Der Wanderer zog mit solcher Kraft und ungemessener Eile dem Gefälle des Neckar entgegen, als habe er sich eben vom Lager erhoben. Er mußte weither aus dem Norden kommen: in seinem ellenlangen Barte hing Eis, er führte als Stab und Wehr einen Spieß, dessen Bronzespitze mit Elchsehnen an das Eschenholz geflochten war, eine Waffe des äußersten Nordens.

Vor ihm lagen die schwarzen Höhen der schwäbischen Alb, und über ihnen flammte wunderlich das Siebengestirn des Orion.

Da der Wanderer an den Hütten von Plieningen vorüberschritt, ließ der Pfaffe den letzten profanen Lichtschein zwischen den Fingern verzischen. Auch der war von einer geweihten Kerze ausgegangen, die ihr frommes Flämmchen noch lange hätte vor dem Altar aufopfern können. Nun glühte in dem Dorfe nur mehr das ewige Lichtzünglein vor dem Tabernakel. Doch es durchdrang kaum den Ölkelch, es vermochte nichts gegen den Schmutz der Fensterscheiben.

Und als der Wanderer in seinem wehenden Mantel vor das Kirchlein kam, war ihm lässig zu Mut, als müsse er eine Weile ruhen. Der warme, feuchte Südhauch drang inniger gegen die Brust und breitete den Bart, ließ einen letzten Eisklumpen im Grauhaar zerperlen.

Er berührte mit der Spitze seines Spießes ein Kirchenfenster, und es sprang schlotternd auf.

„Bist du schon da“, flüsterte er.

Es raunte in dem leeren Raume so tot, wie in dem ausgestorbenen Hause einer Meerschnecke, als er sein Ohr zu dem Kirchenfenster neigte. Ein kalter, süßlicher Duft von verbranntem Rauchwerk quoll aus der Öffnung. Und das Auge des Wanderers erspähte nichts als jenes einzige, arme Feuerzünglein in dem ölglase. Nur von der Tiefe herauf, wo die Füße des Wanderers auf kleinen Hügelchen und Holzkreuzlein standen, zitterte ein ungeduldiges Stöhnen.

„Ich will euch nicht beschweren, ihr Ruhebedürftigen.“

Und er schritt über das Mütterchen des Kirchhofs hinweg. Seines Mantels Saum fegte etliche moosige Steine aus ihrem 'verwitterten Mörtellager jenseits in den Graben, der den kleinen Hof umriß.

Er sah mit seinem einen klaren Auge, das andere war ausgeronnen, über den niedrigen Kirchturm, dessen hohe Mütze, nach Westen geneigt, den Dachfirst nur wenig überragte, in die Dunkelheit. Von der schwäbischen Alb herab zog ein warmer Hauch, der ihn gelockt hatte und mit unbändiger Sehnsucht erfüllte.

O wundersame, tiefe, tiefe Nacht, die nach dem kürzesten Tag über der Erde liegt, eine besiegte Siegerin. Sie weiß, daß sie sterben muß, und ruht unter dem Föhnwinde geschwächt,matt vom Siegeslauf. Ihr ist, als gehöre das Rauschen der Wasser nicht zu ihr, und fremd lautet das Wehen. Sie lauscht allen Stimmen, als sängen sie wundersam das Lied ihres Todes, den ihr der leuchtend schöne Tag, der wachsende, der verjüngte, geben wird.

Der Wanderer, der weit über das Kirchtürmlein spähte, fühlte den Umschwung der Zeit heiß und wesentlich, daß er schwer auf seufzte und durch die Gewalt seines Atems den Föhn zurückdrängte. Für eine Weile erschlafften die Falten des Mantels, und eine Locke sank dem Wanderer über das ausgeronnene Auge.

Der zurück ge drängte Wind brach mit doppelter Gewalt ein. Er knickte zwei junge Pappeln, in deren Wipfeln die Hand des Wanderers gespielt hatte. Er wehte den eisbefreiten Bart hoch und deckte das gewaltige Gesicht. Weithin hob sich der Graumantel, als wolle er alles Land einhüllen.

