Читать книгу Ein Werdender - Fjodor M. Dostojewski - Страница 28

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Es bleiben noch die Antworten auf die Fragen »Warum?« und »Weshalb?« und »Ist das moralisch oder nicht?« übrig, – ich habe eine Antwort darauf versprochen.

Es tut mir leid, daß ich den Leser mit einem Streich enttäuschen muß, es tut mir leid und freut mich. Möge man doch wissen, daß wirklich keine Spur von einem Gefühl der »Rache« mit meiner Idee etwas zu tun hat, nichts Byronisches, – keine Flüche, keine Waisenklagen, keine Bankerttränen, nichts, gar nichts. Kurz und gut, die romantisch veranlagte Dame, der meine Memoiren in die Hände fallen könnten, würde sogleich die Nase hängen lassen. Das ganze Ziel meiner »Idee« ist – die Einsamkeit.

»Aber Einsamkeit kann man auch erlangen, ohne sich darum zu reißen, ein Rothschild zu werden. Was hat Rothschild damit zu tun?«

»Das hat er damit zu tun, daß ich außer der Einsamkeit auch Macht haben will.«

Ich will ein kurzes Vorwort machen: der Leser wird sich vielleicht über die Aufrichtigkeit meines Bekenntnisses entsetzen und sich naiv fragen: warum errötet der Verfasser hierbei nicht? Meine Antwort ist: ich schreibe nicht, um gedruckt zu werden; und einen Leser werde ich vielleicht erst in zehn Jahren haben, wenn alles bis zu einem Grade klar geworden, vorübergegangen und erwiesen ist, daß zu einem Erröten nicht mehr die geringste Veranlassung sein wird. Und wenn ich mich daher manchmal in meinen Memoiren an einen Leser wende, so ist das nur eine Manier. Mein Leser ist nur eine gedachte Person.

Nein, nicht meine uneheliche Geburt, mit der ich bei Touchard so viel aufgezogen wurde; nicht meine traurigen Kinderjahre, kein Rächersinn und kein berechtigtes Protestgefühl haben den Keim zu meiner »Idee« gelegt; schuld daran ist ganz allein mein Charakter. – Mit zwölf Jahren, glaube ich, das heißt also, fast mit demselben Moment, wo das richtige Bewußtsein in mir erwachte, fing ich an, die Menschen nicht mehr leiden zu können. Es war eigentlich nicht, daß ich sie nicht hätte leiden können, aber sie fielen mir gewissermaßen schwer. Es ist mir selbst manchmal furchtbar traurig gewesen, in meinen reinsten Minuten, daß ich mich auch gegenüber den mir am nächsten stehenden Leuten nie habe ganz aussprechen können; das heißt, ich könnte es wohl, aber ich will nicht, ich halte mich zurück und weiß selbst nicht, warum; es hat mich oft betrübt, daß ich so mißtrauisch, verdrießlich und unumgänglich bin. Und so habe ich auch seit lange noch einen Zug an mir entdeckt: ich klage zu häufig an, ich bin zu sehr geneigt, andere Leute zu beschuldigen; aber wenn ich dieser Neigung nachgebe, folgt gleich darauf sehr oft ein anderer Gedanke, der für mich etwas erdrückend Schweres hat, und der lautet: »Bin ich nicht am Ende selber der Schuldige, und nicht sie?« Und wie oft habe ich mich grundlos beschuldigt! Um nicht genötigt zu sein, solche Fragen zu entscheiden, habe ich natürlich die Einsamkeit gesucht. Und zu alledem habe ich nichts in der Gesellschaft der Menschen gefunden, so sehr ich mich gemüht habe, und ich habe mich bemüht; wenigstens alle meine Altersgenossen, alle meine Kameraden haben sich, vom ersten bis zum letzten, niedriger erwiesen, als meine Gedanken waren; ich weiß keine einzige Ausnahme.

