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DIE ZWEITE BEERDIGUNG

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Als ich in traurige Gedanken versunken vor mich hinsah, stand plötzlich Urs vor mir. Vollkommen überrascht, spürte ich einen heftigen Impuls, ihn zu umarmen, aber ich folgte ihm nicht, sondern reichte ihm nur die Hand und sagte: »Phillip ist also der Erste von uns!« Doch unversehens waren sie da, die Erinnerungen an die enge Freundschaft im Internat und an die Zeit nach dem Abitur, in der ich das nach dem Tod meines Vaters an mich gefallene Erbe übernehmen musste und Urs aus den Augen verlor. Damals wollte er sich mit mir verloben, ehe er zu einem längeren Praktikum nach Amerika aufbrach, aber mir war das alles zu viel und ich hatte ihn vertröstet. Ich hatte meine Entscheidung damals nicht als ein endgültiges Nein zu einer engeren Verbindung gesehen. Aber zugegeben, ich ließ mir sehr lange Zeit, und er musste es vielleicht so verstehen. Irgendwann erfuhr ich über Dritte, dass er geheiratet hatte, und war überrascht und betroffen. Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt. Urs drückte mir fest die Hand und flüsterte mir einen Gruß von Gretel zu, die im Moment noch verhindert sei, aber am Nachmittag eintreffen werde.

Als die Orgel ertönte und die Trauergäste ihre Plätze einnahmen, bat ich Urs, sich neben mich in die erste Reihe zu setzen. Dabei erfasste mich auf einmal heftige Trauer um meinen Bruder Phillip, und wie um mich selbst zu beruhigen, murmelte ich halb zu Urs gewendet: »Es ist besser so. Er konnte nicht leben.«

Während die Orgel noch tönte und der von mir beauftragte Geistliche an den Ambo trat, war ich äußerst gespannt, was er sagen würde. Es war ja schwer genug gewesen, überhaupt jemanden zu finden, und wahrscheinlich hatte ich ihm auch viel zu wenig erzählt über Phillips Leben. Vor allem die letzten Jahre hatte ich fast ganz ausgespart, als würde ich mich für meinen Bruder schämen.

Als der Pfarrer die üblichen Floskeln brachte, vom »entschlafenen Bruder Phillip«, der nun »eingegangen sei in die Güte des Herrn«, bereute ich bitter, dass ich mich nicht aufgerafft hatte, selbst ein paar Worte zu sprechen. Eigentlich ist es beschämend, bei derartigen Gelegenheiten wieder auf die Kirche und ihre Diener zurückzugreifen, wenn man, wie ich, sonst nie hinging. Dabei war es doch damals bei meiner Konfirmation in Frankfurt noch ganz anders gewesen: Wie ernst hatte ich alles genommen! Ich hatte vorher gefastet und in der Bibel gelesen! Und jetzt die erbärmliche Zeremonie, die dieser Pfarrer veranstaltete, den ich für einen Einfaltspinsel hielt!

Nie wieder bin ich danach in einen Gottesdienst, geschweige denn zum Abendmahl gegangen. Der Pfarrer, der uns im Internat unterrichtete, hatte unter meinen bohrenden Fragen zu leiden gehabt und war oft um eine Antwort verlegen gewesen. An die Stelle meines Interesses für Religion trat jedoch mit der Zeit meine Begeisterung für Musik, für den Schulchor und das Schulorchester und für das gemeinsame Musizieren mit Gretel. Ich hätte es mir denken können – und es wäre wirklich besser gewesen –, selbst ein paar Worte zu sprechen! Als die Orgel dann das Kirchenlied »Befiel du deine Wege …« intonierte, hatte ich das traurige Gefühl, dass ich als Einzige mitsänge, weil niemand den Text kannte.

Schließlich kamen die Friedhofsdiener in ihren grauen Uniformen und trugen den Sarg hinaus. Ich bat Urs, neben mir hinter dem Sarg zu gehen; anschließend folgten Onkel Karl und Tante Ursel und noch ein paar Leute, die ich nicht kannte. Kein Wunder, denn ich hatte außer Onkel, Tante, Urs und Gretel niemanden benachrichtigt. Die Adressen der beiden Geschwister herauszubekommen war schwer genug gewesen,

Als der Sarg ins Grab gesenkt wurde, warf ich eine Rose und eine Schaufel Erde darauf. Urs tat es mir nach und blieb neben mir stehen. So kam es, dass die meisten Trauergäste auch ihm kondolierten.

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