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Auf der Straße war alles noch unverändert. Nur die Schlange der wartenden Autos war mittlerweile in beide Richtungen zu einem richtigen Stau herangewachsen. Auch die Zahl der Neugierigen schien etwas zugenommen zu haben. Die Fahrer des Leichenwagens waren ausgestiegen und warteten jetzt ungeduldig vor ihrem Fahrzeug stehend auf ihren traurigen Einsatz. Die Leute von der Spurensicherung waren wohl noch längst nicht mit ihrer Arbeit fertig. Die beiden Kriminalbeamten in Zivil waren nicht mehr zu sehen. Vermutlich standen sie noch unten am Ufer, machten sich ein Bild von der ganzen Angelegenheit und ließen sich die ersten Erkenntnisse von den Kollegen der Spurensicherung mitteilen. Bessell sah sich das Ganze von der Ferne aus nur noch einen kurzen Augenblick an und drehte dann ab, um die wenigen Schritte zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft zu gehen. Vor dem Schaufenster standen drei Frauen und sahen hinüber zum Schauplatz des Geschehens. Dabei unterhielten sie sich mit ausdrucksvollen Gesten. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie von Bessell keinerlei Notiz nahmen. Auch Bessells zaghafter Versuch zu grüßen, wurde nicht erwidert. Im Laden nahm er nur einen Einkaufskorb, schlenderte langsam und ohne Hast zwischen den Regalen umher und wählte nach und nach das Nötigste aus. Brot, etwas Aufschnitt, eine Packung Eier sowie Reis und Nudeln. Die Kassiererin, eine junge Frau, bediente ihn so neutral, als wäre im Ort nichts weiter vorgefallen. Kurz zuvor hatte sie noch Weinflaschen in ein Regal einsortiert. Sie schien sich für den Toten am See nicht weiter zu interessieren und wünschte Bessell beim Verlassen des Ladens einen schönen Tag. Bessell stand wieder auf der Straße; das Bild war unverändert. Auch die drei Frauen waren noch immer da und schauten hinüber. Bessell ging die Hauptstraße entlang, und als er an seiner Straße angelangt war, blieb er nicht noch einmal stehen, um hinüberzuschauen, sondern ging gleich weiter zu seiner Wohnung. Obwohl es immer noch so aussah, als könnte es jederzeit regnen, war es die ganze Zeit über trocken geblieben. Die geschlossene Wolkendecke hatte also dicht gehalten. Über den Hügelzügen oberhalb des Ortes zogen vereinzelt Wolken dahin, als hätten sie sich von den anderen losgerissen. Auf den Stufen zu Bessells Ferienwohnung standen zwei Männer. Sie lehnten lässig am Treppengeländer und schienen sich über etwas zu unterhalten, was beide zum Lachen brachte. Als einer der Männer Bessell sah, hörte er abrupt auf zu lachen und ging die wenigen Stufen hinunter auf die Straße. Schon von Weitem sprach er Bessell auf Italienisch an.

»Signore Bessell, habe ich recht?« Bessell nickte erstaunt.

»Wir haben auf Sie gewartet, weil wir ihnen einige Fragen stellen möchten.« Der zweite Mann kam jetzt ebenfalls die Treppe hinunter.

»Aber entschuldigen Sie«, fügte der Mann, der ihn angesprochen hatte hinzu, während er ihm die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte.

»Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Angelo Favalli und das ist mein Kollege Fabio Caroni. Wir sind von der Polizia Cantonale in Locarno. Bessell gab auch dem anderen Mann die Hand. Am Fenster gegenüber bewegte sich etwas. Bessell blickte hinüber und sah Frau Hengartner für einen kurzen Augenblick am Fenster stehen. Gleich darauf trat sie vom Fenster zurück und ihre Konturen verschwanden. Favalli und sein Kollege hatten den kurzen Blickkontakt mitbekommen. Sie sahen einander kurz an, dann wandte sich Favalli wieder Bessell zu.