Es ging ein Zittern durch die Nacht. Die Zunge der Gezeitenwaage schlug ein Geringes gegen die Schale aus, darin das Gold des Tages lag. Der Wanderer lächelte ein wenig unter den auf gewehten Haaren.

Da sah er aus der schwarzen Tiefe, die ringsum über dem Lande lag, zwei Lichter glimmen, matt und fern wie zwei Funken und so nahe beieinander, daß sie fast in eins verflossen. Er ging den beiden Lichtern entgegen, denn seine Nüstern hatten schnell erwittert, wer dort in halber Hügelhöhe wartete.

Ein Bettler saß dort, und jene beiden Lichter, die von ferne wie zwei Funken durch die Finsternis gerufen hatten, waren demütige Augen. Sie schimmerten ruhig, ganz anders als das glitzernde Feuer der Sterne, eher dem Leuchten der Johanniswürmlein zur Zeit der Sonnenwende ähnlich, nur stetiger.

Der Bettler war sehr dürftig gekleidet. Seine Lumpen bedeckten die Lenden kaum. Brust, Arme und Beine zitterten in ihrer mageren Nacktheit.

Neben ihn ließ sich der Wanderer auf dem Hange nieder und zog den Mantel fester an den Leib. Obgleich der Hügel die beiden gegen den Sturm deckte, lag ein Frösteln in der Luft wie ein Fieber der Erwartung. Es befing selbst den Wanderer aus Nordland.

Der Hügel vor ihnen, eine äußerste Wklle der schwäbischen Alb, hieß Hohenheim. Er trug einen Edelsitz, das Stammhaus der Bombaste. Kein Bombast wohnte mehr da oben. Der Edelhof gehörte dem Spital der Reichsstadt Eßlingen. Wie viele andere vom Adel, waren auch diese auf den Sand geraten, und der Grießwärtel war die neue Zeit gewesen mit ihren wohlbewehrten, stolzen, üppigen Städten, die eine Kaufmannschaft vortrefflich zu schützen wußten. Doch nicht wie der meiste Niederadel waren die Bombaste jenseits der Schranken verkommen. Ihr Beutel blieb leer, aber ihr Herz und Mut war nicht verschüttet.

So sagte das Einaug zu dem Bettler:

„Du hast deine Rast gut gewählt. Da sind Menschen gestorben, deren Blut seiner Kraft noch nicht entbunden ist. Ich fühle die Not ihrer letzten Stunden.“

„Vielleicht wird einer aus ihrem Blute meine Blöße sehen“, murmelte der Bettler.

Sein Blick sank nieder in die hohlen Hände, und ein Wundmal glühte auf dem Grunde jeder Hand, als halte er zwei Rubine gegen den Himmel.

„Deine herrlichen Kleider hast du jenseits gelassen. Sie sollen von Gold, Perlen und Steinen starren?“

„Ja, starren, als trüge einer den Harnisch auf nacktem Leibe durch die Winterkälte. Die Haut zerreißt vor Frost."

„Darum bist du armselig gekommen.“

„Darum. Ich muß wieder aufgehoben werden wie damals unter dem Holze. Meine Füße müssen wieder über warme Menschenherzen gehen, sie frieren von den Marmor fliesen. Vielleicht erbarmt sich einer von ihnen, deren treibendes Blut du spürst, vielleicht noch ein anderer und ein dritter und viele. Mich dürstet nach Herzenslaut, nach Muttersprache. Sie haben mich so tief in das gläserne Latein begraben, daß mir die Auferstehung und Flucht schwer geworden ist.“

Die Zähne des Bettlers schlotterten, wie vordem das Kirchenfenster.

Der Wanderer öffnete seinen Mantel.

„Mein, laß“, flüsterte der andere … „Laß nur. Ich muß als Bettler kommen, nackt. Es gibt doch viele in diesem wilden Lande, die Hunger haben?“

„Viel, viele“, rief der Wanderer jäh, als freue er sich der hungernden Kräfte.

