Читать книгу Behauptung statt Wahrheit - Erwin Leonhardi - Страница 56
ОглавлениеKreationismus und Evolution
Aus normaler und vor allem aus wissenschaftlicher Betrachtungsweise ist es unverständlich, dass es Menschen gibt, die an Dinge glauben, für die es nicht den geringsten Hinweis auf Wahrheit oder Beweisbarkeit gibt, während sie gleichzeitig beliebig viele vorzeigbare Beispiele, die selbst dem völligen Laien einleuchtend erklärt werden können, als falsch abtun. Die Ursache kann nur eine religiös bedingte Einengung der Wahrnehmung sein, oder sogar eine Wahrnehmungsangst.
Unter Kreationismus (lat. creatio = Schöpfung) versteht man die Auffassung, dass das Universum, das Leben und der Mensch buchstäblich so entstanden sind, wie es im ersten Buch Moses geschildert wird.
Kreationisten glauben, Gott habe die Welt erschaffen, in sechs Tagen, unveränderbar in ihrer endgültigen Form. Dabei ignorieren sie, dass schon die geschilderte Schöpfungsgeschichte selbst eine Evolution abbildet. An jedem neuen Tag erschafft der Schöpfer etwas Höherstehendes, am Schluss die Menschen. Dass gemäß der Schöpfungsgeschichte die Erde der älteste Himmelskörper ist, beachten sie nicht. An der gesamten biblischen Schöpfungsdarstellung ist nach heutigem Stand des Wissens so gut wie nichts zutreffend. Als diese Geschichte geschrieben wurde, wusste man es nicht besser.
Als Hauptgegner betrachten Kreationisten die Evolution. Warum das so ist, bleibt völlig unverständlich. Einem allmächtigen Schöpfer würde man eher eine dynamische Schöpfung unterstellen, als eine statische. Dynamisch bedeutet, sich ewig verbessernd, statisch bedeutet, sich nie verändernd. Wissenschaftlich betrachtet bedeutet eine statische Schöpfung, dass ein ziemlich dummer Schöpfer zugange war, denn ein begabter hätte immer die dynamische vorgezogen. Eine statische Schöpfung in einem nachweisbar dynamischen Kosmos voller ständiger Veränderungen ist unpassend.
Wer die Eiweißsynthese aus der Zellbiologie kennt, wer die restlos bewiesenen Mendelschen Regeln der Vererbungslehre kennt, wer sich halbwegs mit der modernen Systematik in der Biologie beschäftigt hat, die mittlerweile eine nahezu lückenlose Stammesgeschichte der Organismen und die Prozesse zur Entstehung der Vielfalt an Organismen nachweist, der kann den fruchtlosen Widerstreit von Schöpfungsglaube und Evolution nicht nachvollziehen. Wer sich auch nur ein bisschen mit der modernen Genetik beschäftigt, kann sich den objektiven Gegebenheiten und den daraus folgenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht entziehen. Gute, auch einem Laien verständliche Literatur gibt es in Hülle und Fülle. Man muss sie nur lesen wollen.
Wer die biologische Evolution abstreitet, behauptet damit automatisch, dass nach der Schöpfung keine neuen Lebewesen entstanden sind. Alle gab es demzufolge von Anfang an, und alle haben ein individuelles unveränderliches Erbgut, eine statische DNS, die fehlerlos an die Folgegeneration weitergegeben wird. Bezogen auf den Menschen bedeutet diese Vorstellung der Kreationisten, dass alle aufgrund gleicher DNS Klone wären und identisch aussähen. Das ist sichtbar nicht der Fall.
Als biologische Evolution bezeichnet man die durch Kopierfehler der DNS entstehenden veränderten Lebewesen, die andere Eigenschaften besitzen als die Eltern. Den Vorgang nennen die Biologen Mutation. Schon allein die statistische Wahrscheinlichkeit, dass beispielsweise beim Menschen ein rund 2,5 Meter langer Molekülstrang mit einer Breite von zwei Molekülen immer fehlerfrei längs, also zwischen den beiden Molekülen, getrennt werden kann, liegt fast bei null. Wenn die Meinung der Kreationisten zuträfe, müsste diese Wahrscheinlichkeit bei 100 % liegen.
Allerdings gibt es einfache und leicht einsichtige Beispiele dafür, dass die 100 %-Annahme unzutreffend ist. Allein die allseits bekannten Grippeerreger Influenza-A besitzen eine primitive DNS und dennoch eine hohe Mutagenität. Sie ändern ihr Erbgut jährlich, was jeweils zu einer Grippewelle führt, weil die bisherigen biologischen Abwehrmechanismen mit dem neu entstandenen Virus nicht zurechtkommen.
