Читать книгу Tatort Bodensee - Eva-Maria Bast - Страница 25
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Оглавление»Sag mal, das darf doch wohl nicht wahr sein! Spinne ich jetzt oder sehe ich schon Gespenster?« Zornig hieb Protnik mit der flachen Hand auf sein Lenkrad und blickte angestrengt in den Rückspiegel.
»Was hast du denn? Schau lieber nach vorne, sonst landen wir noch im Straßengraben und das ist bei dem Abhang hier gar nicht lustig!« Horst war von Protniks plötzlichem Ausbruch aus seinen Gedanken gerissen worden.
»Ja, komm, schau halt selber! Der ist plötzlich herangedonnert gekommen wie ein Gewitter! Ist das derselbe wie gestern, oder nicht?«
Horst drehte sich nach hinten und spähte aus dem Rückfenster von Protniks Wagen. »Ach so, das meinst du! Schon wieder der weiße Lieferwagen? Wie der Depp von gestern? Na ja, könnte sein und sein Kennzeichen …« Er hob sich leicht aus dem Beifahrersitz und versuchte angestrengt, einen Blick auf das Kennzeichen des dicht hinter ihnen fahrenden weißen Autos zu werfen. »Aha – das Kennzeichen stimmt auch, eine Konstanzer Zulassung – und der Kerl fährt genauso bescheuert wie der von gestern. Achtung, Sputnik! Pass auf, der rammt dich sonst gleich!« Wie eine Rakete schoss der hinter ihnen fahrende Wagen mit aufheulendem Motor plötzlich nach vorne!
»Sag mal, der hat sie wohl nicht mehr alle!« Protnik schrie den Satz in plötzlich aufsteigender Panik förmlich heraus.
In diesem Moment hörten sie auch schon das Geräusch des Aufpralls; ruckartig wurden die beiden Insassen nach vorne geworfen.
»Mensch, pass auf!« Horsts Verdacht wurde zur Gewissheit. »Mensch, der will uns von der Straße drängen! Das ist Absicht!«
»Dreckschwein!« presste Protnik zwischen seinen vor Anspannung fest zusammengebissenen Zähnen hervor. »Der hat abgewartet, bis wir hier sind, und will uns jetzt abschießen!«
In der Tat hätte sich der unbekannte Geisterfahrer keine bessere Passage aussuchen können als die Heiligenberger Steige, die sie gerade befuhren. Fast 200 Meter ging es da in zahlreichen engen Serpentinen von der Hochfläche hinab ins Bodensee-Hinterland. Und wenn da ein Wagen an der falschen Stelle … Horsts Gedanken wurden durch einen neuerlichen Stoß von hinten unterbrochen. »Mensch, Protnik, drück auf die Tube, sonst hat der uns wirklich bald …«
»Mach ich doch, aber bei jeder Kurve kommt der automatisch näher, wenn ich am Abbremsen bin! Was ist denn das jetzt?«
Angespannt blickten die beiden auf die linke Seite. Tatsächlich: Der weiße Lieferwagen setzte zum Überholen an. »Schneller, Protnik, schneller! Der will uns seitlich von der Straße boxen!« Krampfhaft stützte sich Horst am Armaturenbrett von Protniks Wagen ab. Ein Blick nach rechts verursachte eine krampfhafte Zuckung in seinem Magen: An dieser Stelle ging es fast senkrecht ins Tal hinunter. »Protnik, schneller!«
»Ich fahre längst mit Vollgas!«, schrie der zurück. »Aber der andere ist einfach schneller, der hat wesentlich mehr PS als wir!« Protnik umklammerte das Lenkrad.
