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1.

Bleierne Dunkelheit umfing die Geschäftshäuser an der noblen Einkaufsstraße in Winterthur. Ladenschluss war längst vorbei und das Quartier wirkte um diese Zeit wie ausgestorben. Eine schwere Wolkendecke überzog den Nachthimmel, da braute sich ein Gewitter zusammen. Diese Stimmung drückte den Bewohnern aufs Gemüt. Sie zogen es vor, zu Hause zu bleiben.

Bis auf einen: Pünktlich um 23: 20 Uhr bog der Nachtwächter pfeifend um die Ecke. Unbeirrt schritt er von Haus zu Haus, kontrollierte da ein Schutzgitter und dort eine Ladentür. Routiniert fuhren seine Finger über die Lochung der Schlüssel an seinem prallen Bund und zog den Passenden heraus. Er schloss auf, kontrollierte und sperrte wieder ab, hob die Taschenlampe in Richtung des nächsten Kontrollabschnittes und folgte dem Lichtkegel vor seinen Füssen.

Vom Nachtwächter unbemerkt, spielte sich indes im Untergeschoss, des von ihm gerade eben kontrollierten Juwelierladens Ungewöhnliches ab. Hier waren zwei vermummte Gestalten am Werk und gingen ihrem kriminellen Gewerbe nach. Auf das Zeichen der Kleineren duckten sie sich hinter den Tresor und hielten sich die Ohren zu. Ein Knall folgte und machte sie für einen Augenblick taub. Darauf öffnete sich knirschend die Tür des Safes.

»Kinderspiel – sag ich doch!«, lächelte Glitter-Glamy und zwang ihre Mundwinkel nach oben. Von einer weihnachtlichen Freude ergriffen, drückte die berüchtigte Safeknackerin ihre zehn Finger durch und zog beschwingt eine der fünfzig Fächer heraus. »Na ihr glitzernden Steinchen, kommt zu Mutti!«

Um im nächsten Augenblick enttäuscht aufzuschreien. Leer! Sie schnappte eine andere Lade. Auch leer. Das konnte nicht wahr sein! Und noch eine, und eine Weitere. Wütend riss sie an den Schüben im Gestell. Sie suchte darin nach Diamanten und schmiss die nutzlosen Fächer hinter sich. Da! Endlich. Ganz an den Rand gedrängt lag ein Beutelchen, mit ein paar winzigen Edelsteinen drin. Das war zu viel für die Einbrecherin. Mit einem pfeifenden Röcheln gaben ihre Knie unter ihr nach und sie sank zu Boden.

»Lass mal sehen.« Raschdi, der Mann fürs Grobe packte mit seinen Pranken zu und zerlegte alles kurzerhand. »So ein Scheiß, Mann!« Auch er fand nichts weiter.

Eine Sekunde lang schauten sich die beiden ratlos an. Hier hatte sich jemand einen bösen Scherz erlaubt. Und das mit ihr! Glitter-Glamy, der besten Safeknackerin aller Zeiten! Zorn und Enttäuschung vermengten sich zu einer Mixtur, die sich explosionsartig Luft verschaffen musste. Was nicht schon kaputt war, zertrampelte sie blindwütig. Bis langsam, mit der Erschöpfung auch die Vernunft wieder einkehrte.

Zugegeben, sie hätte misstrauischer sein müssen. Der todsichere Tipp, dass sich Diamanten im Wert von fünfzehn Millionen Franken im Tresor befinden sollten, war zu schön gewesen, um wahr zu sein. Existierten die überhaupt? Und, wenn nicht hier, wo waren sie dann?

Und ihr fiel etwas anderes wieder ein, etwas das sie völlig vergessen hatte. Der Safe war mit einer Direktleitung zur Polizei verbunden. Mit der Sprengung wurde der Alarm ausgelöst. Eigentlich wusste sie das. Und sie wären auch längst mit der Beute verschwunden, wenn sie sich da befunden hätten, wo sie hätte sein sollen. Das war eine Falle! Wenn sie nicht Tempo Teufel abhauten, würden sie den Bullen direkt in die Arme laufen.

»Raus hier!« Sie stürzte zur Tür. Raschdi im Gefolge. Wie von allen Hunden gehetzt rannten sie über den Hof und sprangen ins Fluchtauto. Ein Blick in die Runde bestätigte ihre Vermutung. Die Nacht wurde von Blaulicht durchbrochen, das über die Häuser huschte und sich in den Schaufenstern spiegelte.

Flink bogen sie in eine Seitenstraße ein und verschwanden.

Nun erhellten Blitze die Nacht, zuckten in kurzen Abständen über den Himmel, gefolgt von donnernden Wolken, die sich in einem heftigen Gewitter entluden. Im strömenden Regen hielt die Polizeistreife einige Sekunden später vor dem Juwelierladen van Hohenstett. Die Beamten sicherten erst die Lage, liefen zum Ladeneingang, prüften ihn und auch die Hintertür. Dann meldeten sie einen Einbruch an die Zentrale, worauf der Besitzer verständigt wurde.

