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1 Aufbau des luxemburgischen Schulsystems

1.1 Grundschule (école fondamentale)

Lange Zeit beruhte der Aufbau der luxemburgischen Grundschule auf einem verhältnismäßig alten Gesetz. Erst die Bildungsreform, die im Jahr 2009 in Kraft trat, ersetzte ein Schulgesetz aus dem Jahr 1912. Mit dem neuen Schulgesetz vom 6. Februar 2009 wurde der Aufbau der Vor- und Primärschule grundlegend reformiert. Was vor 2009 im Volksmund Spillschoul und Primärschoul genannt wurde, wird nun als ein Ganzes bezeichnet: die école fondamentale. Ab der Einschulung sind nicht mehr acht bzw. neun Schuljahre bis zum Übergang in die Sekundarschule zu zählen, sondern 4 Grundschulzyklen.1

Staatliche und private Krippen nehmen Säuglinge ab drei Monaten auf, die bis zum vierten Lebensjahr, dem Beginn der Schulpflicht, dort betreut werden können. In Kindertagesstätten, die dem luxemburgischen Bildungsministerium unterstehen, muss Luxemburgisch geredet und der Erwerb der Sprache beim Kind gefördert werden. Private Kindertagesstätten müssen sich nicht an diese Vorgaben halten. Ein Großteil der privaten Krippen wird von französischsprachigem Personal betrieben, andere werben wiederum gezielt mit mehrsprachiger Erziehung (vgl. Die Grenzgänger 2010).2 Jede luxemburgische Gemeinde ist dazu verpflichtet, eine fakultative Früherziehung (éducation précoce) für Kinder ab drei Jahren anzubieten. Die école fondamentale beginnt mit zwei Jahren obligatorischer Vorschule im Grundschulzyklus 1. Sie endet mit dem Abschluss des Zyklus 4.2 (vormals sechste Klasse).

In Früherziehung und Vorschule ist Luxemburgisch die alleinige Unterrichts- und Klassensprache. Im Grundschulzyklus 2.1, der ersten Klasse, setzt die Alphabetisierung auf Deutsch ein. Die deutsche Sprache ist sodann im Klassenzimmer die mündliche und schriftliche Verkehrssprache. Sie wird in den regulären Klassen nicht als Fremdsprache unterrichtet. Ab dem dritten Trimester des Grundschulzyklus 2.2 (vormals zweites Schuljahr) beginnt der Erwerb der französischen Sprache, die konsequent als Fremdsprache erlernt wird. Französisch wird bis zum Abschluss der école fondamentale in der Regel nur im Französischunterricht als Verkehrssprache benutzt.

Diese schematische Zusammenfassung stellt lediglich eine Orientierungshilfe dar. Es wird sich zeigen, dass die Verteilung der drei Grundschulsprachen (Luxemburgisch, Deutsch und Französisch) in der Praxis weitaus komplexer ist – dass das Schulgesetz und eingebürgerte Gewohnheiten mitunter mehrere Sprachen zulassen.

1.2 Sekundarschule

Im Anschluss an die Grundschule stehen Schülern verschiedene Sekundarschultypen zur Auswahl.1 In Luxemburg wird unterschieden zwischen dem Enseignement secondaire (allgemeiner, klassischer Bildungsweg, ES) und dem Enseignement secondaire technique (technischer Sekundarunterricht, EST). Am Ende des vierten Grundschulzyklus gehen Schüler durch Orientierungsbeschluss des sogenannten conseil d’orientation entweder in eine siebte Klasse des technischen oder des allgemeinen Sekundarunterrichts.

