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2.7 Zahl der Betroffenen

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Die Frage, wie viele Personen von Obdachlosigkeit betroffen sind, ist schwer zu beantworten. Eine bundesweite Statistik gab es jahrzehntelang nicht.11 Vorstöße, eine bundesweite „Statistik zur Erfassung der Obdach- und Wohnungslosigkeit“ einzuführen, führten erst 2020 zum Erfolg.12 Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. veröffentlicht13 regelmäßig eine „Jahresschätzung“, bei der es sich aber – wie die Bezeichnung schon sagt – nur um eine eher grobe Schätzung handelt. Ihr liegt zudem ein sehr weiter Begriff der „Wohnungslosigkeit“ zugrunde, der deutlich über den Begriff „Obdachlosigkeit“ hinausgeht. Andererseits erfasst sie wegen der methodischen Probleme gerade die Personen nicht, die „auf der Straße“ leben.14 Dennoch greifen mangels besserer Quellen sowohl amtliche Veröffentlichungen15 wie auch eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage16 auf diese Schätzungen zurück.

Eine bayerische Erhebung17 behauptet, zum Stichtag 17.11.2003 hätten in Bayern 4.303 Alleinstehende gelebt, die nicht über eine eigene Wohnung verfügen, davon 49 % in der Landeshauptstadt München, 25 % im Städtedreieck Nürnberg/Fürth/Erlangen und nur 17 % in den 71 bayerischen Landkreisen. Gerade diese scheinbar exakte Erhebung warf mehr Fragen auf, als sie Antworten gab. So erfasste sie keine Obdachlosen, die zum Erhebungszeitraum in gemeindeeigenen Unterkünften untergebracht waren. Diese und andere methodische Schwächen vermeidet der „Datenreport: Soziale Lage in Bayern 2014.“ Er enthält umfassende Daten, die unter anderem nach Region, Geschlecht und Alter differenziert sind.18

Wie schon vor Jahrzehnten festgestellt,19 spricht vieles dafür, dass im großstädtischen Bereich trotz aller Bemühungen die Zahl der Obdachlosen kaum jemals unter 0,5 % der Bevölkerung sinken wird. Dabei bleibt aber auch das „flache Land“ keineswegs völlig von dem Phänomen verschont.

