Читать книгу Der Stern von Nirada - Band 1 - Felix van Kann - Страница 18

Kapitel 7 - Seelenopfer

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Simlon stieg zügig die Scalari Sritnuma hinauf zur Sternwarte. Kurz zuvor war Rhumpten in seine Kammer geplatzt und hatte ihm mitgeteilt, dass der Weise ihn dringend sehen müsse. Auf seine Fragen hatte der Zentaur geschwiegen und ihn nur eilig durch das Schloss zur Sternentreppe gebracht. Besorgt fragte sich Simlon, was vor sich ging. So spät war er noch nie von Jomera einberufen worden, und Rhumptens Dringlichkeit ließ ihn nichts Gutes ahnen.

Der Weise stand am Teleskop, doch er beobachtete den Sternenhimmel nicht durch das Fernrohr, sondern spähte einfach so durch die Glaskuppel. Als er den Blick senkte, las Simlon in seinem hageren Gesicht, dass er besorgt war.

„Meister, was…?“

„Es gibt alarmierende Neuigkeiten. Die Krieger des Fürsten sind auf dem Weg zur Burg, und sie planen einen Angriff. Uns bleibt nicht viel Zeit“, sagte er dringlich, auch wenn es keineswegs panisch, geschweige denn überrascht klang. „Deine Abreise steht kurz bevor.“ Simlon öffnete überrascht den Mund. So plötzlich? Er hatte gedacht, mehr Zeit zu haben, viel mehr Zeit, er war doch noch längst nicht bereit.

„Aber Meister! Meine Ausbildung ist noch nicht beendet“, protestierte er mit beinah flehender Stimme, obwohl er wusste, dass es nicht Jomeras freie Entscheidung war, ihn gehen zu lassen.

„Das spielt jetzt keine Rolle. Rhumpten mobilisiert derzeit die Geister. Sie werden die Burg verteidigen und uns die nötige Zeit verschaffen.“

„ Aber wenn sie noch einmal sterben, dann…“ Er wagte es nicht, den Satz zu beenden.

„Sie kennen das Risiko“, war Jomeras schlichte Antwort. Dann atmete er tief durch, und es schien, als würde er die Zeit dadurch lähmen, denn plötzlich wirkte er wieder gefasst und federführend, wie Simlon ihn kannte. Er bot ihm den Schemel vor sich an und setzte sich auf einen weiteren ihm gegenüber. „Hör zu, Simlon. Es gibt noch einige Sachen, die du wissen musst. Wenn du später durch das Tor gehst, wirst du merken, dass nichts wichtiger ist, als dein Glaube an dich selbst. Sei dir der Dinge bewusst, die ich dich gelehrt habe, dann wird alles gut gehen. Du hast die Fähigkeiten, die es benötigt, um die Dimensionen zu wechseln. Vertraue dir selbst. Und ganz Nirada glaubt an dich.“

„Aber was passiert, wenn ich es nicht schaffe?“, fragte Simlon dumpf, dessen Magen sich bei dem Gedanken an das Bevorstehende noch einmal umdrehte.

„Du würdest es vermutlich nicht überleben.“ Die Ehrlichkeit dieser Worte war schlimmer, als wenn Jomera ihn angelogen hätte. „Aber heute Nacht zählt das nicht. Was hingegen zählt ist, dass die Hoffnung der Menschen in Nirada von dir abhängt. Vergiss nie, welche Verantwortung du hast!“ Simlon fand nicht, dass dies eine gute Art der Beruhigung für sein Nervensystems war, doch er spürte, dass es Jomera nicht mehr darum ging, ihm ein gutes Gefühl zu vermitteln, sondern ihn auf die nackte Realität vorzubereiten.

