Читать книгу Der Stern von Nirada - Band 1 - Felix van Kann - Страница 14
Kapitel 5 - Dragons Kälte
ОглавлениеSimlon wirbelte herum, täuschte nach links an und wechselte dann die Richtung. Sanaleor blitzte kalt wie ein Eiskristall auf und flog auf die Brust des Weisen zu, der den Schlag mühelos parierte.
Mit einem Klirren der Schwerter schob der Weise Simlon zurück und setzte nun seinerseits zu einem Angriff an. Trotz seines hohen Alters bewegte sich Jomera flink und agil und kombinierte seine lupenreine Technik mit einer Kraft, die Simlon ihm nicht zugetraut hätte.
Er fletschte die Zähne und Schweißperlen liefen über sein verzerrtes Gesicht, als Jomera zwei weitere Mal zuschlug und ihn weiter zurückdrängte.
„Du hast deinen Kopf nicht frei“, mahnte sein Meister, ohne dabei nur im Mindesten außer Atem zu wirken.
„Ich versuche es ja“, knurrte Simlon aufrührerisch und fuhr sich ungestüm mit der Hand über die Stirn, sodass die Schweißperlen zu Boden rieselten wie Sprühregen.
„Noch nicht...“, Jomera hieb mit dem Schwert nach Simlons Beinen, riss sein Schwert urplötzlich jedoch hoch und verfehlte Simlons Haare nur um Millimeter. Simlon geriet panisch wie ein junges Reh ins Taumeln, und ein Schreck durchfuhr seine müden Glieder, als er merkte, dass er seine Deckung zu weit geöffnet hatte. Hastig zog er Sanaleor vor sich, doch es war schon zu spät. Die Klinge des Weisen prangte grimmig an seinem Hals. Hätten sie die scharfen Kanten nicht zuvor mit Glättungszaubern belegt, wäre das Schwert des Weisen nun blutbefleckt. Ganz langsam ließ Jomera die Waffe sinken.
„…gut genug“, beendete der Weise seinen Satz mit einem verschmitzten Grinsen in seinem zerfurchten Gesicht.
„Ich werde es nie schaffen, Euch zu besiegen“, stöhnte Simlon und schob Sanaleor klirrend zurück in seine Scheide. Der Weise schüttelte den Kopf.
„Etwas Geduld noch.“ Er ließ sich am Tisch des Fensterlosen Saals nieder, den sie achtlos an die Wand gehievt hatten, und überwachte aufmerksam Simlons Versuch, seinen Atem zu beruhigen.
Seit ihrem Treffen in der Sternwarte waren nun drei Wochen vergangen. Drei Wochen, die alles andere als ein Zuckerschlecken für Simlon gewesen waren, und in denen er unter beinahe unerträglichem Druck gestanden hatte. Jeden Tag hatte der Weise ihn noch vor Sonnenaufgang geweckt und ihn eine Stunde lang im Schwertkampf unterrichtet. Anfangs war er sich dabei unglaublich blöd vorgekommen, denn der Weise hatte ihn versohlt wie einen großmäuligen Schuljungen. Der Weise war ein exzellenter Schwertkämpfer, mit einer Technik, die weit entfernt war, von dem stumpfen Rumgehaue, das Simlon ab und an in den Straßen Imigeniens zu sehen bekam. In der ersten Woche war es ihm nicht einmal gelungen, mehr als ein paar Schläge des Weisen zu parieren, ehe der Alte ihn zu Boden streckte, doch danach war es schnell besser geworden, zum einen, weil Jomera ein sehr guter Lehrer war, und zum anderen, weil er die blauen Flecken von den Stürzten auf den harten Steinboden des Fensterlosen Saals Leid war. Dank dieses Ansporns hatte er tatsächlich schnell ein Gefühl für seinen Körper und Sanaleor bekommen, und kombiniert mit der verbesserten Kondition in Folge des harten Trainings hatten sich schon bald erste Erfolge eingestellt. Trotz seiner Zufriedenheit war es ihm noch immer nicht gelungen, Jomera auch nur an den Rande einer Niederlage zu bringen. Ernüchternd, wenn man bedachte, dass der Mann so viel älter war und reflexschwächer als er sein müsste.
Je besser er im Schwertkampf wurde, umso schleppender lief es im Umgang mit der Magie. Zwar sagte Jomera, dies sei ganz normal und er schlage sich gut, aber dennoch hatte Simlon mehr erwartet, gerade wenn man bedachte, welche harten Aufgaben Jomera ihm stellte. Der Weise schonte ihn in keiner Weise, im Gegenteil: Jeden Tag brachte er Simlon ans Ende seiner Kräfte. In ihrer ersten Sitzung hatte er Simlon nach draußen gebracht, wo ein großer Stapel Holz unter einer feinen Schneeschicht begraben lag.
„Ich möchte, dass du sie alle in Stücke hackst“, sagte Jomera, „damit die Geister heute Abend die Kamine heizen können. Sie frieren so schrecklich.“ Er gluckste über seinen eigenen schwachen Witz.
„Wo ist meine Axt?“, fragte Simlon fröstelnd, doch der Weise wedelte mit dem Zeigefinger.
