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Kevin war völlig am Ende

Felix Henrichs, Rotterdam

Auf dem kleinen, blaurot gestrichenen Containerfrachter herrscht eine beklemmende Atmosphäre. Seeleute mit Helm und rotem Overall hechten an mir vorbei auf ihre Posten. Keiner hat Zeit. In der Mannschaftsmesse schlingen zwei Filipinos ihr Mittagessen hinunter. Sofort müssen sie weiter, zurück an die Arbeit. Keine Zeit für Gespräche. Enttäuscht steige ich die enge Treppe nach oben und suche das Büro des Schiffs in der Nähe der Brücke, um meine Papiere von einem der Offiziere abstempeln zu lassen. Hier sitze ich wenig später Kevin gegenüber, dem Ersten Offizier.

Kevin stammt von den Philippinen. Selten ist mir ein Seemann begegnet, der so niedergeschlagen aussah wie er in diesem Moment. Als ich ihn frage, wie es ihm geht, beginnt er mit traurigem Blick zu erzählen.

Kevin ist überzeugter Christ, er stammt aus Davao auf der Insel Mindanao im Süden der Philippinen. Seine Frau und seine kleine Tochter vermisst er schrecklich. Seit acht Monaten muss er ununterbrochen auf dem Schiff Dienst schieben. Die Reederei setzt ihn stark unter Druck. Sein Schiff pendelt nur auf den Kurzstrecken in Europa hin und her, von einem Hafen zum nächsten. Die Mannschaft ist nur wenig auf hoher See, wo sie sich etwas erholen könnten. Liegt das Schiff im Hafen, müssen sie extrem hart arbeiten, denn das Be- und Entladen geschieht unter enormem Zeitdruck. Kevin ist fix und fertig.

Eigentlich will er seinen Vertrag vorzeitig beenden und nach Hause zurück. Doch das könnte das Ende seiner Karriere bedeuten, einen Posten als Erster Offizier findet man nicht jeden Tag. Er weiß nicht mehr ein noch aus.

An dem Tischchen in seinem Büro höre ich ihm zu und versuche, ihn zu ermuntern: »Kevin, Gott macht keine Fehler«, sage ich. »Er hat dich bewusst in diese Situation hineingestellt, um dir zu zeigen, dass du ihn brauchst und ohne ihn nichts tun kannst. Bitte vertraue Gott und lege deine Situation in seine Hände, er wird dir Kraft geben. Er ist bei dir, auch heute, und auch zu Hause bei deiner Familie.« Ich kopiere ihm ein paar passende Predigten auf seinen Laptop und bete mit ihm. Dann umarme ich ihn und gehe aufs nächste Schiff.

Der Frachter, auf dem Kevin Erster Offizier ist, kommt in den Monaten darauf regelmäßig nach Rotterdam, immer wieder besuche ich ihn. Er muss zwar nicht weniger arbeiten, aber von Mal zu Mal wirkt er fröhlicher. Immer öfter sehe ich ihn lächeln. Kevin erlebt mit, wie Jesus unser Gebet erhört und ihm hilft. Durch meine Freundschaft zu Kevin komme ich auch mit anderen Seeleuten auf seinem Schiff ins Gespräch. Selbst der Kapitän freut sich heute, wenn ich an Bord komme, denn er hat miterlebt, wie gut Kevin meine Besuche getan haben.

Jedes Mal beten Kevin und ich zusammen, und wir legen seine Situation erneut in Gottes Hand. Nun will er bis zum Ende seines Vertrags durchhalten. Und natürlich umarmen wir uns immer zum Abschied. Kevin ist mir ein echter Freund geworden.

Dann kommt der Tag, auf den Kevin und ich so lange gewartet haben – sein Vertrag endet endlich. Bei unserer letzten Begegnung auf dem kleinen Frachter steht mir ein völlig veränderter Mensch gegenüber. Obwohl er zwei Tage am Stück durcharbeiten musste, strahlt Kevin übers ganze Gesicht. Wir freuen uns beide, dass er dank der Hilfe Gottes bis zum Ende seines Vertrages durchgehalten hat. Bald ist er wieder zu Hause und kann seine Frau und Tochter wieder in die Arme schließen.

Seine Beziehung zu Jesus hat in den vergangenen Monaten eine neue Dimension erreicht. Kevin hat erlebt, wie Jesus Kraft gibt und ermutigt, selbst wenn nicht immer alles glattläuft. Und Jesus hat mich im rechten Augenblick zu ihm aufs Schiff geführt. Jesus weiß, was die Seemänner brauchen. Manchmal ist es einfach nur ein guter Freund …

Nachdem Kevin und ich uns eine Weile unterhalten haben, gehe ich in den Speiseraum des kleinen Frachters zurück, wo der Smutje (Schiffskoch) gerade Pause macht. Ich trinke eine Tasse Kaffee mit ihm, und wir kommen ins Gespräch. Als er merkt, dass ich Pastor bin, bittet er mich von sich aus, ihm die Botschaft der Bibel zu erklären, was ich gerne tue. Nach einiger Zeit erzählt mir der Koch, wie wichtig Kevin ihm geworden ist:

»Weißt du, Felix, ich habe schon lange über Jesus nachgedacht«, beschreibt er seine Gefühle. »Aber erst auf diesem Schiff ist mir bewusst geworden, dass ich Jesus als Erlöser brauche – und zwar, weil ich Kevin hier getroffen habe. Kevin ist mir ein großes Vorbild, ich sehe Jesus in ihm. Er hat so viel Stress und ist trotzdem geduldig und freundlich. Seit ich Kevin kenne, weiß ich, dass Jesus echt ist und wirklich hilft. Ich möchte Jesus in mein Leben einladen …«

Später erzähle ich Kevin von dieser Begegnung. Ihm fehlen die Worte, so überwältigt ist er von der Größe Gottes. Obwohl er sich schwach und verlassen gefühlt hat, hat Gott ihn gebraucht. Ohne es zu merken, hat er einem seiner Kollegen den Weg zum Leben gezeigt. Voller Freude ist Kevin nach Hause zurückgekehrt.

Wo die ganze Welt vor Anker geht

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