„Ich werde es nicht vergessen!“

„Gut“, nickte Jomera und lächelte nun sanft, „wenn du es in die andere Dimension schaffst, wird der zweite Auserwählte dich empfangen. Bei ihm wird einer meiner Männer sein, und Simlon, egal was du über ihn erfahren magst“, –er legte eine kleine, nachdrückliche Pause ein- „du wirst auf ihn hören und seinem Wort folgen!“

„Jaah“, sagte Simlon verwirrt. Was sollte er für einen Grund haben, dies nicht zu tun?

„Gut“, wiederholte Jomera, und dieses Mal griff er zu einem Stoffsäckchen, das neben ihm auf dem Boden lag. „Darin befinden sich zweihundert Za. Nur für alle Fälle.“ Er warf Simlon den Beutel zu, der ihn ungläubig öffnete. So viele von den glänzend-runden, handtellergroßen Münzen hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen.

„Und schließlich“, fuhr der Weise fort und holte ein weiteres, deutlich kleineres Säcklein hervor. Seine Hand verschwand in dem dünnen Stoff, und als sie wieder hervorkam, hielt er ein schlichtes Amulett in den langen Fingern. Es war ein einfacher, flacher und ovaler Stein, der an einem alten braunen Lederband hing, von dem sich bereits die Haut abschälte. Obwohl es so verwahrlost aussah, wirkte es wertvoll, beinahe so, als sei es das Versteck für eine nicht greifbare Macht.

Stumm nahm Simlon das Amulett entgegen und starrte es bewundernd an. Er erkannte, dass auf dem Stein etwas eingraviert war: Ein vogelartiges Wesen, das jedoch zu klein war, um seine Spezies zu bestimmen, und daneben ein Stern, der, wie er erschrocken feststellte, genauso aussah, wie der an der Mauer, die Rhumpten ihm gezeigt hatte.

„Was ist das?“, flüsterte er.

„Ich wünsche dir, dass du es irgendwann erfährst. Von ganzem Herzen!“ Der Weise lächelte gütig. Simlon wusste, dass es sich nicht lohnen würde, nachzufragen, deshalb drückte er es kurz ganz fest an sich und band es sich dann um den Hals.

„Sehr schön“, sagte Jomera mit glänzenden Augen, „wir werden uns heute auf eine unabsehbar lange Zeit trennen. Sei vorsichtig, wen du in deine Nähe lässt. Manchmal ist es schwer zu erkennen, wer dir Böses will, und deine Mission ist zu bedeutend, als dass du es auf die harte Weise herausfinden solltest. Und Simlon...“, er klang nun sehr ernst und schließlich kehrte der kriegerische Ausdruck zurück, der Simlon das Fürchten gelehrt hatte, „setzte dein Leben nie unnötig aufs Spiel, egal aus welchen Gründen. Dein Überleben zählt.“ Simlon zögerte. So ein Versprechen konnte er nicht so ohne weiteres ablegen, schließlich fand er nicht, dass sein Leben mehr wert war, als das eines anderen. Die beiden starrten sich in einem Moment ewiger Stille an.

Dann erzitterte die Burg.

Und noch einmal.

Er brauchte nicht Jomeras Worte, um zu verstehen, was geschah.

„Die Schutzbanne werden angegriffen. Die Burg ist kein sicherer Ort mehr. Geh jetzt, Simlon.“ Die beiden erhoben sich. „Weiche nicht von Rhumptens Seite, egal was passiert. Er wird dich zum Tor führen, falls ich verhindert sein sollte.“ Erneut sahen sich die beiden an, dann sagte der Weise: „Viel Erfolg, Mringard. Du kannst es schaffen, ich weiß es.“ Für Simlon kam dieses Kompliment unerwartet, und zum ersten Mal seit Wochen fühlte er sich wirklich gut. Seltsam, dass dieses Gefühl ausgerechnet jetzt aufkam, da er so nervös war.

„Danke für alles“, sagte er beschämt.