Jawohl, ich bin finster, ich verstecke mich ununterbrochen. Ich fühle oft den Wunsch, aus der Gesellschaft auszutreten. Ich werde den Menschen vielleicht Gutes tun, aber häufig erblicke ich nicht die geringste Ursache, ihnen Gutes zu tun. Und überhaupt sind die Menschen nicht so wundervoll, daß es sich verlohnte, sich um sie Sorgen zu machen. Warum treten sie nicht gerade und offen an mich heran, und warum bin ich unbedingt verpflichtet, selbst und als erster zu ihnen zu kommen. Das war es, wonach ich mich gefragt habe. Ich bin ein dankbares Geschöpf und habe das schon durch ein ganzes Hundert Dummheiten bewiesen. Ich möchte dem Offenen momentan mit Offenheit erwidern und gleich anfangen, ihn zu lieben. Und das habe ich auch getan; aber alle haben sie mich sofort übers Ohr gehauen und sich mit spöttischem Lächeln vor mir versteckt. Der offenste von allen war Lambert, der mich in meinen Kinderjahren so viel geprügelt hat: aber auch der war nur ein offener Schuft und Bandit; und auch diese Offenheit entsprang nur aus seiner Dummheit. Das waren so meine Gedanken, als ich nach Petersburg kam.

Als ich damals von Dergatschow kam (wohin es mich weiß Gott warum gezogen hatte), ging ich auf Wasin los und sang dem, in einem Anfall von Begeisterung, sein Lob. Und was folgte dann? Noch am selben Abend fühlte ich schon, daß ich ihn jetzt viel weniger gern hatte. Warum? Eben darum, weil ich sein Lob gesungen und mich selbst dadurch vor ihm heruntergesetzt hatte. Und dabei schien mir doch, es müßte gerade das Umgekehrte der Fall sein: ein Mensch, der so gerecht und so großdenkend ist, daß er einem andern gibt, was ihm gebührt, auch wenn er sich selbst dabei etwas vergibt, so ein Mensch steht doch an wirklicher Würde beinahe höher, als sonst irgend jemand. Und doch – ich begriff das sehr wohl; aber trotzdem hatte ich Wasin jetzt weniger gern, sogar sehr viel weniger. Ich habe absichtlich ein Beispiel gewählt, das dem Leser schon bekannt war. Sogar an Kraft dachte ich mit einem bitteren und säuerlichen Gefühl zurück, weil er mich so einfach selbst hinausgeleitet hatte, und das dauerte bis zum nächsten Tage an, bis mir alles, was Kraft anging, ganz klar geworden war und ich ihm nicht mehr zürnen konnte. Wenn mich, auch noch in den untersten Gymnasialklassen, irgendein Mitschüler in einem Unterrichtsgegenstand überflügelte oder mich in witzigen Antworten übertraf, so hörte ich sofort auf, mich mit ihm abzugeben und mit ihm zu sprechen. Nicht, daß ich ihn gehaßt oder ihm Mißerfolge gewünscht hätte; ich wandte mich nur einfach von ihm ab, weil das eben in meinem Charakter lag.

Ja, ich habe mein ganzes Leben lang nach Macht gedürstet, nach Macht und Einsamkeit. Meine Träume waren davon sogar schon in einem Alter erfüllt, wo mir ganz bestimmt jedermann ins Gesicht gelacht hätte, der erfahren hätte, was in meinem Kopfe vorging. Deswegen habe ich die Heimlichkeit so lieb gewonnen. Ja, ich träumte mit meiner ganzen Kraft und so viel, daß mir keine Zeit blieb, mich mit anderen Menschen zu unterhalten; daraus schloß man, ich wäre menschenscheu, und aus meiner Zerstreutheit wurden viel häßlichere Schlüsse gezogen, aber meine roten Backen bewiesen das Gegenteil.

Besonders glücklich war ich, wenn ich im Bette lag, die Decke über mich gezogen hatte und ganz allein, in vollster Einsamkeit, ohne Menschen um mich zu sehen und ohne einen menschlichen Laut zu hören, das Leben nach meinen Träumen umzuschaffen begann. Glühendste Träumerei geleitete mich, bis zur Entdeckung meiner »Idee«, wo alle Träume, die dumm gewesen waren, auf einmal verständig wurden und aus der träumerischen Form des Romans in die kritisch denkende Form der Wirklichkeit übergingen.