»Vielleicht können wir uns in Ihrem Haus weiter unterhalten?«

»Aber natürlich, gerne«, sagte Bessell wenig überzeugend. Bessell ging voraus und holte im Gehen seinen Schlüssel aus der Hosentasche. Als er aufgeschlossen hatte, bat er die beiden Männer hinein und während sie an ihm vorbei in die Wohnung gingen schaute er noch einmal hinüber zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Doch das Tageslicht spiegelte sich zu stark in der Fensterscheibe, so dass er nichts und niemanden sehen konnte. Bessell führte die Polizeibeamten in eine Art Wohnküche. Die Ferienwohnung bestand nur aus diesem Raum, einer kleinen Abstellkammer und einem Schlafzimmer und einem recht großzügigen Badezimmer. Favalli trat an Bessells Schreibtisch heran, während sein Kollege den Kaminofen in der anderen Ecke des Raumes scheinbar teilnahmslos musterte. Bessell stand etwas unbeholfen in der Mitte des Zimmers und sah mal zu dem einen und mal zu dem anderen Polizeibeamten. Die beiden Männer waren etwa Mitte dreißig, sehr sportliche Typen und ungefähr gleich groß. Mit ihren schwarzen, in etwa gleich lang geschnittenen Haaren sahen sie sich sogar ähnlich. Doch während Favalli einen Dreitagebart trug, war das Gesicht seines Kollegen glattrasiert. Beide trugen sie kurze Lederjacken, die jedoch vollkommen unterschiedlich geschnitten waren und einen voneinander deutlich abweichenden Geschmack verrieten. Als würde der Anblick eines Notebooks und ein unaufgeräumter Schreibtisch, auf dem sich bedruckte Papiere, Zeitungsartikel und das eine oder andere Buch stapelten, Hinweis genug sein, bemerkte Favalli ohne Bessell dabei anzusehen:

»Sie sind also Schriftsteller?« Seine Stimme klang etwas ungläubig.

»Ich schreibe, das ist richtig, aber ich bin noch ganz am Anfang und habe erst einen Roman bei einem kleinen, unbedeutenden Verlag unterbringen können«. Bessell war anzusehen, dass ihm die Situation mit den beiden Polizisten in seiner Wohnung unangenehm war. Er fragte sich die ganze Zeit, warum sie gerade ihn aufgesucht hatten. Außerdem hatte er längst bemerkt, dass sie Informationen zu seiner Person eingeholt hatten. Wie sonst, hätte der Mann mit dem Namen Favalli ihn gleich auf seine schriftstellerischen Ambitionen ansprechen können. Zudem sprachen sie ihn gleich auf Italienisch an. Bessell bat den beiden Männern an, sich zu setzen. Es machte ihn nervös, dass sie im Raum umhergingen und alles neugierig betrachteten. Außerdem wollte er endlich wissen, was sie eigentlich von ihm wollten. Gehorsam folgten sie Bessells Angebot und nahmen auf einem Sofa gleich neben dem Kaminofen Platz. Bessell setzte sich ihnen gegenüber auf einen breiten Sessel.

Für einen kurzen Moment saßen sie sich schweigend gegenüber. Beide Kommissare hatten ihre Ellenbogen auf die Oberschenkel aufgestützt und eine nach vorn gerichtete Sitzposition eingenommen. Während Kommissar Caroni noch immer etwas verlegen wirkte und seinen Blick durchs Zimmer wandern ließ, schaute Angelo Favalli mit einem fragenden Gesichtsausdruck Bessell an. Bessell hatte sich im Sessel zurückgelehnt und wartete auf ein Ende des allgemeinen Schweigens, dessen Dauer ihm mittlerweile wie eine halbe Ewigkeit vorkam. Favalli senkte seinen Blick und betrachtete für einen kurzen Augenblick die Innenflächen seiner Hände. Dann ließ er sich auf dem Sofa zurückfallen, platzierte seinen linken Arm auf dem Polster der Rückenlehne, so dass es beinahe so aussah, als wollte er seinem Kollegen die Hand auf die Schulter legen. Und bevor er anfing zu sprechen, sah er Bessell noch einmal eindringlich und übertrieben wichtig in die Augen.