1.2.1 Enseignement secondaire classique (ES)

Der allgemeine Sekundarschulunterricht entspricht dem deutschen Gymnasium und umfasst eine Regelschulzeit von sieben Jahren. Er schließt mit dem klassischen Abitur in der 13. Klasse (1ère)1 ab und bereitet auf weiterführende Studien vor. Schüler, die den klassischen Sekundarschulunterricht besuchen, setzen ihre Schullaufbahn in der 7. Klasse des ES fort. Die Unterrichtssprache ist hier (zunächst) weiterhin Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das sofort auf Französisch unterrichtet wird. In der achten Klasse (sixième) beginnt der Erwerb der englischen Sprache, außer der Schüler wählt Latein, dann setzt der Englischunterricht erst ein Jahr später ein. Einige wenige Gymnasien bieten in der Unterstufe Förderklassen im Fach Deutsch (ALLET-Klassen) und/oder im Fach Französisch (Français + oder Français Intensif) an. Diese Spezialklassen richten sich an Schüler, die eine siebte Klasse des ES besuchen, weil sie über sehr gute Kenntnisse in Mathematik und einer Fremdsprache (entweder Deutsch oder Französisch) verfügen, jedoch Schwächen in der jeweils anderen Schulsprache (Deutsch oder Französisch) aufweisen. Die Schwierigkeiten in dieser Sprache dürfen nicht so erheblich sein, dass sie nicht mit einem intensiven Förderunterricht zu beheben wären. Der Sprachunterricht im Enseignement secondaire ist nämlich auf die schrittweise Ausbildung von annähernd muttersprachlichen Kenntnissen ausgerichtet. Der Kanon der einzelnen Literaturen wird behandelt und für den Wissenserwerb in den Sachfächern werden hohe Fremdsprachenkenntnisse vorausgesetzt. Im Enseignement secondaire classique wechselt nach Abschluss der 9. Klasse (5ième) die Vermittlungssprache in den Sachfächern von Deutsch auf Französisch, was für viele Schüler zum Problem wird. So wies der Geschichtslehrer Jeannot Kettel im Experteninterview darauf hin, dass ein Großteil der Schüler in den Sachfächern hilflos vor Aufgabenstellungen sitze, weil er die Sprache der zu behandelnden Texte und Fragestellungen nicht verstehe.

F.S.: „Also a wéi fern beaflosst d’Unterrechtssprooch den Erfolleg vun de Schüler an de Sachfächer, an de Niewefächer?“

Jeannot Kettel (Geschichtslehrer) : „Jo wann een d’Langue véhiculaire net beherrscht, mat der een sech muss ausdrécken, ass et ee grousse Problem. Am Franséische, also ech schwätzen lo net méi fir d’Däitscht, well ech halen [schonn] eng Zäitchen [an den iewechten Klassen vum Classique Geschicht], obwuel do d’Saachen daks d’selwecht sinn, ass et ganz daks sou …, do ass jo de Sprong vu 5ième op 4ième an da kënnt mol éischtens de ganzen historesche Vocabulaire op Franséisch plus déi normal Wierder, déi si brauchen fir hirt Wëssen iwwerhaapt mol auszedrécken an dat ass natierlech immens schwéier. […] Schwaach Schüler ginn natierlech, wann et op Franséisch vum Däitschen aus wieselt, nach vill méi schwaach a gutt Schüler gi villäicht bësse manner staarker.“

F.S. : „Mierkt Der dann och, dass d’Schüler soen : „Oh firwat ass et [d’Fach Geschicht] net méi op Däitsch ?!““

Jeannot Kettel : „Jo, mee mir sinn eben an engem Land, wou d’Franséischt eng relativ grouss Roll spillt an d’Däitscht ass schonn iwwerbewäert am Moment an dat ass iergendwéi, si mussen déi Sprooch [=d’Franséischt] beherrschen am Fong, déi se harno an der Administratioun brauchen.“

F.S. : „Däerfen si [d’Schüler] een Dictionnaire [am Unterrecht] benotzen ?“

Jeannot Kettel : „Nee, nee. […] An der Prüfung dierfe se kee benotzen. Wa si am Unterrecht een Dictionnaire derbäi hätten, wier dat kee Problem, mee am Prinzip solle si mech froe, wann se eppes net verstinn. […] Wisou schwätzen ech am Ufank vill méi lues Franséisch an der Klass an ech soen am Fong alles dräimol an anere Wierder. Dat heescht, ech huelen all Kéier rem Synonymen derfir vum wichtegste Wuert an dann gëtt et rem ëmschriwwen, bis si et awer verstinn. Och zu eiser Zäit hutt ee vill Franséisch iwwer d’Niewefächer geléiert. An dat ass am Fong firwat d’Niewefächer op Franséisch sou wichteg ass. Si léieren do op mannst sou vill Franséisch wéi am Haaptfach, besonnesch dann och déi technesch Vokabelen, déi am Sproochenunterrecht jo net onbedéngt derbäi kommen, ginn do benotzt.“2

