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Schon von Weitem konnten sie erkennen, dass etwas nicht stimmte. An dem normalerweise an einem Freitag um diese Uhrzeit völlig menschenleeren Aussichtsturm, wo sie sich zu ihrem Treffen mit dem Journalisten Alex Winter verabredet hatten, war die Hölle los. Der Weg zum Turm war regelrecht gepflastert mit Fahrzeugen, von deren Dächern unaufhörlich blaue Blinklichter zuckten. Ein Notarztwagen, ein Rettungswagen, zwei Polizeifahrzeuge und zwei zivile Einsatzwagen, einer davon mit FR-Kennzeichen, mehrere Männer mit Notizblöcken, die von einem aufgeregt gestikulierenden älteren Mann mit Cordhut, Latzhose und derben Schaftstiefeln in Beschlag genommen wurden, ein gelbes Absperrband aus Plastik, das zwei uniformierte Polizeibeamte gerade ausrollten.

»Du meine Güte, bitte lass es nicht wahr sein!« Horst sah verzweifelt zu seinem Kollegen hinüber, der ihren Wagen gerade hinter dem letzten Polizeifahrzeug auf der Wiese abstellte.

Auch Protnik war blass geworden. Ernst blickte er zu Horst Meyer. »Wenn das stimmt, was ich vermute, dann gute Nacht!«

Sie öffneten die Türen, was Protnik bedingt durch den Zusammenprall von vorhin nur mühsam gelang, und stiegen aus. Keine zehn Schritte waren sie auf den Turm zugelaufen, als eine energische Stimme sie zum Anhalten zwang.

»Halt, hier geht’s nicht weiter! Hier werden polizeiliche Ermittlungen angestellt. Bitte kehren Sie um!« Der Mann kam hinter einem der Zivilfahrzeuge hervor und musterte sie streng. Dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Nein, so was! Sie sind mir doch gleich irgendwie bekannt vorgekommen! Was machen Sie denn da?« Kopfschüttelnd blieb der Kriminalkommissar aus Konstanz, der Horst gestern Mittag im Überlinger Krankenhaus vernommen hatte, vor den beiden stehen. »Ich denke, es war klar, dass Sie sich aus den Ermittlungen heraushalten!« Er machte eine leichte Kopfbewegung zur Seite. »Herr Schlotterbeck, kommen Sie bitte mal! Wir haben Besuch bekommen, interessanten Besuch«, fügte er böse lächelnd noch hinzu.

In diesem Augenblick tauchte der Kommissar vom Landeskriminalamt auch schon zwischen den Einsatzfahrzeugen auf. Verblüffung spiegelte sich in seiner Miene, als er erkannte, wen er da vor sich hatte. »Was um alles in der Welt machen Sie denn da?«

»Das würde ich genauso gerne von Ihnen wissen«, murmelte Horst, der sich für die Strategie der Vorwärtsverteidigung entschieden hatte, leise. Eine kalte Faust schien ihn im Nacken gepackt zu haben und bohrte sich unaufhaltsam in sein Rückenmark. Was war da bloß geschehen? Er wagte gar nicht erst, daran zu denken!

»Moment einmal, die Herren, ja?«, zischte der LKA– Beamte. »Ich finde es allmählich gar nicht mehr so witzig, dass Sie hier am See anscheinend überall dort auftauchen, wo grade ein Toter gefunden wird! So langsam reicht es mir!«

Beim Stichwort »Toter« wurde Horst kreidebleich. Er hatte es ja geahnt! Fast wären ihm die Beine weggesackt. Allmählich war das alles wirklich zu viel für ihn! Protnik, dem Horsts Schwächeanfall nicht verborgen geblieben war, packte ihn fest am Oberarm: »Aber sagen können Sie uns schon, was passiert ist, oder? Schließlich waren wir hier mit jemandem verabredet!«

