Читать книгу ATEMZUG - Eveline Keller - Страница 13

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7.

Liz Bardi, mit vollem Namen Elisabetha Sophia, war mit eins zweiundsiebzig beim größeren Durchschnitt und war meistens mit ihrem Körper zufrieden. Sie konnte jedoch nicht verstehen, warum andere sie um ihre Figur beneideten. Sie fand ihre Brüste unpraktisch groß, ihren Po zu augenfällig und ihre Füsse mit der Siebenunddreißig zu klein. Sie trug ihre lockigen Haare entweder offen, sanft über die Schultern fallend oder steckte sie zu einem Knoten hoch. Ihre Augen funkelten auf eine ansteckende Art vergnügt, was auf ihren südländischen Einschlag hinwies.

Der wichtigste Teil ihres Lebens betraf die Sorge für ihre Familie, bestehend aus ihren beiden Jungs und ihren Eltern. Als Alleinerziehende kam sie für ihre Kinder auf. Das zwang sie mit beiden Füssen fest auf dem Boden zu bleiben. Sie gab für ihre Jungs ihr Bestes, war aber auch bemüht, sie in klar definierten Strukturen aufwachsen zu lassen. In diesem ausgefüllten Leben, das durch die Stundenpläne der Schule und ihren Arbeitseinsatzplan dominiert wurde, sollte noch Platz bleiben für spontane Einfälle. Damit nichts vergessen ging, trug sie alle Aktivitäten wie Musikschulkonzerte, Schulreisen, oder Elternabende, in einen großen Terminkalender ein und heftete zusätzliche Infos an die Kühlschranktür.

Sie war von Natur aus positiv gegenüber Menschen eingestellt. Doch sie hatte in den vergangenen Jahren gelernt, dass man nicht allen ausnahmslos trauen konnte. Arnie war daran nicht unschuldig. Doch sie mochte deswegen nicht bitter werden und sich den Glauben an gute Menschen weiter bewahren, um vorbehaltlos auf sie zuzugehen. Ob mit jungen Teenagern, älteren Damen oder werdenden Müttern, Liz kam mit ihnen auf ihre unverkrampfte Art rasch ins Gespräch.

Anders als früher war für sie ihre Arbeit nicht mehr nur ein Job, den sie nach Belieben hinschmeißen konnte. Heute war er existenziell für sie und ihre Familie. Ohne die Stelle würden sie verarmen. Diese Verantwortung gab ihr Kraft und trieb sie täglich an, ihr Bestes zu geben.

Die Doppelbelastung von Beruf und Familie forderten ihren Zoll, seit der Scheidung hatten sich bei ihr ein paar Pfunde verabschiedet. Abends war sie oft müde, sodass sich die süßen Grübchen in der Wange auswuschen und sich die Linien um ihren Mund vertieften.

Ihr Leben drehte sich vor allem um ihre Söhne Samuel und Johnny. Liz hatte zum Glück eine herzensgute Tagesmutter gefunden, die sich um die beiden kümmerte, wenn sie arbeiten war. Und für all die kleinen Notfälle, die neben dem sorgsam erstellten Tagesplan anfielen, unterstützten sie ihre Eltern. Sie nahmen die Jungs gerne am Wochenende zu sich und verschafften ihr so zwischendurch kostbaren Freiraum. Meist unternahm sie nicht viel, sondern blieb zu Hause, schlief aus, las ein Buch und genoss es, nach Lust und Laune herumzutrödeln.

Obwohl ordentlich organisiert, brauchte sie zuweilen Nerven wie Drahtseile, eine dicke Haut, an der alles abprallte und Nagelschuhe, um sich durchzusetzen. In letzter Zeit fühlte sie sich oft ausgelaugt. Sie gestand es ungern ein, aber es fehlte ihr ein Partner, der sie von Zeit zu Zeit mal in die Arme nahm.

Jüngst hatte sich ein Symptom dazugesellt, das sie sehr beunruhigte. Sie hyperventilierte. Ein Risiko, das sie stresste. Die bisherigen Anfälle waren zwar bisher glimpflich abgelaufen, abgesehen vom Taschendiebstahl. Aber es ließ sie mit Sorge in die Zukunft blicken. Wenn ihr etwas zustiess, würde die kleine, geordnete Welt einstürzen, die sie für ihre Familie aufgebaut hatte.

Doch wenn ihr all das über den Kopf zu wachsen drohte, packte sie einen Rucksack und unternahm mit den Jungs einen Ausflug in den nahegelegenen Wald. Dort spielten sie Spiele wie Fang mich oder Verstecken, sie beobachteten Käfer, wie sie sich vom Rücken wieder auf die Beine drehten, sie schauten gefräßigen Raupen zu und versuchten Vögel anhand ihres Gezwitschers zu erkennen. Wenn es dämmerte, trug sie mit den Buben eifrig Holz zusammen und entfachte ein Lagerfeuer, an dem sie Kartoffeln und Würste brieten. Das wirkte immer. Angesteckt von der ausgelassenen Stimmung und durch die Bewegung an der frischen Luft, rückte ihre Last der Verantwortung in den Hintergrund.