„Dein Verstand sollte scharf genug sein!“
Simlon hatte beinahe den gesamten Tag benötigt, um die Aufgabe zu erfüllen. Wieder und wieder brabbelte er mit von der Kälte aufgeplatzten Lippen den Zauberspruch, der die Holzscheite entzweite, und spürte, wie seine Energie zerrann wie in einer Sanduhr. Als er nach Stunden endlich fertig war, hatte Jomera es nur stumm zur Kenntnis genommen und ihm sogleich die nächste Aufgabe gestellt.
Der Weise war anders, als Simlon es erwartet hatte. Im Umgang mit der Gruppe um Kigror und auch in den privaten Konversationen, die Simlon mit ihm in der Sternwarte führte, war er immer ein besonnener, alter Mann gewesen, ein Vertreter der Logik und der Vernunft. Simlon hatte erwartet, dass Jomera ihn mit seiner Weisheit führen und den Weg weisen würde. Doch dem war nicht so. Jomera ließ ihn seinen eigenen Weg gehen, gab ihm während ihrer Übungen nur selten Instruktionen und ließ ihn selbst entscheiden, wann es zu viel wurde. In erster Linie, so hatte Simlon festgestellt, war Jomera ein Krieger. Sobald sie sich einer magischen Übung oder dem Schwertkampf stellten, veränderte sich der Weise. Sein schlaksiger, hoch gewachsener Körper mit dem äußerst graden Rücken wurde bucklig und angriffsbereit. Das glatte Gesicht mit der flachen Nase und den zerbrechlich wirkenden hohen Wangenknochen wurde steinhart und erbarmungslos und die ohnehin so wachen blauen Augen funkelten. Sein gesamtes ruhiges, besonnenes Wesen transformierte innerhalb von Sekunden in etwas, das Simlon noch nie gesehen hatte, das aber trotzdem nie die Kontrolle verloren und immer allgegenwärtig blieb. Zäh, fordernd, Ehrfurcht gebietend. Abseits des Trainings war Jomera kein unlustiger Mensch und Simlon genoss seine Gegenwart ungemein. Es gab keinen Menschen, der geduldiger war, als Jomera. Er musste Simlon mehrfach zur Ruhe ermahnen, als dieser seine eigenen Fortschritte bemängelte. „Die meisten Leute tendieren dazu, Dinge zu überhasten. Dabei ist es so wichtig, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Man muss lernen, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, denn sie bedrohen die Ruhe. Und wer unruhig ist, macht Fehler. Nur wenige Dinge im Leben sind zu spät, doch viele sind zu früh“, hatte er Simlon an einem Abend gesagt. Überhaupt ließ sich Jomera von nichts aus der Gemächlichkeit kriegen und diese Ausstrahlung gab Simlon Rückhalt. Der Weise wusste immer, was zu tun war und deswegen vertraute Simlon dem Weisen und mochte ihn sehr. Allerdings teilte Jomera keine persönlichen Informationen mit Simlon, es war fast, als schirme er sich unmerklich ab. Nicht, weil er Simlon nicht vertraute, sondern es kam dem Auserwählten eher vor wie eine eigens auferlegte Selbstschutzmaßnahme. Er wusste, dass er nicht der erste war, der von Jomera unterricht worden war und fragte sich, wie seine anderen Schüler dieses Verhalten wohl aufgegriffen hatten. Denn Simlon war eines klar: Auch wenn der Alte ihm nie Anlass gab, darüber nachdenken zu müssen, so war er alles andere als erpicht darauf, Jomera jemals als seinen Feind zu haben.
An den Abenden dann musste Simlon alleine meditieren, um, wie der Weise sagte, seinen Geist von unnötigen Gedanken zu befreien. Doch bereits nach wenigen Minuten fehlte ihm die Disziplin, und sein Gehirn brachte immer neue unerwünschte Gedanken in seinen Kopf. Simlon fragte sich, ob der Weise enttäuscht von ihm war. Vielleicht hatte er sich erhofft, dass Simlon bereits stärker sein würde oder er beeindruckende, fantastische Fortschritte machen würde, doch da ließ Simlon ihn so sehr im Stich wie sich selbst. Bei jeder Aufgabe, an der er scheiterte, zerbröckelte das ohnehin schon mickrige Selbstvertrauen ein bisschen mehr, und es deprimierte ihn, dass er es nicht schaffte, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Und Jomera beharrte auf Geduld, Geduld, Geduld...
Jetzt bot der Weise Simlon einen der geschnitzten Stühle an, und reichte ihm schweigend einen mit Wasser gefüllten Lehmkrug. Als die Flüssigkeit das staubige Kratzen in seiner Kehler hinfort gespült hatte, setzte er den Krug ab und wartete darauf, dass Jomera das Wort ergriff. Der fummelte jedoch nur mit abwesender Miene an seinen Fingernägeln herum.
