Читать книгу Deutsch in Luxemburg - Fabienne Scheer - Страница 23
1.2 Erweiterung des Materials um Experteninterviews
ОглавлениеNach den ersten Recherchewochen im Gaspericher Archiv zeigte sich, dass eine Analyse, die sich einzig auf die Untersuchung von Medientexten beschränkt, der Zielsetzung der Arbeit nicht gerecht wird: In den Zeitungen tauchen nur bestimmte Teildiskurse und Argumentationsmuster auf, die es zwar ermöglichen Bewertungen der deutschen Sprache in Luxemburg zu entschlüsseln und erste Vermutungen über die Denkmuster der Gesamtgesellschaft anzustellen, die allerdings gleichermaßen vieles im Verborgenen lassen. Dazu gehört beispielsweise eine Antwort auf die Frage, inwieweit Bewertungen einer Sprache tatsächlich Auswirkungen auf deren Positionen und Funktionen innerhalb der Gesellschaft nehmen. Ferner wird im Mediendiskurs ein ‚Domänenwissen’ der Luxemburger Bevölkerung verhandelt, das in vielen Fällen schon nicht mehr dem faktischen Sprachhandeln auf den verschiedenen sozialen Feldern entspricht. Um das Mentalitätenwissen zu untersuchen – nicht nur das Arrangement von Wissen, sondern auch das faktische Sprachverhalten – ist es notwendig, sich den ‚Praktikern’ auf diesen sozialen Feldern weiter anzunähern.1 Ergänzend zum Medienkorpus wurden daher auch Experteninterviews durchgeführt, die die Befunde der Arbeit näher an die Praxis des Sprachhandelns heranrückten. Wissenssegmente werden folglich nicht mehr nur aus der Perspektive der Medien analysiert, sondern unter Beteiligung derjenigen, die sich auf den einzelnen Feldern bewegen, über die diskutiert wird. Die Experten sind ‚Zeugen’ oder in Anlehnung an Foucault ‚Praktiker’ der uns interessierenden Prozesse (vgl. Gläser/Laudel 2010: 12). Der Begriff Experte beschreibt nach Gläser/Laudel (ebd.) „die spezifische Rolle des Interviewpartners als Quelle von Spezialwissen über die zu erforschenden sozialen Sachverhalte. Experteninterviews sind eine Methode dieses Wissen zu erschließen.“ Menschen, die aufgrund ihres Berufsfeldes direkt oder indirekt mit der luxemburgischen Sprachensituation in Berührung kommen und auf ihrem Gebiet den Status des ‚Experten’ verdienen, gewährten mir Einblicke in ihren Arbeitsalltag und halfen somit der Beantwortung der Forschungsfrage näherzukommen. Zum Teil arbeiten sie in herausgehobenen Positionen und haben im Land einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, letztlich war es für ihre Auswahl aber nur wichtig, dass sie über ein fundiertes Wissen auf ihrem Gebiet verfügen und mich daher in die Sprachverhaltensstrategien auf ihren Feldern einweihen konnten (vgl. ebd.: 13). Insgesamt habe ich 22 Experteninterviews in Form von Leitfadeninterviews durchgeführt. Die Leitfäden wurden von mir für das jeweilige thematische Feld erarbeitet (Bildung, Immigration, Sprach(en)politik, Medien, Literatur, Öffentlichkeitsarbeit …) und auf den Interviewpartner individuell zugeschnitten. Um das Interview so nah wie möglich an einem natürlichen Gespräch zu halten, wurden die Fragen als Richtschnur betrachtet und in der Reihenfolge gestellt, wie es der Verlauf des Gesprächs ergab (vgl. ebd.: 42). Manche kamen auch erst im Gespräch auf. Sämtliche Gespräche, bis auf drei, die auf Deutsch geführt wurden, fanden auf Luxemburgisch statt, weil davon ausgegangen wurde, dass Befragte in der Sprache, in der sie sich am wohlsten fühlen, am offensten sind.
Die Interviewpartner wurden bei der ersten Kontaktaufnahme über die Ziele der Untersuchung und ihre mögliche Rolle als Experten für ihre berufliche Domäne aufgeklärt. Während des Interviews, das in der Regel an ihrem Arbeitsplatz stattfand, habe ich sie noch einmal über das wissenschaftliche Themenspektrum meines Forschungsprojekts in Kenntnis gesetzt. Erläuterungen zum Ablauf des Interviews wurden zu Beginn gegeben. Die Gespräche wurden unter Einwilligung der Beteiligten aufgezeichnet.2 Da sie als domain experts fungierten, wollte ich ihre Namen nicht anonymisieren. Nur im Bereich des Bildungsdiskurses wurde vereinzelt auf die namentliche Nennung der Lehrkräfte verzichtet.3 Daneben wurden Personen, von denen nur wenige Informationen benötigt wurden, aus Zeitgründen telefonisch oder per Mail befragt. Eine zusätzliche und umfangreiche Befragung erfolgte mithilfe eines Fragebogens zum Themenkomplex ‚Politische Kommunikation auf der kommunalen Ebene’. Er wurde von mir an eine Auswahl der, zu diesem Zeitpunkt, 106 Gemeinden Luxemburgs verschickt. Die Antworten aus 13 Gemeinden flossen schlussendlich in die Analyse mit ein. Die Teildiskurse, die ich anhand des Medienkorpus provisorisch festgelegt hatte, zeigten zu welchen Themenkomplexen Experten befragt werden mussten.