In diesem Moment raste der weiße Wagen fast schon auf gleicher Höhe mit ihnen auf der Gegenfahrbahn heran, nur Zentimeter befanden sie sich noch auseinander! Wieso kam denn kein Auto die Straße heraufgefahren?! Ausgerechnet jetzt war von Gegenverkehr nichts zu sehen! »Brems mal scharf, Protnik! Auf geht’s: jetzt!!«
Doch im selben Moment drang ein durchgehendes metallisches Kreischen an ihre Ohren, das durch Mark und Bein zu zischen schien. Der andere hatte sie touchiert und drückte nun mit seinem wesentlich größeren Gewicht und seiner überlegenen Masse Protniks kleinen Opel Astra mühelos auf den Seitenstreifen! Verbissen versuchte Protnik gegenzulenken, so gut er es eben in dieser Situation vermochte. Doch es half nichts: Schon rumpelten die Räder auf der rechten Seite über die Grasnarbe, Funken sprühten am Fenster der Beifahrerseite hoch. Sie hatten die Leitplanke gestreift, die mit absoluter Sicherheit nicht genügend Widerstand bieten würde, um den absehbaren Sturz den Abhang hinunter aufzuhalten.
»Protnik!«, schrie Horst aus Leibeskräften. »Brems, Protnik!«
Doch diese Aufforderung war gar nicht nötig. Energisch stieg Protnik bereits in die Eisen. Ein hässlich quietschendes Geräusch war die Folge! Die Räder blockierten auf der vom vorangegangenen Regenschauer noch nassen Fahrbahn! Nur ja nicht ins Schleudern geraten in dieser Situation! Heftig kurbelte er am Lenkrad! Horst schickte ein Stoßgebet zum Himmel: Hoffentlich war Protniks letzter Schleuderkurs noch nicht allzu lange her! Aber was war das?!
Der weiße Lieferwagen schoss mit einem Mal wie ein Blitz an ihnen vorüber – der Amokfahrer musste noch mehr aufs Gas getreten sein, während Protnik nach der Vollbremsung immer noch versuchte, seinen Wagen einigermaßen kontrolliert zum Stehen zu bringen. Da entdeckte Horst den Grund für das Manöver: Endlich! Keine hundert Meter vor ihnen bewegte sich langsam ein mit Kies beladener Lastzug die Steige hinauf, und wenn der Fahrer des Lieferwagens es nicht schleunigst schaffte, auf die richtige Spur einzubiegen, dann war ein Zusammenstoß mit dem LKW nicht mehr zu vermeiden. Horst schnaufte tief durch, während es Protnik gelang, den Wagen allmählich wieder in seine Gewalt zu bringen und langsam ausrollen zu lassen.
Atemlos beobachteten sie die Szene vor ihnen: Ein lang gezogenes tiefes Hupgeräusch des Lastzugs, dessen Fahrer gleichzeitig heftig das Fernlicht bediente, hallte ihnen entgegen, gefolgt von einem dumpfen Schlag! Der Lieferwagen war mit dem linken Kotflügel auf den LKW geprallt, die Stoßstange fegte wie von einer Orkanböe getrieben durch die Luft, während bei dem Lastzug der linke Scheinwerfer in tausend Scherben zersplitterte. Der weiße Wagen kam heftig ins Schleudern, doch irgendwie gelang es dessen Fahrer, sein Gefährt wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mit kaum verminderter Geschwindigkeit raste es anschließend weiter den Berg hinunter.
Horst und Protnik stierten sich ungläubig an, bis Horst schließlich den Kopf schüttelte. »Was war das denn? Ich glaub es einfach nicht! Das war nie und nimmer ein Fahrfehler, das war Absicht!«
Protnik schien nach wie vor sprachlos. Kreidebleich fixierte er das Armaturenbrett. Langsam, ganz langsam entspannte er die um das Lenkrad gekrampften Finger. »Das war knapp!«, stieß er gepresst hervor.
Der Fahrer des Lastzuges hatte angehalten und die Warnblinkanlage eingeschaltet. Mit hochrotem Kopf kletterte er aus dem Führerhaus und besah sich den Schaden. Dann stapfte er auf das Auto der beiden zu. »Habt ihr ein Wettrennen veranstaltet oder was soll das denn eigentlich gewesen sein?«, brüllte er Protnik, der im selben Moment noch immer sichtlich benommen die Scheibe herunterkurbelte, direkt ins Gesicht.
