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HASIR ZAMAN PARIS

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IN JENER ERSTEN NACHT hatte Inès sich noch vor Sonnenauf-gang aus der Wohnung geschlichen. Als du aufwachtest, war sie bereits verschwunden, und mit ihr der Ring deines Vaters. Du zähltest dein Geld, aber es fehlte nichts, und du schämtest dich, es gezählt zu haben.

Am selben Abend gingst du wieder ins Chez Farida. Sie trug eines deiner weißen Hemden, mit den Perlmuttknöpfen, aus ägyptischem Baumwoll-Twill, die Ärmel aufgeschlagen. Was für einen Unterschied dieses Hemd machte. Sie war distanziert, professionell.

»Ich musste etwas anziehen. Ich gebe es dir zurück«, flüsterte sie, sobald Ziad außer Hörweite war. »Kannst du auf mich warten, draußen?«

An diesem Abend regnete es nicht. An der Ampel zog sie wieder den roten Gummi aus der Mähne. Ihr schwiegt. Im Aufzug überlegtest du dir, ihn anzuhalten, du konntest dich kaum zurückhalten, aber behieltst schließlich deine Phantasien für dich, bis ihr in der Wohnung wart. Dort ließt du dich von ihren Bewegungen, ihrem Atem, ihrem Blick und ihrer warmen Haut überwältigen.

Am Morgen ist sie immer verschwunden, wie ein Spuk. Den Ring hast du nie wiedergesehen, nur ihren Geruch, den lässt sie da; er schwebt über dem aufgeschlagenen Fotoalbum. Sie ist besessen von diesen Bildern. Du bist besessen von ihr. Monate vergehen, und du weißt noch immer nichts über sie. Nur ihren Namen, Inès.

Bis sie ein paar Tage nicht im Restaurant erscheint. Ziad ist amüsiert. »Beruhige dich, sie hat sich freigenommen. Ganze zwei Wochen wollte sie wegbleiben«, sagt er. »Wenn sie am Wochenende nicht wiederkommt, ist sie den Job los. Kannst du ihr gerne ausrichten.«

Am Samstag fängst du sie an der Metro ab. Wo sie gewesen sei?

»Zu Hause.«

Mit wem?

»Mit niemandem. Jemandem. Was soll das? Ich muss zur Arbeit.«

Du bettelst darum, dass sie mit dir nach Hause kommt.

»Jetzt sofort?«

Jetzt. Bitte.

Kaum in der Wohnung, führt sie deine Hand unter ihren Rock.

Die Tür fällt ins Schloss. Es geht schnell, zu schnell.

»Ich muss los.« Sie schließt den Rock mit einer Sicherheitsnadel.

Nein! Du greifst zu hart nach ihrer Hand.

Langsam dreht sie ihr Handgelenk aus deinem Griff, ihr Blick ist kalt.

»Ich bin nicht einmal gekommen.«

Du entschuldigst dich.

Sie blinzelt gelangweilt, als du ihr Bein entlangstreichst. Deine Hand wandert um ihren Schenkel nach innen. Sie sieht auf deine Armbanduhr.

»Drei Minuten.«

Du gehst auf die Knie und tust, was dir eine Prostituierte in Beirut beigebracht hat. Dein Vater hatte sie dafür bezahlt, dir zu zeigen, wie man eine Frau zum Höhepunkt bringt. Du warst noch jung, ein Teenager, aufgeregt. Es war ein kleiner Triumph, aber hauptsächlich hast du dich geschämt.

Inès kommt in kurzen, heiseren Wellen.

»Hasir mit dem Hhhhsssschhhh. Jetzt muss ich wirklich gehen.«

Sie solle bleiben, sich krankmelden.

»Ich brauche die Arbeit.«

Dieses alberne Trinkgeld, Almosen von gönnerhaften Gästen. Du ziehst ein Bündel Scheine aus der Tasche.