„Dank mir erst, wenn getan ist, was getan werden muss. Und nun, beeil dich!“

Die Stufen der Scalari Sritnuma zitterten unter Simlons Gewicht, als er sie hinabstürmte. Er erreichte den Fuß der Treppe, wo Rhumpten bereits auf ihn wartete und wortlos mit ihm den Korridor entlang spurtete. Die Schritte des Geistes gaben keinen Hall wieder.

Auf den Gängen war nun viel mehr los. Die Geister hatten sich aufgerafft, um die Burg zu verteidigen, wenn der Sturm aufkam. Erst jetzt wurde Simlon klar, wie viele es eigentlich waren: Hunderte, in den unterschiedlichsten Gestalten, strömten in den Korridoren herum, und die Entschlossenheit in ihren bleich silbernen Gesichtern verriet Simlon, dass jeder von ihnen bereit war, sein zu Hause zu beschützen.

Sie erreichten den Fensterlosen Saal. Es war unnatürlich laut, denn die Geister riefen auch hier wild durcheinander. Simlon erblickte den kleinen Ladis, der seine mickrige Faust um einen viel zu großen Holzhammer geballt hatte, damit so wild herumfuchtelte, dass andere Geister vorsichtshalber zurückwichen, und dabei mit hoher Piepsstimme: „Kommt doch her! Ich mach euch platt!“ krakeelte. Hinter dem kleinen Geist erblickte Simlon den Schildkrötengeist Lohra, der Ladis zuvor gemaßregelt hatte. In seinen altklugen drei Augen standen vor Rührung Tränen, während er Ladis beobachtete und „Endlich macht er sich nützlich“ gen Himmel murmelte. Simlon schmunzelte.

Er riss die Tür zu seiner Kammer auf und begann ungestüm, seine Sachen aufs Bett zu schleudern. Sanaleor stand an die Wand gelehnt da, und als Simlon das Schwert griff, hatte er den Eindruck, dass es die drohende Gefahr spürte und sich gar darüber freute. Es beruhigte ihn, dass wenigstens einer so empfand. Die Klinge schimmerte in der Dunkelheit wie ein Diamant aus dem tiefsten Erdinneren.

Ein weiterer Schlag prallte dumpf gegen die Burg und ließ das Gemäuer erbeben. Staub rieselte Simlon auf den Kopf.

„Schnell!“, verlangte Rhumpten tief. Simlon warf sein Zeug in einen Sack, steckte Sanaleor in einen Lederriemen, den er sich um die Taille gebunden hatte, und verstaute das Amulett unter seinem Oberteil, sodass der kalte Stein gegen seine Brust schlug. Dann eilten sie wieder hinaus in den Fensterlosen Saal, der mittlerweile so überfüllt mit Geistern war, dass es beinahe so wirkte, als hätten Spinnen den gesamten Raum mit ihren Netzen eingewebt. Sie alle schienen auf etwas zu warten, und es dauerte nicht lange, bis Simlon klar wurde, auf was: Der Weise Jomera betrat den Saal. Der alte Mann hatte den kriegerischen Ausdruck nicht verloren, er herrschte mit eiskaltem Blick über seine Armee. Sein Körper war in einen langen, silbernen Umhang gehüllt, auf dem in Brusthöhe ein Wappen eingraviert war: Ein weißer Phönix mit erhobenem Kopf und ausgebreiteten Schwingen, der den Schnabel zu einem herrscherischen Schrei aufgerissen hatte, thronte darin. Simlon hatte sofort das Gefühl, den Vogel zu erkennen. Er holte das Amulett hervor, und tatsächlich bestand Ähnlichkeit zwischen dem Vogel, der darin eingraviert war, und dem auf Jomeras Brust.

Ihm blieb jedoch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn nun hob der Weise die quarzviolette Klinge eines Schwertes, das, abgesehen von der Farbe, auch Sanaleor hätte sein können, und sofort kehrte Stille ein. Nur noch das dumpfe Pochen war zu hören war das wie ein überlauter rhythmischer Herzschlag von den Wänden widerhallte.

