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Ich will nicht wörtlich wiederholen, was er mir erzählt hat, ich will nur in kurzen Worten das Wesentliche geben.

Vor anderthalb Jahren stand Wersilow, der die Familie Achmakow durch den alten Fürsten Sokolskij kennengelernt hatte, in sehr engen Freundschaftsbeziehungen zu dieser Familie (sie waren damals im Ausland, in Ems). Besonders hatte er einen starken Eindruck auf Herrn Achmakow gemacht, der General und noch kein alter Mann war, der aber die ganze große Mitgift seiner Frau, Katerina Nikolajewna, in den drei Jahren ihrer Ehe am Kartentisch verspielt hatte und schon einmal durch einen Schlaganfall für sein zügelloses Leben hatte büßen müssen. Davon hatte er sich im Ausland erholt und kuriert, und in Ems lebte er wegen seiner Tochter aus erster Ehe. Das war ein kränkliches junges Mädchen von siebzehn Jahren, brustleidend, wie man sagt, außerordentlich schön und dabei von äußerst phantastischer Gemütsart. Eine Mitgift besaß sie nicht; man hoffte in der Hinsicht, wie das so üblich war, auf den alten Fürsten. Katerina Nikolajewna soll eine gute Stiefmutter gewesen sein. Aber das junge Mädchen fühlte sich ganz besonders zu Wersilow hingezogen. Er predigte damals »irgend so einen verzückten Kram«, wie Kraft sich ausdrückte, eine Art von neuem Leben, und »war im höchsten Grade religiös aufgelegt«, wie das Andronikow sonderbar genug und vielleicht etwas spöttisch bezeichnet haben soll. Merkwürdig aber war, daß sie alle ihn bald nicht mehr leiden konnten. Der General hatte sogar Angst vor ihm; Kraft bezweifelte durchaus nicht die Wahrheit des Gerüchtes, daß Wersilow es verstanden hätte, dem kranken Manne die Idee beizubringen, Katerina Nikolajewna sehe den jungen Fürsten Sokolskij (der damals gerade Ems verlassen hatte und nach Paris gegangen war) durchaus nicht mit gleichgültigen Augen an. Er hätte das nicht direkt getan, sondern »nach seiner Mode«, mit allerlei Andeutungen, Anspielungen und Winkelzügen, »und darin ist er ja ein Meister«, sagte Kraft. Überhaupt muß ich sagen, daß Kraft ihn mehr für einen Schuft und einen geborenen Intriganten hielt und halten wollte, als für einen Menschen, der von etwas Höherem durchdrungen oder überhaupt auch nur originell wäre. Ich hatte auch schon vorher von anderer Seite gehört, daß Wersilow anfangs einen großen Einfluß auf Katerina Nikolajewna gehabt hat, daß es aber mit der Zeit bis zum gänzlichen Bruch zwischen ihnen gekommen ist. Eine Entwirrung aller Fäden dieses verwickelten Spieles konnte Kraft mir nicht geben, aber daß sie zuerst miteinander befreundet waren und sich nachher gegenseitig direkt gehaßt haben, das haben mir meine sämtlichen Zeugen einstimmig bestätigt. Und dann geschah etwas Merkwürdiges: Katerina Nikolajewnas kränkliche Stieftochter hatte sich augenscheinlich in Wersilow verliebt, oder sie war gleichsam von irgend etwas an ihm hypnotisiert, oder sie war von seinen schönen Worten so begeistert, oder – wer kann das schließlich wissen; jedenfalls ist es allgemein bekannt, daß Wersilow eine Zeitlang fast seine ganzen Tage in der Gesellschaft dieses jungen Mädchens verbrachte. Das Ende vom Liede war, daß das Mädchen eines schönen Tages ihrem Vater erklärte, sie wollte Wersilow heiraten. Daß dieses tatsächlich geschehen ist, haben mir alle bekräftigt, Kraft und Andronikow und Maria Iwanowna und sogar Tatjana Pawlowna hat sich mir gegenüber einmal in diesem Sinne verplappert. Und ebenso waren sich alle darin einig, daß Wersilow nicht nur den Wunsch gehabt hätte, das Mädchen zu heiraten, sondern auch sehr energisch an dieser Absicht festgehalten hatte, und daß das Einverständnis dieser beiden so ungleichartigen Menschen, des alten Mannes und des jungen Mädchens, gegenseitig gewesen sei. Aber ihren Vater erschreckte dieser Gedanke; er hatte im selben Maße, in dem er Katerina Pawlowna, die er früher sehr geliebt hatte, ferner getreten war, angefangen, seine Tochter förmlich zu vergöttern, besonders seit seinem Schlaganfall. Aber als die erbittertste Gegnerin der Möglichkeit einer solchen Ehe zeigte sich Katerina Nikolajewna. Es gab eine Menge heimlicher, äußerst unangenehmer Familienkonflikte, Zank, Verdrießlichkeit, mit einem Wort, allerlei widrige Geschichten. Der Vater begann schließlich nachzugeben, als er die Hartnäckigkeit seiner verliebten und von Wersilow »fanatisierten« Tochter erkannte, wie Kraft das bezeichnete. Aber Katerina Nikolajewna blieb mit unerbittlichem Haß bei ihrem Widerstand. Und an diesem Punkte beginnt der Wirrwarr, in dem kein Mensch sich zurechtfindet. Ich will übrigens hersetzen, was Kraft sich auf Grund der ihm bekannten Tatsachen zusammenkombiniert hat, es bleibt aber immer nur eine Kombination.

