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Vorwort
von Filimon Mebrhatom

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Ich war vierzehn Jahre alt, als ich mein Heimatland Eritrea verlassen und unter schrecklichen Bedingungen die Flucht angetreten habe. Eritrea ist ein kleines Land am Horn von Afrika, das von einem rücksichtslosen Diktator in Schach gehalten wird. Es gibt weder Meinungs- noch Pressefreiheit, und junge Menschen werden in einen brutalen Militärdienst gezwungen, dem Monat für Monat Tausende durch Emigration entkommen wollen – so auch ich.

In einer Nacht im Januar 2014 floh ich über die südliche Grenze nach Äthiopien. Von dort führte mich mein Weg durch den Sudan nach Libyen. Bei der Durchquerung der Sahara erlitt ich furchtbare Gewalt. Ich geriet in die Fänge von Dschihadisten, wurde eingesperrt, gefoltert und versklavt. Zu meinem großen Glück gelang es mir, der Verbrecherbande zu entkommen. Auf einem Flüchtlingsboot verließ ich gemeinsam mit Hunderten anderen Flüchtenden die libysche Hölle und wurde auf hoher See von einem Schiff der italienischen Marine gerettet. Knapp ein Jahr, nachdem ich von zu Hause aufgebrochen war, im Dezember 2014, kam ich schließlich in München an, wo ich heute lebe.

Zum Glück habe ich meine Flucht nicht mit dem Leben bezahlt. Mir geht es hier in Deutschland gut, und ich lebe nun in Freiheit und Sicherheit. Doch ich habe auch großes Heimweh. Ich möchte meine geliebte Mutter, meine Familie, meine Freunde und Bekannten wiedersehen. Tag für Tag denke ich daran, wie ich mit den anderen Kindern meines Dorfes im Freien gespielt und gesungen habe. In Deutschland leben die Menschen isoliert – die meisten sitzen abends zu Hause vor dem Fernseher oder vor dem Computer. Ich hingegen wuchs ohne Facebook, WhatsApp, Viber, YouTube oder Netflix auf. Da es auf dem Dorf weder Internet noch Strom gab, kannte ich all das nicht. Alles, was uns mit der Außenwelt verband, waren krachende, batteriebetriebene Radios, die wir in die Höhe halten mussten, um nach Empfang zu suchen.

Wie sehr vermisse ich die Sonne und das Licht in Eritrea! Die Luft ist sauber und riecht gut, das Essen ist frisch und frei von Pestiziden. Ich sah stets den Lauf der Sonne und des Mondes, was in einer deutschen Großstadt nur schwer möglich ist. In meiner Heimat hingegen ist der Himmel frei – wie oft blickte ich gemeinsam mit den anderen Kindern zu den Sternen und suchte nach Sternschnuppen!

Wer verlässt sein Heimatland schon freiwillig und vor allem allein, im Alter von vierzehn Jahren? Doch solange die Diktatur in Eritrea besteht, ist an eine Rückkehr für mich nicht zu denken.

Es heißt, ein Fünftel der knapp sechs Millionen Einwohner Eritreas lebe im Ausland. Obwohl unser Land klein ist, kamen seit dem Jahr 2013 mehr als 60.000 eritreische Asylbewerber nach Deutschland, mehr als aus jedem anderen afrikanischen Land. Es findet ein regelrechter Exodus statt, und noch immer verlassen jeden Monat etwa 3000 bis 5000 Menschen Eritrea.1

Die Regierung des Landes übernimmt keine Verantwortung für die Menschen, die weggehen. Aufgrund der nicht existierenden Pressefreiheit wissen nur wenige Menschen in Eritrea, wie schrecklich die Lager in Libyen tatsächlich sind. Nichts davon wird im staatlichen Fernsehen oder in der einzigen Zeitung des Landes berichtet.

