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ОглавлениеBessell sah aus dem Fenster. Alles war unverändert. Es war niemand zu sehen. Der Himmel klarte sich allmählich auf, doch wenn tatsächlich die Sonne noch herauskäme, dann würde es später nur für ein paar wärmende Sonnenstrahlen unten am Seeufer reichen. Der restliche Teil des Ortes würde wieder leer ausgehen und hatte sich noch einige Wochen zu gedulden, bis die Sonne wieder höher stand. Die beiden Kommissare waren hinunter zum See gegangen. Der tote Herr Hengartner musste mittlerweile seine Reise im Zinksarg angetreten haben, um in der Pathologie in Bellinzona noch genauer untersucht zu werden. Vermutlich waren die Mitarbeiter der Spurensicherung jetzt dabei, alles wieder zusammenzuräumen und in ihren Aluminiumkoffern zu verstauen. Zuvor werden sie zahlreiche Fotos mit der Digitalkamera gemacht haben. Bessell hatte einmal vorgehabt, Krimis zu schreiben, doch es scheiterte an den fehlenden Detailkenntnissen der heutigen Polizeiarbeit. Zumindest war er dieser Meinung und schrieb lieber über die Beziehung von Menschen und den kleinen Abenteuern, die sie im normalen Leben zu bestehen hatten. In der Küche betrachtete Bessell seine Einkäufe und als er den Bon zur Hand nahm, ärgerte er sich über die stolzen Preise für die wenigen Lebensmittel, die er gekauft hatte. Lange würde er damit ohnehin nicht auskommen. Er hatte sich vorgenommen, am Abend wieder häufiger zu kochen. In der Schweiz war es teuer, gerade jetzt, wo der Euro an Wert verloren hatte. Die kleinen Läden in den Schweizer Urlaubsorten am Lago Maggiore langten besonders zu. Doch zum Glück war Italien nicht weit.
Die ganze Angelegenheit hatte Bessell innerlich aufgewühlt. An Schreiben war heute nicht mehr zu denken. Etwas Ablenkung täte ihm daher gut, dachte er. Wenn das Wetter mitspielte und kein besonderer Wellengang war, dann könnte er das Boot klarmachen und auf den See hinausfahren, vielleicht sogar hinüber nach Italien zum Einkaufen. Bisher war er nur einmal mit dem Bus in Luino gewesen. Doch der Bus war teuer und warum sollte er nicht einfach die kurze Strecke mit dem Boot zurücklegen. Er musste wieder an Frau Hengartner denken. Nicht einmal ihren Vornamen kannte er und doch hatte jemand aus dem Ort den Kommissaren erzählt, dass sie sich gut kennen würden oder sogar miteinander befreundet seien. Von seiner zufälligen Begegnung mit Frau Hengartner im Restaurant in San Nazzaro vor vier Wochen hatte er Favalli und Caroni nichts erzählt. Es war das erste und bisher letzte Mal gewesen, dass er mit ihr gesprochen hatte, ohne nur die üblichen Floskeln unter Nachbarn auszutauschen. An diesem Abend hatte sie ein Stück der Unnahbarkeit abgelegt, die sie sonst wie ein unsichtbarer Schleier umwehte. Die Hengartners schienen wohlhabend zu sein. Sie fuhren teuere Autos und dann natürlich das Haus hier am Lago Maggiore, das ihnen gehörte. Bessell hatte vorne an der Hauptstraße im Schaufenster eines Immobilienmaklers schon häufiger die Aushänge gelesen. Selbst für die kleinsten Wohnungen hier im Tessin und erst recht am Lago Maggiore wurden unvorstellbar hohe Kaufpreise verlangt. Bessell mochte sich nicht vorstellen, was schon allein seine Wohnung kosten würde. Seine Vermieterin musste eine reiche Frau sein. Der Tod und nicht der Familienrichter hatte Frau Hengartner von ihrem Mann geschieden. Bessell fragte sich, was er empfinden würde, wenn er die Nachricht von Saskias Tod erhielte. Obwohl er sich sicher war, dass er sie nicht mehr liebte und sie ihn nicht immer fair behandelt hatte und ihn schon früh wie ein Spielzeug, das keine Faszination und Neugierde mehr wecken konnte, beiseitegelegt hatte, war er doch davon überzeugt, dass ihm die Todesnachricht nahe gehen und ihn in einen Schockzustand versetzen würde, der eine ganze Zeit lang anhalten könnte. Die Psychologie eines solchen Schicksalsschlags fing an ihn zu interessieren, und während er darüber nachdachte, wie so etwas schriftstellerisch verarbeitet werden könnte, merkte er, wie schäbig es war, sich jetzt mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Er dachte ernsthaft darüber nach, hinüberzugehen und Frau Hengartner sein Beileid auszusprechen. Doch im nächsten Augenblick wurde ihm klar, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit ihr zu sprechen.