Alles ergoß sich dem einen Ziel entgegen. Meine Gedanken waren übrigens auch früher nicht gar so dumm gewesen, trotz ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit und Zahl. Aber ich hatte immer Lieblingsgedanken unter ihnen gehabt . . . Übrigens ist hier nicht der Ort sie aufzuzählen.

Macht! Ich bin fest davon überzeugt, daß es sehr vielen Menschen sehr lächerlich erscheinen würde, wenn sie erführen, daß so ein »Dreck« wie ich nach Macht ringt. Aber ich kann ihnen etwas sagen, was sie noch mehr wundern wird: vielleicht schon in meinen allerersten Träumen, das heißt, fast von meiner frühesten Kindheit an, habe ich mir mich selbst nicht anders vorstellen können, als auf dem ersten Platze, überall und in allen Lebenslagen. Hier will ich ein seltsames Bekenntnis anschließen: vielleicht ist das auch noch heute der Fall. Ich bemerke dazu, daß ich nicht um Verzeihung zu bitten gedenke.

Und darin liegt auch meine »Idee«, darin liegt ihre Stärke, daß das Geld der einzige Weg ist, der sogar eine Null auf den ersten Platz führen kann. Ich bin ja vielleicht keine Null, aber ich weiß zum Beispiel aus dem Spiegel, daß mein Äußeres mir hinderlich ist, weil ich ein ordinäres Gesicht habe. Aber bin ich erst mal so reich wie Rothschild, – wer wird dann mit meinem Gesichte rechten, und werden dann nicht Tausende von Frauen, wenn ich nur pfeife, mir mit aller ihrer Schönheit an den Hals fliegen? Ich bin sogar überzeugt, daß sie mich selbst, und ganz aufrichtig, schließlich für einen schönen Mann halten würden. Ich bin vielleicht auch klug. Aber mag ich auch eine Stirn von sieben Spannen haben, sicherlich findet sich ein anderer, der eine Stirn von acht Spannen hat – und dann bin ich geliefert. Aber wenn ich ein Rothschild bin, – kann dieser kluge Kopf von acht Spannen irgend etwas neben mir bedeuten? Gar nicht zu Worte kommen lassen wird man ihn neben mir! Ich bin vielleicht geistreich; aber nehmen wir an, es stellt sich ein Talleyrand, ein Piron neben mich – und ich bin verdunkelt; aber sobald ich ein Rothschild bin – wo bleibt da ein Piron, und vielleicht auch ein Talleyrand? Das Geld ist natürlich eine despotische Macht, aber zu gleicher Zeit ist es der größte Gleichmacher, und darin liegt seine hauptsächlichste Kraft. Das Geld macht alle Ungleichheiten gleich. Zu diesen Schlüssen bin ich noch in Moskau gekommen.

Man wird in diesem Gedanken natürlich nichts als Unverschämtheit, Sucht nach Gewalt, Sucht der Nichtigkeit sehen, über die Talente zu triumphieren. Zugegeben, dieser Gedanke sei frech (und eben darum süß). Meinethalben! Man denkt, ich hätte mir damals Macht gewünscht, um andere zu erdrücken, um mich zu rächen? Das ist es eben, daß so unbedingt die ordinäre Gewöhnlichkeit handeln würde. Nein, mehr noch! Ich bin überzeugt, daß tausende von Talenten und klugen Köpfen, die sich so erhaben dünken, es nicht ertragen würden, wenn ihnen auf einmal die Rothschildschen Millionen in den Schoß fielen, und handeln würden wie die niedrigste ordinärste Gewöhnlichkeit und die anderen mehr als irgend jemand erdrücken. Meine Idee ist eine ganz andere. Ich habe keine Angst vor dem Geld; es wird mich nicht erdrücken, und mich auch nicht zwingen, andere zu erdrücken.