Liz zog Befriedigung und Selbstbestätigung aus ihrer beruflichen Tätigkeit. Daneben genoss sie die Zeit, die sie gemeinsam mit ihren Jungs verbringen konnte. Schwierig wurde es nur, wenn die beiden Welten aufeinanderprallten und sich nicht nach Plan verhielten. Dann war von allen Beteiligten Flexibilität gefordert.

Bei der Arbeit war Liz viel auf den Beinen. Wenn dann abends die Kinder schliefen, lag sie oft auf der Couch und genoss die Stille.

Im Alltag übersah sie die Blicke, die ihr folgten und war froh, dass ihre Chancen offenbar intakt zu sein schienen. Aber zu viel mehr, als gelegentlich in Träumen zu schwelgen, reichte ihre Energie nicht. Liz hatte sich immer eine kleine Familie mit einem Mann gewünscht. Doch heute war sie viel vorsichtiger bei der Wahl eines Partners. Sie hatte bei ihren geschiedenen Freundinnen gesehen, wie schwierig es war, wenn sich die Kinder plötzlich an einen fremden Mann, als ein Art Papa-Ersatz gewöhnen sollten. Wenn dann nach wenigen Monaten die Beziehung wieder zerbrach, blieben mehr als nur ein gebrochenes Herz zurück. Das wollte Liz ihren Jungs ersparen. Die ernüchternde Wahrheit war, ein netter Bettgefährte war noch lange kein passabler Ersatzvater.

Weshalb sie immer sie die Nieten zog, war ihr ein Rätsel. Vielleicht sandte sie die falschen Signale aus? Von Liebe geblendet übersah man nur allzu gerne, ob man zueinander passte. Trotzdem, ihr Wunsch nach einem Lebensgefährten war ungebrochen. Irgendwo da draußen in der Welt existierte ihr Traummann. Es musste kein Prinz sein, der sie wachküsste, ein ganz Normaler tat es auch. Jemanden, mit einer gesunde Portion Humor und ernsthaften Absichten. Daran glaubte sie.

Dem Rat ihrer Freundin Jule folgend, hatte sie sich vor Kurzem im Internet bei einer Partnervermittlung angemeldet. Wer weiß, vielleicht lernte sie so jemanden kennen?

Zu Beginn war sie aufgeregt gewesen wie eine Erstklässlerin am ersten Schultag. Euphorisch hatte sie sich an die Beantwortung der eingehenden Anfragen gemacht. Stundenlang suchte sie nach den richtigen Worten und bemühte sich, niemanden zu verletzen. Inzwischen hatte sich die Spannung etwas gelegt und sie stellte fest, dass leider die meisten Kontakte nur zu Beginn interessant erschienen. Mit zunehmender Übung teilte sie die ankommenden Anfragen in Gruppen ein.

Da waren 'Die Schreibfaulen'. Wahrscheinlich mühten diese sich noch mehr mit Worten ab als sie. Oder sie wagten nicht mehr zu schreiben, um das Gegenüber nicht in irgendeiner Weise zu brüskieren. Oder sie waren von Natur aus wortkarg oder beherrschten die Sprache nicht. Sie gaben von sich selbst nur unter Zwang etwas preis. Ihre Antworten beschränkten sich auf: »Ja« oder »Nein«. Dafür wollten sie vom Gegenüber alles bis ins Detail wissen.

Eine andere Gruppe waren die 'Romantiker'. Sie verschickten hochtrabende Gedichte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, aber leider nichts über den Absender aussagten. Ein Kandidat sandte ihr irrtümlich zweimal dasselbe Gedicht. Das hatte sie sehr enttäuscht. Das war offensichtlich seine Masche, um die Damen zu beeindrucken.

Die 'Küsschen-Handy-Nummer' waren die schnell Entschlossenen. Selbstbewusst verschickten sie virtuelle Küsse und ihre Handynummer. Für Liz waren sie die Aufreißer im Netz. Sie benahmen sich, als gelte es keine Zeit zu verlieren und wollten sich möglichst sofort ein Date.

Die 'Schlüpfrigen', deren Texte enthielten viele doppeldeutige Bemerkungen. Nach kurzer Anlaufzeit schwenkten sie aufs Thema sexuelle Vorlieben um. Sie fand sie abstoßend und hielt sich die Typen vom Leib.

Schließlich die 'Nullnummern', hier ordnete sie Kontakte zu, mit denen sie gar nichts anfangen konnte und gleich absagte.

Mit den wenigen, die all diese Hürden schadlos überstanden hatten und immer noch Interesse zeigten, unterhielt sie sich für eine erstes Date.