„Ich merke, dass du enttäuscht bist“, sagte er schließlich und traf Simlon unvorbereitet. „Auch Rhumpten hat mir gesagt, dass zur Zeit viel Ungewissheit in dir existiert.“ Simlon wusste, dass es zwecklos war, zu leugnen, denn natürlich wusste Rhumpten dank seiner lästigen Fähigkeit genau Bescheid. Doch Jomera schien auch keine Rechtfertigung hören zu wollen. Er fuhr fort. „Ich glaube nun zu wissen, warum das so ist, und es tut mir leid, den Grund nicht früher gefunden zu haben. Es war mein Versäumnis und mein Irrtum, es dir nicht ausreichend erklärt zu haben.“ Es klang nicht nach Kritik, und doch verursachte es einen Stich in Simlons Brust.
„Was meint Ihr?“, fragte er mit belegter Stimme.
„Magie“, war die schlichte Antwort.
„Ich verstehe nicht ganz“, sagte er zögerlich, „ich lerne zwar nicht schnell, aber ich mache doch Fortschritte, oder?“ Der Weise schüttelte energisch den Kopf.
„Das meine ich nicht, Simlon. Du weißt zwar, dass du Magie einsetzt. Aber du weißt nicht, wie du es tust, und das kann einen gewaltigen Unterschied machen. Stell dir vor, ich würde dich beauftragen, ein Schwert zu schmieden, ohne dich zum Schmied auszubilden. Du würdest nicht einmal wissen, wo du Anfangen sollst. Wie denn auch, wenn dir der Hintergrund fehlt? Genauso ist es auch mit der Magie. Du hast zwar Potential, doch kannst es nicht einordnen. Und dabei habe ich dich, wie ich nun merke, großen Gefahren ausgesetzt.“
„Ich hatte nie den Eindruck, in Gefahr zu sein?“ fragte Simlon ein wenig verwirrt.
„Genau das ist ein Problem. Jedes Mal, wenn du Magie anwendest bist du in Gefahr. Der, der sie nutzt, muss einsehen, dass er kaum Kontrolle hat. Im Grunde ist Magie unmöglich zu verstehen, denn sie schreibt ihre eigenen Richtlinien. Es gibt Menschen, die ihr Leben lang nach Antworten suchen, und aufs Kläglichste scheitern. Aber wir wissen immerhin, dass Magie bestimmten Grundsätzen unterliegt, die es uns ermöglichen, sie zu lehren und bis zu einem gewissen Grad gewissenhaft einzusetzen.“ Simlon rutschte bis an die Stuhlkante vor, um Jomeras Worte schneller absorbieren zu können. „Du, Simlon, hast von alledem keine Ahnung. Es ist hochgradig ungewöhnlich und faszinierend zugleich, in welchem Umfang du sie von Natur aus beherrschst. Aber niemand hat dir je erklärt mit welch ungeheurer Macht - einer Macht die viel größer und komplexer ist, als alles, was Menschen je verstehen können - du einen Bund eingehst.“ Jomera stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab, legte sein Kinn auf die Spitzen seiner erneut gefalteten Finger und sah Simlon aus seinen klugen Augen an. Dann, urplötzlich, erhob er sich und begann vor dem Tisch auf und ab zu laufen, wobei der Hall seiner Schritte von den hohen Wänden zurückgeworfen wurde.
„Magie ist wie ein Gerüst, das dünner wird, je höher man klettert, errichtet auf einer Sprache, die Worte in Taten verwandelt. Die Sarpetier haben sich von ihren Wurzeln an mit der Magie und allem, was mit ihr zusammenhängt, verbunden. So kam es, dass sie ihre Kultur auf ihren magischen Studien errichteten, und die Sprache der Magie zu ihrer eigenen Sprache wurde. Wenn du also magische Worte benutzt, sprichst du gleichzeitig auch die Lingua Odor (Sprache der Weisen), die Muttersprache der Sarpetier.“ Er hielt kurz inne, als habe er etwas vergessen, dann fuhr er fort, im Raum herum zu wandern. „Durch diese enge Verbundenheit und ihren Drang zu verstehen, konnten sie zum mächtigsten Volk aufsteigen, das jemals Nirada besiedelt hat. Die Sarpetier fanden Wege, Magie effizienter und gezielter einzusetzen und ihre Grundsätze zu studieren, um die Kontrolle über das Mysterium zu gewinnen.“ Simlon lauschte so aufmerksam, dass er gar nicht merkte, wie ihm immer noch der Schweiß in die Augen lief und seine Sicht trübte.
„Was ihnen schnell klar wurde, war, dass die Magie klüger war als sie. Trotzdem ist es ihnen gelungen, sie in drei verschiedene Bereiche zu gliedern. Exercir, Moverir und Defendir.“
„Was bedeutet das?“, fragte Simlon gehetzt und sein Fokus grub sich förmlich in Jomeras Lippen.
