Читать книгу Die sieben Masken des Teufels - Eva Siebenherz - Страница 14
EXPRESS IN DIE HÖLLE
ОглавлениеIch hatte tatsächlich keine Ahnung, was in diesen vergangenen vier Monaten passiert ist. Ich wußte nicht, wo ich war. Wie lange ich an einem Ort war und wann ich zum nächsten gebracht wurde. Es kann auch sein, dass das alles nur so aussehen sollte und ich immer am selben Ort war. Als ich in der
Untersuchungshaftanstalt Karlsberg in KMST ankam, war es September. Sicher, ich habe vorher schon einmal geschrieben, dass ich dort war. Es kann sein, dass ich zwischendurch irgendwo anders war. Es kann auch sein, dass ich die ganze Zeit dort in irgendeinem Keller war. Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nur direkt an diesen einen Tag und deshalb verbinde ich ihn mit meiner »Ankunft« (egal die wievielte das vielleicht war) in diesem Gefängnis.
Ich wurde durch mehrere Türen und Gitter geschleust. Tür aufschließen, hindurchtreten, zuschließen. Gitter aufschließen, hindurchtreten, zuschließen.
Je mehr wir in die Tiefe des Gefängnisses eintauchten, umso mehr steigerte sich meine Angst und die Ahnung, dass ich gerade den Vorhof zur Hölle betrat. Irgendwann stand ich in einem grauen kahlen Raum mit einer Art Theke.
Daran schloss sich eine Tür an. Aus dieser trat jetzt eine Aufseherin (Wachtel) und befahl mir, mich auszuziehen.
Der Blick und der Ton ließen keinen Widerspruch zu. Als ich in BH und Slip vor ihr stand, ging sie in einem Bogen um mich herum und schlug mir völlig unerwartet mit dem Gummiknüppel brutal auf den Hintern.
»Runter mit den Klamotten, aber dalli!« Völlig nackt musste ich den nächsten Raum betreten. In dessen Mitte war ein Spiegel in den Boden eingelassen und an allen vier Ecken befanden sich große Strahler, die jetzt angeschaltet wurden. Geblendet hob ich den Arm vor meine Augen. In dem Augenblick stieß mich jemand nach vorn, bis ich auf dem Spiegel stand. Eine zweite Wachtel trat vor mich hin und schlug mir mit dem Gummiknüppel zwischen die Beine, bis ich breitbeinig auf dem Spiegel stand.
Ohne Vorwarnung zerrte die Wachtel meinen Oberkörper durch einen Griff in meine Haare nach unten in eine waagerechte Position. Ich bekam Panik und versuchte mich zu wehren. Im selben Moment stieß mir jemand von hinten mit voller Wucht mehrere Finger in die Scheide und »wühlte« darin herum. Ich jaulte auf. Gleich darauf wiederholte sich das Ganze im Analbereich, um ein Vielfaches brutaler. Ich schrie, da traf mich der Gummiknüppel im Genick. Warum taten die das?
Man hätte ja versuchen können, in bestimmten Körperteilen verbotene Gegenstände einzuschmuggeln.
Auch, aber diese Aktion war nur der Anfang einer Kette von weiteren Demütigungen, die nur ein einziges Ziel hatten: Deinen Willen zu brechen und zwar so lange, bis du dich als Individuum aufgibst und widerspruchslos alles akzeptierst und tust, was man dir befiehlt. Mich traf ein Tritt in den Hintern und ein zweiter und dritter, bis ich im Baderaum angekommen war. Zur Entlausung!
»Ich habe keine Läuse«, sagte ich. Das war in diesem Moment völlig irrelevant. Zwei weibliche Strafgefangene traten auf mich zu und befahlen mir die Arme zu heben. Ich spürte einen scharfen Schmerz in der Achsel.
Mir wurden die Haare entfernt, auch im Schambereich und das absolut rücksichtslos. Anschließend musste ich in eine übelriechende Wanne steigen.