Es schoss ihm plötzlich in den Kopf, dass die Kommissare vielleicht nur deshalb bei ihm waren, weil sie ihn verdächtigten, seinen Nachbarn erschlagen zu haben. Einen anderen Grund konnte es eigentlich nicht geben. Er musste daran denken, wie er als Zwanzigjähriger einen Anruf von der Mordkommission erhalten hatte. Er wohnte noch zu Hause bei seinen Eltern und hatte sich einige Monate zuvor einen alten VW-Passat zugelegt. Der Wagen war eigentlich viel zu groß für seine Bedürfnisse, doch er konnte ihn günstig bekommen und er schien in einem guten Zustand zu sein. Die Mordkommission am Telefon zu haben, war für ihn natürlich ein Schock und der Ermittlungsbeamte teilte ihm auch gleich unverblümt mit, dass es um die Aufklärung eines Raubmordes ging. Mehr wurde nicht verraten und stattdessen ein Termin im Polizeikommissariat vereinbart. Bessell nahm den Termin brav wahr und man verriet ihm, dass sein Auto Schuld am Verdachtsmoment war. Bei einem Raubmord in Süddeutschland hatte ein Zeuge einen Wagen, wie er ihn fuhr, mit der gleichen Farbe und den letzten Ziffern des Kennzeichens gesehen und seine Beobachtungen zu Protokoll gegeben. Auch ein Phantombild existierte, welches gleich im Büro mit Bessells Antlitz verglichen wurde. Nachdem der Kommissar gewisse Ähnlichkeiten festgestellt hatte, wurde Bessell gebeten, noch seine Fingerabdrücke dazulassen. Er musste eine Etage tiefer gehen, alle Finger seiner beiden Hände auf ein Stempelkissen drücken und jeden Einzelnen auf einem Papier abrollen. Ein Vorgang, der sich tief in Bessells Gehirn eingegraben hatte. Mit einem unguten Gefühl fuhr er wieder nach Hause. Er kannte jetzt die Tatzeit, die viele Wochen zurücklag und musste darüber nachdenken, wo er sich wohl zu dieser Zeit aufgehalten haben könnte. Er hatte im Frühjahr sein Abitur gemacht und jobbte gelegentlich für ein Malereiunternehmen. Zum Glück konnte er Stundenzettel vorlegen, die genau in die Tatzeit fielen. Seine Angaben wurden von der Mordkommission beim Malereiunternehmen plump und ohne irgendwelche Erklärungen überprüft. Die Folge war, dass Bessell unter fadenscheiniger Begründung seinen kleinen Gelegenheitsjob verlor. Noch Monate lang hatte er Angst, dass die Mordkommission sich noch einmal melden könnte, um ihm mitzuteilen, dass er noch immer im Fokus der Ermittlungen stand. Doch er sollte nie wieder etwas von dieser Angelegenheit hören. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung spürte er, wie plötzlich das ohnmächtige Gefühl als Mörder verdächtigt zu werden, wie ein schleichendes Gift in sein Innerstes vorzudringen schien. Und vielleicht waren nicht nur seine mangelhaften Kenntnisse der Kriminologie der Grund dafür gewesen, dass er sich literarisch nicht mit diesem Genre beschäftigte, obwohl bei der Leserschaft die Aussicht auf Erfolg wohl weitaus größer gewesen wäre, sondern eben dieses Erlebnis. Er fing an, das Gespräch mit Favalli und Caroni weiter auf sich wirken zu lassen. Möglicherweise folgte der Besuch der beiden Kommissare nur einer vorbestimmten Logik und war damit Teil der Routinearbeit in einem solchen Fall. Auch Bessell wusste, dass bei einem Tötungsdelikt mit hoher Wahrscheinlichkeit der Mörder im direkten Umfeld des Getöteten zu finden war, vor allem dann, wenn es sich nicht um einen Raubmord handelte. Und es war ja verständlich, dass er als Nachbar befragt wurde, zumal die Kommissare auch noch erfahren hatten, dass er mit den Hengartners angeblich befreundet war, obwohl davon nun wirklich nicht die Rede sein konnte. Es war auch nicht ungewöhnlich, dass über Bessell als bunter Hund im Ort geredet und Vermutungen angestellt wurden. Er verhielt sich zwar nicht auffällig, ging nicht mit Strohhut aus dem Haus, trug keine seltsame Kleidung oder trank Absinth in Cafés, während er mit glasigen Augen Leute beobachtete und sich Notizen machte; nein es reichte vollkommen aus, dass alle wussten, dass er sich als Schriftsteller betätigte.