»Für wen hältst du mich?« Mit spitzen Fingern zählt sie die Scheine, lässt sie in ihrem Lederbeutel verschwinden und wirft die Geldklammer auf die Anrichte. Du hasst dich. Zum Abschied küsst sie dich auf den Mund.

»Du schmeckst komisch.« Ein belustigter Zug huscht über ihre Lippen.

Du legst dich in die Badewanne und weinst.

Spätabends wartest du vor dem Restaurant in einer dunklen Ecke und bittest sie um Verzeihung.

»Du bist mir immer noch so fremd.« Ihre perfekt gerauchten Ringe hängen in der Nacht. »Irgendetwas muss sich ändern.«

Du würdest alles tun.

Morgens weckt dich Geklapper aus der Küche. Ihre Kleider liegen noch auf dem Boden verstreut. Nackt hält sie dir eine Tasse Kaffee hin. »Ich habe keine Milch gefunden.«

Du würdest Milch hassen.

»Milch ist widerlich.« Ein schattiges Lächeln.

Ekelhaft.

»Ich habe Hunger.«

Du würdest etwas besorgen. Ob sie noch da sei, wenn du wiederkommst?

»Wo denn sonst?«

Du ziehst die Sachen vom Vorabend an. Du kannst dich nicht erinnern, wann du das zuletzt getan hast, vielleicht noch nie. Du musst dich beeilen, sie darf dir nicht wieder entwischen.

Als du zurückkehrst, blättert Inès in dem Album.

»Wer sind die Kinder im Waisenhaus?« Sie beißt in ein Croissant.

Während der sowjetischen Besatzung hätten viele von ihnen die Eltern verloren. Der junge Rothaarige, das sei dein Neffe.

»Dein Bruder ist gestorben? Wie schrecklich, das tut mir leid.«

Nein, der Junge sei der Sohn deiner Schwester. Sie lebe im Ausland.

»Onkel Hasir.« Sie strahlt dich an. »Was macht der Kleine dann im Waisenhaus?«

Eine berechtigte Frage, die du dir selbst nie wirklich gestellt hast.

Du erzählst Inès, dass deine Schwester von einem sowjetischen Soldaten vergewaltigt worden sei. Dass sie den Jungen weggegeben habe. Dass sie nach LA geflohen sei. Geflohen vor der schmerzlichen Erinnerung.

»Hat sie das so formuliert? Geflohen vor der schmerzlichen Erinnerung?«

Zugegebenermaßen deine Worte.

»Besucht sie ihn manchmal?«

Nein, sie wolle nichts von ihm wissen.

»Merkwürdig, sie hat ihn doch zur Welt gebracht.«

Sie habe sein Schicksal deinen Eltern überlassen.

»Wieder so leere Worte. Sie hat ihn sicher nicht leichtfertig zurückgelassen, das kann ich dir versprechen. Wie heißt er?«

Sameer.

»Er sieht so unschuldig aus, ganz zerbrechlich. Du musst die beiden zusammenbringen.«

Uzma hätte mit Afghanistan abgeschlossen.

»Das heißt nicht, dass sie mit ihm abgeschlossen hat.«

Sie sei eine schwierige Person, nicht gerade mütterlich.

»Du kannst sie also nicht ausstehen?«

Im Gegenteil, du würdest sie sehr vermissen und jedes Jahr nach LA reisen.

»Nimm den Jungen mit.«

Das würde nur Salz in offene Wunden streuen.

»Faule Ausreden. Lass sie das selbst entscheiden.«

Ob du ihr weniger fremd wärest, wenn du Sameer mit nach LA nähmst?

»Soll das ein Witz sein? Ich verstehe die Frage nicht.«

Inès solle mitkommen.

»Nach LA? Ich kann nicht. Ich muss mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.«

Du würdest alles bezahlen.

»Du hast nichts verstanden, Hasir mit dem Hhhhhsssschhhhhh

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