Themenkomplexe/Teildiskurse | Expertengespräche mit |
Deutschunterricht im Sekundarunterricht | Romain Dockendorf. Deutschlehrer am Lycée classique de Diekirch (LCD)Marie-Rose Wirtz. Deutschlehrerin am LCD, langjährige Unterrichtserfahrung in den ALLET-KlassenRobert Gollo Steffen. Deutschlehrer am LCD, Musiker und Inhaber des Literaturverlags Op der LeyFernand Weiler. Deutschlehrer am LCDJeannot Kettel. Geschichtslehrer am LCD |
Der Deutschunterricht im technischen Sekundarunterricht. Deutsch als Unterrichtssprache. Deutsch als Zweitsprache/Intensivsprachkurse | Martine Hummer. Deutschlehrerin am Lycée technique du Centre (LTC) (DAF- und DAZ-Unterricht)Wilfried Jansen. Chargé de cours am LTC (Fach: Deutsch/DAF/DAZ)Antoinette Maas. Stellvertretende Direktorin am LTC, verantwortlich für die classes d’insertion, classes à régime linguistique spécifique, bac internationalDamjana Sulina Zorko. Chargée de cours am LTC (Fach: Deutsch/DAF/DAZ)Nadine Vandivinit. Deutschlehrerin und Koordinatorin für das Fach Deutsch am deutsch-luxemburgischen Schengen-LyzeumMailaustausch mit zwei Sekundarschullehrerinnen (anonym)Mailaustausch mit Colette Kutten über die Entstehung des Deutschbuches ‘Das Eselsohr’ |
Deutsch als Alphabetisierungssprache in Luxemburg. Deutsch als Unterrichtssprache für Migrantenkinder | Astrid Neumann. Cours d’accueils in Wiltz. Mitverantwortlich für die Ausarbeitung des landesweiten Lehrplans der cours d’accueils beim BildungsministeriumAline Soisson-Schumacher. Cours d’accueils in Esch/AlzetteGruppeninterview mit drei Grundschullehrerinnen (anonym)Mailaustausch mit einer Grundschullehrerin (anonym)Telefon- und Mailaustausch mit Robi Brachmond (Ministère de l’Education nationale, de l’enfance et de la jeunesse, Service de l’enseignement fondamental, Programmes et matériel didactique, législation (organisation), pédagogie) |
Sprachcurriculare Bedeutung der Vorschule | Austausch mit einer Vorschullehrerin (anonym) |
Sprache und Kultur | Diane Krüger. Stellvertretende Direktorin beim Institut Pierre Werner |
Literatursprachen – Sprache und Literatur | Rob Kieffer. Chefredakteur Éditions Binsfeld (Binsfeld als Verlagshaus, Werbeagentur, Eventagentur sowie Agentur für Öffentlichkeitsarbeit und Krisenmanagement)Telefonaustausch mit Valérie Schreiner. Von 2010 bis 2014 Lektorin bei Éditions Binsfeld, 2015–2016 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die EU-Präsidentschaft Luxemburgs beim Ministère de l’Enseignement Supérieur et de la recherche, freie LektorinRobert Gollo Steffen. Verlag op der Ley |
Sprache und Integration | Laura Zuccoli. Präsidentin der ASTI4 |
Sprache und Politik; Sprache und Gesellschaft | Fragebögen an die GemeindenTelefonaustausch mit Claudine Muller, stellvertretende Direktorin am Centre de Logopédie Luxembourg.Austausch mit Laurence Mousel, Anwältin bei der Kanzlei Bauler & LutgenHubertus von Morr. Ehemaliger deutscher Botschafter in LuxemburgLex Roth. Gründungspräsident, heute Vizepräsident der Actioun Lëtzebuergesch, hat sich auf vielfältige Weise für die Entwicklung und Anerkennung der luxemburgischen Sprache eingesetzt und wurde dafür mehrfach vom Luxemburger Staat ausgezeichnet |
Printmedien | Claude Karger. Chefredakteur Lëtzebuerger JournalRoger Infalt. Chef der Lokalredaktion Tageblatt, Präsident des Presserates, Präsident der Association luxembourgeoise des journalistes |
Öffentlichkeitsarbeit und Werbung | Olivier Mores. Kommunikationsbeauftragter bei Post LuxembourgRob Kieffer. Chefredakteur Éditions Binsfeld |
Tabelle 1:
Übersicht über die durchgeführten Experteninterviews5