Bessell betrat den kleinen Balkon, der nur von seinem Schlafzimmer aus zu erreichen war und atmete die Luft tief ein. Es war trocken und gar nicht mehr kalt. Alle Wolken hatten sich verzogen und ein winterliches Himmelblau zum Vorschein gebracht. Es ging auch kein Wind. Bessell fragte sich, ob im Außenborder noch genug Benzin war. Zuletzt hatte er das kleine Sportboot im Herbst benutzt. Sicherlich würde es etwas dauern, bis er alles vorbereitet und das Boot zu Wasser gelassen hatte. Auch wenn er es nicht bis Luino schaffen sollte, wäre es nicht weiter schlimm, denn ablenken würde ihn die Bootsfahrt allemal. Ablenkung konnte er jetzt gut gebrauchen.
Bessell nahm seinen Rucksack und stellte ihn in den Flur. Dann füllte er sich eine leere Plastikflasche mit Leitungswasser und schob sie in eine kleine Netztasche an der Außenseite des Rucksacks. Beinahe hätte er nicht mehr an die blaue Klappbox gedacht, die er unbedingt mitnehmen wollte. Neben der Garderobe, in der kleinen Schublade einer hüfthohen Kommode, lagen die Schlüssel für das Bootshaus. Zwischendurch sah er zum Fenster hinaus. Doch drüben rührte sich nichts. Ob Frau Hengartner jetzt erst einmal hier bleiben würde, fragte er sich. Wahrscheinlich würde sie so schnell es eben ging zurück nach Zürich fahren. Vielleicht musste sie auch der Tessiner Polizei in den nächsten Tagen noch zur Verfügung stehen. Und dann fiel Bessell wieder ein, dass auch er nicht unangemeldet auf Reisen gehen sollte, weil Favalli und Caroni ihn möglicherweise noch brauchten, und sei es auch nur, um das Protokoll seiner Vernehmung zu unterschreiben.
Bessell streifte die Kapuzenjacke über und stopfte vorsichtshalber noch einen dicken Baumwollpullover in seinen Rucksack. Als er dann endlich auf der Straße stand, ging die Haustür der Hengartners auf. Ein Mann mit graumelierten Haaren trat heraus. In der Hand trug er eine steife Ledertasche, eine, die zu beiden Seiten aufgeklappt werden konnte. Es musste der herbeigerufene Arzt sein. Bessell sah oben in der Straße einen Volvo stehen, auf den der Mann zielstrebig zuging. Die Polizeiwagen waren fort und wahrscheinlich war sie jetzt ganz allein im Haus.