»Wie lange kennen Sie schon Frau Hengartner, Ihre Nachbarin?«

Favalli nahm Bessells verblüfften Gesichtsausdruck wahr, der sich noch immer nicht vorstellen konnte, was die beiden Polizisten überhaupt von ihm wollten. Natürlich war ihm bereits in den Sinn gekommen, dass es sich um den Toten unten am Strand um jemanden aus dem Ort handeln konnte, aber warum man gerade ihn befragen wollte, einen Zugezogenen, der obendrein erst wenige Monate hier wohnte, war ihm vollkommen schleierhaft.

»Kennen ist wohl zu viel gesagt. Wir sind uns schon hier vor dem Haus begegnet. Sie ist ja nur gelegentlich da, um nach dem Rechten zu sehen. Zumindest jetzt in den Wintermonaten.«

Bessell hatte nicht gleich an das Gespräch mit Frau Hengartner in dem Restaurant in San Nazzaro gedacht. Jetzt fiel es ihm wieder ein, doch er schwieg darüber. Favalli fuhr sich mit der Hand durch die nach hinten gekämmten Haare. Sein Kollege Caroni saß mittlerweile etwas teilnahmslos daneben und starrte Bessell an, als würde dieser nicht auf Italienisch antworten, sondern in einer ihm völligen fremden Sprache.

»Und Herrn Hengartner, wie oft sind Sie ihm schon begegnet?«

»Ihm noch seltener, schließlich wohne ich hier in Gerra noch nicht sehr lange.«

»Wann genau haben Sie die Wohnung bezogen?«

»Erst letztes Jahr im November, aber ich war im Sommer für zwei Wochen hier und dann noch einmal Ende September für wenige Tage.«

Der Tote musste irgendetwas mit seinen Nachbarn, zu tun haben. Soviel war Bessell jetzt klar geworden. Doch er traute sich nicht zu fragen, zumal er davon überzeugt war, dass die beiden Kommissare es ihm ohnehin noch anvertrauen würden. Nach einer kurzen Pause fragte ihn der schweigsame Caroni ganz direkt:

»Interessiert es Sie nicht, warum wir Ihnen diese Fragen stellen?«

Bessell hatte die Angewohnheit, bei ernsten Gesprächen immer etwas teilnahmslos und desinteressiert dreinzublicken. Ihm selbst war das nicht bewusst, doch nach einem Vorstellungsgespräch vor einigen Jahren hatte ihn ein Personalchef darauf angesprochen. Die Stelle hatte er aus diesem Grund nicht bekommen. Bessell nahm eine aufrechte Sitzhaltung ein und sah dann beide Kommissare abwechselnd mit ernster Miene an.

»Doch, doch auch ich habe schon vom Toten unten am See gehört und natürlich ist mir auch das Aufgebot an Polizeiwagen nicht entgangen. Ich bin nur etwas perplex, weshalb sie gerade mich befragen und was die ganze Sache mit meinen Nachbarn zu tun haben könnte.«

»Gut«, sagte Favalli in fast gönnerhaftem Ton, »wir wollen offen mit Ihnen reden. Der Tote unten am See ist Herr Hengartner und wir hatten in Erfahrung gebracht, dass Sie mit ...«

An dieser Stelle stockte Favalli und tat so, als würde er nach den richtigen Worten suchen. Dann nahm er den Faden wieder auf.

»... mit den Hengartners befreundet sind.«

Bessell erhob sich aus seinem Sessel.

»Von wem haben Sie das denn gehört?« Er wandte sich ab, und noch bevor Favalli antworten konnte, fragte Bessell:

»Möchten Sie etwas trinken?«

»Nein, danke«, sagten beide fast gleichzeitig. Bessell schenkte sich Mineralwasser ein und kehrte dann zu seinem Sessel zurück. Bevor er sich hinsetzte, nahm er einen großen Schluck.