Noch offensichtlicher zeigt sich die Neubildung von Lebewesen seit der Schöpfung bei der Betrachtung der heute lebenden Hunderassen. Nach strengster Zählweise existieren weltweit mindestens 340 Rassen. Keine hat zum Zeitpunkt der biblischen Schöpfung existiert. Alle wurden von Menschen seit der Jungsteinzeit (circa 11.500 v. Chr.) durch Züchtung erzeugt, alle stammen ausnahmslos vom Wolf ab, und alle haben eine rassetypische unterschiedliche DNS. Einige Fundamentalisten treten hier mit verführerischen Vokabeln auf und bezeichnen diese neuen Rassen als Variation. Biologisch gesehen ist die Variation eine durch mutative Reaktion auf Umwelteinflüsse verursachte gestaltliche Anpassung, die sich im Erbgut verankert und an die Folgegeneration weitergegeben wird. Die Variation ist also nichts anderes als eine Mutation und damit eine Form der Evolution.
Die schon verzweifelt anmutenden Bestrebungen, durch Unterdrückung im Schulunterricht, die Evolution aus dem Gesichtskreis zu verbannen, offenbaren Panik. Wenn man etwas nicht zur Kenntnis nimmt, heißt dies noch lange nicht, dass es nicht vorhanden ist. Der momentane Gipfel der diesbezüglich erbitterten religionspolitischen Machenschaften zeigt sich in einigen Bundesstaaten der USA, wo das generelle Verbot von Biologieunterricht angestrebt wird. Damit kein Schüler auf unerwünschte Gedanken kommt, indem er beispielsweise die unter einem Mikroskop beobachtbare Chromosomenteilung, oder die durch einfache Experimente mit der Taufliege Drosophila ablesbare Vererbungslehre kennenlernt, wird der Biologieunterricht komplett vom Lehrplan gestrichen. Das erinnert an das Kleinkind, das sich beim Versteckspiel die Augen zuhält und meint, nicht gesehen zu werden.
Hier herrscht gedanklich das finsterste Mittelalter. Versuche der glaubensfanatischen Einflussnahme auf den Biologielehrstoff in Schulen gab es in Nordrhein-Westfalen auch schon. Sie wurden zum Glück abgeschmettert. Seine eigene Meinung durch Vorenthalten von Wissen durchzusetzen, ist berechnende Verführung und offenbart eine enorme Angst vor der Zertrümmerung der eigenen Überzeugung
Wissenschaftsfeindlich sind nur diejenigen, die durch Wahrheiten Macht einbüßen. Hierin liegt der Grund dafür, dass die Kirchen über Jahrhunderte hinweg mit rigorosem Machtwillen Wissenschaftler ermordet haben, wenn die Entdeckungen nicht in das klerikale Bild passten. Das ist ein unauslöschlicher Teil der schlimmen Geschichte des Christentums. Schon immer wurden wissenschaftliche Erkenntnisse durch das Glaubensmanagement aktiv bekämpft. Aber man konnte noch nie langfristig den wissenschaftlichen Fortschritt bremsen.
Es ist eine Binsenweisheit, dass man nicht profund über Sachverhalte diskutieren kann, wenn man nicht wenigstens die Basisliteratur gelesen hat. Fast alle Christen, haben die Bibel nie in Gänze gelesen, noch nicht einmal alle heutigen Theologie-Studenten haben diese Minimalpflicht. Ebenso wenig haben die Kreationisten die Fachliteratur über Genetik gelesen. Was ist von einer Überzeugung zu halten, die weder die Pro-, noch die Kontraseite ausreichend kennt?
Die Voraussetzung für Bildung besteht darin, dass man sich bilden will. Wer selbst die eigene Weiterbildung aus Angst vor meinungsverändernden Erkenntnissen ablehnt und lieber seiner gefestigten Meinung folgt, darf das selbstverständlich für sich so entscheiden. Ihm fehlt aber jedes Recht, andere für seine Geisteshaltung gewinnen zu wollen. In der Tat käme ein solcher Versuch einer bewussten Verführung gleich.
Eines ist sicher: Die Kenntnis über die Natur und deren Gesetze schreitet unaufhaltsam voran. Die Wissenschaft legt stündlich mehr zwingende Beweise auf den Tisch. Aus der Sicht der Kreationisten sieht es für den Fortbestand ihrer Vision schon seit vielen Jahrzehnten nicht gut aus. Aber das scheint einen Überzeugten nicht zu stören.