»Soso, hier verabredet, ausgerechnet hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen! Weil es am ganzen Bodensee ja keinen Flecken gibt, an dem man sich unterhalten kann. Und dann auch noch ausgerechnet heute!« Hofer von der Konstanzer Kripo tropfte das Gift förmlich aus den Mundwinkeln. Forschend fixierte er Protnik mit zorniger Miene: »Und mit wem bitte haben Sie sich hier verabredet?«

Protnik wand sich wie der Fuchs in der Falle. »Na ja, mit einem Bekannten eben. Wir wollten uns von da oben die Gegend anschauen«, er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Aussichtsturm hinauf. »Er kennt sich nämlich ganz gut hier aus, wissen Sie«, fügte er rasch noch hinzu, in der Hoffnung, arglos genug gewirkt zu haben. Aber insgeheim war ihm natürlich längst klar geworden, dass sie ihn durchschaut hatten.

»Kommen Sie, lassen Sie die Spielchen«, entgegne-

te Hofer denn auch säuerlich. »Sagen Sie mir bitte jetzt gleich, wie der Bekannte heißt, den Sie hier treffen wollten!«

Hilfesuchend blickte Protnik seinen Kollegen an. Aber Horst zuckte nur resigniert mit den Schultern. »Wir haben hier ein Treffen mit Alex Winter ausgemacht, mit dem Redakteur vom ›Seekurier‹. Der wollte uns von da oben mal die Gegend zeigen!«

Hofer schüttelte energisch den Kopf. »Der wird Ihnen gar nichts mehr zeigen! Der ist nämlich mittlerweile am Hanf erstickt!«

Verständnislos stierten sich die beiden an. »Was soll das denn heißen?«, stieß Protnik schließlich hervor.

Schlotterbeck übernahm die Erklärung: »Dass der Journalist Alex Winter da oben noch vor fünf Minuten an einem Seil gebaumelt ist! Und der Mann da drüben«, damit deutete er auf den immer noch gestikulierenden Mann mit dem Cordhut, der ihnen vorhin schon aufgefallen war, »der hat ihn zufällig entdeckt und die Polizei alarmiert!«

Also doch! Nur ein weiterer rasch zupackender Griff von Protnik bewahrte Horst davor, auf den Boden zu sinken. Das war zu viel! Das war einfach zu viel für ihn! Noch ein Toter! Nein, das hielten seine Nerven allmählich nicht mehr aus. »Protnik, komm, lass uns gehen, ich kann nicht mehr!«

Doch Protnik hielt ihn nach wie vor eisern fest. Der hatte heute Nerven wie Drahtseile! »Nur eine Frage noch, Kollege! Haben Sie schon irgendeine Erkenntnis, wer ihn umgebracht haben könnte?« Das war anscheinend genau die falsche Frage zum falschen Zeitpunkt gewesen.

»Umgebracht! Dass ich nicht lache!«, schnaubte Hofer wütend. »Sie beide schon wieder und ihre ewigen Mordtheorien. Das war, das kann ich Ihnen gerne auch schriftlich geben, Selbstmord. Ganz einfacher stinknormaler Selbstmord ohne irgendwelche Fremdeinwirkung! Und wenn Sie es nicht glauben, dann fragen Sie den Doktor. Der hat keinerlei Spuren von Gewaltanwendung bei der Leiche gefunden! Aber das passt Ihnen ja wohl nicht ins Konzept, oder?«

Doch Protnik ließ sich nicht so schnell abwimmeln: »Von äußerer Gewaltanwendung, meinen Sie. Abwarten, was die Obduktion bringen wird!«

Jetzt lief der andere knallrot an. »Da gibt es keine Obduktion! Das war Selbstmord, basta, fertig! Wir sind ja schließlich auch keine Idioten, oder! Aber wir rennen doch nicht jedem Selbstmörder so lange hinterher, bis wir irgendeine blödsinnige Mordtheorie aufstellen können. Da wird nichts mehr untersucht: Das war Selbstmord! Ende der Fahnenstange! Kapiert?« Böse glotzte er Protnik ins Gesicht.