Ein Zeichen dafür, wie sehr junge eritreische Migrantinnen und Migranten das Regime in Asmara fürchten, sind die zahlreichen Selbstmorde von eritreischen Jugendlichen, denen die Abschiebung aus Europa droht. Besonders tragisch ist der Fall von drei jungen Eritreern in London, die sich im Jahr 2017 und 2018 aus Verzweiflung und aus Angst, abgeschoben zu werden, das Leben nahmen. Keiner von ihnen war älter als neunzehn Jahre.2

Diese Dinge müssen ein Ende haben. Wann sehen wir Freiheit und Frieden? Wann wird es in unserem Land Wahlen geben, wann wird sich die Meinungsfreiheit durchsetzen? Die Menschen in Eritrea fühlen sich von der Welt im Stich gelassen: Europa interessiert sich mehr für die Abwehr der Flüchtenden als für eine wirkliche Bekämpfung der Fluchtursachen. Was wir brauchen, sind Hilfe und Solidarität, um die Diktatur zu stürzen. Ich habe mir geschworen, mich mit all meinen Kräften dafür einzusetzen, dass sich die politische Situation in meinem Heimatland so bald wie möglich zum Positiven verändert.

Mehr als fünf Jahre sind nun vergangen, seit ich Eritrea verlassen habe. Nach meiner Ankunft in Deutschland im Winter 2014 schrieb ich immer wieder Passagen meiner Flucht auf. Zunächst in meiner Muttersprache Tigrinya, dann immer öfter auf Deutsch. Es fiel mir unglaublich schwer, an die schrecklichen Erlebnisse zurückzudenken – doch das Schreiben war für mich gleichzeitig eine Art Therapie. Auf diese Weise konnte ich das Erlebte verarbeiten, und es erschien mir, als ob ich durch den schriftlichen Ausdruck ein Stück weit meinen Schmerz abschütteln konnte.

Etliche Jahre lang lagen die zahlreichen Manuskriptseiten in meiner Schublade, ohne dass sich irgendjemand dafür interessierte. Aber als ich im Frühling 2019 in München einen Vortrag über meine Fluchtgeschichte hielt, änderte sich dies schlagartig: Julia Loschelder vom Verlag Komplett-Media trat an mich heran und schlug eine Publikation meiner Geschichte vor. Im Lauf des restlichen Jahres arbeitete ich zusammen mit dem Wiener Politikwissenschaftler, Journalisten und Aktivisten Alexander Behr intensiv an dem nun vorliegenden Buch. Alexander half mir, meine Textfragmente auszuformulieren und zu einer kohärenten Geschichte zusammenzufügen. Er ergänzte in langen Gesprächen fehlende Passagen mit mir und fügte Exkurse zur Situation in Eritrea und Libyen ein. Claus-Peter Reisch, der unermüdliche Vorkämpfer für die Seenotrettung im Mittelmeer, erklärte sich bereit, ein Vorwort beizusteuern.

Fünf Jahre nach meiner Ankunft in Deutschland liegt mein Buch nun der deutschsprachigen Öffentlichkeit vor. Ich bin unglaublich froh und stolz darüber. Denn mein Ansinnen war es immer, die Europäerinnen und Europäer darüber aufzuklären, warum Menschen ihre Länder verlassen und welchen Leidensweg sie gehen.

Ich verließ Eritrea nicht ohne Grund: Ich wollte frei reden, ohne Angst. Ich wollte meine eigenen Entscheidungen treffen, wohin ich reise, wo ich lebe und wohin ich gehe – so, wie es die Europäer tun. Ich wollte die Demokratie selbst erleben, anstatt immer nur von ihr zu hören. Und ich wollte ohne Angst mein Leben genießen.

Egal welche Hautfarbe, welche Herkunft und welchen Glauben man hat, Mensch ist Mensch. Oftmals frage ich mich: Wieso bin ich zu jener Zeit, an jenem Ort auf dieser Welt geboren? Allein der Zufall der Geburt entscheidet, ob man alle Möglichkeiten hat oder in Angst und Schrecken leben muss. Er entscheidet, ob man von Privilegien profitiert oder ein Dasein im Elend fristen muss. Diese Ungerechtigkeit muss sich ändern.

Ich hoffe sehr, dass dieses Buch einen Beitrag dazu leisten wird, dass die Menschenrechte in Zukunft allerorts geachtet werden und dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können.

1 https://www.youtube.com/watch?v=RQEzlI-bBeI&feature=youtu.be

2 https://www.theguardian.com/uk-news/2019/aug/12/inquest-uncovers-suffering-of-eritrean-refugee-found-hanged

Ich will doch nur frei sein

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