Читать книгу Skyle - Esther Bertram - Страница 20

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Der Wind scharrte über die Dünenkämme und riss den Sand in langen Schlieren mit sich. Hawk spürte das feine Reiben der Sandkörner auf der Haut, während er durch die Straßen des kleinen Ortes lief. Sandstürme waren auf dem Wüstenkontinent nichts Ungewöhnliches, und dieses war ein natürlicher, kein magischer. Die Sturmwand hinter den südlichen Gebirgszügen hatte seit Jahren keine Stürme mehr gesandt. Ob die Große Sandschlange sie davon abhielt? Aber sie schlief, wenn er den Rjtak glauben konnte, und würde nicht erwachen, ehe sie nicht den Haupttempel zurückerobert hatten. Hawks Blick suchte automatisch das grauschwarze Band der Sturmwand im Südosten, obwohl sein Blick von den Gebäuden ringsum verstellt wurde. Solange der Sandsturm über der Wüste tobte, saß er mit seiner Truppe in diesem Nest fest, doch Hawk kam das sehr gelegen.

In der Mitte des Städtchens erhob sich der Stamm eines mächtigen Drachenbaumes, um den sich die flachen Häuser scharten wie Küken um die Glucke. Nur der Drachenbaum erinnerte noch an die Erbauer der Stadt, sonst war jede Erinnerung an sie ausradiert worden. Hawk kannte nicht einmal mehr den alten Namen des Baumes. Der Sommerkönig war bei der Auslöschung der Baumhüter und ihrer Kultur sehr gründlich gewesen.

Hawk hatte diesen Senatsauftrag genutzt, um mit Crimson-Flower-Mitgliedern entlang der Westküste in Kontakt zu treten und sich über ihre Lage zu informieren. Diese Stadt war der letzte Halt für ihn und seine Truppe, bevor sie nach Estate Phoenix zurückkehrten. Trotz des Risikos, in einer kleinen Stadt wie dieser aufzufliegen, hatte er ein Treffen vorgeschlagen. Denn wann waren die Treffen von Aufrührern und Revolutionären je risikofrei gewesen? Ihre bloße Existenz war bereits ein Risiko. Hawk war schon zu lange Teil des Spiels, um sich von einer Organisation wie dem Sommerrat und seinen Marionetten einschüchtern zu lassen.

Bald stand er vor einer niedrigen Tür, die in ein flaches, unscheinbares Gebäude führte, genauso nichtssagend wie die Straße, in der es sich befand. Hawk hatte darauf geachtet, dass ihm niemand folgte. Dennoch blickte er sich einmal um, ehe er seinen linken Handschuh auszog und die Handfläche auf die Tür legte. Das Holz glomm unter seiner Berührung einmal auf, dann öffnete sich die Tür knarrend nach innen. Hawk zog seinen Handschuh wieder an, zufrieden, dass ihr neuer Sicherheitsmechanismus so gut funktionierte.

Sie hatten davon Abstand genommen, Losungen oder Klopfrhythmen zu benutzen. Diese Methoden waren einfach zu unsicher. Stattdessen hatten sie die Rjtak um Hilfe gebeten, die ihnen einen alten Schutzzauber als Gegenleistung für eine Reihe anderer Gefallen geboten hatten. Eines ihrer Schutzhäuser wurde mit der Wüstenmagie belegt, die es nur befugten Personen erlaubte, das Gebäude zu betreten. Wurde der Personenkreis erweitert, musste die neue Person von jemandem in den Zauber eingeführt werden, der das Haus bereits betreten konnte. Diesen Zauber mussten sie an jedem neuen Ort neu initiieren. Entsprechend wurde jedes neue Schutzhaus für jedes Mitglied von Crimson Flower neu entschlüsselt.

Hawk hatte Sorge getragen, dass er derjenige war, der als einziger von Anfang an Zugang zu allen Schutzhäusern im Sommerreich hatte. Er war der Hüter der Schutzhäuser und einiger anderer Räume und Gebäude, von denen die meisten anderen Mitglieder nicht einmal ahnten, dass sie existierten. Inzwischen gab es darüber hinaus mehrere Orte, die Crimson Flower nutzte, aber deren Lage er selbst nicht kannte. Falls es jemals dazu kam, dass jemand ihm die Geheimnisse von Crimson Flower abzwang, gab es so immer noch Schutzhäuser, in die sich die anderen Führungsmitglieder zurückziehen konnten.

Er ging durch einen kurzen Flur und betrat einen von Öllampen erhellten Raum. Zwielicht fiel durch die vergitterten Fensteröffnungen.

