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8. Kapitel
ОглавлениеÜberlingen, Bodensee, 20. Januar 1923
Johanna ging wie ein gefangener Tiger in ihrem Zimmer auf und ab, während sie sich mit der Hand unermüdlich über ihren dicken Bauch strich.
»Wenn du nur endlich geboren werden würdest«, flüsterte sie dem Kind in ihrem Leib zu. »Vielleicht wäre dann diese schreckliche Unruhe weg.« Aber sie wusste: Es lag nicht nur an ihrer Schwangerschaft, dass sie so unzufrieden war. Ich bin noch so jung, dachte sie manchmal wütend, und dennoch scheint mein Leben schon vorbei zu sein. Ich sitze als Frau Pastor hier in dieser Stadt, in der sich nie etwas ändert. Und Sebastian hat über seiner Arbeit als Pfarrer völlig vergessen, dass es mich gibt.
Beinahe freute sie sich, dass die Franzosen im Ruhrgebiet einmarschiert waren, auch wenn sie diesen Gedanken natürlich nie zugegeben hätte. Aber es bot zumindest etwas Abwechslung in der Eintönigkeit ihres Lebens.
Ein nagendes Hungergefühl riss sie aus ihren Gedanken. Sie presste die Hand auf den Bauch und dachte an das Kind. Ob es ihren Hunger spürte? Ob es darunter litt? Immer dieser Hunger! Sie war es so leid!
Wenn nur Amalia, ihre Großmutter, noch leben würde! Die hätte schon gewusst, was zu tun wäre. Amalia hatte immer einen Rat gehabt. Sie hätte notfalls die Gärten des Alten Schulhauses umgegraben und Gemüse angebaut. Sie hätte Hühner angeschafft, auch wenn diese noch so schwer zu bekommen waren, und sie hätte dafür gesorgt, dass niemand hungern musste.
Mit einem Mal schämte sich Johanna. Da klagte sie über Hunger und Langeweile und trauerte ihrer Großmutter nach, statt die Dinge selbst in die Hand zu nehmen! Sie hatte doch genau die gleichen Möglichkeiten wie Amalia! Und noch mehr, denn sie war viel jünger als ihre Großmutter es in den Kriegsjahren gewesen war.
Sie lächelte zufrieden und plötzlich voller Tatendrang. »Sobald du geboren bist«, flüsterte sie ihrem Kind zu, »werde ich mich an die Arbeit machen.«