Читать книгу Skyle - Esther Bertram - Страница 16

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Die Mauern des Weißen Klosters verschmolzen beinahe mit dem Schnee des Berghangs, in den es hineingebaut worden war. Einzig die wenigen beleuchteten Fenster und die schwarzen Torflügel hoben sich vom Schnee und den Wolken ab.

Auf dem höchsten der rechteckigen Türme schlug jemand eine bronzene Glocke. Die Mönche in den blauen und grünen Trachten des Klosters versammelten sich zum Abendgebet. Die Nacht senkte sich schnell auf die Landschaft herab, während die Mönche in kleinen Gruppen zu zweit oder zu dritt den verschneiten Innenhof überquerten, um in die Gebetshalle zu gelangen. Sie unterhielten sich leise. Ihre Stimmen hallten dumpf von den Wänden wider.

Als sie die Halle betraten, verstummten sie und mit ihnen der Gesang, der seit Tagesanbruch unaufhörlich durch das Kloster geklungen war. In stiller Meditation verbrachten sie die Zeit des Abendgebets, bevor sie schweigend ihr Nachtmahl einnahmen und sich in ihren Schlafkammern zur Ruhe legten. Erst wenn die Sonnen aufgingen, würden sie wieder zu ihren Gesängen anheben und die einsame Bergwelt mit ihren Stimmen füllen.

Die Mönche waren nicht mehr jung. Sie hatten seit mehr als vierzig Jahren keinen Novizen mehr aufgenommen, doch dies würde sich ändern, wenn die Zeit gekommen war. Der Abt selbst, gekleidet in mitternachtsblaue Gewänder, war beinahe hundertzwanzig Jahre alt. Als Dank dafür, dass er sein Dasein der vielgestaltigen Götterwelt der Berge widmete, war ihm ein ungewöhnlich langes Leben geschenkt worden.

Der Abt fühlte, dass etwas nicht stimmte. Schon während des Gebets war er unkonzentriert gewesen, etwas, was ihm für gewöhnlich nicht so leicht passierte. Er hatte eine Veränderung gespürt.

Anstatt mit den anderen Mönchen zum Essen zu gehen, bat er zwei Wächtermönche, mit ihm zu kommen. Gemeinsam stiegen sie im Schein einer Pechfackel die Wendeltreppe ins Innere der Himmelsspitze hinab, jenes Berges, an dessen Hang das Weiße Kloster vor Tausenden von Jahren gebaut worden war.

Schließlich hielten sie vor einer Tür aus weißem Granit. Der Abt rezitierte mit gesenktem Kopf die Worte, mit denen er um Einlass in die Halle der Zeit bat. Nur den Wächtern und dem Abt war es gestattet, die heilige Halle zu betreten.

Flache, mit Lampenöl gefüllte Steinschalen an den Wänden erhellten die Halle mit einem goldenen Schein. In ihrer Mitte befand sich jener Teppich, der der Grund für den Bau dieses Klosters gewesen war. In prächtigen Farben leuchtete er auf dem Steinboden der Halle. Der Abt trat an den Abschnitt heran, an dem sich Skyles Schicksal selbst wob.

Die Fäden des Teppichs verknüpften sich miteinander und lösten sich wieder, nur um sogleich neue Verbindungen einzugehen. So entstand ein verwirrendes Muster, zu vielschichtig, um es auf Anhieb zu begreifen. Der Abt sann lange darüber nach, was die nahe Zukunft der Welt bringen mochte. Die ferne Zukunft veränderte sich so stetig und so gravierend, dass es keinen Zweck hatte, sie deuten zu wollen. Es waren die Wesen dieser Welt selbst, die mit jeder Entscheidung, die sie fällten, die Zukunft formten.

Er stutzte. Es gab Dutzende Fäden, die sich immer wieder kreuzten. Er verfolgte sie durch die Knotenreihen zurück und sah, dass sie den Mustern längst vergangener Jahrhunderte entsprangen. Das war nichts Besonderes. Es gab viele Geschöpfe in Skyle, die viel älter wurden als die kurzlebigen Menschen. Doch dass diese Muster zusammenliefen, irritierte ihn. Er konnte nicht sagen, ob die Muster ein Ereignis ankündigten oder ob sie sich auf Personen bezogen. Was auch immer sie bezeichneten: Ihr Zusammenlaufen im Zeitteppich bedeutete Ärger.

Er seufzte tief. Skyle standen schwere Zeiten bevor.

Skyle

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