Читать книгу Skyle - Esther Bertram - Страница 11
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ОглавлениеKajin!«
»Oh, Kajin! Willkommen!«
»Kajin! Ich habe frische Hang-Wurzeln da! Für dich mache ich einen guten Preis!«
Lächelnd winkte Lynx den Händlern zu. »Danke, heute nicht! Ich schicke nächstes Mal eines der Mädchen vorbei!«, rief sie über den Marktlärm hinweg.
»Was? Das ist aber schade! So ein hübsches junges Ding wie du hat doch sicher ein paar Cœurs für einen alten Mann wie mich übrig. Außerdem haben die Wurzeln wirklich hervorragende Qualität!«
Sie schenkte ihm ein Lächeln und sah davon ab, den grauhaarigen Bauern zu berichtigen. »Danke, Gustave, aber diese Woche nicht. Wenn du allerdings Serro da hast, nehme ich gerne etwas.«
Gustave verzog das faltige, braun gebrannte Gesicht. »Tut mir leid, Liebes, aber damit kann ich nicht dienen.«
»Aber ich habe Serro!«, rief der Händler neben ihnen, doch Gustave tat seine Einmischung mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.
Lynx bemerkte die tiefen Sorgenfalten auf der Stirn des Mannes. Gustave wirkte erschöpft. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Sakura, die neben ihr ungeduldig auf den Zehen wippte. Auf ihr Kopfnicken hin verschwand das Mädchen, um einige weitere Besorgungen von der Liste zu machen, solange Lynx mit dem Bauern sprach.
»Wie geht es dir, Gustave?«
»Gut, gut.«
»Was macht deine Familie?«, fragte Lynx und setzte das Barkeepergesicht auf, mit dem sie selbst die schlecht gelauntesten Gäste zum Reden brachte.
»Meiner Frau geht es gut, sie ist so resolut wie immer.«
Lynx, die seine Gattin kannte, lächelte. »Das freut mich zu hören! Und deine Kinder?«
Ein Schatten legte sich auf Gustaves Gesicht. »Mein ältester Sohn und mein Enkel haben sich die Wolkengrippe geholt.« Er spuckte aus. »Dieser verdammte Regen!«
Lynx' Blick wanderte unwillkürlich zum strahlend blauen Himmel. Er war eine Ausnahme. In Autonne Gale und auf den umliegenden Inseln hatte es seit Wochen beinahe ununterbrochen geregnet, und zwar so viel, dass es bereits schwierig wurde, auf dem Markt die Vorräte für den White Dragon zu besorgen.
»Ich hatte schon fast vergessen, wie blauer Himmel aussieht«, sagte sie zu Gustave.
Dieser nickte. »Daran sind die Alchemisten schuld, darauf wette ich meinen Nurek-Karren!«
Der Händler vom Nachbarstand mischte sich wieder ein. »Verbreitest du schon wieder deine Verschwörungstheorien, alter Mann? Hast du nichts Besseres zu tun, als junge Frauen damit zu belästigen?« Er verzog den Mund zu einem abfälligen Lächeln. »Wie wäre es, wenn du stattdessen versuchen würdest, deine Waren loszuwerden?« Er hielt inne. »Ach, nein, ich hatte vergessen: Du kannst ja nicht einmal die einfachsten Wünsche deiner Kunden erfüllen!«
Lynx schaute den Mann an. »Wenigstens ist Gustaves Verhalten tadellos. Und glücklicherweise gibt es noch andere Stände, an denen ich Serro kaufen kann.«
Der Händler wurde blass. ›Kajin‹, wie man sie hier nannte, war bei den Händlern von Autonne Gale wohlbekannt. Es sich mit der Besitzerin des wohl berühmtesten Wirtshauses der Stadt zu verscherzen, ging niemals gut aus. Lynx ignorierte den Mann geflissentlich und wandte sich wieder Gustave zu.