„Geister!“, sagte Jomera, und seine Stimme klang erstaunlich laut, „ihr alle seid von den Toten zurückgekehrt, weil ihr eine Aufgabe zu vollenden habt. Einige müssen ihre Geliebten retten, andere ihr Hab und Gut schützen. Heute jedoch müsst ihr Nirada schützen. Mir ist bewusst, was für euch auf dem Spiel steht, und ich wünschte, es wäre anders.“ Er stoppte kurz, und Simlon sah einige der Geister an. In keinem Gesicht lag Unmut oder Angst, sondern nur die Bestimmtheit, die er zuvor schon bemerkt hatte. Tiefe Bewunderung für ihren Mut wuchs in ihm. Hoffentlich würde es sich lohnen…

„Der Auserwählte muss das Tor durchqueren, nur das zählt heute Nacht. Ich weiß, dass jeder von euch tun wird, was getan werden muss, und dafür werden euch die Sterne gewogen sein.“ Lautes Geheule und Gegröle erklang, als die Geister ihre Waffen hoben, die sie sich aus allem Möglichen zusammen geflickt hatten. „Ihr symbolisiert das Gute in Nirada! Deswegen geht erhobenen Hauptes in den Kampf gegen die Kreaturen, die eure Mörder sein wollen.“ Das Gebrüll im Fensterlosen Saal schwoll weiter an, dann strömten die Geister hinaus. Simlon fand, dass der Weise genau die richtigen Worte gewählt hatte.

Nun waren nur noch Simlon, Jomera, Rhumpten und fünf Geister im Fensterlosen Saal. Das Beben wurde immer stärker.

„Komm, Simlon“, sagte der Weise und wies den Auserwählten an, ihm zu folgen, „wir müssen in den Keller der Burg. Das Tor liegt in einer kleinen Höhle.“ Sie begannen durch die Korridore zu eilen, von denen einige nun sehr belebt, andere hingegen totenstill waren. Steine kullerten von der Mauer, und Simlon fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis alle Banne brachen.

Jetzt bogen sie in einen Korridor ein, der aussah wie der, in dem Simlon Rhumpten zum ersten Mal getroffen hatte. Durch ein riesiges Fenster fielen von Fackeln produzierte Schatten ein, die die nachtschwarze Umgebung zwangen, sich zu offenbaren. Simlon starrte nach oben. Mindestens fünfzig Drago-Soldaten schwebten im Mond- und Fackelschein auf ihren Srunras am Himmel um eine unsichtbare Barriere herum. Sie alle tummelten sich - wie ein Bienenschwarm um ihre Königin - um einen Reiter in ihrer Mitte, und Simlon lief es bei dem Anblick heiß und kalt über die Schulter. Die Gestalt hob die Hand, ballte sie zu einer Faust, und dann begann sie zu schimmern. Simlon schrie vor Entsetzen auf, als sich die Faust entzündete und Flammen um sie herum aufwallten wie ein Handschuh aus Feuer. Wie in Zeitlupe holte die Gestalt aus - dann hieb sie die Flammenfaust gegen die Barriere. Helle Blitze durchzuckten die Nacht, und ein Geräusch, als würde ein Spiegel brechen, ertönte. Die Barriere war gebrochen. Nun glitten die Soldaten auf die Burg zu, und nichts hinderte sie mehr an ihrem Vormarsch.

„Simlon! Komm!“ Der Weise sprach mit Nachdruck und packte ihn an der Schulter.

„Ist er das?“, fragte Simlon stotternd, „der…der Fürst?“

„Nein“, sagte Jomera nur, „in den Keller!“

Sie rannten los. In der Ferne wurden Schreie laut, und mehrere Knalle verrieten das Aufeinandertreffen der Geister mit den Soldaten.

Mit einem Krachen wurde neben ihm die Wand aufgesprengt, und die herab fallenden Steine brachten Simlon ins Schwanken. Rhumpten sprang zurück und zog Simlon aus einem Haufen Schutt, der seinen gesamten Körper mit feinem Staub bedeckt hatte.