„Zu den Satten komme ich in meinen goldenen Gewändern. Aber sie wischen auch dann nur die Triefaugen und klatschen feist in die Hände, um ein wenig Bewegung zu machen. Ich bin begierig nach dem Hauche der Hungernden, der nicht nach Wein riecht oder nach Speisen, die vor dem Herdfeuer faulen müssen, daß sie den Darm nicht beschweren.“

„Viel Hunger wirst du finden und brennende Herzen. Aber sie können keine Jünger sein. Sie verstehen das Fürwahrhalten nicht. Sie müssen in allem ihr Eigentum suchen und finden können. Sie sind die einzigen, die keine Götter haben.“

„Ich wußte es. Darum komme ich nun selbst zu ihnen.“

„Aber sie reißen ihr Auge nicht aus, wenn es ärgert! Sie geben ein Auge nur um des höheren Wissens willen hin. Es ist kein Volk wie dieses, das keine Götter hat!“

„Und woher bist du, mein Bruder?“

„Ich bin nichts als ihrer Sehnsucht Siegel. Und sie wissen von ihrer Sehnsucht, daß sie in Flammen verzehrt wird und immer wieder aufersteht.“

„Dann segne mich, Bruder.“

Der Wanderer neigte seinen Mund auf die Stirn des Bettlers. Die war von kleinen Narben quer überzogen, und Blut begann aus den Narben zu tropfen.

Der Bettler flüsterte: „Sie mögen mich kreuzigen, da sie sich selber kreuzigen. Daß ich wieder Heiland werde!“

Da erhob sich der Wanderer und nahm den Bettler, der vor Verlangen glühte, auf. Er schlug seinen Mantel unter ihn und hielt den eschenen Speerschafl überzwerch, daß der Bettler gut, wie in einer Matte ruhen konnte.

„Ich will dich tragen, daß du die heimlichen Quellen erlauschest. Daran wirst du erkräften, denn du bist fast verschmachtet.“

Der Bettler saß in den Armen des Wanderers schmal und dürftig. Seine Beine waren eng aneinandergeschlossen, sein Gesicht so blaß und hohl, als würden die Wangen, Lippen, Schläfen und Nüstern nach innen gesogen. Die eine Hand ruhte über dem Herzen, der anderen Hand Schwurßnger waren gegen die Sterne gestreckt, und beide Ellbogen lagen eng an die Lenden gepreßt.

Sie wichen von dem Edelhofe, da viele Bombaste ungesättigten Herzens gestorben waren.

Sie überwältigten Hügel und Taler, Städte und Dörfer. Überall aus den Kirchhöfen, durch die Wände der alten Häuser und herüber von manch kühnbebautem Felsen drang das ungestüme Beben verhaltener Triebe, die von Blutwelle auf Blutwelle, von Kind auf Kind unerlöst überkommen waren.

Der Körper des Bettlers in den Armen des Wanderers schien mit allen Poren einzuschlürfen, so daß seine matte Haut straffer und glänzend wurde.

Und sie hörten die kräftigen Schreie der kreißenden Mütter, das widerspenstige Röcheln der Sterbenden drang auf zu ihnen, und sie vernahmen den wilden Atem der Zeugenden.

Die Gestalten der Träume quollen aus den Köpfen der Schläfer, einem wirbelnden Nebel gleich. Und sie lasen aus dem verwegenen Spiele, wie die Herzen, bis zum Rande angefüllt, zitterten.

Heißhungrig lagen die Bauernseelen. Sie zerrten an den Ketten, mit denen ihre Leiber kürzer an die Herrenscholle geschlagen waren, als man Bestien an die Zwingerwand schmiedet oder die wütenden Narren an die Wand der Tollkiste. Heißhungrig lag das ausgemergelte Landvolk und träumte von der Stunde, die das Sammelwort auf der Lippe tragen wird, das die verhaltene Wut entbindet.

