Читать книгу Der Stern von Nirada - Band 1 - Felix van Kann - Страница 20

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Kapitel 8 - Silbriges Licht

Der Mond schimmerte durch die verwinkelten Äste der Bäume, die sich wie schützende Arme über dem Lager ausbreiteten. Begleitet von dem monotonen Funkeln der Sterne hatte das Firmament etwas Unbeschreibliches an sich.

Fantastisch, dachte Jamie. Vermutlich würde es viele Leute, die er kannte überraschen, dass er ein Auge für diese Schönheit hatte. Er wirkte oft gelangweilt, mit hängenden Schultern und desinteressiertem Blick. Doch das war er in den seltensten Fällen. In Wahrheit hatte er große Freude am Leben, aber das ging niemanden etwas an, nicht, dass noch jemand auf den Gedanken kam, sie ihm zu verderben. Jamie lag auf dem weichen Laub des Waldes in eine dünne Wolldecke gewickelt und blinzelte dem Sommernachtshimmel entgegen. Seine Träume hatten ihn geweckt, auch wenn er nicht mehr wusste, was sie von ihm gewollt hatten. Er spürte eine innere Unruhe, eine, die einen nervös werden lässt, wenn eine undefinierbare Angst in einem nistet. Es war das Ungewisse. Es kam ihm vor, als lebe er ein Leben, das er selbst nicht verstand, das an ihm vorbeizog, ohne auf ihn zu warten, und über das er selbst weniger Kontrolle hatte als andere. Ein unschönes Empfinden. Er griff in den mit Blättern übersäten Boden, hörte ihr Knistern, als sie brachen, und spürte ihre kalte Materie, als wolle er prüfen, ob es sie wirklich gab. Das Gefühl, allein zu sein, wurde stärker und stärker. Jetzt wusste er schon, dass er anders war und woher es rührte, doch das reichte nicht, solange er nicht verstand, warum es so war. Wieso war gerade er der Auserwählte? Der Eine in dieser Welt, der Magie beherrschte? Er wünschte, Gwin wäre ein wenig mitteilsamer, was dies betraf. Wie automatisch drehte er den Kopf zum Schlaflager des Hünen und stockte. Gwin war fort. Ächzend setzte Jamie sich auf, doch nirgendwo in dem kleinen Lager war eine Spur von seinem Begleiter. Jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass es nicht seine Träume allein gewesen waren, die ihn geweckt hatten, sondern dass er unterschwellig Schritte wahrgenommen hatte. Er stand auf und war hellwach. Wo war Gwin? Da vernahm er eine leise Stimme. Es war mehr ein Flüstern, doch es drang wie ein kontinuierliches Rauschen an sein Ohr. Er achtete kurz auf das Geräusch, und als er sich sicher war, dass er es sich nicht einbildete, folgte er ihm in den Wald. Alles schien zu schlafen, nicht einmal die Grillen zirpten noch, aber es war nicht so schwarz, wie es eigentlich sein müsste. Irgendwoher drang ein silberner Lichtfaden, und Jamie war sich sicher, dass daher auch die Stimme kam. Wie gebannt folgte er dem immer stärker werdenden Licht. Er hatte sich bereits ein ganzes Stück vom Lager entfernt, und das Licht wurde auf magische Weise genauso beständig heller, wie die Stimme lauter wurde. Verzaubert lief er durch den Wald und dachte nicht einmal eine Sekunde daran, dass er in Gefahr sein könnte. Nun begannen sich die Bäume zu teilen und Jamie blickte auf eine kleine Lichtung, durch deren Mitte ein schmaler Bach führte. Für einen Moment war Jamie geblendet von einem grellen Schein, doch dann erkannte er, dass zwei Gestalten auf der Lichtung standen, jeweils auf einer Seite des Bachufers. An der Statur erkannte Jamie, dass eine der beiden Gwin war, doch das Schauspiel, das sich ihm bot, war so abstrakt, dass er sich sicher war, im Schlaf unter Drogen gesetzt worden zu sein. Gwin gegenüber stand ein wunderschönes, schneeweißes Pferd, dessen Fell offensichtlich das gleißende Silberlicht ausstrahlte. Und auch die Stimme, die Jamie gehört hatte, ging von dem Tier aus. Das Pferd sprach! Für einen Moment wollte er vortreten und fragen, was zum Teufel hier vor sich ging, doch stattdessen hielt er inne und glitt hinter einen Baum. Denn nun begann das Pferd ein Gedicht aufzusagen:

Wenn 3 und 8 sich schwarz verbinden, wird der hungrige Jäger sein Opfer finden. Wenn in eisigen Höhen der Mond erstrahlt, wird in das Weiße rot gemalt. Wenn die Erde sich vorm Ziel wird neigen, wird der Tod sein schaurig' Antlitz zeigen. Bevor die Zwei die Welt verlassen, wird einer von ihnen sein Leben lassen. Denn das schwarze Biest wird es für das bestrafen, weswegen sich ihre Wege trafen“

Die Worte drangen in Jamies Ohr und machten keinen Sinn und doch so viel. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn nun fragte Gwin mit bedächtiger Stimme: „Was ist damit gemeint?“ Das Pferd wieherte, und für einen Moment wirkte es wie ein ganz normales Tier, doch dann öffnete es wieder das Maul.