„Die gefährlichsten Zauber sind Exercir-Zauber, sowohl für das Opfer als auch den Angreifer, denn sie haben keine Materie. Sie bestehen aus reiner Gedankenkraft und greifen auch nur Geist und Seele, also das Innere des Feindes an. Man könnte sagen, sie sind wie Parasiten, die sich in deinen Körper bohren und dir Schmerzen zufügen, die nichts außer deinem Bewusstsein befallen. Aber sie sind auch schwer einschätzbar, weil sie unsichtbar sind und man nicht direkt erkennt, was für einen Schaden man anrichtet. Rhumptens Fähigkeit, deine Gedanken zu ergründen beispielsweise, fällt unter diese Kategorie. Er bedient sich lediglich seiner mentalen Energie.“ Der Weise blieb stehen und warf einen raschen Blick zu Simlon hinüber, um zu sehen, ob er folgen konnte. „Moverir-Zauber hingegen sind Zauber, die einen Körper benötigen, um ausgeführt zu werden. Sie bedienen sich fester Materie, also der Dinge, die du auch mit der bloßen Hand anfassen kannst. Nimmt man zum Beispiel diese Kerze- volireia!“ - Die Kerze begann leicht zu ruckeln und erhob sich dann ganz langsam in die Luft -„...so könntest du diese auch mit deiner eigenen Hand greifen und in die Luft heben. Die Moverir-Magie nimmt dir diese Arbeit ab.“
„Mit einer Kerze ist das ja noch leicht“, bemerkte Simlon Stirn runzelnd, „aber was ist mit schwereren Dingen?“
„Ich sehe, du verstehst. Genau dafür ist Magie von Nöten. Sie ermöglicht dir Dinge, die über deine körperlichen und geistigen Fähigkeiten hinausgehen. Dennoch musst du einen Tribut an die Magie zahlen, der im Falle der Moverir-Zauber direkt von deiner Körperkraft absorbiert wird. Je schwerer ein Zauber, desto höher der Tribut, den die Magie vom menschlichen Körper fordert. Sie schenkt einem Nichts.“
„Und worin liegt dann der Unterschied zwischen einem starken und schwachen Magier?“, fragte Simlon, doch Jomera unterbrach ihn.
„Lass mich vorher noch erklären, was es mit diesem Tribut auf sich hat. Jeder Zauber, egal wie stark oder schwach er ist, wie nützlich oder töricht, fordert einen Tribut, sogar dieser“ - Er deutete auf die Kerze, die nun schlagartig auf die Tischplatte fiel und über das Holz kullerte - „Bei einem Moverir-Zauber ist es auch ein körperlicher Tribut - deine Gliedmaßen erschlaffen und ermüden, man wird träge und verliert an Schnelligkeit. Ob du einen großen oder etliche kleine Zauber ausführst spielt keine Rolle - sie alle fordern einen Teil deiner Energie. Was Exercir-Zauber so gefährlich macht, ist, dass sie keinen körperlichen, sondern einen geistigen Tribut fordern, den sie aus Geist, Seele und Lebensenergie ziehen. Sobald ein falscher Zauber, ein zu starker Zauber, deinen Körper verlässt“, und er machte eine bedeutungsvolle Pause, „wirst du niemals derselbe Mensch sein, der du mal warst. Wunden am Körper können heilen, wenn die Zeit vergeht. Wunden in der Seele bleiben für immer!“ In Simlons Brust zog sich etwas zusammen, ganz so, als habe er soeben einen Teil seiner Seele verstümmelt. Der Weise zog die Brauen hoch. „Ich erzähle dir das alles, um dich zu warnen. Bei all den Vorteilen, die ein Zauberer gegenüber anderen Menschen hat, vergisst er gerne, dass er auch viel gefährlicher lebt. Magie ist immer mächtiger als du. Nicht du benutzt sie, sondern sie erlaubt dir, sie zu nutzen. Es ist daher von Nöten, dass du deine Fähigkeiten genau kennst und sie nie überschreitest.“ Simlon schluckte. Jetzt, wo er davon wusste, kam es ihm so vor, als gäbe es nichts Einfacheres, als sich nur einmal zu überschätzen und die Folgen nicht mehr rückgängig machen zu können.
„Aber woher weiß ich, ob ein Zauber mich überfordert?“, fragte er deshalb ehrfürchtig.
„Du spürst es. Sei unbesorgt, Zauber, die deine Fähigkeit so weit übersteigen, dass du mehr als dein Leben geben müsstest, kannst du nicht einmal ausführen. Es würde einfach nichts geschehen.“
„Das ist nicht sonderlich beruhigend“, warf er ein, und Jomera sah ihn streng an.
„Das sollte es auch nicht. Genau deswegen musst du deine Grenzen kennen lernen. Mächtige Magier können große Zauber, an denen du kläglich scheitern würdest, problemlos ausführen. Ihr Potential ermöglicht es ihnen, auf eine schwerer zu erschöpfende Energiequelle in ihrem Inneren zurückzugreifen. Du musst für dich selber wissen, wann es zu viel ist.“ Simlon beobachtete, wie der Weise stehen blieb, und folgte ihm mit den Augen, als er sich wieder am Tisch niederließ. Die Art und Weise wie Jomera seine Ausbildung handhabte machte auf einmal mehr Sinn. „Magie setzt also voraus, dass du dich selbst kennst. Also, Simlon, wer bist du?“ Die beiden sahen sich kurz und intensiv an, und wie so oft war sich Simlon nicht sicher, ob Jomera eine Antwort hören wollte.