»Da bist du ja!«, sagte Kinu, eine der Rjtak in ihren Reihen, und erhob sich. Allgemeines Stühlerücken folgte, als der Rest ihrem Beispiel folgte. Hawk begrüßte die Rjtak, indem er ihren Unterarm umfasste. Sie schenkte ihm ein blitzendes Lächeln. Ein alter Mann mit schlohweißem Haar und einem sonnengegerbten, faltigen Gesicht kam ihm entgegen.

»Hawk«, begrüßte er ihn und neigte den Kopf. »Willkommen.«

»Resul. Ich hätte nicht erwartet, dich hier zu sehen.« Hawk hatte angenommen, dass Resul sich irgendwo im Nordosten des Kontinents herumtrieb. Dass er hier war, kam ihm entgegen. Er hatte einiges mit ihm vor.

Resul betrachtete Hawk amüsiert. »Ich habe gehört, dass du hier durchkommen würdest, deswegen bin ich ein wenig länger geblieben. Und ich habe jemanden mitgebracht.« Er machte eine auffordernde Geste zum anderen Ende des Raumes.

Eine Frau trat aus den Schatten. »Sayed Hawk«, sagte sie und verbeugte sich tief. »Es ist mir eine Ehre.«

Hawk lächelte kurz. »Arzu, lass die Ehrenbezeugungen. Ich habe sie weder verdient, noch erstrebe ich sie. Es ist gut, dich zu sehen.«

Arzu richtete sich auf und strahlte Hawk an. Ihre Zähne leuchteten im Halbdunkel.

Hawk blickte sich um. »Setzt euch! Wir haben viel zu besprechen.« Die Anwesenden ließen sich nieder, doch Arzu blieb stehen.

»Was ist los?«, fragte Hawk. »Setz dich, habe ich gesagt!«

Arzu zögerte noch immer, dann nahm sie ebenfalls am Tisch Platz. Das Licht der Öllampen fiel auf ihre dunkle Haut und Hawk erkannte den Grund für ihre Unsicherheit: Ihre rechte Gesichtshälfte war von einem Netz schimmernder Narben entstellt, die sich ihren Hals hinunterzogen und unter ihrem leichten Gewand verschwanden. Einige Narben waren kaum zu sehen, andere waren wiederum wulstig und schlecht verheilt. Es grenzte an ein Wunder, dass ihr Auge nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Arzu senkte beschämt den Kopf. Ein Vorhang dunkler Haare verdeckte ihr Gesicht. »Vergib mir, Sayed«, flüsterte sie leise.

Hawk runzelte die Stirn. »Lass die Förmlichkeit. Wer hat das getan?«

Die junge Frau schwieg.

»Das war eine Gruppe Sklavenhändler aus dem Süden«, ergriff Resul das Wort. Seine Stimme klang trotz seines Alters klar. »Sie haben Arzu in ihre Gewalt gebracht, als sie versucht hat, die Sklaven zu befreien.«

Hawks Augen verengten sich zu Schlitzen. Hinter seiner Stirn begann es, fieberhaft zu arbeiten.

»Wie lange warst du gefangen?«, fragte er schärfer als beabsichtigt.

Arzu zuckte unter dem Klang seiner Stimme zusammen. »Sechs … sechs Tage«, hauchte sie.

»Wir sind ihr zu Hilfe gekommen, so schnell es ging«, schaltete sich Resul ein.

Hawk betrachtete Arzu nachdenklich. »Haben sie irgendetwas von dir erfahren?«

Der Kopf der jungen Frau ruckte hoch. Sie starrte Hawk mit angstgeweiteten Augen an. »Nein, nichts! Ich schwöre es, Hawk! Ich habe kein Wort gesagt!«

»Gut.« Hawk machte sich keine Illusionen. Wäre Arzu den Folterknechten der Sommertruppen in die Hände gefallen, hätte sie geredet. Alle Mitglieder der Führungsriege von Crimson Flower waren darauf eingestellt, für ihre Überzeugung zu sterben, doch systematische Folter brachte selbst die abgebrühtesten Veteranen zum Reden. Aber mit den Sklavenhändlern hatte Arzu zweifelhaftes Glück gehabt. Wenn sie sagte, dass sie nichts verraten hatte, dann glaubte er ihr, wie Resul es offensichtlich auch tat. Sie gehörte zum inneren Kreis. Sie hatte sein Vertrauen verdient.

Er wandte seine Aufmerksamkeit den anderen Anwesenden zu. »Welche Neuigkeiten gibt es aus den Stammesgebieten?«, fragte er.

»Nichts Neues«, antwortete ein Mann mittleren Alters. »Aber wir stehen in Kontakt. Kinu?«

Die Rjtak verneinte. »Ich habe seit Monaten nichts mehr gehört.«

Hawk schürzte die Lippen. Nicht zu ändern. »In Ordnung. Hat jemand Nachrichten aus dem Winterreich?«

Eine Frau nickte. »Die Winterrebellen halten weiterhin die Stellung, und die Frühlingskönigin hat eine neue Flotte losgeschickt.«

»Obwohl der Winter kommt?«, fragte jemand.