Obwohl sie längst aus dem Alter eines Teenagers herausgewachsen war, bekam sie dabei Herzklopfen und konnte nicht umhin vom großen Glück zu träumen. Es galt, möglichst keine Chance zu vergeben, darum war es klüger dabei einen klaren Kopf zu behalten. Sie wollte vor allem die Nieten aussortieren. Nur nicht nochmal so einen Missgriff tun wie mit Arnie, das war das Wichtigste.

Und anders als früher, war heute ihre Freizeit äußerst knapp bemessen, umso mehr ärgerte es sie, wenn sie sie mit jemandem vergeudete. Auch für ihre Sicherheit hatte sie vorgesorgt und immer einen Pfefferspray in der Handtasche dabei. Trotz allem waren die letzten Verabredungen enttäuschend verlaufen. Und sie musste einsehen, dass obwohl sie eine breitere Auswahl durch das Internet hatte, es am Ende nicht einfacher geworden war, den passenden Partner zu finden.

Doch erst musste sie die Sache mit ihrem Ex-Mann lösen. Er wäre laut Scheidungsurteil Unterhaltspflichtig, zumindest für die Kinder. Nur gezahlt hatte Arnie noch nie. Und da er keiner geregelten Arbeit nachging, hatte er offiziell kein Einkommen, das man hätte pfänden können. Liz hatte es zu Beginn versucht und ihn betreiben lassen, dazu musste sie erstmal Gebühren vorschießen und beim Amt vorsprechen. Am Ende war für sie kein Rappen dabei herausgesprungen, und stattdessen einen Verlustschein erhalten. Damit konnte sie sich nichts kaufen, man konnte sich damit nicht mal richtig den Hintern wischen. Also versuchte sie umsichtig zu wirtschaften, dass ihr Lohn für ihre Jungs und sie reichte.

Wären da nicht Arnies Schutzgeldforderungen, deretwegen sich bei ihr mittlerweile ein Schuldenberg angehäuft hatte. Alle paar Monate rief er an und drohte die Kinder zu entführen, wenn sie nicht eine bestimmte Summe zahlte. Sie hatte sich anfangs gewehrt, ihn angefleht und ihn beschworen damit aufzuhören, bis sie heiser war. Sie hatte ihm gedroht und sämtliche Überredungskünste angewendet; ihr wurde heute noch übel, wie sie gebettelt hatte. Doch er blieb stur. Und so liefen die Gespräche nun ziemlich einsilbig ab.

Es wurde für Liz zu einem nicht enden wollenden Albtraum. Ihre anfängliche Angst, dass er die Kinder verschwinden lassen würde, hatte sich mit der Zeit auf eine dumpfe Bedrohung reduziert. Immer wieder raubte es ihr den Schlaf. Bisher waren die Forderungen und die Geldübergaben immer gleich verlaufen. Liz wagte nicht daran zu denken, was geschähe, wenn Arnie plötzlich neue Bedingungen stellen würde.

Die latenten Erpressungen wurden unerträglich und ihre Schulden türmten sich immer höher. Eine Lösung musste her. Sie hatte auch eine Idee wie. Heute war ein besonderer Tag. Es war der Tag, an dem sie sich von diesem Blutsauger Ex für alle Zeiten befreien würde. Wenn alles nach Plan verlief, würde sie ihn heute zum letzten Mal sehen. Aus naheliegenden Gründen war sie nicht traurig über das Ende. Und diesmal hatte Arnie am Telefon einen unanständig hohen Betrag gefordert, weil er sich ins Ausland absetzen wollte. Er wird hoffentlich nie mehr wiederkommen. Versprochen hatte er es und auf seine verstorbene Großmutter geschworen. Gott hab sie selig, und die Bibel.

Liz wollte dafür sorgen, dass er sein Versprechen hielt und wenn nötig etwas nachhelfen. Ihr Plan war einfach. Verstohlen griff sie in ihre Handtasche und berührte den kalten Stahl. Sie bekam eine Gänsehaut. Sie hatte den Revolver schon mal getestet und damit auf einem abgelegenen Fabrikareal Schießübungen absolviert. T rotzdem war ihr das Vorhaben unheimlich, denn sie wusste, bedrohte Menschen neigten zu unerwarteten Reaktionen. Und derjenige, der die Waffe hielt, musste sich nur zu einer impulsiven Bewegung hinreißen lassen, schon war einer, peng, tot!

Sie erschauerte. Zweifel stiegen in ihr hoch. War das wirklich eine gute Idee? Doch sie handelte aus der Not und mit dem Mut der Verzweiflung. Sie musste die unsägliche Abwärtsspirale von Erpressung, Angst und Schuldenberg durchbrechen. Die Waffe war ein Mittel, um ihre Freiheit wieder zu erlangen. Liz war fest entschlossen sich heute das Problem Arnie vom Hals zu schaffen.

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