Unten an der Hauptstraße war alles wie immer. Die Einsatzfahrzeuge waren alle samt verschwunden. Obwohl der Tag milde geworden war, ging Bessell ganz allein an der Hauptstraße entlang. Aus Carla Menottis Café trat der Weißweintrinker leicht schwankend auf das Trottoir. Als Bessell an dem kleinen Supermarkt vorbeikam, sah er flüchtig hinein. Am Boden vor einem Regal hockte die junge Kassiererin und räumte wieder fleißig die Waren ein. Auf der gegenüberliegenden Seeseite tauchten die Sonnenstrahlen die Uferorte und die darüber liegenden blattlosen Kastanienwälder in ein diesiges Gelb. Der See lag tatsächlich ruhig. Der Januar würde bald vorbei sein und dann war das Gröbste überstanden. Bessell erlebte seinen ersten Winter im Tessin, doch hatte seine Vermieterin ihm bei der Schlüsselübergabe im Spätsommer in wortreichen Ausführungen bereits alles über den Verlauf der Jahreszeiten berichtet. Bereits im Februar erwache die Natur, Forsythien, Christrosen und Mimosen fingen an zu blühen. Doch am meisten freute Bessell sich darauf, dass die Tage dann wieder länger werden würden und er wieder mehr Zeit draußen verbringen konnte.
Die kleine Metallpforte quietschte grässlich, als Bessell sie öffnete. Auf der Metalltreppe, die hinunter zur kleinen Liegewiese und dem Bootshaus führte, blieb er einen Moment stehen. Er sah hinunter zum Swimmingpool. Auf dem Grund hatte sich eine braune, mit Pflanzenresten vermengte Wasserbrühe angesammelt. Die Wände des Pools waren mit Algen übersät. Schon im Sommer hatte die Besitzergemeinschaft kein Wasser einlaufen lassen. Am Rand des Beckens stand eine Liege und daneben lag ein nasses Handtuch, das schon den ganzen Winter über dort gelegen hatte. Die Fächerkronen der hochgewachsenen Palmen, die am Rand der kleinen Rasenfläche standen, bewegten sich nicht. Es wehte tatsächlich kein Lüftchen. Nachdem Bessell die Liegewiese erreicht hatte, ging er die wenigen Schritte zu einer weiteren Treppe. Über Betonstufen gelangte er hinunter und öffnete mit dem Schlüssel die Stahltür zum Bootshaus. Die Boote hingen unter der Betondecke, einer abgemauerten Galerie. Es war eine Art Unterstand direkt am Ufer und zur Seeseite offen. Natürlich hingen hier nur kleinere Sportboote und wäre da nicht auch ein Sportschlauchboot mit kleinem Außenborder gewesen, so hätte man das Boot seiner Vermieterin wohl als das unspektakulärste bezeichnen können. Es war ein deutsches Fabrikat, eine Buster S in sehr spartanischer Ausführung. Doch immerhin hatte es eine Steuerradlenkung, so dass Bessell nicht immerfort die Ruderpinne umklammern musste. Er hatte das Boot bereits einmal ausgiebigst im Herbst genutzt. Der kleine Außenborder erlaubte zwar keine großen Geschwindigkeiten, doch es war für Bessells Zwecke allemal ausreichend. Es schien noch genügend Benzin im Tank zu sein. Bessell entdeckte auch noch einen kleinen Benzinkanister. Er war sich zwar nicht sicher, ob er seiner Vermieterin gehörte, dennoch beschloss er, ihn vorsichtshalber mitzunehmen. Nachdem er die Plane entfernt hatte, ließ er das kleine Sportboot mit einer Seilwinde zu Wasser, stieg dann die Leiter noch zweimal hinunter, bis er alles verstaut hatte. Der Außenborder sprang sofort an. Mit ruhig tuckerndem Motor glitt er auf der Wasseroberfläche dahin. Obwohl Samstag war, musste er eine Weile Ausschau halten, bis er zwei weitere Boote in einiger Entfernung entdeckte. Im kleinen Anlegehafen des Ortes war ein alter Mann dabei, sein Boot ebenfalls Klarschiff zu machen, während die übrigen Boote unter ihren Planen weggeduckt zu schlafen schienen. Bessell winkte freundlich. Der Mann erwiderte seinen Gruß und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Auch Bessell fühlte sich gut. Leise klatschte das Wasser unter dem Bug. Das vertraute Geräusch wirkte auf ihn