Ich habe das Geld nicht nötig, oder, besser gesagt, ich habe nicht das Geld nötig, auch nicht einmal die Macht; ich habe nur nötig, was man durch die Macht erlangt und was man ohne Macht auf keine Art erlangen kann: und das ist das einsame und ruhige Kraftbewußtsein! Das ist die erschöpfendste Umschreibung der Freiheit, um die die ganze Welt sich plagt! Freiheit! Endlich steht es hier auf dem Papier, das große Wort . . . Ja, das einsame Kraftbewußtsein – das ist verlockend und herrlich. Habe ich Kraft, so bin ich ruhig. Jupiter hat den Donnerkeil in seiner Hand, und er ist ruhig! Hört man ihn etwa oft donnern? Ein Narr könnte meinen, er schliefe. Aber man setze einmal irgendeinen Literaten an Jupiters Stelle, oder ein dummes Bauernweib – es wird donnern und donnern ohne Ende.

Wenn ich erst die Macht hätte – so überlegte ich – würde ich ihrer gar nicht mehr bedürfen; ich kann versichern, daß ich selbst, aus eigenem freien Willen, überall den letzten Platz einnehmen würde. Wenn ich ein Rothschild wäre, ich ginge in einem schäbigen Paletot und mit einem Regenschirme herum. Was machte es mir, wenn ich auf der Straße angerannt würde, wenn ich eilig durch den Straßenschmutz springen müßte, um nicht von Droschken überfahren zu werden? Das Bewußtsein, daß ich das wäre, ich, der Rothschild, würde mir in solchen Momenten sogar großes Vergnügen machen. Ich weiß, daß ich das beste Essen haben kann und den ersten Koch in der ganzen Welt, und ich habe genug daran, daß ich es weiß. Ich würde ein Stück Brot mit Schinken essen und mich an meinem Bewußtsein sättigen. Ich bin sogar heute noch derselben Ansicht.

Ich werde mich nicht an die Aristokratie herandrängen, sondern sie wird sich zu mir drängen, ich werde den Weibern nicht nachlaufen, sondern sie werden zu mir strömen, wie Wasser, und mir alles anbieten, was eine Frau anzubieten hat. Die »schlechten« werden des Geldes wegen kommen und die klugen wird die Neugier herführen, einen so sonderbaren, stolzen, verschlossenen Menschen zu ergründen, der alles mit solcher Gleichgültigkeit betrachtet. Ich werde zu den einen freundlich sein und zu den andern auch, und vielleicht werde ich ihnen Geld geben, ich selbst aber werde nichts von ihnen annehmen. Neugier gebiert Leidenschaft, vielleicht werde ich auch Leidenschaft entzünden. Aber ich kann versichern, sie werden nichts von mir mitnehmen, höchstens Geschenke. Und ich werde dadurch nur doppelt interessant für sie werden

. . . Denn am Bewußtsein

Find' ich Genügen.

Sonderbar ist es, daß ich mir dies Bild (das übrigens richtig ist), schon mit siebzehn Jahren wollüstig verlockend ausgemalt habe.