Eine Viertelstunde später, das Unwetter war weitergezogen, schoss ein schnittiger BMW mit quietschenden Reifen in den Hof und kam schlitternd zum Stehen. Direkt vor einem Polizisten, der vor Schreck beinahe sein Funkgerät fallen ließ. »Ihre Fahrkünste lassen zu wünschen übrig. Bremsen sie immer so knapp?«, fuhr er den Lenker an.

Van Hohenstett war anfangs fünfzig und mittelgroß. Seine übliche elegante Erscheinung hatte in der Eile etwas gelitten. Sein Haar war zerzaust und ein Hemdzipfel hing ihm hinten aus der Hose.

»Wie – was - wieder ein Fehlalarm?«

Es war schon das zweite Mal diese Nacht, dass er von den Gesetzeshütern gerufen wurde. Vor genau einer Stunde war er schon mal hier gestanden und sie hatten danach gemeinsam alle Türen kontrolliert. Ihm reichte es für heute. »Wahrscheinlich war es ein Nachtfalter, der die äußerst sensible Lichtschranke touchiert hatte«, brummte er. »Am besten wir schalten die Alarmanlage ab für heute, am 19. Juli 2007. Morgen früh lasse ich sie unverzüglich von einem Spezialisten überprüfen.«

Sein dünner Oberlippenbart zitterte gereizt und seine herablassende Art war noch ausgeprägter als sonst.

Schon beim ersten Fehlalarm, gleich zu Beginn hatten sie füreinander eine natürliche Abneigung empfunden, der Juwelier und der Polizist, und seither hatte sich diese noch vertieft.

Da fragte ihn doch dieser Ignorant, nachdem er ihn aus dem Bett geholt und hergerufen hatte, ob er der Besitzer des Geschäftes sei.

»Erwarten sie sonst noch jemanden?«, hatte der ihn angeknurrt.

»Können sie sich ausweisen? Reine Formsache.«

Mit einem »Hmpf – sehr witzig?« hielt ihm Thaddäus van Hohenstett den Ausweis hin und forderte nun seinerseits, die Dienstmarke des Beamten zu sehen. »Aha! Herr Peter Kohn, ihren Namen werde ich mir merken.«

Beim anschließenden gemeinsamen Rundgang durch alle Räume des Ladens konnten sie nichts Ungewöhnliches feststellen. Der Polizist meldete daraufhin den Fehlalarm der Zentrale und alle waren sie wieder von dannen gezogen. Dass erneut ein Alarm ausgelöst worden war, konnte nur bedeuten, dass Herr Kohn das letzte Mal nicht korrekt quittiert hatte.

Doch da täuschte sich der Juwelier.

»Diesmal leider nicht. Die Einbrecher haben ein wüstes Durcheinander hinterlassen. Machen sie sich auf etwas gefasst.«

»Haben sie die Diebe wenigstens erwischt?«, wollte van Hohenstett wissen.

»Nein, sie waren schon weg.«

Zu dritt betraten sie den Laden. Die Vorankündigung war nicht übertrieben. Sie stiegen über umgeworfene Regale und zerschlagene Stühle. Der Inhaber schüttelte über die blinde Zerstörungswut der Einbrecher den Kopf. Am Eingang zu seinem Büro blieb er stehen und hielt den Atem an. Sichtlich erschüttert trat er ein.

Als später der Einsatzleiter und sein Kollege vorbeischauten, schob er verloren einige Papiere auf dem Pult zusammen und murmelte: »Das kann nicht sein. Wie ist das möglich?« Niedergeschlagen saß er am Tisch und konnte einem leidtun.

»Wer besitzt außer ihnen einen Schlüssel zum Laden? Und wer kennt den Code der Alarmanlage?«, wurde er gefragt.

Van Hohenstett hob eine Braue. »Außer mir hat nur die Nachtwächterfirma einen Schlüssel.«

Die Polizisten stellten an den Türen keine Einbruchspuren fest, also mussten die Diebe den Schlüssel und den Code gehabt haben. Das fand der Juwelier unfassbar. »Kann man denn nicht einmal mehr der Nachtwächterfirma trauen?« Und wetterte lauter: »Das sag ich ihnen: Denen hänge ich ein Verfahren an, von dem sie sich so schnell nicht wieder erholen werden. Das ist ein Skandal! Ich gehe damit an die Presse. Die stecken womöglich mit den Gaunern unter einer Decke.« Aufgebracht tippte er Herr Kohn vor die Brust. »Und Sie Herr Dings, Sie sollten hier nicht tatenlos herumstehen, sondern die Diebe fassen!«

Der Angesprochene antwortete gereizt, dass die Polizei in alle Richtungen ermitteln wird und fragte van Hohenstett, wo er heute Nacht zwischen 22: 30 Uhr und 23.30 Uhr war. Daraufhin fuhr der ihn an: »Unverschämtheit! Wollen sie damit sagen, ich hätte mich selbst bestohlen?«

Der Beamte zuckte nur die Schultern: »Glauben sie mir, wir haben schon fast alles erlebt.«

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