Читать книгу Die sieben Masken des Teufels - Eva Siebenherz - Страница 13

KINOKOPF

Оглавление

Ich sah in dem Zimmer mit immer wechselnden Personen, Kreaturen halb Mensch, halb Tier. Sie sprachen mit mir, sie bedrohten und misshandelten mich. Ich sah laufende Bilder an der Wand, hörte Stimmen, Stimmen, die ich kannte, und unbekannte. Ich sah meine Familie. Und ich sah mich. Das heißt, ich glaubte, dass ich das sei. Ob ich es tatsächlich war, konnte ich weder damals einschätzen noch heute. So nach und nach wurden diese Situationen weniger und hörten schließlich ganz auf. Hin und wieder glaubte ich durch das Fenster in der Tür Hr. Schmidt und auch Markus zu sehen. Doch auch Benjamin und Fabian. Ich war völlig konfus, meist apathisch, dann wieder panisch. Und das abwechselnd. In mir machte sich Wahnsinn breit. Wenn ich die Augen schloss, sah ich einen Dämon mit meinen eigenen Gesichtszügen. Doch das Geschehen änderte sich, die Bilder verschwanden. Eines Tages holte mich eine leise, gleichmäßige, völlig monotone Stimme aus dem ohnehin schon unruhigen Schlaf. Diese Stimme las etwas vor.

Diese Monotonie ließ mich immer wieder einschlafen. In diesem Moment explodierte der Raum mit hochgedrehten, schrillen Geräuschen.

Wie das Quietschen von Autoreifen auf dem Asphalt.

Sofort war ich hellwach und die Stimme verfiel wieder in gleichmäßige Monotonie. Es war immer wieder derselbe Text. Immer wieder derselbe Ablauf. Monotoner Text – Halbschlaf – schrill und quietschend – Monotonie. Über viele Tage, irgendwann konnte ich den Inhalt singen. Ich glaube, dass das genauso geplant war. Ich hatte Zahnschmerzen und musste zum medizinischen Dienst.

Mich holte ein Strafgefangener ab, der dort arbeitete. Der stellte sich vor mich hin und tastete mich ab. Dabei steckte er mir einen Zettel in den BH. Er sah mir in die Augen und ich verstand. Wieder in der Zelle, ging ich in eine Ecke, die für die Wachteln (abwertender Ausdruck für das weibliche Wachpersonal)? (Wachmannschaft?) ein toter Winkel war, also nicht einsehbar, und las. Mein benebeltes Hirn war kaum fähig den Inhalt der Zeilen zu erfassen. Ich musste es mehrmals lesen, ehe ich wirklich begriff. Auf dem Zettel stand, dass ich verschiedene Medikamente gleichzeitig erhalten habe, um das »bestmögliche« Ergebnis zu erzielen. Zunächst eine hohe Dosis Papatral (Hypnotikum) und Radedorm (Schlafmittel) und eine Stunde später das hoch stimulierende Medikament Aponeuron.

Zwischendurch auch immer wieder Leponex als Verstärker des ganzen Medikamenten-Szenariums. All das waren bewusstseinsverändernde Medikamente, die einen orientierungslos machten, Halluzinationen, Depressionen und Psychosen auslösten.

Dieser Medikamenten- Cocktail plus gezielte Fragen, Bilder und Filme hatten bei mir Halluzinationen ausgelöst und wahrscheinlich auch erlebte Situationen wieder ins Gedächtnis gerufen, allerdings vollkommen verzerrt und weitab vom tatsächlichen Verlauf. Und das Ganze einhergehend mit einer galoppierenden Amnesie; zumindest teilweise und mit immer wiederkehrenden Halluzinationen. Wenn ich zwischendurch in der Lage war, stellte sich mir immer wieder nur eine einzige Frage:

Warum? Eine Antwort fand ich nicht. Diese Flashbacks wurden ausgelöst und regelrecht provoziert.

Immer wieder wurde ich geholt, um irgendwelche Dokumente zu lesen, den Inhalt zu bestätigen und zu unterschreiben.

Ich bekam ein Dokument in die Hand gedrückt, in dem ganz detailliert beschrieben war, wie ich in Untersuchungshaft gekommen bin.

Angeblich war ich ein so genannter »Selbststeller«. Heißt, man bekommt den Termin, zu dem man sich selbst im Gefängnis zu melden hat. Und angeblich habe ich das auch getan. Ich las das und überlegte gleichzeitig angestrengt. Hier stand auch, dass es eine Gerichtsverhandlung gegeben hatte. Ich tat so, als würde ich weiterlesen, stellte mir jedoch im Augenblick selbst ganz andere Fragen. Warum soll ich das lesen, bestätigen und unterschreiben? Was steckt dahinter? Warum soll ich glauben, was dort steht?