Das Wasser war eiskalt. Ich zögerte, wurde von hinten gepackt, in das Becken gestoßen und untergetaucht. Meine Hände suchten nach Halt, rutschten jedoch immer wieder ab, ich ruderte wie wild mit den Armen. Die Luft wurde knapp. Da wurde ich herausgezogen. Mein ganzer Körper wurde mit Desinfektionsmitteln eingeschmiert und dann wurde ich wieder untergetaucht. Kurz bevor ich meinte zu sterben, durfte ich auftauchen und rang nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Mir wurde Kleidung zugeworfen und ich wurde in eine Zelle gebracht.
Ich war total verzweifelt, wollte einfach nicht mehr da sein und wusste gleichzeitig, dass das unmöglich war. Ich musste da durch, ob ich wollte oder nicht. Ich erhielt einen Tritt und hinter mir fiel die schwere Tür ins Schloss. Ich stand allein in einem Raum von sechs mal sechs Meter für fünfzehn Menschen! Fünf Betten mit je drei Etagen; ein Tisch, fünfzehn Hocker, ein Waschbecken und eine Toilette vervollständigten die Einrichtung. Zeit zum Nachdenken blieb mir keine, denn die Tür ging abermals auf und spuckte ein Rudel Frauen in den Raum.
Sie beäugten mich argwöhnisch und fragten nach Name und Vergehen. Rein intuitiv sagte ich nichts. Genutzt hat mir das wenig, denn die Verwahrraum-Älteste wusste durch die Wachteln schon Bescheid. »Haltet euch von der fern, die ist das Allerletzte!« sagte sie und sah mich dabei höhnisch an. »Die sitzt, weil sie ihre eigenen Kinder misshandelt hat.« Empörung machte sich breit und ich wurde von allen Seiten angespuckt. »Hast du nichts dazu zu sagen?«, fragte man mich.
Ich sah sie nur stumm an. Mitten in der Nacht wurde ich aus dem Bett gezerrt und in die Mitte des Raumes gestoßen. Die Frauen standen um mich herum und jede hatte ein Handtuch in der Hand. Plötzlich schlugen alle auf mich ein. Lange, sehr lange und die Schläge waren fürchterlich, denn sie hatten große Seifenstücke in die Handtücher eingebunden.
Damit es richtig weh tat und keine Spuren hinterließ.
Normalerweise wurde nachts alle paar Minuten das Licht eingeschaltet und jemand sah durch den Spion. Die Lichtkontrolle blieb aus. Also wussten die Wachteln Bescheid oder hatten dass selbst angeordnet. Nach einer gefühlten Ewigkeit flammte das Licht auf und die Frauen ließen von mir ab.
Ich kroch in eine Ecke und blieb liegen, es war mir nicht möglich, mein Bett in der dritten Etage zu erklimmen. In der darauffolgenden Zeit wurde mir klar, dass ich zum Sündenbock gemacht wurde und für alles und jedes als Blitzableiter herhalten musste. Jede Nacht schlief ich erst ein, wenn mein Körper nicht mehr anders konnte. Jede Nacht Angst, jede Nacht, in der nichts passierte, steigerte sich die Unruhe auf die nächste ins Unermessliche. Panik überkam mich überfallartig. Schritte erklangen. Gleichmäßige Schritte auf einem harten Boden.
Der Schall der Schritte brach sich an den Wänden, wurde überdimensional laut. Ich wurde starr und lauschte. Die Schritte bewegten sich nicht auf mich zu, aber auch nicht weg. Sie bewegten sich mit mir, ich spürte ein merkwürdiges Schaukeln. Sehen konnte ich mich auch nicht. Plötzlich war es still. Vor mir sah ich eine Tür aufgehen. Das zu einer höhnisch bösen Grimasse verzogene Gesicht meiner Mutter kam auf mich zu und wurde größer und größer.
Ich wedelte entsetzt mit den Armen. Erstaunt hielt ich inne. Mir war schwindlig und das Wedeln war sehr mühsam, ich hatte das Gefühl, mich gegen etwas ganz Großes stemmen zu müssen.