Wersilow soll es verstanden haben, der jungen Dame auf seine Art, fein und ohne direkte, widerlegbare Behauptungen, die Meinung beizubringen, daß Katerina Nikolajewna deshalb gegen diese Heirat wäre, weil sie sich selbst in ihn verliebt hätte, sie quälte ihn schon seit langem mit ihrer Eifersucht, verfolgte ihn und intrigierte gegen ihn, sie hätte sich ihm auch erklärt, und jetzt hätte sie Lust, ihn in Stücke zu reißen, weil er eine andere liebte; mit einem Wort, so was Ähnliches. Das Häßlichste dabei ist, daß er auch dem Vater des Mädchens, dem Manne der »ungetreuen« Frau, gegenüber derartige »Anspielungen« gemacht und ihm erklärt haben soll, die Sache mit dem jungen Fürsten Sokolskij hätte nur die Ablenkung seines Verdachtes zum Ziel gehabt. Natürlich ging jetzt in der Familie die ganze Hölle los. Nach einer Variante hätte Katerina Nikolajewna ihre Stieftochter über die Maßen geliebt und wäre jetzt verzweifelt gewesen, weil sie bei ihr so verleumdet worden sei, von ihren Beziehungen zu ihrem kranken Manne schon ganz zu schweigen. Daneben besteht noch eine andere Variante, die Kraft zu meinem Leidwesen für die richtige hielt und – die ich selbst für richtig hielt (von allen diesen Sachen hatte ich schon früher gehört). Es wurde behauptet (Andronikow soll es von Katerina Nikolajewna selbst gehört haben), Wersilow hätte vielmehr zuerst, das heißt, bevor sich das junge Mädchen in ihn verliebt hatte, Katerina Nikolajewna eine Liebeserklärung gemacht; und sie, die früher seine Freundin gewesen wäre, eine Zeitlang sogar eine exaltierte Freundin, aber ihm nie geglaubt und ihm immer widersprochen hätte, sie hätte auf Wersilows Antrag mit großer Gehässigkeit und giftigem Hohn geantwortet. Sie hätte ihm in aller Form die Tür gewiesen, weil er ihr den direkten Vorschlag gemacht hätte, seine Frau zu werden, im Hinblick auf den vermutlich bald zu erwartenden zweiten Schlaganfall ihres Mannes. So mußte denn Katerina Nikolajewna einen ganz besonderen Haß gegen Wersilow empfinden, als sie nachher sah, daß er sich so offen um die Hand ihrer Stieftochter bewarb. Maria Iwanowna, die mir das alles in Moskau mitgeteilt hat, glaubte sowohl an die eine als auch an die andere Variante, das heißt, sie glaubte alles zusammen: sie versicherte mir, daß das alles sich ganz gut miteinander in Einklang bringen ließe, sie sprach von la haine dans l'amour, vom Stolz gekränkter Liebe bei beiden Teilen usw. usw., kurz und gut, sie machte daraus eine Art von spitzfindiger Romanverwicklung, eine Sache, die jeder ernsthafte und gesund denkende Mensch von sich weisen muß. Aber Maria Iwanowna hat sich eben den Kopf von Kind auf mit Romanen vollgepfropft und liest das Zeug Tag und Nacht, trotzdem sie ein Mensch von so herrlichem Charakter ist. Wenn man die Summe aus dem allen zog, so ergab sich, daß Wersilow ganz augenscheinlich gemein gehandelt hatte, Lügen und Intrigen, etwas Schwarzes und Häßliches, um so mehr, als die Sache tatsächlich ein tragisches Ende nahm: das arme, verliebte junge Mädchen vergiftete sich, hieß es, mit Phosphorstreichhölzern; übrigens weiß ich auch heute noch nicht, ob dieses letzte Gerücht auf Wahrheit beruht; jedenfalls hat man sich alle Mühe gegeben, die Sache zu vertuschen. Das Mädchen war etwa zwei Wochen lang krank und starb dann. Die Sache mit den Streichhölzern ist auf diese Weise zweifelhaft geblieben, aber Kraft war auch davon überzeugt. Nachher starb, nicht lange darauf, auch der Vater des jungen Mädchens, wie man behauptet, aus Kummer, das soll auch die Ursache seines zweiten Schlaganfalls gewesen sein. Dies geschah übrigens erst drei Monate nachher. Aber nach der Beerdigung des jungen Mädchens gab der junge Fürst Sokolskij, der wieder von Paris nach Ems zurückgekehrt war, Wersilow ganz öffentlich im Kurgarten eine Ohrfeige, und dieser forderte ihn daraufhin nicht; er erschien vielmehr am nächsten Tage wieder auf der Promenade, als ob nicht das geringste geschehen wäre. Und da sagten sich alle von ihm los, auch in Petersburg. Wersilow hatte wohl noch einigen Verkehr, aber in einem ganz anderen Kreise. Alle seine Bekannten aus der Gesellschaft verurteilten ihn, obwohl eigentlich die wenigsten eine Ahnung von allen Einzelheiten hatten; man hatte nur von dem romanhaften Tode des jungen Mädchens und von der Ohrfeige gehört. Eine soweit als möglich vollständige Kunde von den Dingen besaßen nur zwei, drei Menschen; am meisten wußte der verstorbene Andronikow, der schon lange in geschäftlichen Beziehungen zu den Achmakows gestanden hatte und insbesondere zu Katerina Nikolajewna, in einer ganz bestimmten Angelegenheit. Aber er hütete diese Geheimnisse sogar gegenüber seiner Familie, nur Kraft und Maria Iwanowna hat er einiges davon mitgeteilt, und das auch nur, weil es nicht gut anders ging.

