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Die Kaffeemaschine gluckste und gab Sauggeräusche von sich. Bessell stand in Boxershorts und einem bunten T-Shirt barfuß daneben. In der Hand hielt er zwei Textseiten, die er am Abend zuvor geschrieben hatte. Mit verbissener Miene las er seine Zeilen. Zwischendurch nahmen seine Gesichtszüge einen genügsamen Ausdruck an, doch im nächsten Moment schon hatte man den Eindruck, er hätte in eine saure Zitrone gebissen. So richtig zufrieden schien er mit seiner Arbeitsleistung nicht zu sein. Die letzten Tropfen fielen in die Glaskanne, die fast zur Hälfte mit pechschwarzem Kaffee gefüllt war und verursachten eine interessante kreisförmige Wellenbewegung. Bessell nahm sich einen Becher aus dem Schrank. Als er sich Kaffee einschenkte, fiel ein letzter Tropfen auf die Heizplatte der Kaffeemaschine und tanzte zischend umher. Filterkaffee trank er nur noch selten, eigentlich nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Auch jetzt hätte er viel lieber einen Espresso oder Cappuccino getrunken, doch dafür hätte er hinunter ins Café gehen müssen. Carla Menotti hätte ihre Freude daran gehabt, ihn mit einem süffisanten Lächeln zu empfangen. Diese Situation wollte er sich unbedingt ersparen. Beim Einschlafen hatte er noch eine ganze Weile über Frau Hengartner und ihren Mann nachdenken müssen. Obwohl es ihm eigentlich egal sein konnte, ging ihm die Frage nicht aus dem Kopf, welche Schlüsse die Leute im Ort aus seinem gemeinsamen Spaziergang mit Frau Hengartner wohl zogen. Denn es war klar, dass es sich herumsprechen würde.

Als Bessell von seinem schwarzen Kaffee nippte, musste er daran denken, dass es nicht besonders abwegig war, dass Frau Hengartner ihren Mann erschlagen hatte. Und wer erst einmal bei diesem Gedanken angelangt war, der konnte sich gut vorstellen, dass der Schriftsteller Bessell es auch für sie getan haben könnte. Bessell sah aus dem Fenster. Die Kaffeetasse hatte er in der Hand behalten und gelegentlich nahm er einen kleinen Schluck. Es war noch recht früh. Das Wetter schien selbst noch nicht zu wissen, wie es an diesem Tag werden wollte. Immerhin war es trocken. Bessell überlegte, ob Frau Hengartner tatsächlich kommen würde, um mit ihm einen Ausflug zu machen, so wie sie es gestern Abend angekündigt hatte. Zuzutrauen wäre es ihr, und wenn er ehrlich war, dann freute er sich sogar darauf, obwohl die Umstände natürlich alles andere als erfreulich waren.

Als Bessell sich endlich Frühstück machen wollte, sah er Kommissar Favalli und einen uniformierten Polizeibeamten die Straße hinaufspazieren. Er trat zwei Schritte zurück, denn er wollte nicht am Fenster gesehen werden. Erst vermutete er, sie seien auf dem direkten Weg zu ihm, doch dann sah er, wie beide abbogen und drüben bei Frau Hengartner klingelten. Einen Augenblick dachte er darüber nach, hinauszugehen und ihr beiseite zu stehen. Doch gleich darauf wunderte er sich über einen solch merkwürdigen Gedanken. Er sah an sich herunter und beschloss, sich erst einmal anzuziehen, falls Favalli und sein Kollege ihm doch noch einen Besuch abstatten sollten. Frau Hengartner stand mittlerweile an der Haustür und sprach mit dem Kommissar. Sie machte ein betroffenes Gesicht. Bessell wandte sich ab und ging ins Schlafzimmer. Nachdem er die Hose übergestreift hatte, klingelte es tatsächlich an seiner Tür. Er knöpfte die Hose zu und lief zur Haustür. Vor ihm stand der uniformierte Polizist. Er sprach ihn auf Deutsch an.

»Signore Bessell, entschuldigen Sie bitte die Störung, Commissario Favalli möchte Ihnen gerne einige Fragen stellen.« Favalli stand auf der Straße und schien auf Frau Hengartner zu warten, die ganz offenbar ins Haus zurückgegangen war, um etwas zu holen. Als er sich umdrehte und Bessell in der Tür stehen sah, winkte er ihm zu.

»Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«, rief er Bessell über die kurze Entfernung auf Italienisch zu. Bessell nickte und sein Ja war so leise, dass Favalli es unmöglich hören konnte. Der uniformierte Polizist trat einen Schritt zurück und ließ Bessell vorbei, der sich noch schnell seine Jacke von der Garderobe genommen hatte.

Als er neben Favalli stand, kam Frau Hengartner mit zwei Autoschlüsseln in der Hand aus dem Haus. Sie begrüßte Bessell durch ein neutrales »Guten Morgen« und sah ihn nur kurz an. Favalli fing an zu erklären, was er vorhatte. Er sprach jetzt deutsch, sehr gut und fließend.

»Ich habe Frau Hengartner gebeten, ihren eigenen Autoschlüssel und den ihres Mannes zu holen. Herr Bessell, Sie hatten gestern angegeben, dass Sie zur Zeit kein Auto besitzen.« Bessell nickte stumm.

»Gibt es jemanden hier im Ort, der Ihnen gelegentlich sein Auto leiht, wenn Sie ihn darum bitten?« Bessell verneinte die Frage.

»Was hat das alles mit dem Tod meines Mannes zu tun?«, mischte sich Frau Hengartner ein und sie klang sehr gereizt.

»Ich will ganz offen sein«, sagte Favalli übertrieben wichtig.

»Die Gerichtsmedizin in Bellinzona hat bereits eine Aussage zur Tatwaffe gemacht. Es soll sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein mittelschweres, verchromtes Rohr oder Werkzeug handeln. Ein Radschraubenschlüssel oder etwas Ähnliches ist naheliegend. Außer einem Stück Schwemmholz haben wir aber nichts gefunden. Natürlich hatten wir auch das untersuchen lassen.«

»Sie glauben, dass ich meinen Mann umgebracht habe, das wollen Sie doch damit sagen.« Frau Hengartner sah sehr ärgerlich aus. Ihre Stirn legte sich in Falten und man hatte fast den Eindruck, sie wäre den Tränen nahe. Bessell stand stumm daneben.

»Was ich glaube, ist nicht von Interesse. Meine Pflicht ist es nur, das aus kriminalistischer Sicht Naheliegendste auszuschließen oder zu bestätigen. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Täter aus dem direkten Umfeld des Opfers kommt, glauben Sie mir. Und jetzt würde ich gerne einen Blick in den Kofferraum Ihres Autos und den Ihres Mannes werfen.«

Wortlos folgte Frau Hengartner dem Kommissar, der einige Schritte vorausgegangen war. Bessell war stehen geblieben, der uniformierte Polizist stand direkt neben ihm. Favalli drehte sich im Gehen um.

»Herr Bessell, begleiten Sie uns ruhig«, sagte er und es klang fast wie ein Befehl.

Herr Hengartner fuhr eine Mercedes-Limousine, schwarzmetallic. Missmutig betätigte Frau Hengartner die Fernbedienung des Autoschlüssels. Mit einem leisen Klacken sprang die Kofferraumklappe auf. Favalli ging ganz nah heran und sah hinein. Der Kofferraum war sehr aufgeräumt. Neben einem großen Regenschirm lagen ein Fensterwischer und eine ordentlich zusammengelegte, beigefarbene Wolldecke. Im Seitenfach klemmte eine Plastikflasche mit Motorenöl. Der Polizist in Uniform streifte sich Vinylhandschuhe über. Favalli trat wieder vom Kofferraum zurück und ließ seinen Kollegen gewähren. Frau Hengartner stand mit verschränkten Armen missmutig daneben und beobachtete jede Bewegung des Polizisten. Bessell schaute gelegentlich zu ihr herüber. In dieser Pose sah sie irgendwie nett und anziehend aus, dachte er, doch die ganze Situation war ihm ziemlich unangenehm. Nachdem das Reserverad unter der zurückgeklappten Abdeckung zum Vorschein gekommen war, entfernte der Polizist eine weitere Abdeckung aus Styropor. Dahinter verbarg sich der Wagenheber und die Aussparung, in der eigentlich der Radschraubenschlüssel zu stecken hatte, war leer. Vergeblich versuchte der Mann in Uniform, den Schraubenschlüssel an einer anderen Stelle im Werkzeugfach zu finden.