Doch erstaunt hatte mich eher das Geräusch.
Es klang, als ob man in einem Topf mit Wasser rühren würde.
Meine Mutter kam immer näher, doch kurz bevor sie mich erreichen konnte, machte es »Blubb« und sie war weg. Nein, weg war sie nicht. Sie war nur etwas kleiner, stand an einem Tisch und sah mich süffisant lächelnd an. Ihre Hände bewegten sich und ich sah die Fäden. Meine Mutter zog an den Fäden einer Marionette und diese Marionette war ich. Und wieder kam sie auf mich zu:
»Und du kannst daran überhaupt nichts ändern«, und lachte und lachte. Ein böses, dunkles Lachen, das lauter und lauter wurde. Es gab einen Ruck und die Tür schwang herum und fiel mit einem ohrenbetäubenden Knall ins Schloss. Ein unkontrolliertes Schaukeln setzte ein und die lauten, hallenden Schritte ertönten wieder. Der Gang war immens lang. Hoch und grau. Eine Tür an der anderen, links und rechts.
Unzählige. Zwei Schritte, drei, vier, sechs. Ein Ruck. Das Hallen der Schritte war verstummt. Ich wurde herumgewirbelt, als würde ich im Wasser einen Salto schlagen. Ein äußerst merkwürdiges Gefühl, das ich nicht einordnen konnte.
Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen. Ich sah erstaunt auf die Tür.
Es war zwar eine genauso große und schwere Eisentür wie die anderen und doch sah sie anders aus. Auf der Tür war ein See und dieser bewegte sich jetzt und ein Boot kam auf mich zu.
Ein Mann saß darin, der mir den Rücken zukehrte und mich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, aufforderte einzusteigen. Ich tat es.
Wir ruderten stumm. Plötzlich kam ein schöner bunter Schmetterling und setzte sich auf meine Schulter. Ein Flügel streifte meine Wange. Sie brannte danach wie Feuer.
Das Ufer kam in Sicht und ich sah den Garten meiner Großeltern und ich sah mich. Es war Sommer und es war heiß. Mein Großvater hob mich hoch und tauchte mich in die Regentonne. Es war herrlich bei der Hitze. Dann nahm er mich an die Hand und wir gingen ins Haus. Meine Oma stand am Herd und backte Kuchen. Im Vorbeigehen drückte sie meinem Opa ein Glas in die Hand. Gefüllt mit einer roten Flüssigkeit, in das sie jetzt noch ein rohes Eigelb und schwarze Kügelchen mischte. »Stopp!« donnerte eine Stimme. Der Mann im Boot stand auf und drehte sich zu mir herum. Völlig entsetzt sah ich ihn an. Er richtete seine erschreckend leeren Augen auf mich.
«Das hat es nie gegeben! Das ist ein Produkt Ihrer Phantasie, das müssen Sie vergessen!«, sagte er. Ich verstand ihn kaum, er hatte fast geflüstert.
Aber messerscharfe Akzente gesetzt. Der modale Kontrast der letzten vier gleich stark betonten Wörter verfehlte seine Wirkung nicht. Sie gingen mir durch und durch. Ich ließ meinen Blick an dem Mann herunter gleiten. Er saß nicht mehr im Boot, sondern stand in einem langen grauen Flur.
Die linke Hand lag auf der Klinke einer Tür, in der rechten Hand hatte er einen durchsichtigen, mit einer Flüssigkeit gefüllten Cellophan-Beutel. Er schüttelte jetzt diesen Beutel und mir wurde schwindlig. Als ich wieder geradeaus sehen konnte, lächelte der Mann fies und hob den Beutel hoch, direkt vor mein Gesicht. Und da sah ich es. Ich sah sie. Die Gestalt im Beutel, in dieser Flüssigkeit. Ich sah mich.
»Wir haben die Macht über Sie. Ihr Denken. Ihr Handeln. Wir können alles tun und Sie können es nicht verhindern. Vergessen Sie das nie!«