„Aber was macht den Unterschied aus?“, fragte Simlon ungestüm, „was macht mich zu einem stärkeren Magier als Leoror und den Fürsten zu einem stärkeren als mich? Wo liegt das Geheimnis? Wieso kann er diese Zauber ausführen, an denen ich sterben würde?“ Jomera seufzte und starrte ihn an. Auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten, sodass das sonst so unnatürlich glatt wirkende Gesicht wie eingestürzt wirkte.
„Ich kann es dir nicht sagen.“ Simlon wartete darauf, dass er mehr dazu sagte, doch der Weise pulte nur an seinen Fingernägeln herum. „ Der wichtigste Rat, den ich dir geben kann, ist, dass du dein volles Potential nur ausschöpfen kannst, wenn du dich selbst verstehst. Und dazu muss dein Kopf frei von jeglichen anderen Gedanken sein. Wenn du eines nicht vergessen solltest, dann das!“
„Ist das einer der Gründe, warum ich jeden Tag die Sterne beobachten muss? Als…eine Art…Selbstfindung?“ Nach wie vor musste er jeden Abend die Scalari Sritnuma zur Sternwarte hochsteigen und den Himmel betrachten. Zwar entdeckte er jeden Abend etwas Neues am Firmament, jedoch bezweifelte er, dass eine dieser Neuerungen das war, auf das Jomera zu warten schien. Und sich selbst finden? Er dachte über sich nach. Ihm fielen kaum einfache Antworten ein.
„Einer der Gründe“, sagte Jomera mit geschlossenen Augen, nur um, wie so oft, in einen abrupten Abschied überzugehen, „du solltest nun zu Rhumpten gehen. Er erwartet dich sicher bereits.“
„Aber Weiser, eines habt Ihr mir noch nicht erklärt!“ Jomera neigte den Kopf, „…was es mit dem Defendir-Zaubern auf sich hat“, ergänzte Simlon.
„Oh ja“, erinnerte sich Jomera und tippte mit der Fingerspitze gegen seinen Stirn, als wolle er sie anknipsen, „verzeih mir, das Alter. Nun, Defendir-Zauber sind eine andere Gattung der Magie. Sie dienen als Schildzauber. Zum anderen umfassen sie sämtliche Heilzauber, die es uns ermöglichen, uns und andere von Schmerzen befreien. Defendir-Zauber sind deswegen ungemein nützlich; obwohl sie ungefährlich für andere sind, können sie dein eigenes Leben retten. Und sie fordern keinen Tribut außer Abnutzung, das heißt, sie werden schwächer, je heftiger der Widerstand gegen sie ist. Es sind Zauber, die reagieren, nicht attackieren. Aber das ist nicht das Faszinierende an ihnen: Man muss kein Magier sein, um sie zu beherrschen.“
„Kein Magier?“, fragte Simlon ungläubig.
„Kein Magier“, bestätigte Jomera. „Es ist äußerst selten, dass es geschieht, doch jeder Mensch ist in der Lage dazu ein Defendir zu werden.“
„Und wie?“
„Soweit ich weiß gibt es zwei Möglichkeiten. Es kann einem angeboren sein, oder, und das finde ich wahnsinnig interessant, es kann aus reiner Nächstenliebe entstehen. Wenn einem das Leben anderer so wichtig ist, dass man selbst dafür sterben würde, dann benötigt es keinen Funken magischer Energie, um sie einzusetzen.“
„Dann habt ihr vermutlich Recht“, sagte Simlon traurig lachend, „es kann nicht viele von dieser Sorte geben. Ich kenne nur wenige, die wirklich am Wohl anderer interessiert sind.“
„Ich glaube, da unterschätzt du die Menschen, Simlon“, sagte der Alte milde lächelnd, „du wärst überrascht, wie gut ein Mensch sein kann, wenn man ihn von selbst dazu werden lässt.“ Mit diesen letzten verwirrenden Worten erhob sich Jomera erneut und gebot Simlon mit einer Geste, sich zu entfernen.
Kälte!
Pfeifender Wind!
Der Himmel grollte wie eine blutrünstige Bestie. In der schwarzen Wolkenfront, die sich am Himmel auftürmte wie eine übermächtige, unbesiegbare Armee, zuckten gleißende Lichter auf, als wollten sie ein schauerliches Schauspiel inszenieren.
Die gewaltige Burg konnte der Sturm jedoch nicht erschüttern, es schien gar, als meide er das massive Gemäuer bewusst. Die gezackten roten Steinmauern und die etlichen kleinen Türmchen, die sich in erschreckende Höhe in den Himmel schlangen wie aufzüngelnde Flammen, thronten tyrannisch über den Feldern, die die Burg umgaben. Sie verschmolzen dabei nahtlos mit dem schwarzen Berg, der drohend hinter der Burg aufragte und die Wolken mit knisternd energischen Geräuschen zu einem Wettkampf zwischen Erde und Luft herausforderte.
Der Mann stand auf einem Hügel und beobachtete das rote Gemäuer regungslos. Der Wind blies ihm lange schwarze Haare ins Gesicht, das hinter der schlichten Kapuze eines bis zu den Knöcheln reichenden, schwarzen Umhangs versteckt war. Er legte den Kopf zurück und sog die wirbelnde Luft ein, dann, im nächsten Moment, war er verschwunden und näherte sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit dem eisernen Portal der Burg, auf dem das riesige Emblem Dragons, die beiden kämpfenden Urkreaturen, eingraviert war.
