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5.

Harry wurde eine Stunde nach seiner Verhaftung von seinem Assistent Norbert von der Staatsanwaltschaft ausgelöst, indem er für ihn bürgte.

»Chef, schlecht gestartet heute? Sehen sie es mal positiv: Der Tag kann nur noch besser werden.« Der Anblick seines Vorgesetzten Bennet in der Einstellzelle der Polizeistation war der Brüller.

»Ts, Ts, verwickelt in einen Entreißdiebstahl. Ich sehe schon die Schlagzeile: Staatsanwalt verdient nicht genug zum Leben und muss sich mit lukrativem Nebenverdienst den Lohn aufbessern.«

»Halten Sie den Mund, Norbert! Sonst könnte ich mich vergessen«, murrte Harry. Ihm war nicht zum Spaßen zumute.

»Nehmen sie es nicht persönlich. Das könnte schließlich jedem passieren.« Dazu machte Norbert komische Geräusche bei seinen Bemühungen, sich das Lachen zu verkneifen und einen der Situation entsprechenden, neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen.

Harrys Hand ballte sich und es fiel ihm unendlich schwer, ihm keine reinzuhauen. »Ich sage dir: Die Frau und der Dieb stecken unter einer Decke«, biss er zwischen den Zähnen hervor. »Ich habe das im Urin. Die haben mich mit dieser Handtaschennummer reingelegt.« Und er war ein williges Opfer gewesen und hatte sich zum Affen machen lassen. Das ärgerte ihn am meisten. Er rang mit seinem angeschlagenen Ego. Typisch: Steht eine halb nackte Frau herum, schon lässt er sich ablenken und denkt mit dem Schwanz!

Harry flüchtete zur Tür hinaus, er hatte es eilig wegzukommen.

»Bis ein andermal«, verabschiedete sie der Portier heiter. Und bekam zur Antwort: »Nicht in diesem Leben.«

Sie setzten sich in Norberts Auto und er lenkte es geschickt durch den Vormittagsverkehr von Winterthur. Während der Fahrt starrte Harry missgelaunt vor sich hin. Wie er den Vorfall auch drehte, das Ganze ergab keinen Sinn.

»Vielleicht wollte man von einem anderen, größeren Verbrechen ablenken?«, sprach er eine Vermutung aus.

»Da war heute nichts«, antwortete Norbert.

Inzwischen waren sie bei der Staatsanwaltschaft angekommen. Harry stürmte ins Gebäude, durchschritt die Halle und galoppierte die Treppe hinauf. »Wie auch immer: Wenn mir je einer der beiden wieder begegnet, können sie was erleben!« Mit diesen Worten betrat er sein Büro und schloss die Tür mit Schwung.

Noch selten war ihm der Anblick seiner Arbeit so willkommen gewesen. Da wusste er, woran er war. Er konnte sich darin vertiefen und die peinliche Geschichte möglichst schnell vergessen.

Zwei Stunden später, fest in die Arbeit vergraben, war sein Gleichgewicht wiederhergestellt. Hier galt es, höchst komplexe Fälle zu lösen. Da war kein Platz für zänkische Nixen, die einem hyperventilierend in die Arme sanken. Deren verführerische Körper man gerne auffing und sich dafür mit einem Lächeln zum Deppen machen ließ.

Seine Hände erinnerten sich daran, wie sich ihre samtene Haut angefühlt hatte. Und diese weichen, vollen Lippen. Wie wäre es wohl, sie zu küssen?

Harry ließ die Akte sinken und betrachtete seine Finger, mit denen er sie berührt hatte, als wären sie verzaubert. Blödsinn! Er war zum Arbeiten hier. Mit eiserner Disziplin schob er das Bild der Frau zur Seite. Träumen konnte er nach Feierabend. Jetzt war keine Zeit dafür.

Doch er kämpfte auf verlorenem Posten, die hypernde Xanthippe ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Die Art wie sie in seinen Armen gelegen hatte, tauchte wieder und wieder vor seinem geistigen Auge auf, als würde jemand auf die Replay-Taste drücken. Es war wie verhext.

So ging gar nichts mehr. Seufzend erhob er sich, holte sich einen Espresso und vertrat sich die Beine. In der Toilette war ihm für einmal das grelle Neonlicht willkommen und er warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Er sah aus wie immer, etwas farblos die Haut, ansonsten konnte er nichts in seinem Gesicht entdecken, das auf seine einseitigen Gedankengänge hindeuten würde.

