Читать книгу Erben - Eva Madelung - Страница 9

DAS TESTAMENT

Оглавление

Nachdem die Beerdigung vorüber war, machten wir uns fertig, um wieder in das Internat zurückzukehren. Da eröffnete uns Tante Ursulas Ehemann Karl, ein angesehener Rechtsanwalt und enger Freund unseres Vaters, dass er ihn vor einigen Jahren gebeten habe, die Testamentsvollstreckung zu übernehmen, wenn ihm etwas zustoßen sollte. »Euer Vater hat ein beträchtliches Vermögen hinterlassen«, sagte er. »Sein Testament wird in zirka sechs Wochen eröffnet. Ich werde euch helfen, mit dem Erbe umzugehen, bis ihr volljährig seid und dann eure eigenen Entscheidungen treffen könnt.«

Natürlich war mir schon länger klar gewesen, dass unser Vater ein vermögender Mann sein musste, da wir auf dieses Internat gingen. Aber ich hatte mir bisher wenig Gedanken gemacht, was das für mein künftiges Leben bedeutete. Vater hatte uns immer wieder eingeschärft, wie wichtig eine gute Ausbildung sei und dass wir uns nicht allein auf unser Erbe verlassen sollten. So hatten wir beide meist gute Noten mit nach Hause gebracht, und Phillip zählte immer zu den Besten seiner Klasse. Ich musste mich mehr anstrengen, glich aber meine Schwächen durch Fleiß aus.

Onkel Karl sagte, Vater hätte sich vorgenommen, uns zum 18. Geburtstag eine größere Schenkung zu machen und uns dann bei der Verwaltung behilflich zu sein. Dazu war es nun nicht mehr gekommen. So wurde der Onkel für uns zu einer Art Vaterersatz, und mein Bruder und ich fühlten uns der neuen Situation als Halbwaisen nicht mehr ganz so hilflos ausgeliefert.

Nach Ablauf der sechswöchigen Frist reiste Karl zu uns nach Zuoz, um das inzwischen veröffentlichte Testament zu besprechen. Er hatte sich im Hotel Engadina einquartiert und uns ausrichten lassen, dass wir ihn am Nachmittag dort besuchen sollten. Wir trafen uns auf seinem Zimmer, und er bestellte Kaffee und Kuchen, ehe er jedem eine Kopie des Testaments in die Hand drückte. Für mich war vor allem die Höhe des Erbes ein Schock. Außerdem erstaunte mich die Tatsache, dass Vater auch eine gewisse Sigrid Mollenhauer mit einer beträchtlichen Summe bedacht hatte. Mir war zwar eine unbekannte Frau unter den Trauergästen aufgefallen, aber ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht.

»War das die blonde Frau auf der Beerdigung, die ich nicht kannte, die aber gleich wieder ging und beim Leichenschmaus nicht dabei war?«, fragte ich Onkel Karl. »Ja, Sigrid war schon vor der Scheidung eurer Eltern mit eurem Vater befreundet und wurde dann zu seiner Partnerin. Sie ist auch Börsenmaklerin und sehr tüchtig in ihrem Beruf. Zufällig war sie mit auf der verhängnisvollen Spritztour deines Vaters im Lamborghini, hat aber den Unfall erstaunlicherweise überlebt.«

Ich war tief getroffen: Nicht nur, dass ich von alledem nichts gewusst hatte, während mein Onkel längst eingeweiht war. Die einfache Tatsache, dass der von mir so geliebte Vater sich einer anderen Frau zugewandt hatte, traf mich seltsamerweise tief, und ich fühlte mich verletzt. Aus heutiger Perspektive vermute ich, dass ich mich unbewusst als die bessere Partnerin für meinen Vater gesehen hatte, da seine Beziehung zu Mutter nicht gut war, und dass sich deshalb eine Art verquerer Eifersucht in mir regte.

Phillip dagegen schien über die Höhe des Erbes eher erfreut, fand aber, dass Mutter einen zu kleinen Anteil erhielt, weil es ihr so schlecht ging und Vater doch sie verlassen habe, und nicht sie ihn.

Ich hörte Onkel Karl nur mit halbem Ohr zu, als er sagte, dass ich, wenn ich nächstes Jahr volljährig würde, die uneingeschränkte Verfügung über das Geld bekäme. Denn in Gedanken war ich noch bei dieser – von mir so empfundenen – »Untreue« meines Vaters: Wie konnte er mir das verheimlichen!? Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte an meiner Betroffenheit und dass ich mit meinem Anspruch eine Grenze überschritt. Ich war völlig verunsichert und verspürte plötzlich den Impuls, mein Erbe zurückzuweisen.

»Kann man ein Erbe auch verweigern?«, fragte ich.

»Natürlich kann man das«, meinte Karl verwundert. »Aber jetzt warte doch erst einmal ab, bis du volljährig bist. Dann kannst du das in aller Ruhe entscheiden.«

Als Karl abgereist war, fühlte ich mich völlig ratlos. Was sollte ich tun im nächsten Jahr, wenn ich volljährig würde? Ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem darüber zu sprechen, und ich weiß selbst nicht, warum ich mich an Gretel wandte und nicht an Urs, mit dem ich bisher vieles besprochen und den ich mir schon oft als Lebenspartner vorgestellt hatte.

Für Phillip dagegen lagen die Dinge, die Karl uns über das Testament des Vaters berichtet hatte, offenbar weit in der Zukunft, und er machte sich keine Gedanken darüber.

Erben

Подняться наверх