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Ankommen.

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Allein der Ort. Lenka hatte ihn anders beschrieben, aber wie eigentlich? Oder Therese hatte eine andere Vorstellung. So jedenfalls nicht. Eine Gemeinde aus wenigen Hundert Einwohnern, zusammengehalten vom ständigen Wind, der über die Hochebene jault, und den weit in die Vergangenheit zurückreichenden Erfahrungen, in steter Unregelmäßigkeit von fremden Zivilisationen heimgesucht zu werden. Kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, hatte Lenka zum ersten Mal von dem Dorf erzählt. Und Therese, die zu dem Zeitpunkt noch damit beschäftigt gewesen war, sich einen Reim auf die fremde Frau zu machen, die ihr da unvermittelt von der Suche nach technologischen Zivilisationen in der Galaxis berichtete, nahm Lenkas Erzählung von diesem Ort in Südamerika auf, wie man derlei eben aufnimmt, wenn man sich kaum kennt und eine gute Kinderstube genossen hat: höflich und interessiert. Vielleicht hätte sie gezielter nachgefragt, wenn sie gewusst hätte, dass sie am Ende mitreisen würde.

Das Dorf liegt in der sanften Talsenke einer Hochebene irgendwo zwischen Anden und Río de la Plata, umgeben von sandbraunen Hügeln, nur der zerklüftete Azarcumbre ist deutlich höher. Abends wirft er seinen Schatten über das Dorf. Die kleine Einkaufsstraße ist überdacht und genau genommen, das hatte Therese Lenka vorgelesen, während sie auf den Zug gewartet hatten, genau genommen ist es die einzige überdachte Einkaufsstraße des Landes. Ein Jubiläum hat sie dem Ort vor Jahrzehnten beschert, jetzt schützt dieses von innen verkleidete Ungetüm auf Stelzen die Touristen vor den Unannehmlichkeiten der Witterung. Wobei von denen um diese Jahreszeit nicht viele übrig geblieben sind.

Die überdachte Einkaufsstraße beginnt wenige Schritte hinter dem Busbahnhof. Neben der schweigenden Lenka kreuzte Therese am ersten Tag ihres Aufenthalts durch den Ort. Heruntergekommene Ladenlokale, Cafés. Gehwege, nur durch ein paar Zentimeter vom Straßenniveau getrennt. Alles aus festgetretener Erde, über die der Staub weht. Sie versuchte es mehrmals, sagte: Schau mal da, hast du das gesehen, weißt du, was echt witzig ist? Erzählte von ihrer Anreise. Der Bingopartie im Reisebus, einer Landschaft voller Rinder im Sonnenuntergang. Wenn dann immer noch nichts kommt, hält man irgendwann den Mund, kein Problem. Aber wundern darf man sich schon. Dabei erkannte sie vieles von ihren paar gemeinsamen Tagen in Russland wieder. Das Schweigen. Dieses mickrige Essverhalten. Die krummen Zigaretten. War doch klar, dass das nicht plötzlich weg ist. Menschen ändern sich nicht.

Im Hinterland des Dorflebens stehen niedrige helle Häuser mit gepflegten Vorgärten und zwischen den niedrigen Häusern ebenso niedrige Bäume. An den Strommasten hoch über den Gartenzäunen knäulen sich die Leitungen. An beinah jeder Straßenecke weist ein Schild den Weg zum Busbahnhof. Als wollten hier alle schnellstmöglich weg. Dazwischen: Katzen, viele Hunde. Die einen rund um die Blumenkästen auf der Promenade, auf den Motorhauben und Fensterbänken dösend. Die anderen zwischen den Plastikstühlen und in Gruppen vor der Bankfiliale oder auf dem Vorplatz des Busbahnhofs. Alle haben ihren Platz. Hier im Dorf werden die Katzen nicht ertränkt, nicht mit noch blinden Augen an die Stallwand geschleudert. Wer hier im Fluss spielt, dem treibt es keine winzigen gefleckten Körper mit aufgeblähten Bäuchen zwischen die nackten Beine. Dem klebt keine hauchdünne Nabelschnur an Schienbein oder Wade, wie damals im Österreichurlaub. So ist die Welt, hatte Thereses Mutter von der Restaurantterrasse aus zu ihrer im Bach stehenden Tochter gesagt, während Therese den kleinen Körper auf und nieder wippen sah im flachen Wasser, auf seinem Weg stromabwärts an die Wackersteine trudelnd.