Bedrücken und quälen will ich niemand und werde ich niemand; aber ich würde wissen, daß keiner mich hindern könnte, wenn ich den und den Menschen, irgendeinen Feind von mir, ruinieren wollte, im Gegenteil, alle würden mir Beihilfe leisten, und an dem Bewußtsein hätte ich wieder genug. Ich würde mich sogar an niemand rächen. Ich habe mich immer darüber gewundert, daß James Rothschild darauf eingegangen ist, Baron zu werden! Warum, wozu, wenn er auch soviel größer war, als sonst irgend jemand auf Erden? Mag mich doch irgend so ein großschnauziger General auf einer Poststation beleidigen, wo wir beide auf frische Pferde warten; wenn er wüßte, wer ich bin, liefe er hinaus und spannte mir meine Pferde eigenhändig ein und spränge herzu, um mir in meinen bescheidenen Lastwagen zu helfen! Ich habe einmal gelesen, ein ausländischer Baron oder Graf hätte in einer Wiener Eisenbahn einem dortigen Bankier vor allen Leuten seine Pantoffeln angezogen; und der Mann war so ordinär, sich das gefallen zu lassen. – Oh, mag doch, mag diese schreckliche Schönheit (jawohl: schrecklich, es gibt solche Schönheiten!) – diese Tochter einer üppigen und vornehmen Aristokratin, wenn sie zufällig mit mir auf einem Dampfschiff zusammentrifft, mag sie mich nur scheel ansehen und die Nase rümpfen und sich von oben herab verwundern, wie dieser bescheidene, häßliche Mensch mit dem Buch oder der Zeitung in der Hand es wagen konnte, hierher auf den ersten Platz zu geraten, direkt neben sie. Wenn sie nur wüßte, wer neben ihr sitzt! Und sie wird es erfahren – sie wird es erfahren und sich selbst neben mich setzen, demütig, schüchtern, freundlich, sie wird meinen Blick suchen, sie wird froh sein über ein Lächeln von mir . . . Ich setze diese jugendlichen Phantasiebildchen absichtlich hierher, um meinen Gedanken klarer auszudrücken; aber diese Bilder sind blaß und vielleicht auch trivial. Nur die Wirklichkeit kann alles rechtfertigen.

Man wird mir einwenden, eine solche Lebensweise wäre dumm; warum soll man sich kein Palais bauen, kein Haus machen, keine Gesellschaften geben, keinen Einfluß ausüben, nicht heiraten? Aber was würde dann aus dem Rothschild werden? Er würde werden wie alle. Der ganze Reiz der »Idee« würde schwinden, ihre ganze moralische Kraft. Ich habe, als Kind noch, den Monolog aus dem »Geizigen Ritter« von Puschkin auswendig gelernt; etwas höheres, was die Idee angeht, als das, hat Puschkin weder vorher noch nachher hervorgebracht! Und dieselben Gedanken sind heute noch die meinen.

»Aber Ihr Ideal ist doch gar zu niedrig«, wird man verachtungsvoll zu mir sagen. »Geld, Reichtum! Kommt es nicht auf den Nutzen für die Allgemeinheit an, auf humane Taten?«

Ja, woher weiß denn jemand, wie ich meinen Reichtum anwenden würde? Was ist daran unmoralisch und niedrig, daß diese Millionen aus einer Menge von jüdischen, schädlichen und schmutzigen Händen in die Hände eines nüchternen und energischen Asketen zusammenströmen, der sich scharf die Welt ansieht? Überhaupt, alle diese Zukunftsträume, alle diese Prophezeiungen – das alles klingt heute wie ein Roman, und es kann wohl sein, daß ich sie für nichts und wieder nichts niederschreibe; mag sein, daß es besser unter meinem Schädeldach geblieben wäre; ich weiß auch, daß vielleicht niemand diese Zeilen lesen wird; aber wenn sie jemand läse, würde er mir dann wohl glauben, daß ich die Rothschildschen Millionen am Ende wirklich nicht ertragen könnte? Nicht etwa weil sie mich erdrücken würden, sondern in einem ganz anderen Sinne, im entgegengesetzten Sinne. In meinen Zukunftsträumen habe ich schon mehr als einmal jenen Moment vorweggenommen, wo mein »Bewußtsein« gar zu befriedigt sein wird, und wo mir die Macht als etwas gar zu Kleines erscheinen wird. Dann werde ich – nicht aus Langerweile oder aus zielloser Blasiertheit, sondern weil ich ohne Unterlaß nach dem Großen streben werde – dann werde ich alle meine Millionen den Leuten geben; mag dann die Allgemeinheit über meinen ganzen Reichtum verfügen, und ich – ich will wieder in der großen Nichtigkeit verschwinden! Mag sein, daß ich mich sogar in jenen Bettler verwandle, der auf dem Dampfschiffe gestorben ist, nur mit dem Unterschied, daß man in meinem Kittel nichts eingenäht finden wird. Das Bewußtsein ganz allein, daß ich Millionen in diesen Händen gehalten habe und sie in den Dreck geworfen habe, würde mich in meiner Einöde nähren. Ich bin auch heute noch bereit, genau so zu denken. Jawohl, meine »Idee« – ist meine Festung, in der ich mich immer und in jedem Fall vor jedermann bergen kann, und mag ich der Bettler werden, der auf dem Dampfschiff gestorben ist. Das ist mein Gedicht! Und so sage ich denn, daß ich eben meinen lasterhaften Willen ganz brauche, – nur, um mir selbst zu beweisen, daß ich Kraft genug habe, um ihm zu entsagen.