Drago-Soldaten drangen, einher mit der eiskalten Winterluft, durch die Öffnung auf sie zu. Die fünf Geister warfen sich den Angreifern in den Weg, und Lichtblitze und das Klirren von Schwertern war zu hören.

„Lauf“, schrie Rhumpten ungeduldig, als Simlon Anstalten machte, den Geistern zur Hilfe zu eilen, wirbelte herum und stieß wiehernd einem von hinten kommenden Soldaten seine Vorderhufe in die leere Kapuze. Er wirkte stürmisch und kämpferisch.

Simlon rannte los und sah den Weisen, der vor ihm den Schwerthieb eines Soldaten parierte und ihn dann mit einer gewaltigen Wasserfontäne in den Bauch außer Gefecht setzte.

Von der Seite näherte sich ein weiterer Soldat dem Weisen, doch bevor dieser sich der Kreatur widmen konnte, hatte Simlon bereits Sanaleor gezückt und dem Soldaten das Schwert in den Magen gerammt. Schwarzes Blut tropfte zu Boden wie Öl.

„Wir müssen runter“, befahl der Weise und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. In den folgenden Korridoren waren die Mauern bereits eingestürzt. Sie kamen an kämpfenden Geistern vorbei und versuchten, ihre Verbündeten mit in die Menge geschossenen Zaubern zu entlasten. Simlons Lunge brannte, als er unter einem Schwerthieb hinweg glitt und Rhumpten dem Soldaten über seinen geduckten Körper einen schweren Stein gegen den Kopf schleuderte. Die Treppe zum Keller lag nun direkt vor ihnen, nur noch ein leerer Korridor trennte sie von ihrem Ziel. Simlon rannte los, doch Rhumpten rief: „Vorsicht!“ Steine flogen durch die Luft und bauten sich rasant vor Simlon zu einer Mauer auf. Gehetzt fuhr er herum und sah, wie zehn Drago-Soldaten auf sie zu schwebten, einer von ihnen gar noch ein ganzes Stück größer, als die anderen. Dieser Soldat hob die Hand, und Simlon spürte, dass er einen tödlichen Fluch aussandte, doch Jomera rief: „Revialei! (Umlenken)“, und der Zauber wurde in den Boden gelenkt und verpuffte.

„Geht. Ich kümmere mich um sie“, sagte Jomera und zog das grüne Schwert.

„Aber, Weiser…“, protestierte Simlon, doch Jomera schien sich seiner Sache sicher zu sein. „Geh!“

Rhumpten sprengte mit seiner besonderen Magie die Felsbrocken aus dem Weg. Der Zentaur und der Junge eilten weiter und ließen den Weisen zurück, der nun von den Soldaten umringt wurde.

„Müssen wir…ihm nicht helfen“, keuchte Simlon vor Anstrengung, als sie die Treppe erreichten.

„Jomera ist mächtig. Für ein paar Soldaten wird er keine Unterstützung brauchen. Dennoch haben wir nicht mehr viel Zeit, bis er herausfindet, wo wir sind.“

„Er?“, fragte Simlon und dachte an die schauderhafte Gestalt mit der Flammenfaust, doch Rhumpten antwortete nicht.

Die Treppe führte sie immer tiefer in die Eingeweide der Burg. Schon bald waren die Geräusche der Schlacht, die sich so sehr in Simlons Ohren gebrannt hatten, weit entfernt, und das einzige Licht kam von der Fackel, die Simlon im Affekt gegriffen hatte. Die Treppe mündete in einen kalten Steinboden. Seltsamerweise war es hier heller, als würde irgendwo ein Licht scheinen. Es offenbarte den Blick auf eine Höhle, die offenbar schon seit Ewigkeiten existierte. Rhumpten drängte ihn voran, und ihre Schritte hallten von der tiefen Decke wider. Sie rauschten um eine Ecke - und Simlon erstarrte.