Beinahe liebevoll blickte er die Monster an. Auf ihn wirkten sie majestätisch, denn ihre Legenden wurden in Nirada mit Schrecken erzählt: Mirane, Kreaturen gespeist von der dunklen Macht aus längst vergangenen Zeiten. Die beiden Wesen wirkten drachenartig, waren komplett schwarz und hatten drei Schwänze, die mit tödlichen Stacheln besetzt waren. In ihren spitzen Gesichtern mahlten direkt übereinander zwei gewaltige Kiefer und formten so jeweils zwei mit messerscharfen Zähnen besetzte Mäuler.
Der Mann fuhr mit einem schmutzigen Fingernagel den Kreis nach, der sie umgab, und sandte eine Druckwelle gegen das Portal. Es sprang knarzend auf.
Er trat in einen dunklen Innenhof, in dem einige Fackeln den schlammigen Boden erhellten. Am anderen Ende des Hofs lag eine weiße Steinwand. Von beiden Seiten traten nun insgesamt sieben Wächter in des Mannes Weg. Er musste nicht die Kapuze abnehmen, sie erkannten ihn auch so, aber trotzdem - oder genau deswegen - ließen sie Vorsicht walten.
Sofort verbeugten sich sechs der Männer so tief, dass sie beinahe vornüber fielen, der siebte jedoch, der vor den anderen stand und ihre Reaktion nicht sah, hob die Lanze.
„Was ist dein Begehren?“, bellte er.
„Dein Begehren?“, fragte der Mann. Seine Stimme klang frei von Emotionen, nicht mal ein Hauch von Leben, als sei sie der Ton, der einem geöffneten Grab entflieht.
„Na, los“, antworte der junge Mann und fuchtelte ungeschickt mit der Lanze. Ein anderer sprang vor ihn und verbeugte sich abermals tief vor dem Mann, dessen Gesicht immer noch von der Kapuze verdeckt war.
„Verzeiht ihm seine Unwissenheit, Herr. Er ist neu und weiß es nicht besser. Er…“
Die Kapuzengestalt hob die Hand, und augenblicklich verstummte der Wächter.
„Das sehe ich.“ Seine Stimme klang so…anders, dass es selbst dem neuen Wächter dämmerte, dass er einen schweren Fehler begangen hatte. Was er nicht wusste war, dass der Fremde nicht gerne sprach. Worte empfand er als Zeitverschwendung, mehr noch, als eine Gefahr. Und dieser unbedeutende Mickerling machte ihm Umstände.
„Herr, ich kann nicht sagen, wie…“ Doch ehe der junge Wächter zu Ende sprechen konnte, wurde er von einem Luftstoß erfasst und schrie so überrascht auf, dass er beinahe seine Zunge verschluckt hätte, als er gegen die Steinwand gepresst wurde. Der Vermummte stand direkt vor ihm, mit einer Hand an seinem Kragen, einer Hand, an der ein Finger fehlte.
„Du willst wissen, was ich will?“, fragte er, immer noch bedrohlich leise, „ ich will ihn sehen. Sofort!“ Er zog seine Kapuze hinunter, und der beinahe in Tränen ausbrechende Wächter stöhnte auf, denn das Gesicht des Mannes war von zwei großen Narben gezeichnet, die seinen Zügen einen abstoßenden und rohen Anstrich verliehen. Sie liefen an Kinn und Wange entlang wie zwei Schlagen und trafen sich kurz unterhalb der unwillkürlich zuckenden Mundwinkel. Sein langes, schwarzes Haar begann zu ergrauen und wirkte wild. Das Irritierendste jedoch waren seine Augen: Sie lagen so ausdruckslos in tiefen Höhlen, als wären sie schon lange tot, und so grau wie der Himmel an diesigen Herbsttagen.
„Bitte! Verzeiht!“, winselte der Mann.
„Wie heißt du?“, fragte der Mann nun, und seine Hand drückte das Kinn des Wächters so weit zurück, dass dieser zu röcheln begann.
„Jenaheen, Herr“, stöhnte der Mann, „bitte, verschont mich, Herr!“ Erstmals lächelte der Gast. Seine Augen bewegten sich dabei nicht. Dann lockerte er seinen Griff, und Jenaheen sackte würgend in sich zusammen.
„Bring mich zur Röhre“, befahl der Mann dem Wächter, der Jenaheen zuvor zur Hilfe gekommen war, und der Mann eilte herbei, als ginge es um sein Leben. Kein anderer wagte es, sich zu rühren. Mit einem Ring an der linken Hand berührte der Wächter die weiße Steinwand an einer bestimmten Stelle, woraufhin sie knarrend nach innen aufschwang und den Blick auf eine längliche, silberne Röhre freigab, in die der Wächter und der Vernarbte nun hinein stiegen.