Was war bloß mit ihm los?

Er ging in sein Büro zurück und vertiefte sich mit neuem Elan in seiner Arbeit. Unter anderem galt es, den Einbruch bei Juwelier van Hohenstett zu klären.

»Schwein! Harry, Schwein!«

Beim Klang der donnernden Stimme fuhr Harry ertappt hoch, mit knallrotem Gesicht. »Was?«, krächzte er.

»Schwein! Sage ich, hatten die Einbrecher. Wir waren so nah dran, dann hätten wir sie geschnappt!« Kommissar Walo Kranz stand in der Tür und zeigte mit dem Daumen und dem Zeigefinger eine Differenz von einem Millimeter.

»Ach, du bist es«, atmete Harry auf.

Die Lippen des Kommissars bewegten sich eifrig mit der unvermeidlichen Zigarette im Mundwinkel hängend, was den Eindruck vermittelte, er würde sie kauen statt rauchen. Fehlte nur noch, dass er sabbert, dachte Harry.

Mit rundum glattrasiertem Kopf zeigte er das gerötete Gesicht eines Kettenrauchers. In seinem fein geschnittenen Anzug, mit modischer Krawatte hätte man ihn leicht für einen Geschäftsmann halten können. Wäre da nicht seine laute, polternde Art gewesen, die nicht zu überhören war und niemals in die raunende Welt der Büromanager, in den Glaspalästen gepasst hätte. Im Gegenteil, die Leute um ihn herum bewegten sich in seiner Gegenwart auf Zehenspitzen, um ihn nicht unnötig zu reizen. Denn er hatte das Gemüt eines Schnellkochtopfs, dessen Überdruckventil kurz vor der Explosion stand.

Harry wurde gerade Zeuge eines solchen Ausbruchs.

»Beinahe hätten wir die Bande erwischt. Sie mussten alles liegen lassen und rennen!« Walos Stimme überschlug sich kurz vor Schadenfreude. Ungerührt verbreitete er mit seiner Zigarette beißenden Rauch im Büro.

»Ich wünsch dir auch einen guten Morgen Walo«, grüßte er ihn amüsiert.

Unbeeindruckt von Harrys verhaltenen Begeisterung fuhr er fort: »Die Schweine machten einen Fehlalarm. Ach, was sag ich da. Weißt du, der Einbruch beim Juwelier van Hohenstett. Ganz ausgekochte Typen waren das. Aber das nächste Mal fallen wir nicht darauf rein. Dann warten wir um die Ecke, bis sie mitten in der Falle sitzen und dann:« Er schlug mit der Faust in seine andere Hand, dass es knallte. »Zack – Zugriff! Wer zuletzt lacht, sag ich immer, lacht am besten!«

Wie ein Schnellzug in voller Fahrt war Kranz kaum zu bremsen. Ein typischer Kommissar wie man ihn sich vorstellt. Immer zur Stelle bei großen Einsätzen und schnell bereit, lautstark Schuldige suchend. Er hielt nichts von intellektuellem Gerede und die diplomatische Ausdrucksweise war seine Sache nicht. Aber wer ihn wegen der lauten Aussprache als einfältigen Schwätzer abtat, konnte seine Überraschung erleben. Wenn die Staatsanwälte ihre Paragrafen herunterleierten wie eine Gebetsmühle, und außer juristisch geschulten Kollegen keiner ein Wort verstand, holte er kurz Luft. Um im nächsten Augenblick die passende Antwort zu liefern, gegliedert in Gesetze, Verordnungen und Paragraphen. Er musste ein Streitgespräch nicht scheuen und kannte sich in seinem Metier aus.

Manchmal verbiss er sich in einen Fall wie ein Pitbull in eine Schweinshaxe. Um nichts in der Welt konnte man ihn dann von der Spur abbringen, bis er die Schuldigen gefunden hatte. Er stand einer Einsatztruppe vor, die untereinander eine Kameradschaft pflegte, die weit über das Berufliche hinausging. Sie waren einander so nahe, da kam kein Haar dazwischen. Harry beneidete Walo manchmal um deren Loyalität und auch sonst fand er ihn ganz okay.

»Drück deinen Glimmstängel aus, oder hau ab! Du qualmst mir das ganze Büro voll!«, knurrte er.

»Oh, sorry!« Betroffen verschwand Kranz um die Ecke und drückte die Zigarette aus.

ATEMZUG

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