»Die Hauptsache«, sagte Kraft endlich, »ist nun ein gewisses Dokument, vor dem Frau Achmakowa eine ungeheure Angst hat.«

Darüber teilte er mir dann weiter folgendes mit:

Als der alte Fürst, ihr Vater, sich im Auslande schon von seinem Anfall wieder erholte, hatte Katerina Nikolajewna die Unvorsichtigkeit begangen, unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit einen äußerst kompromittierenden Brief an Andronikow zu schreiben, zu dem sie das vollste Vertrauen hatte. Damals, während seiner Genesung, soll sich beim Fürsten tatsächlich eine starke Sucht gezeigt haben, zu verschwenden und sein Geld beinahe zum Fenster hinauszuwerfen: im Auslande begann er ganz überflüssige, aber sehr teuere Sachen zu kaufen, Bilder, Vasen, – Schenkungen und Stiftungen zu Gott weiß was für Zwecken zu machen, haufenweise, zum Teil sogar zum Besten dortiger Anstalten; irgendeinem russischen Verschwender aus den ersten Gesellschaftskreisen hätte er beinahe für eine ungeheure Summe ein gänzlich heruntergewirtschaftetes Gut abgekauft; und schließlich hatte er auch wohl wirklich angefangen, an eine neue Heirat zu denken. Und im Hinblick auf diese Dinge hatte also Katerina Nikolajewna, die ihrem Vater während seiner Krankheit nicht von der Seite gewichen war, Andronikow, als Juristen und »alten Freund«, brieflich gefragt, ob es nach den Gesetzen nicht möglich sein würde, den Fürsten unter Kuratel zu stellen oder ihm die Rechtsfähigkeit zu entziehen; und wenn das ginge, wie man das am besten machte, ohne daß ein Skandal daraus entstünde; es sollte ihr doch keiner einen Vorwurf machen können, auch sollten die Gefühle ihres Vaters dabei geschont werden. Andronikow soll ihr damals zur Vernunft geredet und ihr sehr abgeraten haben; und nachher, als der Fürst wieder gänzlich hergestellt war, war es natürlich unmöglich geworden, auf diese Idee zurückzukommen; aber den Brief hatte Andronikow behalten. Und nun stirbt Andronikow; Katerina Nikolajewna fiel sofort wieder dieser Brief ein: wenn er unter den Papieren des Verstorbenen zum Vorschein käme und dem alten Fürsten in die Hände fiele, so würde dieser sich sicher für ewig von ihr lossagen, sie enterben und ihr bei Lebzeiten nicht einen Heller geben. Der Gedanke, daß seine leibliche Tochter an seinem Verstand zweifelte und ihn sogar für irrsinnig erklären lassen wollte, mußte dieses Lamm in ein reißendes Tier verwandeln. Und sie war Witwe und durch die Spielleidenschaft ihres Mannes gänzlich mittellos zurückgeblieben und konnte auf niemand als auf ihren Vater rechnen: sie hoffte fest, von ihm eine neue Mitgift zu erhalten, die ebenso hoch wäre wie die erste.