Der Wächter linste unauffällig zu seinem Begleiter hinüber, der in den tosenden Himmel starrte und dann den Blick aus seinen tiefgrauen Augen still auf den jungen Jenaheen richtete, der sich gerade an der Wand hochzog und wackelnd auf die Beine kam.
„Stringar!“, sagte der Vernarbte ohne Regung. Augenblicklich klappte Jehaneen wieder zusammen. Er war tot. Dann begann die Röhre zu vibrieren und zu zischen, wurde schneller und ließ die geschockten Wächter mit der Leiche ihres Kumpanen zurück.
Die Röhre zischte durch einen Schacht durch die gesamte Burg, dann, so schnell, wie sie gestartet war, stoppte die Fahrt, und der Mann trat hinaus in einen dunklen Raum.
„Wie heißt du?“, fragte er den Wächter spröde.
„Ich, Herr? Laudror, Herr“, sagte der Wächter mit zittriger Stimme und verbeugte sich hastig. Grundas nickte stumm. Laudror öffnete den Mund und blickte so elendig und angsterfüllt drein, dass der Vernarbte leicht zitterte. Wie erbärmlich.
„Herr…Ich…“
Ohne Vorwarnung loderte eine Flammensäule in der Röhre auf, und mit einem schrillen Schrei verabschiedete sich auch Laudror aus der Welt der Lebenden. Das Narbengesicht starrte gedankenverloren, als versuche es, sich an eine Passage in einem Gedicht zu erinnern, auf die Stelle, wo eben noch die Röhre gewesen war.
„Grundas!“ Zum ersten Mal flammte eine Emotion in dem Mann auf. Er wandte sich um. Der Raum vor ihm lag in Schatten und wurde nur von seltsamen, umherschwirrenden roten Lichtern erhellt, die panisch einen Ausweg zu suchen schienen. Tropfgeräusche wie in einer Tropfsteinhöhle drangen an Grundas Ohren, dann erklang ein Zischen, als träufelten Wasserperlen auf einen sehr heißen Stein.
Der Raum war länglich und wirkte größer als er war, mit hohen Decken und in Schatten verborgenen Wänden. Keine Lampen, kein Schmuck, kein gar Nichts verlieh dem Raum die Bedeutung, die er eigentlich hatte. Und in seiner Mitte, auf einem schlichten schwarzen Thron saß eine gebieterische Gestalt. Der Fürst von Dragon trug wie Grundas einen schlichten schwarzen Umhang aus edlem Stoff, und auch seine Hände, die erhaben auf den Lehnen des Throns lagen, waren mit einer dunkelblauen Stoffschicht bedeckt. Auf seiner Brust schimmerte ein schweres, silbernes Amulett, das in der Dunkelheit des Thronsaals zu leuchten schien. Über dem Rumpf begann die Spiegelbarriere, die seine Gestalt verzerrte und verformte, und die Nirada das Fürchten gelehrt hatte. Der gesichtslose Herrscher, dachte Grundas ehrfürchtig. Der Fürst hatte die Barriere noch nie gelichtet. Sie machte es unmöglich, mehr als einige grobe Schatten hinter ihr auszumachen, die Schatten einer Person, deren Identität niemand kannte.
Ein Gefühl des Triumphs erfasste Grundas, doch er senkte schnell den Blick, damit der Fürst es nicht in seinen Augen las. Das machte er immer so - er war ein Mann, der ständig auf der Hut war.
„Herr“, sagte Grundas und verbeugte sich nun seinerseits. Der Fürst schwieg, sodass Grundas in der unwürdigen Position verharren musste.
„Gibt es Nachrichten?“, fragte der Fürst schließlich, sogar seine Stimme war bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, und Grundas erhob sich. Es war keine Frage, sondern eine Forderung.
„Ja Herr. Es gibt viele Neuigkeiten.“
„Gute?“
„Ich fürchte, nein“, entgegnete Grundas und vermied den Blick des Fürsten. Der Herrscher bewegte sich nicht, doch man spürte, dass ihm diese Aussage missfiel. Grundas atmete tief ein, dann sagte er: „Meine Männer haben vorhin von Zorlan gehört. Es ist nun ganz sicher, dass es sich bei dem Jungen in Imigenien um den Auserwählten handelt. Es ist ihm gelungen, die Soldaten zurückzuschlagen. Zorlans Informationen zufolge befindet er sich auf einer Burg. Der Weise Jomera ist bei ihm.“ Ein Schnauben war vom Fürsten zu hören, doch da man sein Gesicht nicht sah, wusste Grundas nicht zu deuten, ob es ein spöttisches oder ein wütendes war.
„Ich habe damit gerechnet, dass der Tag bald kommen würde, deshalb kann ich nicht sagen, ich sei überrascht. So erfüllt sich eine weitere Prophezeiung. Zorlan hat gute Arbeit geleistet.“
„Ich werde es ausrichten lassen“, sagt Grundas. Es gefiel ihm nicht, das zu hören.
„Das wird nicht nötig sein. Zorlan weiß bereits Bescheid. Aber genug. Hat man eine Spur des Hellsehers gefunden?“
„Noch nicht, Herr.“
„ Nun, solange wir den Inhalt seiner Prophezeiungen kennen, sollte das keine Priorität sein. Wir werden auch die anderen zu deuten wissen.“ Wieder nickte Grundas und atmete tief ein, denn die nächsten Nachrichten würde der Fürst nicht so gelassen hinnehmen.