Das von Stephen Hawking entwickelte Gedankengut im Rahmen seiner Studien über schwarze Löcher steht kurz vor dem Beweis, dass der Kosmos ohne jegliche Schöpfung entstanden ist. Wie und wo Leben zuerst auftrat, steht ebenfalls kurz vor der Entschlüsselung. Dass hier auf der Erde der Ursprung allen Lebens zu suchen ist, erweist sich mittlerweile als mögliche Fehleinschätzung. Es wurden Reste von Meteoriten gefunden, die wesentlich älter sind als die Erde, und die Bausteine des irdischen Lebens in Form von Aminosäuren enthalten. Derzeit erforscht man die Emergenz von Eigenschaften, die durch die räumliche Faltung von großen Eiweißmolekülketten entstehen. Darin vermutet man, den Schlüssel zur Entstehung des Lebens zu finden.
Einige Kreationisten beschwören zum Teil schon seltsam anmutende Gedankengebilde herauf. So gibt es die ernsthafte Denkweise, die Erde sei erst ein paar Tausend Jahre alt, und die Entwicklung der Erdgeschichte in vergangenen Zeiten sei viel schneller abgelaufen, als heutzutage wissenschaftlich aufgrund von Messdaten zwingend erklärt wird. Für diese Meinung gibt es nicht den geringsten Beweis. Hiermit soll die unangenehme Tatsache, dass es nachweislich Skelette von Lebewesen gibt, die Millionen Jahre vor der Erscheinung des Menschen bereits ausgestorben sind, erträglich machen. Zwangsläufig stellt man die störenden Datierungsmethoden infrage. Allerdings haben diese Kreise noch keine Darstellung und vor allem keine Formel auf den Tisch der Wissenschaft gelegt, die eine solche Meinung auch nur halbwegs stützen könnte.
In diesem Zusammenhang benutzt man gelegentlich den Behemoth (hebräisch: Ungeheuer), ein Tier, das im Buch Hiob beschrieben wird. Angedeutet wird dabei, Hiob habe dieses Ungeheuer gesehen, bei genauem Lesen stellt sich aber heraus, dass in der biblischen Erzählung Hiob von Gott über dieses Lebewesen und auch den Leviathan als zwei seiner Schöpfungen informiert wird. Dort steht geschrieben, Behemoth habe einen Schwanz wie eine Zeder. Daraus konstruieren dann Wagemutige tatsächlich die Behauptung, Menschen hätten mit Dinosauriern gleichzeitig gelebt. Behemoth und Leviathan sind zwei Fabelwesen, die das Land bzw. das Wasser beherrschen und - so in den Fabeln prophetisch angekündigt - zur Endzeit gegeneinander kämpfen werden. Dazu gesellt sich in dieser Mythologie noch der Vogel Ziz. Dieser uralte Mythos findet sich in mehreren Kulturkreisen in Vorderasien. Wer solchen Gedanken eher Glauben schenkt als den wissenschaftlichen Erkenntnissen, lebt in einer erschreckend gefangenen Welt, oder er sucht krampfhaft nach Beweisen für die Richtigkeit seines Glaubens, wobei er nach jedem Strohhalm greift. Wie muss ein Mensch vereinnahmt worden sein, der die sichtbare und messbare Realität zugunsten von Glaubensvisionen preisgibt? Wer um Fakten streitet, schließt sich aus jeder ernsthaften Diskussion aus.
Interessant ist, dass es bei den jüdischen Glaubensgruppen den Begriff Kreationisten nicht gibt. Es handelt sich bei der Genesis schließlich um ein rein jüdisches Buch. Die ethnische Nähe zu den AT-Texten ist nirgendwo größer. Im Allgemeinen respektieren die jüdischen Glaubensgruppen und das Oberrabbinat die Ergebnisse der Naturwissenschaften, auch die der Evolution, und betrachten dennoch die Thora in Gänze als ihr Religionsstift. Das ist nur möglich, weil man die Texte symbolisch begreift, nicht wörtlich.
Wissen, die größte Errungenschaft
Die gesamte kulturelle Evolution der Menschheit vom Anbeginn bis heute beruht auf dem Wachstum des Wissens durch Erfahrung und später durch Erkenntnis von Zusammenhängen, aus denen beweisbare Fakten und Regeln gewonnen werden konnten.
Wer diese Fakten negiert, kann sich an einer ernsthaften Diskussion nicht beteiligen.
Und auch: Wer diese Fakten negiert, muss Gegenbeweise liefern, die eine Ablehnung dieser Fakten rechtfertigen, und er muss sich mit seiner Erkenntnis der Probe durch die wissenschaftliche Gegenseite stellen. Eine Meinung reicht nicht aus.
Wissen ist die größte Errungenschaft der Menschheit. Wissen unterscheidet letztlich den Menschen vom Tier.