Vor ihm lag eine weitere, blass rot schimmernde Höhle. Die Quelle des Lichtes lag unter einem gewaltigen Steingrab. Die blaugrauen Steine erhoben sich einige Meter in die Höhe bis kurz unter die gewölbte Decke., sie schimmerten fabelhaft im Glanz des rötlichen Lichts. Mit angehaltenem Atem trat Simlon näher und erblickte einen auf dem Boden eingezeichneten Kreis direkt unter dem Steingrab. Der Kreis wurde von fremden, scharlachrot glühenden Schriftzeichen umrahmt, und Simlon begriff, dass es die Strahlkraft von diesen Runen war, die die ganze Höhle erleuchtete. Wie magisch zog der Kreis ihn an. Ein Ziehen, das Simlon die ganze Zeit gar nicht bemerkt hatte, löste sich von ihm. Er hatte dieses Gefühl schon während seiner ganzen Zeit auf der Burg gehabt. Er hatte es für Nervosität gehalten, aber jetzt wurde ihm klar, dass es ihn hierherlocken wollte.

„Ist es das?“, flüsterte er ehrfürchtig, und er brauchte keine Antwort. Das Tor strahlte seine eigene Macht aus, und auch wenn es nicht so spektakulär war, wie Simlon es sich vorgestellt hatte, so war es doch wunderschön.

„Stell dich in den Kreis.“ Rhumpten verlor keine Zeit. „Sobald du das getan hast, wirst du in das Tor hineingezogen und musst dich seinen Aufgaben stellen. In dem Kreis bist du in Sicherheit, also mach schnell, bevor…“

„Stringar!“ Die Stimme peitschte durch die Luft, und obwohl er das Wort noch nie gehört hatte, spürte er die Anwesenheit des Todes. Ein Schutzschild baute sich in letzter Sekunde um ihn auf und zerbarst in der Sekunde, in der der Zauber es berührte. Simlon blickte zu Rhumpten hinüber, der den Schild aktiviert hatte. Der Zentaur schnaubte und fletschte die Zähne.

Ein Mann betrat die Höhle, und Simlon erkannte sofort die Gestalt mit der Feuerfaust. Simlon stockte der Atem, denn das Gesicht des Mannes war von Narben überzogen, die man sogar im schwachen Licht erkannte, das sonst nur Umrisse offenbarte. Der Mann nickte desinteressiert, als er Rhumptens hasserfüllten Blick bemerkte, und Simlon bekam Gänsehaut, denn ein schrecklicher Ausdruck grenzenloser Überlegenheit lag in dieser Geste.

„Grundas!“, rief Rhumpten donnernd. Er klang animalischer als je zuvor. „Lauf Simlon!“ Und er stellte sich auf die Hinterbeine, während Simlon losrannte.

„Stringar!“, rief der Mann kalt, als der Zentaur auf ihn zu preschte, doch der Zauber galt nicht Rhumpten, sondern Simlon.

„Io thyorei mair lir mringard (Ich opfere mich für den Auserwählten)“, schrie Rhumpten, und Simlon erkannte am Klang der Worte, was der Zentaur vorhatte.

Simlon schrie fassungslos und bremste, doch es war zu spät. Mit vor Grauen geöffneten Augen sah er, wie der Zauber in Richtung des Zentauren umgelenkt wurde, und Rhumpten in die ungeschützte Brust traf. Der schwere Körper des Zentauren krachte auf den nackten Steinboden. Simlon konnte es nicht glauben, es war eine irreale Szene. Doch Rhumpten rührte sich nicht.

Der Mann namens Grundas blickte nun zu Simlon.