„Ich habe Bericht aus der anderen Dimension erhalten. Es ist den Soldaten nicht gelungen, den zweiten Auserwählten zu töten.“ Der Fürst verströmte eine eisige Kälte.
„Wie ist das möglich?“, fragte er scharf, als rausche eine frisch geschliffene Sense durch den Saal.
„Es sieht aus, als habe der Junge Unterstützung erhalten, Herr. Unterstützung aus Nirada.“
„Wer?“
„Gwin, der Verbannte.“ Die Luft schien sich zusammenzuziehen. Ein Krächzen ließ Grundas aufblicken. Ein schwarzer Adler segelte von der Decke hinab, als sei er durch eine unsichtbare Öffnung hinein gekommen. Er drosselte seine Geschwindigkeit mit den gewaltigen schwarzen Schwingen und ließ sich auf dem Arm des Fürsten nieder. Herrisch funkelte der Vogel Grundas aus schwarzen Knopfaugen an.
„Deshalb also haben meine Männer ihn nicht ausfindig machen können. Der Feigling ist in die andere Dimension geflüchtet, um mir zu entkommen. Doch das wird ihm niemals gelingen. Er entkommt mir nicht!“ Die Worte donnerten in dem großen Saal und die roten Lichter flackerten. „Dass der Verbannte bei ihm ist, wirft ein neues Licht auf die Situation. Es wird besser sein, meine Soldaten von einem fähigen Krieger führen zu lassen. “
„Wünscht Ihr, dass ich diese Aufgabe übernehme, Herr? “
„Nein, lass Dennyl wissen, dass er sich so schnell wie möglich bei mir einfinden soll.“
„Ja, Herr“, nickte Grundas beflissen.
„Die `Auserwählten´“, der Fürst spuckte das Worte abfällig aus, „werden kein leichtes Spiel haben. Sie haben noch einen langen Weg vor sich, ehe sie zusammentreffen und zu einer wirklichen Gefahr werden könnten.“ Grundas wusste, dass der Fürst sein betretenes Schweigen richtig zu deuten wusste. Still erhob er sich aus seinem Thron und baute sich zu seiner vollen, imposanten Größe auf. Der Adler erhob sich schreiend in die Luft.
„Der Weise hat ein Tor gefunden, nicht wahr, Grundas? Sag es!“ Die letzten Worte zischten noch schneidender als die vorigen. Grundas zögerte.
„Ja, Herr.“ Der Fürst sagte nichts, und doch hatte Grundas den Eindruck, dass sein Zorn den Boden zum Beben brachte.
„Es gefällt mir nicht, das zu hören“, sagte er schließlich, doch es klang nicht danach. Grundas glaubte kurz, dass es ihn gar freute, „ich muss sagen, dass diese Entwicklungen äußerst beunruhigend sind. Es ist kein guter Zeitpunkt. Es gibt andere Dinge, die mir gerade äußerst wichtig sind.“ Grundas fragte sich, was für Dinge wichtiger sein sollten, als eine solch drohende Gefahr, doch er wusste, dass es keinen Zweck hatte, den Fürsten danach zu fragen. „Dennoch, Jomeras Treiben muss Einhalt geboten werden. Man muss den Auserwählten finden und töten, bevor er durch das Tor gehen kann.“
„Aber, Herr“, warf Grundas ein, „der Weg zu dem Jungen führt nur über den Weisen, und Jomera hat nichts von seiner Stärke eingebüßt.“
„Halt mich nicht für dumm, Grundas.“ Der Fürst sank erst jetzt zurück in seinen Thron. „Deswegen wirst du den Angriff leiten. Jomera will einen Sturm entfachen, der mich ins Wanken bringen soll, doch ich werde Kräfte freisetzen, die größer sind, als alles, was Nirada je gesehen hat!“ Diesmal war sich Grundas sicher, dass die Wände vibrierten, und die Lichter wirbelten wie besessen umher.
„Ja, Herr!“ Grundas verbeugte sich erneut. Der Adler schrie erneut, und es klang so schrill, als ziehe jemand seinen Fingernagel über einen Stein.
„Sehr gut. Mach dich nun auf den Weg. Ich will, dass du so schnell wie möglich nach Imigenien aufbrichst. Informiere Dennyl und, Grundas…“ - der Fürst legte eine wirkungsvolle Pause ein, um seinen Worten zusätzlichen Nachdruck zu verleihen - „...enttäusche mich nicht!“
„Natürlich“, erwiderte Grundas entschlossen. Dann drehte er ab und verschwand in Richtung der Röhre, die bereits auf ihn wartete. Plötzlich zischte eine zweite Röhre herbei. Eine kleine, hübsche Frau mit langen roten Locken stieg aus, ihr und Grundas Blick trafen sich kurz, dann verschwand Grundas in seiner Röhre und bewegte sich mit ihr ins Schwarze. Er hatte einen Angriff vorzubereiten.