Das hysterische Gezeter des Lastwagenfahrers sorgte dafür, dass sich die Verkrampfung in Horst mit einem Schlag wieder löste. Er beugte seinen Oberkörper nach vorne und fingerte den Dienstausweis aus der Hosentasche. Dann stieß er Protnik an. »Da, zeig ihm das!«
Während Protnik den Ausweis dem aufgebrachten LKW-Fahrer direkt unter die Nase streckte, versuchte Horst, einen strengen amtlichen Ton anzuschlagen: »Polizei! Wir sind im Einsatz! Bleiben Sie, wo Sie sind, wir werden den Kollegen Bescheid sagen!«
Der Fahrer wirkte von der Tatsache, dass er bei einem Polizeieinsatz gerammt worden war, nicht sonderlich begeistert. Wütend schnaubte er: »Schöne Freunde und Helfer! Um ein Haar hätte es hier im Namen des Gesetzes Kleinholz gegeben! Ihr habt sie wohl nicht mehr alle!«
Horst versuchte es weiter mit Strenge: »Machen Sie jetzt den Weg frei! Wir müssen dem Unfallverursacher folgen!« Den überraschten Blick von Protnik übersah er geflissentlich. »Also los, kommen Sie schon, sonst wird’s teuer!«
Widerstrebend machte der Lastwagenfahrer kehrt und ging zu seinem lädierten LKW zurück. Als sie an dem Mann vorüberfuhren, warf er ihnen wütende Blicke zu. Horst sah, wie er etwas auf ein Stück Papier kritzelte, höchstwahrscheinlich ihr Autokennzeichen. Verständnisvoll wiegte er den Kopf: »Verstehen kann ich ihn! Da schleichst du nichts ahnend den Berg hoch und plötzlich kommt ein Hurrikan auf dich zugerast. Dann kracht es mittelprächtig und zwei Typen erklären dir leutselig, alles sei völlig normal, sie wären halt grade im Polizeieinsatz!«
Protnik schaute ihn von der Seite an. »Wenn das nicht noch ein Nachspiel hat: Menschenskinder! Das wird noch gewaltigen Ärger geben!«
Horst nickte zustimmend: »Worauf du dich verlassen kannst! Aber den Kerl, den erwischen wir – und das Kennzeichen hab ich mir auch gemerkt!«
»Wird nicht viel nützen, der Wagen ist doch todsicher geklaut!«, brummelte Protnik skeptisch, während er nach der letzten Serpentine der Steige nun kräftig beschleunigte und mit fast hundert Sachen am Ortsschild von Leustetten vorbeirauschte. »Hoffentlich holen wir den Kerl noch ein, der hat ja schließlich ganz schön was abbekommen! Hast du ihn übrigens genauer sehen können?«
»Viel war da nicht zu sehen. Der ist schon auf Nummer sicher gegangen. Dunkle Haare, Sonnenbrille, gestutzter Schnauzbart und dann so einen weiß-schwarz gewürfelten Arafatschall ums Kinn und um den Hals, so wie ihn diese Typen fast alle tragen, mehr war nicht zu sehen von diesem Gangster!«
»Hab ich mir halb gedacht: der ist schließlich auch nicht blöd! Also, wie der plötzlich hinter mir hergefegt ist: alle Wetter!« Protnik durchlief ein Schauder. »Mir ist jetzt noch ganz schwummerig! Aber der muss uns abgepasst haben, hat irgendwo da oben auf uns gewartet. Das war alles eiskalt kalkuliert!«
Auch Horst spürte, wie sich in der Erinnerung an das gerade eben Durchlebte seine Nackenhaare aufstellten. »Das glaube ich auch! Also ehrlich Protnik: Zweimal innerhalb von drei Tagen fast über den Jordan zu gehen, das haut den stärksten Bären um. Und dann noch …«