Kraft wußte über das Schicksal dieses Briefes sehr wenig, aber er sagte mir, Andronikow hätte »wichtige Papiere niemals vernichtet« und wäre außerdem ein Mann mit einem weiten Horizont, aber auch »mit einem weiten Gewissen« gewesen. (Ich muß sogar sagen, ich wunderte mich über die Selbständigkeit und Objektivität dieses Urteils bei Kraft, der für Andronikow soviel Liebe und Achtung gehegt hatte.) Aber Kraft war innerlich davon überzeugt, daß das kompromittierende Dokument, infolge von Wersilows nahen Beziehungen zu Andronikows Witwe und seinen Töchtern, wahrscheinlich in Wersilows Hände gekommen sein müßte; es war bekannt, daß sie ihm auf Anordnung des Verstorbenen sofort alle Papiere übergeben hatten, die dieser hinterlassen hatte. Kraft wußte auch, daß Katerina Nikolajewna davon unterrichtet wäre, daß der Brief sich in Wersilows Händen befinde und deshalb große Angst hätte, weil sie meinte, Wersilow würde mit dem Briefe sehr bald zum alten Fürsten gehen. Sie hätte nach ihrer Rückkehr aus dem Auslande auch schon Nachforschungen nach dem Briefe in Petersburg angestellt, sie wäre bei Frau Andronikowa und ihren Töchtern gewesen und suchte noch immer weiter, da ihr trotz allem noch eine Hoffnung geblieben wäre, daß Wersilow den Brief vielleicht doch nicht hätte, und schließlich wäre sie auch nur dieser Sache wegen nach Moskau gefahren und hätte dort Maria Iwanowna flehentlich gebeten, in den Papieren nachzuforschen, die sie in Verwahrung hatte. Von Maria Iwanownas Existenz und ihren Beziehungen zu dem verstorbenen Andronikow hätte sie erst kürzlich erfahren, als sie schon wieder in Petersburg gewesen sei.

»Sie glauben also, sie hat bei Maria Iwanowna nichts gefunden?« fragte ich und hatte meine Gedanken dabei.

»Wenn Maria Iwanowna nicht mal Ihnen was davon gesagt hat, dann hat sie vielleicht überhaupt nichts.«

»Sie nehmen also an, das Dokument befinde sich bei Wersilow?«

»Das ist wohl das Wahrscheinlichste. Übrigens, ich weiß es ja nicht, unmöglich ist gar nichts«, sagte er, sichtlich abgespannt.

Ich fragte ihn nicht weiter aus. Wozu auch? Alles Wichtige war für mich aufgehellt, trotz dieses unwürdigen Wirrwarrs; alles, was ich befürchtet hatte, war mir bestätigt worden.

»Das ist alles wie Traum und Fieberwahn«, sagte ich voll tiefer Traurigkeit und griff nach meinem Hute.

»Dieser Mensch ist Ihnen sehr teuer?« fragte mich Kraft, mit einer sichtlichen und großen Teilnahme, die ich in jener Minute von seinem Gesicht las.

»Ich habe schon so ein Vorgefühl gehabt,« sagte ich, »daß ich selbst von Ihnen nicht das Ganze erfahren würde. Meine letzte Hoffnung ruht auf der Achmakowa. Auf sie habe ich auch gehofft. Vielleicht gehe ich zu ihr, vielleicht auch nicht.«

Kraft musterte mich mit einigem Zweifel im Blick.