Ich sah Hr. Schmidt starr in die Augen, er erwiderte diesen Blick.

Seine Augen waren so kalt, dass ich meinte, sofort erfrieren zu müssen. In diesem Augenblick geschah etwas höchst Seltsames. Der Raum verwandelte sich langsam, aber stetig in eine Landschaft, getaucht in unnatürliches hellblaues Licht. Eine weite, hügelige Landschaft mit einem babyblauen Himmel, aus dem lautlos viele dicke hellblaue Flocken fielen. Alles sah aus, als hätte man eine dicke hellblaue Decke ausgebreitet. Alles um mich herum wirkte seltsam surreal-psychotisch und es wurde immer kälter und die Landschaft immer entrückter. Ich fühlte eine seltsame Erregung in mir hochsteigen. Da war jemand! Ich war nicht allein!

Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen können. Ich sah, wie sich zwei Bäume durch die Decke streckten, Äste wuchsen links und rechts aus ihnen heraus und ihre Enden wurden zu Krallen. Diese Krallen hielten eine kleine Gestalt fest umklammert, gehüllt in einen gelben Schlafanzug mit einem Clown darauf. Ich zog pfeifend den Atem ein. In diesem Moment hob die kleine Gestalt den Kopf und sagte mit einer hohen, dünnen, unglaublich zarten Stimme:

»Mama, ich habe dich lieb«. In mir löste sich ein Schrei und ich wollte zu Fabian laufen, war aber unfähig, mich von der Stelle zu bewegen. Heiße Verzweiflungstränen liefen mir übers Gesicht.

Ich kämpfte einen stummen Kampf, denn kein Ton entrang sich meiner Kehle. Grelles Licht nahm mir plötzlich jede Sicht. Schläge holten mich in die Wirklichkeit zurück.

Ich begann innerlich Goethes Zauberlehrling zu rezitieren. Nicht denken. Nicht fühlen. Alles was überflüssig war in meinem Kopf blendete ich aus. Vakuum. Mit dickflüssiger Stille gefüllter Raum. Schemenhaft nahm ich Schmidt wahr. Statt der Kälte wurde es plötzlich drückend heiß und die Luft schmeckte abgestanden. »Antworten Sie!« Diese Stimme zerriss plötzlich die Stille. Ich weiß nicht, wie ich tatsächlich im Gefängnis angekommen bin.

Auch an eine Gerichtsverhandlung kann ich mich bis heute nicht erinnern. Mir wurde von Hr. Schmidt mitgeteilt, dass ich wegen Vernachlässigung der Erziehungs- und Aufsichtspflicht und wegen schwerster Kindesmisshandlung an meinen beiden Söhnen Benjamin und Fabian zu 22 Monaten Freiheitsentzug verurteilt worden sei. Wie bitte? Man hatte mich doch wegen angeblicher Prostitution verhaftet. Mir stellte sich die nächste Frage: Was würde mit mir passieren, wenn ich nachfragte?

Oder stimmte das, was die dort notiert hatten, und ich wusste es bloß nicht mehr? Meine Zweifel sah man mir wohl an, denn ich wurde gefragt, ob etwas an dem Inhalt nicht stimme.

»Ich weiß es nicht« war meine Antwort und das war die Wahrheit.

Doch es passierte nichts. Noch nicht. Ich sah das Glas vor mir stehen. Ich hatte abgelehnt es zu trinken. Es war leer. Aber ... Kein »Aber«, es war so. Punkt. Und ich unterschrieb das Dokument.

Diese Verhöre und die Spielchen dieses Hr. Schmidt, verbunden mit Schlafentzug, Einzelhaft und Misshandlungen, waren zerstörerisch angelegt. Sie zerstörten dein Selbstvertrauen, dein eigenes Ich.

Angst und Verwirrung hatten bei mir schon lange eingesetzt.

Ich war nicht nur offiziell eingesperrt, und in meiner eigenen Haut gefangen,.

Nein, ich war auch unfähig an diesem Zustand etwas ändern zu können. Erniedrigungen waren an der Tagesordnung. Schmidt änderte seine Vorgehensweise manchmal minütlich. Von einer subtilen Befragungsmethode zur nonchalanten Plauderei, übergehend zu brutalen Misshandlungen, die er aber nicht selbst ausführte. Er befahl sie. Irgendwann bezeichnete er mich als nymphomanisches Wesen, das in LB und KMST die Funktion einer »Stadtmatratze« für die männlichen Bewohner innegehabt hätte. Und dass das der Grund sei, warum sich meine gesamte Familie von mir zurückgezogen hatte. Diese Information überraschte mich nicht, für meine Familie war ich sowieso das Letzte, damit wäre diese Info nur eine Bestätigung für sie. Nun ja.

Die sieben Masken des Teufels

Подняться наверх