1 Zur Geschichte dieser und anderer Begriffe siehe Ayaß, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1/2013, S. 90. Speziell zum Begriff „Berber“ ebenda S. 98; diese laut Ayaß „selbstbewusste Eigenbezeichnung“ von Menschen, die auf der Straße leben, entstand in den 1970er Jahren. Leider finden sich selbst in amtlichen Publikationen ausgesprochen unzuverlässige Aussagen zur Geschichte von Begriffen. So behauptet die nordrhein-westfälische „Handreichung Wohnungsnotfallhilfen im SGB II“, S. 9, der Begriff „nichtsesshaft“ gehöre der nationalsozialistischen Verwaltungssprache an. In Wirklichkeit reicht die Geschichte des Begriffs bis in das 19. Jahrhundert zurück, siehe Kiebel, „nichtsesshaft“ – ein Begriff wird in Kürze 100 Jahre alt, in: Gefährdetenhilfe 1993, S. 24-26. Im Nationalsozialismus weitaus bedeutsamer war der Begriff „Asozialer“, siehe Ayaß, „Asoziale“ im Nationalsozialismus. Wer damit belegt wurde, riskierte die Unterbringung in einem Arbeitszwangslager, im schlimmsten Fall sogar in einem Konzentrationslager. — 2 So Ziff. 2.3/Erster Spiegelstrich der bayerischen Empfehlungen a. F. vom 15.2.1982, MABl. Nr. 7/1982, S. 148. Die jetzt geltende Fassung der Empfehlungen (siehe Anhang 1) erörtert die Frage nicht mehr ausdrücklich. Huttner, Unterbringung, S. 33, verwendet den Begriff „Obdachlose“ auch für diesen Personenkreis und spricht insoweit von „freiwilliger Obdachlosigkeit“; ebenso Ruder, NVwZ 2001, 1223, 1224 sowie Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, S. 9 und S.16. Abgesehen davon, dass der Begriff der Freiwilligkeit in diesem Zusammenhang sehr fragwürdig erscheint, stellen Obdachlose im Sinne der Definition bei 2.4 einerseits und Nichtsesshafte andererseits die Verwaltung und auch die Sozialarbeit vor grundlegend andere Anforderungen. Aus diesen Gründen sollten beide Begriffe klar unterschieden werden. — 3 Siehe insoweit auch §§ 67, 68 SGB XII (früher § 72 BSHG), wonach die Sozialämter besondere Hilfen zu gewähren haben, die auf die spezifischen Verhältnisse solcher Personen zugeschnitten sind. Details siehe Ehmann, in: Fasselt/Schellhorn, Handbuch Sozialrechtsberatung, § 12 RN 29–40. — 4 So zutreffend BayVGH, Beschl. v. 4.4.2017 – 4 CE 17.615, RN 8. — 5 Die sächsischen Empfehlungen (siehe Anhang 2) verwenden den Begriff „obdachlos“ nicht, sondern benutzen an seiner Stelle den Begriff „wohnungslos“ und definieren ihn in II.1 und II.2 so, wie die Rechtsprechung üblicherweise den Begriff „obdachlos“ definiert. Das ändert inhaltlich nichts. — 6 Abgedruckt und kommentiert in Anhang 1. Vielfach meint die Literatur auch, den Begriff ohne Definition voraussetzen zu dürfen, vgl. als Beispiel Ewer/v. Detten, NJW 1995, 353. Huttner, Unterbringung S. 26 verwendet der Sache nach dieselben Kriterien wie die bayerischen Empfehlungen. Die sächsischen Empfehlungen (siehe Anhang 2) verwenden zwar durchgängig „wohnungslos“ statt „obdachlos“, weichen bei ihrer Definition in II.1 und II.2 inhaltlich aber ebenfalls nicht ab. — 7 Laut Huttner, Unterbringung, S. 31/32 werde in der Praxis vielfach angenommen, bei Einzelpersonen könne grundsätzlich keine Obdachlosigkeit ent-/bestehen. Er lehnt diese Meinung zu Recht als „nicht richtig“ ab. — 8 Siehe zu Details vor allem 4.2.2! Vgl. auch Gutachten des Neuen Deutschen Vereins vom 12.3.1991, NDV 1991, 203. — 9 Dargestellt in BT-Drs. 13/5226 vom 4.7.1996 (Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit), S. 2. — 10 Siehe Lebenslagen in Deutschland, Zweiter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, X.1 (S. 172). — 11 Lebenslagen in Deutschland. Erster Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 171 mit FN 106; Bestätigung durch eine Mail des Statistischen Bundesamtes vom 3. 3. 2004 an den Verfasser: „Im Rahmen der amtlichen Statistik werden … keine Feststellungen getroffen.“ Der Zweite Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Jahr 2005 berichtet von Bemühungen, die statistische Erfassung mit verschiedenen Mitteln zu verbessern (S. 172 mit FN 208). — 12 Siehe dazu den Antrag von Abgeordneten der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bt-Drs. 18/7547 v. 17.2.2016 und zu dessen Ablehnung BT-Drs. 18/11000 v. 25.1.2017 sowie das Bundestags-Plenarprotokoll 18/215, S. 21578A – 21583A. Erst 2019 hat die Bundesregierung den Entwurf für ein „Gesetz zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung sowie einer Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen“ vorgelegt (BR-Drs. 463/19 v. 27.9.2019), das dann auch verabschiedet wurde (siehe BGBl. I 2020 S. 437). Auch in diese Statistik werden jedoch ausdrücklich „nicht alle Personen einbezogen werden können, die per Definition als wohnungslos einzustufen sind.“ (so die Begründung zu § 3 des geplanten Gesetzes, erster Absatz). Es darf deshalb bezweifelt werden, ob diese Statistik die Hoffnungen erfüllen wird, die sie weckt. — 13 Abrufbar unter www.bagw.de, Stichwort „Zahl der Wohnungslosen“. — 14 Auch die von der Bundesregierung geplante „Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen“ wird diesen Personenkreis ausdrücklich nicht einbeziehen: „Ebenfalls nicht in die Erhebung einbezogen sind Obdachlose, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben. Eine Vollerfassung dieser Form von Wohnungslosigkeit würde große Herausforderungen nach sich ziehen. So kommt auch eine Studie des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1998 zu dem Schluss, dass der Aufwand für die Einbeziehung dieser Gruppe in die amtliche Statistik nicht vertretbar wäre.“ (So der Gesetzentwurf, BR-Drs. 463/19 v. 27.09.2019, Begründung zu § 3 des geplanten Gesetzes, letzter Absatz). — 15 Siehe etwa Erster Bericht der Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern 1999, S. 203. — 16 Siehe Antwort vom Nr. 38 vom 25.11.2016 auf eine Schriftliche Frage der Abgeordneten Zimmermann (Zwickau), BT-Drs. 18/10443, S. 35. Die Antwort verwendet Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft aus dem Zeitraum 1995–2014 und stellt sie tabellarisch dar. — 17 Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern, Umfang und Struktur alleinstehender Wohnungsloser in Bayern. Ergebnisse der Stichtagserhebung vom 17.11.2003. — 18 Datenreport: Soziale Lage in Bayern 2014, Kapitel 6 („Wohnungslose“), S. 262–275. Für Baden-Württemberg siehe Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg, Kapitel 4.2 („Zur Quantität der Wohnungslosen“), wobei dort teils mit einer Hochrechnung gearbeitet wird. In anderen Bundesländern liegen von vornherein nur Teilerhebungen vor, siehe etwa die jährlichen „Stichtagserhebungen“ für Westniedersachsen, abrufbar unter https://www.zbs-niedersachsen.de/publikationen/. — 19 Hecker, Rechtsgrundlagen zur Obdachlosenunterbringung in Bayern, Dissertation Würzburg 1969, S. 13; dort S. 8–17 viele statistische Angaben aus teils unveröffentlichtem amtlichen Material (vor allem für München, Nürnberg und Würzburg).

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