Auch Schlotterbeck trat nun ganz nahe auf die anderen zu. »Der Arzt stellt gerade den Totenschein aus. Und auf dem steht: Selbstmord! Kapiert?«, presste er mit gefährlich leiser Stimme hervor. »Sie gehen jetzt wohl besser nach Hause!«

Protnik nickte, allem Anschein nach mittlerweile gewaltig zerknirscht. »Machen wir. Einverstanden! Aber eine winzige Frage habe ich dann zum Schluss doch noch!« Ziemlich kleinlaut stand er da und blickte die beiden anderen bittend an. Horst war gespannt, was jetzt gleich kommen würde.

Schlotterbeck verdrehte die Augen. »Also, eine Frage noch und dann aber Feierabend!«

Protnik nickte zum zweiten Mal. »Danke! Was ich nicht verstehe, ist Folgendes: Wir stehen hier auf dem Gebiet des Bodenseekreises, das ist doch gar nicht Ihr Gebiet. Dafür ist doch Friedrichshafen zuständig, oder?« Damit deutete er auf die Kennzeichen der Einsatzfahrzeuge mit den Abkürzungen der zuständigen Landespolizeidirektion Tübingen. »Wie also kommen Sie hierher?« Forschend blickte er von einem zum anderen.

Nun war es an Schlotterbeck zu explodieren. »Weil ich vom LKA bin. Und das Landeskriminalamt betreut das ganze Land!« Er schrie so laut, dass die anderen sich erstaunt umdrehten und sogar der Mann mit dem Cordhut aufhörte, mit den Armen in der Gegend herumzufuchteln. »Und weil ich mitbekommen habe, dass da ein Journalist tot am Seil hängt! Per Polizeifunk übrigens! So was soll’s geben! Und weil mein Kollege weiß, dass der da ab und zu mit dem toten Taucher gemauschelt hat! Und weil wir wissen wollten, ob da was dran ist und …«

Weiter kam er nicht. Hofer hatte ihm energisch die Hand auf die Schulter gelegt und damit den Redefluss gestoppt. Ihm waren die Erklärungen schon viel zu weit gegangen! »Basta! Schluss jetzt! Also: Sie machen jetzt, dass Sie Land gewinnen! Ansonsten halten Sie sich per Handy zu unserer Verfügung. Sie wissen ja …«, setzte er zynisch lächelnd hinzu. Dann drehte er sich um, gefolgt von Schlot­ter­beck, der nach seinem Wutausbruch von gerade eben immer noch heftig schnaufte.

Protnik stützte Horst weiter am Oberarm. »Und wenn das Selbstmord war, dann fresse ich einen Besen samt Hexe! Diese Zudecker, diese verdammten Vertuscher und Nicht-Aufklärer!«, murmelte er bitter.

»Ich möchte nur wissen, ob das Absicht oder Faulheit ist«, setzte Horst nachdenklich hinzu.

Protnik sah ihn an – ein beinahe flehender Ausdruck trat in seine Augen. »Bitte, lass es Faulheit sein! Nicht auszudenken, wenn es anders wäre – dann gute Nacht, Marie!«

Wie ein Blitzschlag durchzuckte Horst in diesem Moment ein Gedanke. »Claudia! Verdammt, wir haben Claudia vergessen!« Verflixt und zugenäht – wenn sie sich wenigstens endlich ein Handy zugelegt hätte. Verzweifelt sah er auf seine Uhr: 14.30 Uhr. Jetzt sollte er eigentlich Claudia vom Überlinger Bahnhof abholen. Oje – auch das noch! »Komm, Protnik, wir müssen schnellstens zum Bahnhof«, rief er seinem verdutzten Kollegen zu. »Komm schon, gib Vollgas!«

Es gab Tage, an denen sollte man lieber im Bett bleiben – und der Tag war schließlich noch lange nicht zu Ende!

Tatort Bodensee

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