»Offensichtlich kümmert es sie nicht, wie viele Schiffe sie verliert. Aber diese Offensive wird die letzte vor den Winterstürmen sein.«

»Das bedeutet, die Königin wird uns mehr Aufmerksamkeit schenken können«, bemerkte Resul.

Hawk hatte dasselbe gedacht.

»Aber erst nach der Sturmpause«, warf Arzu ein.

»Das heißt nicht, dass ihre Planungen bis dahin ruhen«, gab Hawk zu bedenken. Wie er die Königin kannte, hatte sie mehr als einen Trumpf im Ärmel. Sie mussten auf der Hut sein.

»Der Winterkönig hält sich nach wie vor zurück«, schloss die Frau ihren Bericht. Hawk war nicht überrascht. Der Winterkönig war der Frühlingskönigin und der Marine militärisch unterlegen, selbst wenn sich die Wintergarde mit den Rebellen zusammenschloss. Er konnte allerdings nicht abschätzen, wie lange die Situation im Norden noch so bleiben würde, bevor sie endgültig eskalierte. Er hoffte, dass die Winterrebellen weiterhin dem Ansturm der Marine standhielten. So bestand die Chance, dass sich Crimson Flower mit den Winterrebellen verbünden konnte, falls sie irgendwann gegen die Frühlingskönigin ziehen sollten. Aber das lag noch in weiter Ferne. Der Sommerrat war ihr dringlichstes Problem und erstes Ziel.

»Wie steht es mit den Wasservorräten im Osten?«, erkundigte Hawk sich ernst.

»Auf Cormorant Island kümmert sich Drachenkaiser Viper um Nachschub. Auf dem Kontinent sieht es schlecht aus. Loroch und Zwyn sind fast komplett trocken«, antwortete Hadi, einer ihrer stärksten Kämpfer, der Resul auf allen Reisen begleitete.

»Loroch und Zwyn?« Das waren zwei der größten Siedlungen im Osten des Kontinents. Hawk seufzte. Schlechte Nachrichten. Sie mussten so schnell wie möglich handeln. »Wie weit sind die Planungen für die Wassertransporte?«, fragte er Resul.

»Die erste Sandschlitten-Karawane ist bereits auf dem Weg.«

»Sehr gut.«

»Was macht der Rat?«, fragte Resul im Gegenzug.

»Ich bin seit einigen Wochen nicht mehr in Phoenix gewesen, aber beim letzten Mal konnten sie sich noch nicht einmal darüber einig werden, ob sie überhaupt etwas gegen uns unternehmen wollen. Die Truppen werden wie immer zum Winter in Phoenix und Port Gallowsway zusammengezogen. Es gibt ein paar vielversprechende Neulinge, die inzwischen mit dem Training angefangen haben dürften.«

»Meinst du, wir können von ihnen welche rekrutieren?« Hadi dachte wie immer voraus.

»Wenn wir es geschickt anstellen, ja. Aber wir sollten noch ein paar Wochen warten.« Hawk blickte in die Runde. »Sobald ich in Phoenix ankomme, werde ich einen Bericht über die Hafenstädte an der Westküste abliefern, in dem ich davon erzähle, dass alle Sklaven unschädlich gemacht wurden. Der Spähtrupp, der bei mir war, wird diesen Bericht bestätigen, weil sie glauben, dass sie genau das gesehen haben. Seht zu, dass ihr die Sklaven so schnell wie möglich vom Kontinent wegbringt.«

Arzu tauschte einen Blick mit Kuni. »Wir werden uns darum kümmern.«

»Wir haben die Sklaven aus den Transporten im Süden in die Stammesgebiete gebracht. Die Rjtak sind einverstanden, sie bis zum Frühling aufzunehmen«, fügte Hadi hinzu.

»Ich weiß, ich bin bereits verständigt worden«, sagte Hawk. »Das Wichtigste ist jetzt, dass wir uns auf den Sommerrat konzentrieren und dabei der Frühlingskönigin aus dem Weg gehen. Wir müssen hoffen, dass die Winterrebellen sie noch bis zu den Winterstürmen beschäftigen.«

»Was sagen unsere Gruppen an der Westküste?«, fragte Hadi.

Hawk dachte an seine letzten Treffen. »Sie sind bereit. Wir werden den Sommerrat dieses Jahr während der Winterstürme stürzen können.«

Hadi nickte zufrieden. Auf Arzus entstelltes Gesicht stahl sich ein Lächeln.

»Im Hinblick auf die Pläne sehe ich übrigens noch eine Reihe von Problemen«, sagte Resul.

Hawk machte es sich auf seinem Stuhl bequem. »Also gut. Lass hören.« Es würde ein langer Nachmittag werden.

Skyle

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