Die Oberstufe (4ième, 3ième, 2ième, 1ière) des ES beginnt mit der Orientierungsklasse (4ième), in deren Verlauf die Schüler sich überlegen sollen, auf welche der sieben möglichen Fachrichtungen sie sich in den nächsten drei Jahren spezialisieren wollen. Mögliche Spezialisierungen für die Oberstufe sind: die A-SEKTION (Sprachen und Geisteswissenschaften), die B-SEKTION (Mathematik und Informatik), die C-SEKTION (Naturwissenschaften und Mathematik), die D-SEKTION (Wirtschaftswissenschaften mit mathematischer Ausrichtung), die E-SEKTION (Bildende Künste), die F-SEKTION (Musikwissenschaften) und die G-SEKTION (Geistes- und Sozialwissenschaften).

1.2.2 Enseignement secondaire technique (EST)

Das technische Sekundarschulsystem gliedert sich grob in zwei Schultypen: in den technischen Sekundarunterricht (ST) und in den Modular-Unterricht (régime préparatoire – MO).

Der technische Sekundarunterricht entspricht in etwa der deutschen Realschule. Während der Abschluss einer 13. Klasse im EST ebenfalls zum Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife führen kann und verschiedene universitäre Studien ermöglicht, ähnelt der Modular-Unterricht der deutschen Hauptschule. Er nimmt die Schüler auf, die in einem oder mehreren Fächern nicht die Mindestkompetenzen (Sockelkompetenzen) im Grundschulzyklus 4. erreicht haben und bereitet entweder auf die Unterstufe des technischen Sekundarschulunterrichts oder auf eine Berufsausbildung vor. Im Modular-Unterricht (MO) wird der Stoff aus der Grundschule wiederholt und der Fokus auf die Ausbildung praktischer Fertigkeiten gelegt. Sämtliche Fächer werden dort auf Deutsch unterrichtet. Verschiedene Schulen bieten aber auch frankophone Modularklassen an.

In der Unterstufe des technischen Sekundarunterrichts (7ième, 8ième, 9ième ST) wird zunächst das Wissen in den regulären Fächern (Deutsch, Französisch, Englisch, Mathematik, Naturwissenschaften) vertieft. Die Unterrichtssprache ist hier Deutsch, mit Ausnahme des Fachs Mathematik, das wie im ES auf Französisch unterrichtet wird. Einige technische Sekundarschulen bieten 7ième-ST-Schülern Förderunterricht in Deutsch, Französisch oder Mathematik an, der in den Stundenplan integriert ist. Die Mittel- und Oberstufe des technischen Sekundarunterrichts ist in vier Ausbildungswege unterteilt, die den Schülern je nach Notenschnitt zur Auswahl stehen: die technische Ausbildung, die Technikerausbildung, die berufliche Ausbildung (DAP – diplôme d’aptitude professionnelle) und die Berufsausbildung (CCP – certificat de capacité professionnelle). Die technische Ausbildung berechtigt zum Universitätsstudium. Die Technikerausbildung dauert ebenfalls bis zur 13. Klasse. Am Ende steht das Technikerdiplom. Die Berufsausbildung (DAP) bereitet auf einen handwerklichen Beruf vor und erfolgt abwechselnd im Betrieb und in der Schule. Sie endet mit dem beruflichen Eignungsnachweis, der später als Grundlage genutzt werden kann, um die Meisterprüfung abzulegen oder ein fachgebundenes technisches Hochschulstudium zu absolvieren. Die Berufsausbildung (CCP) führt zum Berufsbefähigungszeugnis und ist unterhalb des DAPs einzustufen.

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