„Wie lautet dein Name?“, fragte er lethargisch, doch Simlons Mund war zu trocken, um auch nur ein Wort zu sprechen. Die Stimme des Mannes klang so klar, wie nichts, was Simlon je zuvor gehört hatte. Für einen kurzen Moment verharrten die beiden. Dann rief der Mann erneut: „Stringar!“ und dieses Mal war sich Simlon sicher, sterben zu müssen. Seine Magie war nicht stark genug, um diesen Exercir Zauber aufzuhalten, und der Tod bohrte sich in sein Gehirn…Eine weitere Stimme hallte durch die Höhle, und wieder breitete sich ein Schutzschild um ihn aus, doch diesmal riss es nicht, als es mit dem Zauber von Grundas kollidierte.

Der Weise Jomera betrat die Höhle, als stolpere er zufällig in das Geschehen hinein. Grundas wandte sich um, und Simlon sah, dass er kurz zuckte.

„Jomera“, zischte er.

„Grundas“, erwiderte der Weise und klang dabei ein wenig traurig, „ich hätte nicht gedacht, dass wir uns heute begegnen.“ Grundas sagte nichts, sondern zog sein Schwert, dessen Klinge selbst im roten Lichtschein so grau blieb, als habe er sie im Schlamm getränkt. Jomera schielte kurz auf die Klinge. „Ich weiß nicht, wie gut es Euch…“

„Hör auf damit“, fauchte Grundas zornig. Es war die erste Regung in seiner sonst so emotionslosen Stimme.

„…tun würde, den Kampf gegen mich zu suchen“, fuhr der Weise unbeirrt fort, „das letzte Mal habe ich Euch haushoch geschlagen.“

„Das ist lange her“, sagte Grundas mit einem Kratzen in der sonst so klaren Stimme. Plötzlich klang er so ruhig, als sei sein ganzer Zorn verflogen. „Du bist nur noch ein alter Mann, Jomera!“

„Wohl wahr und doch so falsch“, seufzte Jomera, „richtig, mein Körper ist ein bisschen gealtert, aber manche Dinge können nie zu alt werden. Und wenn man es so betrachtet, kann ich Euch immer noch schlimmere Schmerzen zufügen, als Ihr sie Euch nur vorstellen könnt.“ Grundas antwortete nicht. Simlon wusste nicht zu deuten, was er fühlte. Dann, ganz langsam, drehte er den Kopf zu Simlon, der nach wie vor den Atem anhielt.

„Wie lautet dein Name, Aus…“ Doch ehe er den Satz ausgesprochen hatte, wurde Simlon von einem Zauber erfasst und zurückgeschleudert. Kurz war sich Simlon sicher, es wäre aus, doch dann merkte er, dass der Urheber des Zaubers Jomera war. Simlon flog durch die Luft und kam hart in der Mitte des Kreises unter dem Steingrab auf. Augenblicklich setzte ein intensives Glühen ein. Das Tor wurde in Schwingungen versetzt, ein schrilles Fiepen erklang und nistete sich in Simlons Kopf ein wie ein Vogelschwarm. Grundas begriff, was geschah, und schoss eine Salve von Todesflüchen nach Simlon, doch die roten Strahlen schossen hoch und schlossen Simlon in ihrer Mitte ein, beschützten ihn. Er spürte, wie die bösen Zauber an dem Tor zerbrachen und aufgesogen wurden. Langsam verlor er den Boden unter den Füßen, und etwas begann, an ihm zu zerren wie ein reißender Strudel. Seine Augen wanderte vom zufrieden lächelnden Weisen zu Grundas, der entsetzt und zornig auf ihn zustürmte, ohne zu ihm durchdringen zu können. Dann fiel sein Blick auf Rhumpten. Die Leiche des Zentaurengeistes zerfiel bereits in silberne Fäden, die sich langsam in die Luft erhoben, und während Simlon mit Macht ins Nichts gerissen wurde, dachte er sich beruhigt, dass Rhumptens Seele mit Sicherheit bereits auf dem Weg zu den Sternen war.

Der Stern von Nirada - Band 1

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