Wie der Verdurstende seine Arme nach dem Ufer breitet, das ihm vom Rande der Sandsteppe entgegengrünt, so lechzten die Herzen der Städter nach einem eigenen Wissen und eigenen Glauben, denn die Kräfte ihres Geistes waren mannbar geworden, und der rauhe Laut ihrer deutschen Zunge war gelöst, wie das Lallen des Kindes Wort und Ton findet, wenn die Zeit erfüllt ist.

In den Coderien und Habitatzen zählte der Bettler das Heer der fahrenden Schüler. Die lagen, arg mitgenommen und fast verhungert, verwegene Burschen und abgezehrte Kinder, die von Schule zu Schule zogen, unter manch einem Lotterwesen das heilige Verlangen tief geborgen.

Es hielt der Wanderer im Mansfeldischen, um eine Weile zu ruhen, denn sein Gast war schwer und mächtig geworden. Bei Eisleben ober dem Örtlein, das den Namen der Grafen von Mansfeld trägt, lagerte sich der Wanderer auf einem seichten Gebirge, hinter dem die Wipper rauschend gegen die Saale fließt. Er ließ den Arm mit dem Speer über den Hang fallen. Der Schaft des Spießes tauchte in die Wipper und brachte das Wasser zum Sprühen und Funkeln, als wäre es flüssiges Silber. Der Wanderer sah hinauf in die Sternenwelt, ein ewiger Gleichmut lag auf seiner Stirn.

Der Bettler aber, dessen Kopf von einer flackernden Glorie umhüllt war, blickte in das Haus des Berggewerkers Hans Luther.

Beim Lichte des Tranlämpchens saß die Frau mit dicken Augenlidern im Bette aufrecht. Ihre groben Lippen, die viel schimpfen mochten, waren von einem schlaffen Behagen gekräuselt. Sie säugte ihren Knaben. Der schluckte kräftig seinen Lebensquell und stöhnte zuweilen, da ihm vor Eifer der Atem versagte. Dann fiel er ab, das Tröpflein Milch am lächelnden Mundwinkel, während die Augen des Bettlers verlangend auf ihm ruhten. Die derbe Frau bettete den Kleinen. Sie sank behaglich zurück, im Frieden des gesättigten Triebes. Dem schlafenden Manne neben ihr zuckte es unruhig über die feingewölbte Stirn und um den dünnen, gepreßten Mund.

Da stand der Bettler auf. Er spähte ringsum über die deutschen Länder. Er sah, daß der Acker bereit lag, und sagte zu dem Wanderer: „Ich will ab dem Rhein ziehen, da mir von Zwolle her, dem Haupte der Brüder vom gemeinsamen Leben, ein großes Verlangen entgegenströmt.“

„Geh hin. Nun bist du stark genug.“

„Und ich will wieder rheinauf den Strömen ihrer Sehnsucht folgen und sie lehren, wie man das gläserne Latein zerbricht, darin ich gesargt war.“

Auch der Wanderer stand aufgerichtet neben dem Bettler. Er hatte beide Hände unter der Speerspitze um den Schaft geballt, und sein Kinn ruhte auf der rechten Faust. Ein leiser Hohn spielte um seinen Mund, und die Augen unter der mürrischen Stirn blieben gesenkt.

„Sie werden dein Latein meistern und fortwerfen. Aber nicht, weil du es willst. Ich bin bei ihnen gewesen, ehe du bei ihnen warst. Sie können nicht satt werden.“

Der Bettler breitete demutsvoll die Arme, seine Wundmale flössen, und seine Lippen lächelten verklärt.

„Sie mögen mich also kreuzigen, da sie sich selber kreuzigen!“

„Sie Werdens. Es ist kein Volk wie dieses, das keine Götter hat und ewig verlangt, den Gott zu schauen.“

Nach diesen Worten umarmten sie einander. Und es schien, als rängen sie miteinander. Sie wuchsen ins Endlose. Sie zerrannen, als würden sie von den Sternen eingeatmet.

Nur daß die Luft noch zitterte wie über einem großen Brande.

Und ein Seufzen stieg aus dem Herzen der Schläfer gegen den Himmel.

Paracelsus

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