Man wird mir ohne Zweifel einwerfen, das wäre dann schon weiter nichts als poetische Träumerei, und ich würde die Millionen nie aus den Händen lassen, wenn ich sie einmal hätte und würde mich nicht in jenen Bettler aus Saratow verwandeln. Mag sein, daß ich sie nicht aus den Händen lassen würde; ich habe nur das Ideal meines Gedankens aufgezeichnet. Aber ich will, und jetzt im vollsten Ernste, nur noch das eine sagen: wenn ich in der Aufhäufung von Reichtümern bis zu der Ziffer gelangte, die Rothschild erreicht hat, so könnte es in Wirklichkeit damit enden, daß ich mein Geld der Allgemeinheit hingäbe. (Übrigens vor Erreichung der Rothschildschen Ziffer wäre es schwer, das zu tun.) Und ich würde nicht etwa die Hälfte hergeben, weil dabei nichts als eine Niedrigkeit herauskäme: ich würde nur um die Hälfte ärmer werden und weiter nichts; nein, eben alles müßte ich fortgeben, alles bis zur letzten Kopeke, denn wenn ich dann ein Bettler wäre, würde ich mit einem Schlage doppelt so reich sein, wie Rothschild! Wenn man das nicht begreift, ist es nicht meine Schuld; auf Erklärungen lasse ich mich nicht ein.

»Das ist ja Fakirtum, das ist die Poesie der Nichtigkeit und Kraftlosigkeit!« werden die Leute sagen, »das ist der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit.« Jawohl, ich gebe zu, es mag zum Teil der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit sein, aber schwerlich die Kraftlosigkeit. Mir machte es eine furchtbare Freude, mir eben ein talentloses und mittelmäßiges Wesen vorzustellen, das der Welt gegenüberstände und lächelnd zu ihr sagte: ihr seid Galilei und Copernicus, Karl der Große und Napoleon, Puschkin und Shakespeare, ihr seid Feldmarschälle und Hofmarschälle, und hier stehe ich – die Unbegabtheit und der Vertreter der unehelichen Geburt – und dennoch bin ich höher als ihr, weil ihr euch dem selbst unterworfen habt. Ich muß bekennen, ich habe diese Phantasie so weit ausgedehnt, daß ich sogar die Bildung verwarf. Mich dünkte, es müßte noch schöner sein, wenn der betreffende Mensch von direkt schmutziger Unbildung wäre. Dieser schon etwas übertriebene Gedanke hatte damals sogar Einfluß auf meine Leistungen in der siebenten Gymnasialklasse; ich hörte eben aus Fanatismus auf zu lernen: der Mangel an Bildung wäre als eine neue Schönheit zu meinem Ideal hinzugekommen. Heute habe ich meine Meinung über diesen Punkt geändert: die Bildung ist kein Hindernis.

Ja, meine Herrschaften, ist denn ein unabhängiger Gedanke, und sei er noch so klein, etwas so Schwieriges für Sie? Gesegnet ist, wer ein Schönheitsideal besitzt, selbst wenn es irrtümlich ist! Aber ich glaube an mein Ideal. Ich habe es nur nicht richtig dargelegt, zu unverständlich, zu buchstäblich. Nach zehn Jahren würde ich es natürlich besser darlegen. Aber dies will ich mir zur Erinnerung aufbewahren.

Ein Werdender

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