Читать книгу Ein Werdender - Fjodor M. Dostojewski - Страница 27

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Aber betrachten wir auch die Kleinigkeiten.

Ich habe meine beiden Versuche beschrieben; in Petersburg machte ich, wie schon bekannt, einen dritten – ich ging auf eine Auktion und verdiente mit einem Schlage sieben Rubel fünfundneunzig Kopeken. Natürlich, das war kein wirklicher Versuch, sondern nur eine Spielerei, ein kleines Amüsement; ich hatte Lust, eine Minute aus der Zukunft vorwegzunehmen und zu erproben, wie ich dann umhergehen und handeln würde. Überhaupt hatte ich den wirklichen Beginn meines Werkes von allem Anfang an, schon in Moskau, bis dahin verschoben, wo ich gänzlich frei sein würde; ich wußte gut genug, daß ich wenigstens zum Beispiel erst mit dem Gymnasium fertig sein müßte. (Die Universität hatte ich, wie schon bekannt, geopfert.) Unstreitig, ich reiste in einem geheimen Zorn nach Petersburg; ich hatte eben das Gymnasium absolviert und war zum erstenmal frei geworden, und da auf einmal sah ich, daß Wersilows Angelegenheiten mich für unbestimmte Zeit vom Beginn meines Werkes abzogen! Aber wenn ich auch zornig war, so kam ich doch ohne die geringste Unruhe meines Zieles wegen hin.

Es ist ja richtig, die praktische Kenntnis fehlte mir; aber ich hatte alles drei Jahre lang ununterbrochen überdacht und konnte keinen Zweifel haben. Ich hatte es mir tausendmal vorgestellt, wie ich anfangen würde: ich würde auf einmal, wie vom Himmel gefallen, in einer von unsern beiden Hauptstädten auftreten (ich hatte mir für den Anfang unsere Hauptstädte ausgesucht und in erster Linie Petersburg, dem ich nach einiger Überlegung den Vorzug gegeben hatte), und so würde ich denn dastehen, wie vom Himmel gefallen, aber vollkommen frei, von niemand abhängig, gesund und mit einem heimlichen Schatz von hundert Rubel in der Tasche als erstes Anlagekapital. Ohne diese hundert Rubel wollte ich nicht anfangen, weil ich sonst auch schon die erste Periode des Erfolges gar zu weit hinausschieben müßte. Außer den hundert Rubeln brachte ich, wie schon bekannt, Mut, Hartnäckigkeit, Ausdauer, die vollste Einsamkeit und das tiefste Geheimnis mit. Die Einsamkeit war die Hauptsache; ich habe bis zur letzten Minute keinerlei Beziehungen zu anderen Menschen oder Verbindungen mit ihnen leiden können; im allgemeinen gesprochen, ich hatte beschlossen, mit der Ausführung meiner Idee unbedingt ganz allein anzufangen, das ist mein sine qua. Die Menschen bedrücken mich, und wenn ich innerlich unruhig wäre, müßte diese Unruhe meinem Ziele schädlich sein. Und es ist mir bis heute, mein Leben lang, immer so gegangen; wenn ich davon träumte, wie ich mit den Leuten umgehen würde, so dachte ich mir immer sehr kluge Dinge aus; aber sobald es in Wirklichkeit dazu kam, benahm ich mich in der dümmsten Weise. Ich bekenne das mit Unwillen und aufrichtig; ich habe mich mit Worten immer selbst ausgegeben, und darum beschloß ich, dem Umgang mit Menschen zu entsagen. Ich gewinne dadurch Unabhängigkeit, Seelenruhe, Klarheit in der Verfolgung meines Zieles.