»Das hat uns jemand hier aus dem Ort erzählt«, gab Favalli endlich zur Antwort. »Würden Sie dieser Aussage nicht zustimmen?«

»Nein, sicher nicht. Ich kenne sie eigentlich nur vom Sehen, und wenn das ausreicht, um befreundet zu sein, dann habe ich mittlerweile trotz meiner kurzen Zeit hier am Lago Maggiore viele Freunde.« In Favallis Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab. Doch er schien nicht bereit zu sein, den Grund hierfür zu erläutern.

»Gut, lassen wir das«, sagte er und in seiner Stimme lag ein Hauch von Resignation. Jetzt ergriff Caroni das Wort.

»Dann würden wir von Ihnen als Nachbarn gerne hören, ob Ihnen gestern etwas aufgefallen ist. Haben Sie die Hengartners im Laufe des Tages gesehen oder gesprochen?«

»Nein, tagsüber war ich hier in der Wohnung und habe geschrieben. Erst als ich abends rausging, um noch etwas Essen zu gehen, habe ich bemerkt, dass die beiden Autos der Hengartners in der Straße standen.«

Caroni nickte zufrieden. Er saß ganz entspannt auf dem Sofa mit rundem Rücken und hielt sich mit beiden Händen an seinem rechten Knie fest, beinahe so, als würde er mit intellektueller Bewunderung einem vorgetragenen Gedicht folgen. Bessell überlegte angestrengt. Er wollte nichts Falsches sagen.

»Als ich draußen auf der Straße stand, habe ich lediglich Frau Hengartner kurz am Fenster gesehen. Sie unterhielt sich offenbar mit ihrem Mann, zumindest habe ich eine männliche Stimme gehört.« An dieser Stelle schaltete sich Favalli wieder ein.

»Stand das Fenster denn offen?«

»Nein das nicht, aber ...« Bessell veränderte seine Sitzposition. Man konnte seiner Mimik ansehen, dass er mühsam nach den richtigen Worten suchte.

»... ich hatte den Eindruck, dass ihre Unterhaltung sehr emotional geführt wurde.«

Favalli lachte kurz auf und besann sich dann wieder auf einen Gesichtsausdruck, der besser zu der Situation passte. Etwas zu ernst fügte er hinzu:

»Sie meinen, dass sie sich gestritten haben?« Bessell sah Favalli misstrauisch an.

»Für diesen kurzen Augenblick machte es zumindest den Anschein, obwohl Frau Hengartners Stimme nicht zu hören war. Ich bin dann gleich weitergegangen.«

Caroni, der sich noch immer mit beiden Händen am Knie festhielt, hakte nach.

»Haben Sie nicht daran gedacht, die Hengartners kurz zu begrüßen, schließlich waren sie doch einige Wochen nicht in ihrer Wohnung hier in Gerra.«

Bessell sah Caroni verständnislos an.

»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, schließlich kenne ich die Hengartners nur flüchtig, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können.«

Favalli bemerkte Bessells Unzufriedenheit mit Caronis Frage und wollte schlichten.

»Bitte verstehen Sie uns nicht falsch, wir glauben Ihnen ja. Ich begrüße meine Nachbarn auch nicht, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen.«

Caroni schlug das linke über das rechte Bein und lehnte sich zurück. Die Arme platzierte er neben seinen Oberschenkeln auf der Sitzfläche.

»Dürfen wir fragen, wo Sie zu Abend gegessen haben?, erkundigte er sich schließlich und sah daraufhin kurz Favalli an, als ob er sich vergewissern wollte, dass dieser mit seiner Frage einverstanden war. Bessell sah Caroni missmutig an. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden ihn mit der ganzen Angelegenheit in Verbindung brachten. Nur den Grund dafür, konnte er sich nicht zusammenreimen. Vielleicht war der Besuch der beiden Kommissare aber einfach nur dem Umstand geschuldet, dass er der Nachbar des Toten war. Und es bestand ja tatsächlich die Möglichkeit, dass ihm etwas aufgefallen war, was zur Aufklärung des Falls hätte beitragen können. Doch komisch kam ihm die ganze Sache schon vor. Auch wenn er schon einige Male im Restaurant in San Nazzaro war, wusste er nicht, wie das Lokal hieß.