Aber hier im Dorf haben sie alle ihren Platz. Den Hunden begegnet man meist in mehr oder weniger großen Horden. In der Mittagszeit wird es ihnen offenbar zu warm, dann verziehen sie sich in den Schatten hinter den Zäunen. Einer öffnet mit einem gezielten Sprung auf die Türklinke eine Gartenpforte. An dieser Stelle sagte Lenka nun doch etwas. In ihrer Kindheit in Moskau seien die Straßenhunde mit der U-Bahn von den Außenbezirken in die Innenstadt gefahren. Morgens hin, dort den Tag verbracht, bisschen durch die Straßen streunen oder was man halt so tut, und dann abends wieder zurück. Selbst Feiertage haben sie beachtet, sagte sie.

Ja klar.

Ich schwöre dir, genau so war es. Sie lächelte. Und abends hatten sie erschöpfte Blicke wie alle Pendler.

Auch als Therese und Lenka von der Brücke zurück ins Dorf kommen und sich auf den Stufen vor dem Gemeindesaal niederlassen, werden sie gleich von einem hechelnden Rudel umringt. Manche werden von den Dorfbewohnern im Vorbeigehen begrüßt. Hola Chaco, und Chaco wedelt beiläufig. Therese nutzt das freie WLAN des Gemeindesaals und schickt den blassen Azarcumbre, dann ein Bild der Pfefferbäume in den Familienchat. Fast augenblicklich kommt ein Schneemannhäufchen von der elterlichen Terrasse als Antwort. Wie nett, dass du dich auch mal wieder meldest.

Chaco legt sein Kinn auf die unterste Stufe und lässt sich von Therese die Stirn kraulen. Hinter den rastenden Hundekörpern erstreckt sich ein asphaltiertes Niemandsland mit Abfalleimern, dahinter beginnt die Promenade. In den Geschäften bleichen die Auslagen aus, einäugige Teddybären, Ufo-Mützen, der blasse Alien-Aufdruck auf der Limonade ist kaum noch zu erkennen. Eingestaubte Lampions schwingen sacht im Latinopop der Pizzeria am Eingang der Einkaufsstraße. Schummerlicht. Ein Kellner versucht, die wenigen verbliebenen Touristen mit einer riesigen Speisekarte in die Plastiksitzgruppe unter dem Strohdach zu drängen, ein paar Mal hat er Glück. Vor den Lokalen stehen Ladenbesitzer und unterhalten sich. Einer rückt einen Plakataufsteller zurecht, der Nachtwanderungen zum Azarcumbre bewirbt. Er schaut dabei in ihre Richtung. Eine Weile sitzen sie, ohne etwas zu sagen, dann schreckt Chaco zu ihren Füßen hoch. Er stellt die Ohren auf. Aber es ist nur Nieselregen. Chaco drückt den Rücken durch. Eben war es doch noch hell. Er trottet Richtung Promenadenüberdachung und hinterlässt auf dem feuchten Asphalt einen hellen Fleck.

Therese dreht sich noch einmal um zum Azarcumbre. Ein Schatten hängt über dem Berg, die verbrannte Flanke erscheint noch dunkler. Therese hat immer noch Hunger. Dieses Dorf, sagt sie. Ich weiß ja nicht.

Lenka steht auf und streckt sich. Ich weiß es auch nicht. Aber von allen Orten erscheint mir der hier am wahrscheinlichsten.

Seltene Erde

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