»Wo könnte Ihr Mann den Radschraubenschlüssel sonst haben?«, fragte Favalli ganz sanft und unaufgeregt, ohne seinen Blick aus dem Kofferraum des Autos zu nehmen.

»Das weiß ich nicht. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass er das Werkzeug für einen anderen Zweck verwendet hat. Vielleicht liegt es in unserer Garage in Zürich.« Frau Hengartner sah plötzlich sehr blass aus.

»Dürfen wir den Autoschlüssel haben, vielleicht müssen wir den Wagen noch genauer in Augenschein nehmen?«, fragte Favalli und streckte seine Hand aus, ohne Frau Hengartners Antwort abzuwarten. Sie gab ihm wortlos den Autoschlüssel.

»So, jetzt würde ich gerne noch in den Kofferraum Ihres Wagens sehen.« Sie gingen wenige Schritte weiter. Frau Hengartner hatte ebenfalls einen Mercedes. Es war ein zweitüriges Sportcoupé in Silber. Statt des Reserverads war ein Pannenspray mit einem kleinen Kompressor im Kofferraum vorhanden, gleich neben der Reserveradmulde. Der Radschraubenschlüssel steckte an der dafür vorgesehenen Stelle. Favalli holte eine Plastiktüte aus seiner Jackentasche und hielt sie auf.

»Wir müssen uns den Radschraubenschlüssel leider für eine kriminaltechnologische Untersuchung ausleihen. Ich hoffe Sie sind damit einverstanden?«, sagte Favalli und der letzte Satz war reine Rhetorik. Der Polizist ließ den Schraubenschlüssel in die Tüte plumpsen.

»Wie Sie meinen«, antwortete Frau Hengartner und aus diesen drei Worten klang unterdrückter Protest gegen dieses Anliegen.

»Werden Sie Ihr Auto heute benötigen?«, wollte Favalli zudem wissen.

»Ja, das werde ich«, erwiderte Frau Hengartner entschieden. Sie sagte es kurz und knapp, als wollte sie einen möglichen Widerspruch im Keim ersticken. Favalli schien darüber nachzudenken, doch dann gab er seine Zustimmung.

»Aber bitte informieren Sie uns, wenn Sie zurück nach Zürich fahren wollen.« Jetzt schaltete sich Bessell ganz unerwartet ein.

»Was schließen Sie jetzt aus dem fehlenden Radschraubenschlüssel in Herrn Hengartners Wagen?« Bessell wunderte sich selbst über seine forsche Frage, aber immerhin hatte Favalli ihn dabei haben wollen und dann konnte er schließlich auch einmal eine Frage stellen. Der Kommissar ließ sich mit der Antwort einen Augenblick Zeit.

»Noch gar nichts, auch wenn Sie mir nicht glauben, das ist alles reine Routine. Dass der Schraubenschlüssel fehlt, kann eine ganz einfache Erklärung haben, aber wir müssen nun einmal diesen Dingen nachgehen.« An seinem Gesichtsausdruck meinte Bessell zu erkennen, dass er ihnen noch etwas verschwieg. Sie gingen wieder gemeinsam zurück.

»Herr Bessell, wenn ich darf, würde ich gerne noch zu Ihnen hereinkommen, um Ihnen noch die eine oder andere Frage zu stellen«, sagte Favalli.

»In Ordnung.«

Favalli gab Frau Hengartner die Hand und bedankte sich bei ihr für die Mühe und ihr Verständnis. Er wies nochmals daraufhin, dass er nur die in einem solchen Fall gebotene Routine walten ließ. Als Frau Hengartner an ihrer Haustür angelangt war und Favalli bereits die wenigen Stufen zu Bessells Wohnung erreicht hatte, fuhr er noch einmal herum.

»Übrigens haben wir gerade Taucher unten am Ufer, die den Grund absuchen, um den Gegenstand zu finden, mit dem ihr Mann erschlagen wurde.« Er sagte es so beiläufig und doch hatte man den Eindruck, dass er diese Information ganz bewusst loswerden wollte. Der uniformierte Polizist kam nicht mit in Bessells Wohnung. Er ging mit dem Radschraubenschlüssel in der Plastiktüte in Richtung Hauptstraße, wo sich vermutlich wieder ein Tross von Fahrzeugen versammelt hatte, doch diesmal nicht mit den Kollegen von der Spurensicherung, sondern mit erfahrenen Polizeitauchern.

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