„Das wissen wir nicht. Aber es gefällt Jomera nicht, so viel ist sicher. Er macht sich große Sorgen. Zu Recht, wenn du mich fragst. Schließlich sind die meisten Prophezeiungen wahr und so wie es sich anhört…“

„Sag es nicht!“, forderte Gwin entschieden, als wolle er dadurch die Wirkung der Worte unterbinden. Das Pferd schüttelte seine Silbermähne.

„Wir arbeiten daran, sie zu entziffern. Im Endeffekt wird sie sich aber von selbst enthüllen, so wie jedes Mal. Du weißt ja, dass es uns noch nie gelungen ist, eine Prophezeiung in ihrer ganzen Wahrheit zu entschlüsseln. Hoffen wir, dass es nicht das bedeutet, was wir denken.“

Jamie hörte diese Worte, doch er konnte sich absolut keinen Reim drauf machen, was gerade besprochen wurde. Stirn runzelnd sah er zu Gwin, dessen Profil im silbrigen Licht gespenstig flimmerte.

„Verstehst du die Prophezeiung, Gwin?“, fragte das Pferd rollend, "hat er vielleicht etwas…“

„Nein“, antwortete Gwin sehr energisch, „Ich habe keine Ahnung.“ Die großen schwarzen Perlaugen des Pferdes huschten irritiert hin und her.

„Ich wollte dir nicht zu nahe treten, Gwin“, sagte es schließlich und klang dabei mehr fragend als entschuldigend.

„Es tut mir leid“, entgegnete Gwin, seltsam kraftlos, „was gibt es sonst Neues in Nirada?“

„Nun, es ist nur wenig Außergewöhnliches passiert, zum Glück würde ich sagen. Bis auf den Kampf zwischen Grundas und Jomera, aber von dem habe ich dir ja bereits erzählt.“

„Ich kann nicht glauben, dass er ihn wieder nicht besiegen konnte“, sagte Gwin, ohne zu erklären, wen er als Sieger erwartet hatte.

„Jomera weiß, dass Grundas ihn nicht schlagen kann“, entgegnete das Pferd nur, klang dabei aber nicht sonderlich überzeugt. Dann wieherte es und stapfte ungeduldig im Schlamm des Baches umher. „Ich werde langsam schwach, Gwin. Ich bin gefühlt durch halb England gerannt, bevor ich euch gefunden habe. Ich werde mich in Smetland für dich nach ihr erkundigen, aber ich würde keine freundliche Antwort erwarten.“

„Natürlich nicht“, sagte Gwin mit gesenktem Kopf, „doch es reicht mir, überhaupt etwas von ihr zu hören.“ Für einen kurzen Moment trat eine Pause ein, in der das Pferd Gwin eingehend musterte, während Jamie nur auf den eingesackten Rücken des Hünen starrte.

„Du hast dich richtig entschieden, Gwin“, sprach das Pferd schließlich und klang bestimmt, „das ist nur meine Meinung, und du kannst damit machen, was du willst. Es ist nicht gut zurückzublicken, wo die Zukunft jetzt mehr denn je im Vordergrund steht. Und wo wir gerade von Neugier sprechen…“, sagte der weiße Hengst und drehte den Kopf nun genau zu der Stelle, an der Jamie stand, „dann tausch' dich mal mit ihm da aus, denn er scheint eine ganze Menge davon zu haben!“ Jamie stockte der Atem. Er war entdeckt worden. Vermutlich hatte der Hengst ihn schon von Anfang an bemerkt. Also trat er zwischen den Bäumen hervor und sah die beiden an. Das Pferd schien ganz und gar nicht verstimmt, Gwins Ausdruck jedoch war anders. Er wirkte…ertappt.

„Es ist mir eine Ehre, dich kennen zu lernen, Mringard. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, aber leider kann ich nicht zum Tee bleiben. Ruf nach mir, wann immer du mich brauchst!“ Für einen kurzen Moment wollte Jamie rufen „Wie?“, doch irgendwie kam es ihm nicht angemessen vor. Stattdessen beobachtete er mit offenem Mund, wie das Pferd aufwieherte und sich auf die Hinterbeine stellte. Dann galoppierte es mit irrsinniger Geschwindigkeit in den Wald, wobei es einen silbernen Lichtfaden hinter sich herzog, der langsam in der Luft verblasste, und als er sich gänzlich aufgelöst hatte, wurde es dunkel im Wald.

Der Stern von Nirada - Band 1

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