beruhigend. Seine Eltern hatten ebenfalls ein kleines Sportboot gehabt. Als sein Vater vor knapp fünf Jahren starb, hatte seine Mutter es verkauft. Immer wenn Bessell die Gelegenheit hatte, mit einem ähnlichen Boot auf einem See zu fahren, musste er an seinen Vater denken. Diese Gedanken machten ihn traurig, doch er fühlte sich frei und selbstbestimmt, wenn er das Ruder in Händen hielt. Er hätte schon weiter auf den See hinausfahren können, doch von Neugierde getrieben, fuhr er in geringer Entfernung am Ufer entlang. Mit Schwimmern brauchte er um diese Jahreszeit nicht zu rechnen. Hinter einer kleinen Landzunge, auf der besonders schöne Villen direkt am Ufer errichtet worden waren, musste eigentlich die Stelle kommen, wo der Junge Herrn Hengartner gefunden hatte. Bessell hielt weiter darauf zu, doch um nicht zu neugierig zu erscheinen, sah er nur beiläufig hinüber. Ansonsten versuchte er den Blick geradeaus zu halten. Am Ufer und auf den Terrassen und Balkonen war niemand zu sehen. An dem schmalen Kiesstrand sah alles ganz harmlos aus. Die niedrigen Strandweiden, die im Sommer einen kurzen aber begehrten Schatten warfen, wurden sanft vom Wasser umspült. Die Steinmauern der Terrassengärten vermittelten dem nur wenige Meter breiten Kiesstrand eine private Geborgenheit, die nicht mehr häufig am Schweizer Westufer des Lago Maggiore zu finden war. Wenn die beiden Flatterbänder der Polizei nicht gewesen wären, die den Weg zu den ausgetretenen Steintreppen absperrten, dann hätte man immer noch meinen können, den friedlichsten Ort auf Erden vor sich zu haben. Als Bessell sich noch ein letztes Mal umblickte und sich dabei fragte, ob die Villen am Strand gestern Abend wohl bewohnt waren, sah er Favalli hinter einem der Flatterbänder stehen. Wie ein Geist oder eine unverhoffte Erscheinung, stand er plötzlich da und blickte zu ihm herüber. Bessell wandte sich gleich darauf ab, schaltete einen Gang höher und kehrte, indem er auf den See hinausfuhr, Favalli den Rücken zu. Vermutlich hatte Favalli ihn im Schutz der Häuserecke schon länger beobachtet. Bessell hielt auf die Brissago Inseln zu. Der Fahrtwind trieb ihm Tränen in die Augen und zerzauste sein Haar, doch er war nicht besonders kalt. Das Bug des Bootes hob und senkte sich in schneller Folge. Die Gischt befeuchtete sein Gesicht. Hin und wieder schwappte etwas Wasser von einer Bugwelle ins Boot. Bessell kümmerte es wenig. Er ärgerte sich, aus lauter Neugierde so dicht am Ufer entlang gefahren zu sein. Überhaupt hatte er den Eindruck, immer das Falsche zu tun, und das schon seit vielen Jahren. Nach dem Abitur wollte er Lehrer werden, die erste Fehlentscheidung. Als er es endlich bemerkt hatte, begann er Germanistik zu studieren. Ebenfalls ein Fehler, wie er später fand. Am Ende stand er ohne Abschluss da. Dann lernte er Saskia kennen, die vielbeschäftigte, hoffnungsvolle und aufstrebende Journalistin, die immer nur ihre Karriere im Kopf hatte. Und dennoch heiratete er sie. Der nächste große Fehler in seinem Leben. Dann folgte seine Arbeit bei diesem kleinen Zeitschriftenverlag. Saskia hatte ihm diese Stelle vermittelt. Er lektorierte Artikel über Architektur und Designermöbel. Später schrieb er kleinere Artikel für ein Uhrenmagazin des Verlags.
Die Arbeit gefiel ihm nicht besonders und Saskia bekam er kaum noch zu Gesicht, weil sie beständig auf Reisen war. Und dann hatte er es satt und kündigte. Er wollte von da an Romane schreiben und vielleicht würde er auch das irgendwann einmal bereuen. Es kam ihm schon jetzt vor, wie der Sprung aus einem Flugzeug, ohne zu wissen, ob der Fallschirm, den er am Leibe trug, auch wirklich funktionsfähig war. Ein freier Fall eben, mit ungewissem Ausgang. Ein Sprung von der Klippe, in der Hoffnung, dass das Wasser, in das er fiel, auch tief genug sein würde.