Eine energische Handbewegung von Protnik unterbrach seine Rede. »Du guck mal, da vorn auf dem Parkplatz! Ist das nicht unser Auto?«
Angestrengt kniff Horst die Augen zusammen und blickte in die Richtung, in die Protniks Arm deutete. Dann schlug er sich auf die Schenkel. »Bingo, Sputnik! Du hast recht! Na warte, Freund, wenn ich dich zwischen die Finger kriege!«
Mit quietschenden Reifen hielten sie Sekunden später neben dem lädierten weißen Lieferwagen, unter dessen Motorhaube sich eine Pfütze aus auslaufendem Kühlwasser gebildet hatte. Mit einem Blick konnte man erkennen, dass der Fahrer verschwunden war. Weit und breit war keine Spur von ihm zu entdecken, nicht einmal auf den angrenzenden Äckern. »Mist, verfluchter«, hieb Protnik wütend mit der Faust auf sein Lenkrad. »Der hat entweder einen Komplizen gehabt, der hier auf ihn gewartet hat, oder aber er hat für den Fall des Falles hier ein zweites Auto abgestellt! So ein durchtriebenes Aas aber auch!«
Leise schüttelte Horst den Kopf. »Das darf doch einfach alles nicht wahr sein! Das ist ja wie ein Albtraum! Also wenn noch einmal irgendjemand mir gegenüber behauptet, der Thomas hätte sich selbst umgebracht, dem gehe ich eigenhändig an die Gurgel! Der muss in einem ganz gewaltigen Sumpf fündig geworden sein! Und jetzt haben sie uns auf der Liste, weil sie glauben, wir hätten etwas mitgekriegt! Schön wär’s ja!« Hilflos musterte er seinen Kollegen. »Und jetzt? Was sollen wir denn jetzt tun?«
Auch Protnik schien mit seinem Latein ziemlich am Ende zu sein. »Jetzt? Jetzt rufst du mit deinem Handy erst mal die Kollegen an und meldest ihnen den Unfall an der Steige! Du liebe Güte, das wird einen schönen Anschiss geben, wenn die Bosse davon erfahren! Und dann auch noch Unfallflucht!« Skeptisch zog er die Mundwinkel nach unten und schnalzte mit der Zunge. »Das geht nicht ohne Disziplinarverfahren ab, da verwette ich den Hühnerstall meiner Oma! Tja, Herr Kollege, ab nach Sibirien! Also komm – lass uns zum LKW zurückfahren!«
Energisch richtete sich Horst, der gerade noch zusammengesunken im Beifahrersitz vor sich hingebrütet hatte, auf. »Nichts da! Von wegen! Okay, ich ruf an und melde das mit dem Unfall – aber aufnehmen können die ihn alleine.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. »Wir müssen weiter! Denk an den Termin mit Winter! Nicht dass der glaubt, wir würden unsere Abmachung nicht einhalten …!«
»Aber …«, warf Protnik protestierend dazwischen. »Wir können uns doch nicht so einfach aus dem Staub machen. Wir sind doch Zeugen und …«
»Ist mir jetzt auch egal«, unterbrach Horst die Einwände seines Kollegen. »Der LKW-Fahrer hat sich ja unsere Nummer notiert und ich sag den Kollegen am Telefon gleich auch noch ein paar Sätze dazu. Ich muss jetzt unbedingt mit Winter sprechen!« Er donnerte seine Faust gegen die Verkleidung der Beifahrertür. »Ich muss langsam wissen, was hier für ein Spiel gespielt wird. Und irgendwie glaube ich, dass Winter der Einzige ist, der uns mehr dazu sagen kann!«
Einerseits hatte Horst Meyer damit recht, andererseits wartete aber bereits die nächste unangenehme Überraschung auf die beiden Kommissare.