»Nimm es Benoit nicht übel, Kajin«, bat Gustave leise. »Er meint es nicht so. Er hat bei der Standvergabe für das nächste Jahr ein schlechtes Los gezogen.«
Lynx schnaubte. »Das hätte er sich vorher überlegen sollen«, entgegnete sie, dann wurde ihr Gesichtsausdruck milder. »Ich habe ein bewährtes Hausmittel gegen die Wolkengrippe. Ich werde eines der Mädchen nachher damit vorbeischicken.«
Gustave schüttelte den Kopf. »Das kann ich unmöglich annehmen, Kajin.«
»Oh, ich überlasse es dir nicht umsonst! Wenn es wirkt, erwarte ich, dass du mir für den Rest des Jahres einen guten Preis für deine Hang-Wurzeln machst.«
»In Ordnung.« Gustave sah sie unsicher an und sie lächelte beruhigend. »Nur Hang-Wurzeln, mehr nicht. Du schuldest mir keinen Gefallen.«
Erleichterung huschte über die Züge des alten Mannes.
»Bis bald, Gustave! Lass mich wissen, ob das Mittel gewirkt hat.« Damit drehte sie sich um und setzte ihren Weg durch das bunte Gewimmel des Marktes fort.
Jetzt im Frühherbst herrschte im Marktviertel von Gale lebhafte Betriebsamkeit. Händler aus allen Teilen des Herbstreiches waren zusammengekommen, um ihre Waren feilzubieten. Es wurde angepriesen, gefeilscht und geplaudert, und wie immer blieben die Leute stehen, um Lynx Platz zu machen. Der Preis für die Popularität des White Dragon war ihre Anonymität, und Lynx war bereit, ihn zu zahlen. Solange niemand ihren wahren Namen kannte, war sie sicher.
Sie schlenderte zu der Aussichtsplattform hinüber, die über die Dächer der hangabwärts liegenden Häuser gebaut worden war und den Marktplatz zur Meerseite begrenzte. Umgeben von den Gerüchen der Garküchen und Gewürzhändler lehnte sie sich an das Geländer und genoss für einen Augenblick die Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Ihr Blick wanderte über die Häuserdächer zum Hafen. In den Strahlen der Zwillingssonnen kreuzten gut ein Dutzend Luftschiffe auf dem Wolkenmeer vor der Stadt. Einige von ihnen trugen das Zeichen des Herbstkönigs auf ihren Segeln, andere die Wappen der großen Handelshäuser, und eines hatte die hellgrünen Segel eines Marineschiffes aus dem Frühlingsreich. Die kleineren, wendigeren Gleiter schossen auf den Luftströmungen über der Stadt hin und her und segelten weiter ins Landesinnere. Eine Handvoll Katamarane nutzte die günstigen Winde, um mit geblähten Segeln die Stadt rasch hinter sich zu lassen.
Sie verlor sich für eine Weile im Anblick des Wolkenmeeres und der Schiffe. Erst Sakura holte sie wieder in die Gegenwart zurück.
»Kajin! Ich habe alles besorgt, was auf der Liste stand!« Sie strahlte Lynx an, Grübchen auf den Wangen.
Lynx nickte. »Vielen Dank. Dann fehlen jetzt nur noch die Gewürze, und dann können wir zum Dragon zurück.«
Sakura nickte begeistert. »Darf ich mitkommen?«
»In Ordnung. Wie wäre es, wenn du die Auswahl und das Feilschen übernimmst?«
»Klar, überlass das mir!« Lynx senkte zustimmend den Kopf und folgte Sakura zwischen den Ständen der Gewürzhändler hindurch.
Es dauerte nicht lange, bis Sakura einen Stand gefunden hatte, an dem sie einkaufen wollte. Es war nicht ihr üblicher Händler, aber Lynx bemerkte zu ihrer Zufriedenheit, dass Sakura die Gewürze nach ihrer hohen Qualität und nicht nach dem niedrigen Preis ausgewählt hatte. Preise konnten verhandelt werden, Qualität nicht. Sakura hatte bereits viel gelernt.