»Sie werden sich vielleicht wundern, aber ich merke mir nur selten die Namen der Restaurants, in denen ich esse. Aber es ist eine Art Pizzeria in San Nazzaro, in der ich gestern Abend war. Gleich vorne an, auf der rechten Seite, wenn Sie aus Gerra kommen und in den Ort hineingehen.«

Caroni nahm ein kleines Notizheft aus der Innentasche seiner Jacke und notierte einen Namen.

»Ich glaube, ich weiß, welches Restaurant Sie meinen. Sind Sie mit dem Auto dort hingefahren?«

»Nein, ich habe meinen Wagen vor einigen Monaten verkauft. Ich brauche hier nicht unbedingt ein Auto. Ich gehe gern zu Fuß oder fahre mit dem Bus und demnächst werde ich mir ein vernünftiges Fahrrad zulegen.«

»Wann sind Sie gestern Abend in Ihre Wohnung zurückgekehrt?« Caroni setzte den Kugelschreiber bereits an und wartete geduldig auf eine Antwort.

»Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es war bestimmt halb zwölf.«

»Und haben Sie noch jemanden auf der Straße gesehen oder ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?«, mischte sich jetzt wieder Favalli ein, der schon seit einigen Minuten ungeduldig auf dem Sofa hin- und herrutschte und eine unzufriedene Miene machte. Vermutlich hatte er sich mehr von dem Gespräch mit Bessell erhofft. Bessell hatte schon vor einigen Minuten an den BMW mit dem rumänischen Kennzeichen denken müssen. Vielleicht wäre das ein Hinweis, der die Polizisten zufrieden stimmen könnte.

»Eine Sache ist mir tatsächlich noch aufgefallen. Unten an der Hauptstraße, eigentlich genau dort, wo jetzt die Straße durch die vielen Einsatzfahrzeuge versperrt ist, stand gestern Abend, als ich zurückkam, ein 7er BMW. Ich glaube sogar, das aktuelle Modell.«

Die beiden Kommissare sahen Bessell ungläubig an. Dann senkte Caroni seinen Blick und starrte wieder angestrengt in sein Notizheft. Beinahe gelangweilt murmelte er:

»Welche Farbe hatte das Auto und haben Sie sich Ziffern vom Nummernschild merken können?«

»Schwer zu sagen. Sie wissen doch, nachts sind alle Katzen grau. Doch wenn der fahle Schein der Straßenlaternen mich nicht getäuscht hat, würde ich sagen, dass der Wagen wohl anthrazitfarben war, ein metallisches Anthrazit, um genau zu sein.«

Bessells Gesicht konnte man ansehen, dass er sich darüber freute, endlich etwas Sachdienliches beigetragen zu haben. Zufrieden lehnte er sich im Sessel zurück und wollte gerade das Glas an die Lippen setzen, als ihm einfiel, dass er zum Nummernschild ja noch nichts gesagt hatte. Er unterbrach die Bewegung und fügte gelassen hinzu:

»Einzelne Ziffern oder Buchstaben vom Nummernschild habe ich mir nicht gemerkt, aber ich habe mich darüber gewundert, dass der Wagen ein rumänisches Kennzeichen hatte. Die Länderkennung war eindeutig zu sehen. Es war sogar zusätzlich ein Aufkleber mit den Buchstaben RO angebracht.«

Caroni schrieb, ohne aufzusehen. Favalli zog die Stirn kraus. Bessell bemerkte das scheinbare Desinteresse der beiden Kommissare an dieser Information und um der möglichen Bedeutung seiner Aussage mehr Gewicht zu verleihen, ergänzte er beinahe etwas beleidigt klingend:

»Autos mit rumänischem Kennzeichen sind mir hier am Lago Maggiore noch nicht aufgefallen. Manchmal sieht man teure Limousinen mit russischem Länderzeichen, aber auch nicht oft. Übrigens konnte ich nicht erkennen, ob noch jemand in dem BMW saß. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in der Heckscheibe und auch in den Seitenscheiben. Ich bin dann gleich weitergegangen. Alles war ruhig und friedlich. Es waren weder Schritte noch Stimmen zu hören.«

Caroni sah Bessell mit geöffnetem Mund an, so als ob er sich darüber ärgerte, dass Bessell ihm seine Fragen beantwortete, bevor er sie gestellt hatte. Noch bevor er seine Lippenstellung zur Formung eines Lautes verändert hatte, fiel ihm Favalli in das noch nicht ausgesprochene Wort.

»Und, als Sie wieder hier in der Straße waren, ist Ihnen dort etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nein, im Haus der Hengartners brannte zwar noch Licht, aber schließlich sind sie erwachsene Leute und so spät war es ja auch noch nicht.«

»Konnten Sie im Fenster etwas erkennen oder haben Sie wieder Stimmen gehört?«

»Nein, die Vorhänge waren zugezogen. Es war kein Laut zu hören.«

Caroni hob die Hand, mit der er den Stift hielt. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, fehlte nicht mehr viel und er hätte mit den Fingern geschnipst, um sich Gehör zu verschaffen. Dann fragte er wichtig:

»Die Autos der Hengartners standen die noch immer in der Straße?«

»Ja, noch genauso wie einige Stunden zuvor, und wenn Sie mich direkt danach fragen, stehen sie auch jetzt noch auf den gleichen Plätzen, wie gestern Abend.«

Favalli machte bereits Anstalten sich zu erheben, doch dann fiel ihm noch eine Frage ein.

»Sind Sie gestern Abend dann gleich schlafen gegangen? Es heißt ja, dass einige Schriftsteller besser nachts als tagsüber schreiben können.« Jetzt musste Bessell lachen.

»Das habe ich auch gehört und es bereits ein paar Mal versucht, aber es ist nie etwas Vernünftiges dabei herausgekommen. Aber Sie haben recht, ich habe dann noch etwa zwei Stunden versucht etwas zu Papier zu bringen, aber wieder nur mit mäßigem Erfolg, so dass ich dann etwas ärgerlich ins Bett gegangen bin. Doch wenn Sie jetzt wissen wollen, ob bei den Hengartners noch Licht brannte, so muss ich passen. Ich habe nicht mehr aus dem Fenster gesehen.«

Favalli schlug mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel und stand auf. Caroni verstaute währenddessen umständlich Stift und Notizheft in seiner Jacke.

»Vielen Dank Herr Bessell, das wäre erst einmal alles. Aber bitte informieren Sie uns, wenn Sie vorhaben zu verreisen. Möglicherweise fallen uns später noch Fragen ein.« Caroni stand ebenfalls auf und reichte Bessell zwei Visitenkarten, seine und die von Favalli.

»Vielleicht müssen wir Sie auch noch nach Locarno bitten, damit Sie das Protokoll, das wir anfertigen werden, unterzeichnen können.«

Zu dritt und hintereinander hertrottend gingen sie zur Tür.

»Und Frau Hengartner, wie hat sie es aufgenommen?«, fragte Bessell, als er den beiden Kommissaren die Tür öffnete. Es sollte beiläufig klingen, doch Favalli konnte genau das ernsthafte Interesse aus Bessells Stimme heraushören. Er blieb in der Tür stehen und sagte:

»Sie steht unter Schock. Wir haben ihr vorhin die Nachricht überbracht und nur wenige Fragen gestellt. Eine Polizistin ist jetzt bei ihr. Wir haben vorsichtshalber auch einen Arzt verständigt. Er müsste eigentlich längst da sein und sich um sie kümmern.« Bessell machte ein betroffenes Gesicht und hob noch einmal flüchtig die Hand zum Abschied. Caroni und Favalli bemerkten noch, wie Bessell zu Hengartners Haus hinüberschaute, bevor er in die Wohnung zurückging und die Tür ins Schloss fallen ließ.

Sonne am Westufer

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