Читать книгу Wo die ganze Welt vor Anker geht - Felix Henrichs - Страница 11

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Im Kühlschrank

Guus Peters, Gent

Warum empfinde ich es als ein Privileg, an Bord eines Schiffes mit einer Mannschaft aus aller Herren Länder zu kommen? Zu den Seebären mit ihrer oft schlimmen Vergangenheit und einem meist völlig anderen religiösen Hintergrund wie wir, viele davon Muslime. Was macht diese Besuche zu so etwas Besonderem für mich? Es begann vor 14 Jahren, hier im Hafen von Gent.


Gent ist der drittgrößte Überseehafen Belgiens. Die Stadt ist über den Gent-Terneuzen-Kanal mit der Westerschelde und der Nordsee verbunden. Schiffe, die hierherwollen, müssen zuvor in den Niederlanden eine Reihe schwerer Schleusen passieren, um in den Kanal einzufahren. Das ist immer etwas Spektakuläres. Steht man am Ufer, kann man die haushohe Stahlwand der Frachtschiffe aus aller Welt beinahe berühren.

In Gent gibt es riesige Hochöfen, deshalb legen viele Kohle- und Erzfrachter hier an, welche die Industrie mit den nötigen Rohstoffen aus Südamerika, Afrika und Asien versorgen. Die Mannschaften an Bord kommen heutzutage meistens von den Philippinen, aus Indien, Pakistan, Myanmar und anderen asiatischen Ländern.

Mit Herzklopfen erklimme ich zum ersten Mal in meinem Leben die Gangway so eines Frachters. Der unrasierte Wachmann in seinem schmutzigen und zerschlissenen Overall begrüßt mich eher verhalten und lässt mich nur widerwillig an Bord. Im Pausenraum des Schiffes begegne ich einigen seiner Mannschaftskollegen, die mich nicht weiter beachten. Ich setze mich in eine Ecke, aber keiner setzt sich zu mir. Die Atmosphäre ist kalt und feindselig. Ich habe richtiggehend das Gefühl, in einem Kühlschrank zu sitzen. So gut es geht, versuche ich, ein Gespräch mit den Männern anzufangen, aber es klappt einfach nicht. Ich stoße nur auf Ablehnung, keiner will mit mir reden. Am liebsten würde ich nur noch aus dieser Situation fliehen, sofort das Schiff verlassen und auf ein anderes gehen.

Da höre ich tief in meinem Inneren eine Stimme zu mir sprechen: »Guus, bist du bereit, hier mit mir, mitten in dieser Kälte zu sitzen? Möchtest du mit mir hier aushalten?« Es ist die Stimme des Herrn. Ich erkenne, dass er, Jesus, auf diesem Schiff bei mir ist, auch mitten in dieser spürbaren Kälte. Er bittet mich, bei ihm zu bleiben. Meine spontane Antwort: »Wenn ich ehrlich bin, lieber nicht, Jesus.« Sofort höre ich die innere Stimme wieder: »Dann wirst du diese Situation wohl noch sehr oft erleben.«

Ich muss schmunzeln. In diesem Moment erkenne ich, dass Jesus mich eine Lektion lernen lassen will. Denn wie sollen Menschen durch mich seine Liebe kennenlernen, wenn ich nicht dazu bereit bin, zu ihnen zu gehen, mitten in ihren Alltag hinein. Also beschließe ich, die spürbare zwischenmenschliche Kälte an Bord dieses Bulkcarriers (Massengutfrachters) in Kauf zu nehmen. Mehr noch, ich fasse einen grundsätzlichen Entschluss: Ich will künftig immer da sein, wo auch Jesus ist!

Seither gehe ich mit Freude auf die Schiffe. Meistens werde ich weitaus gastfreundlicher und mit offeneren Armen empfangen als bei diesem ersten Besuch damals. Doch auch Besuche auf Frachtern, die weniger gastfrei sind, sind mir ein Privileg. Denn ich komme nie allein an Bord. Jesus ist immer dabei.

Wir beide sind seit diesem Tag noch viele Male gemeinsam im Kühlschrank gesessen. Und diese Momente sind kostbar, denn mit Jesus bin ich nie alleine. Und das spüren sogar die Seemänner um mich her. Viele erkennen, dass mit mir Gottes guter Geist an Bord kommt, der ihr Leben verändern möchte …

Inzwischen fällt es mir längst nicht mehr so schwer, die Seeleute auf ihren Schiffen zu besuchen. Ich weiß, dass Jesus gemeinsam mit mir die Gangway hinaufgeht, und wir genießen jeder die Gegenwart des anderen. Er ist derjenige, der handelt, egal ob in eisiger Kälte, Wärme oder Hitze.

Das Evangelium unter den Seemännern, diesen kostbaren Menschen, zu verbreiten, ist für mich zu einer ganz besonderen Berufung geworden. Nicht zuletzt wegen des Kühlschranks.


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