»Leben Sie wohl, Kraft! Weshalb laufen Sie Leuten nach, die nichts von Ihnen wissen wollen? Wäre es nicht, besser, mit allem zu brechen – was?«

»Und nachher wohin?« fragte er mit einer gewissen Rauheit und schaute zu Boden.

»Zu sich selber, zu sich selber! Mit allem brechen und zu sich selber kommen!«

»Nach Amerika?«

»Nach Amerika! Zu sich selber, zu sich selber ganz allein! Sehn Sie, darin besteht meine ›Idee‹, Kraft!« sagte ich begeistert.

Er sah mich mit einer Art von Neugier an.

»Und kennen Sie diesen Ort: ›zu sich selber‹?«

»Ja. Auf Wiedersehn, Kraft; ich danke Ihnen und bedaure, daß ich Sie belästigt habe! Ich an Ihrer Stelle würde, wenn ich selber so ein Rußland im Kopfe hätte – ich würde alle zum Teufel schicken: packt euch, intrigiert nur weiter, beißt euch miteinander herum – was schert das mich.«

»Bleiben Sie noch etwas«, sagte er auf einmal, als wir schon an der Tür waren.

Ich war ein bißchen verwundert, ich kehrte um und setzte mich wieder. Kraft setzte sich mir gegenüber. Wir tauschten eine Art von Lächeln – ich sehe das alles noch, als wäre es heute gewesen. Ich weiß noch sehr genau, daß ich ihn in gewisser Weise bewunderte.

»Es gefällt mir so gut an Ihnen, Kraft, daß Sie so ein liebenswürdiger Mensch sind«, sagte ich auf einmal.

»So?«

»Namentlich, weil ich selbst es so selten verstehe liebenswürdig zu sein, wenn ich es auch verstehen möchte . . . Ach was, vielleicht ist es auch besser, wenn die Menschen einen vor den Kopf stoßen: wenigstens befreien sie einen damit von dem Unglück, sie lieben zu müssen.«

»Welche Stunde des Tages lieben Sie am meisten?« fragte er, er hatte sichtlich gar nicht gehört, was ich gesagt hatte.

»Welche Stunde? Ich weiß nicht. Den Sonnenuntergang liebe ich nicht.«

»So?« sagte er mit einem ganz besonderen Interesse und verfiel gleich wieder in Gedanken.

»Sie wollen wieder verreisen?«

»Ja . . . ich verreise.«

»Bald?«

»Ja.«

»Brauchen Sie denn wirklich zu einer Reise nach Wilna einen Revolver?« fragte ich, ganz ohne den geringsten Hintergedanken und sogar überhaupt, ohne irgend etwas dabei zu denken. Ich fragte nur so, weil der Revolver blitzte, und ich nicht recht wußte, wovon ich reden sollte.

Er wendete sich um und sah den Revolver mit einem langen, festen Blick an.

»Nein, das tu ich nur so, aus Gewohnheit.«

»Wenn ich einen Revolver besäße, ich würde ihn irgendwo unter Schloß und Riegel bringen. Wissen Sie, so ein Ding hat, bei Gott, etwas Verführerisches! Ich glaube vielleicht gar nicht an Selbstmordepidemien, aber wenn man so ein Ding immer vor Augen hat – wahrhaftig, es gibt Minuten, wo es einen verführen könnte.«

»Sprechen Sie nicht davon«, sagte er und stand plötzlich auf.

»Ich spreche nicht von mir,« sagte ich, mich gleichfalls erhebend, »ich würde so etwas nie tun. Geben Sie mir meinetwegen drei Menschenleben, – auch das würde mir noch nicht genug sein.«

»Leben Sie lange«, riß es sich gleichsam aus ihm los.

Er lächelte zerstreut und ging, seltsam, einfach ins Vorzimmer, mich damit gewissermaßen hinauskomplimentierend, natürlich ohne Bewußtsein von dem, was er tat.

»Ich wünsche Ihnen Gelingen in jeder Hinsicht, Kraft«, sagte ich, als ich schon auf der Treppe war.

»Hoffentlich«, erwiderte er mit Festigkeit.

»Auf Wiedersehen!«

»Hoffentlich auch das.«

Ich denke noch an den letzten Blick, mit dem er mich ansah.

Ein Werdender

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