Lynx überließ ihrem jungen Schützling das Feilschen und hielt sich im Hintergrund. Der Blick des Händlers wanderte immer wieder zu ihr, als würde sie ihn magnetisch anziehen. Lynx schwieg und ließ ihr Lächeln und den Blick aus ihren bernsteinfarbenen Augen wirken. Schließlich wurde der Händler nervös und ließ sich von Sakura zu einem Preis überreden, der weit unter dem Wert seiner Ware lag. Nachdem er eingewilligt hatte, konnte Sakura ihren Stolz nicht länger verbergen.
Lynx trat vor, um die Säckchen mit den Gewürzen zu bezahlen. Der Mann schluckte vernehmlich. »Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen Geschäfte zu machen!«, rang er sich schließlich ab.
Lynx' Lächeln wurde breiter. »Gleichfalls!«, gab sie zurück. Sie zahlte, verneigte sich und dankte dem Verkäufer für das Angebot, seinen Laufburschen mit der Ware zum White Dragon zu schicken. Mit einer zufriedenen Sakura an ihrer Seite machte sich Lynx auf den Heimweg.
»Dir kann keiner widerstehen, oder, Kajin?«, fragte Sakura fröhlich.
Lynx wiegte den Kopf. »Nicht viele«, stimmte sie zu.
Sakura kicherte und hüpfte zwei Schritte voraus, ihre vollen Einkaufstaschen schlenkernd. Eines Tages würde sie eine ebenso gute Barkeeperin wie Mitsu sein. Lynx freute sich darüber, wie sehr sich die Sakura von heute von dem Mädchen von vor zwei Jahren unterschied. Damals hatte sie Sakura vollkommen ausgehungert und vor Dreck starrend dabei erwischt, wie sie ihr die Börse stehlen wollte. Sie hatte das Mädchen dazu überredet, mit ihr zu kommen und im White Dragon für sie zu arbeiten.
Als sie das dreistöckige Gebäude aus hellem Stein erreichten, erwartete Mitsu sie bereits. Auch sie hatte sich in den vier Jahren, in denen sie im White Dragon arbeitete, sehr verändert. Sie war nicht länger eine der gefallenen Schwestern aus den Vergnügungsvierteln von Gale, sondern eine selbstbewusste junge Frau, die stolz die Uniform des Dragons trug.
Lynx begrüßte sie, woraufhin Mitsu sich vor ihr verbeugte.
»Willkommen zurück, Kajin«, sagte sie und nahm Lynx die Taschen mit den Einkäufen ab. Dann verschwand sie, gefolgt von Sakura, durch die Tür des Wirtshauses.
Lynx sah den beiden nach. Kajin … Diesen Namen hatte ihr vor langer Zeit ein Fremder gegeben. Er war ein Reisender aus dem Norden gewesen, der sich zum Ziel gemacht hatte, jeder der Himmelsinseln in allen vier Reichen einen Besuch abzustatten. Seither war es bei diesem Namen geblieben. Kajin. Es war besser, wenn die Leute nicht allzu viel über sie wussten.
Sie wandte sich um und betrachtete die Straße vor dem White Dragon. Das Gewimmel aus Handkarren, schweren Nurek-Wagen, Menschen und Moosvolk war kaum zu überschauen. Ihr Wirtshaus lag im Herzen der Stadt, an einer belebten Straße zwischen dem Tiegel und dem hügelwärts gelegenen Villenviertel. Hier sah man die Anzeichen des Elends nur, wenn man genau hinschaute: die beiden Bettlerkinder, die sich im Schatten einer Gasse herumdrückten. Die junge Frau mit dem schmalen, ängstlichen Gesicht, die ihre dünne Börse mit beiden Händen umklammerte, als sie vorbeieilte. Die Patrouille der Herbstsoldaten in ihren braunen Uniformen, die in einiger Entfernung vorübermarschierte. Der abblätternde Putz an der Häuserfront gegenüber. Das bis zur Unleserlichkeit verwitterte Schild über der Ladentür des Buchhändlers nebenan. Schleichend hatte sich der Verfall in der Stadt ausgebreitet. Lynx wusste, dass er auf lange Sicht nicht mehr aufzuhalten war.
Mit einem Seufzen drehte sie sich um und betrat den White Dragon. Sie wünschte sich, sie könnte mehr tun.
Leise fiel die Eingangstür hinter ihr ins Schloss.