Ungeachtet der entsetzlichen Petersburger Preise hatte ich ein für allemal beschlossen, nicht mehr als fünfzehn Kopeken täglich für Essen auszugeben und wußte, daß ich mein Wort halten würde. Diese Frage wegen des Essens hatte ich mir lange und umständlich überlegt; so hatte ich zum Beispiel beschlossen, hier und da einmal zwei Tage nacheinander nichts als Brot und Salz zu essen, aber mit dem Vorbehalt, am dritten Tage wieder ausgeben zu dürfen, was ich mir in den beiden anderen erspart hatte; ich meinte, das würde besser für meine Gesundheit sein als die ewig gleiche Fastenkost auf Grundlage des Minimums von fünfzehn Kopeken. Außerdem brauchte ich, um leben zu können, einen Winkel, buchstäblich einen Winkel, nur damit ich mich nachts ausschlafen konnte und hier und da einmal bei ganz entsetzlichem Wetter auch tags eine Unterkunft hätte. Leben wollte ich auf der Straße und war im Notfall auch bereit, in den Asylen für Obdachlose zu übernachten, wo man außer seinem Lager ein Stück Brot und ein Glas Tee bekommt. Oh, ich würde es nur zu gut verstehen, mein Geld zu verstecken, damit es mir in meinem Winkel oder in den Asylen nicht gestohlen würde, ja, nicht einmal eine Ahnung sollte man davon haben, dafür verbürge ich mich! Auf der Straße habe ich einmal gehört, wie einer lustig sagte: »Mir soll man was stehlen? Ich hab' nur Angst, daß ich nicht am Ende einem andern was stehle.« Natürlich eigne ich mir für mich aus diesem Satze nur die Vorsichtigkeit und Listigkeit an; zu stehlen beabsichtige ich nicht. Mehr noch, ich hatte noch in Moskau, vielleicht am ersten Tage meiner »Idee«, fest beschlossen, nicht einmal Geld auf Pfänder und gegen Prozente zu verleihen; dazu sind die Juden da und solche Russen, die weder Verstand noch Charakter haben. Pfänder und Prozente – das ist nur was für ordinäre Menschen.

Was die Kleidung betraf, so hatte ich beschlossen, immer zwei Anzüge zu haben: einen für alle Tage und einen guten. Wenn ich sie mir einmal angeschafft hätte, so würde ich sie lange tragen, davon war ich überzeugt; ich habe mich zweieinhalb Jahre extra im Hinblick hierauf geübt, meine Kleider lange zu tragen, und ich habe sogar das Geheimnis entdeckt: damit Kleider immer neu bleiben und sich nicht abtragen, muß man sie so oft wie möglich bürsten, fünf-, sechsmal am Tage. Vor der Bürste fürchtet das Tuch sich nicht, ich spreche aus Erfahrung, sondern es fürchtet sich vor Staub und Schmutz. Staub besteht eben ganz einfach aus Steinen, wenn man ihn unter dem Mikroskop ansieht, und eine Bürste mag noch so hart sein, sie besteht doch im Grunde beinah aus einer Art Wolle. In gleicher Weise hatte ich mich geübt, meine Stiefel sehr zu schonen: das Geheimnis besteht darin, daß man den Fuß behutsam mit der ganzen Sohle auf einmal auf den Boden setzt und sein Körpergewicht dabei so schnell wie möglich auf die betreffende Seite legt. Lernen kann man das in vierzehn Tagen, nachher tut man es schon ganz unwillkürlich. Auf diese Weise halten die Stiefel, durchschnittlich gerechnet, um ein Drittel der Zeit länger. Das ist eine Erfahrung zweier Jahre.

Und dann mußte also meine eigene Tätigkeit beginnen.

Ich ging von der Vorstellung aus: ich habe hundert Rubel. In Petersburg gibt es so viel Auktionen, Ausverkäufe, Trödelläden und bedürftige Menschen, daß es ganz unmöglich ist, eine Sache, die man für soundso viel gekauft hat, nicht etwas teuerer verkaufen zu können. Für das Album habe ich einen Gewinn von sieben Rubel fünfundneunzig Kopeken auf ein Anlagekapital von zwei Rubel und fünf Kopeken erzielt. Diesen ungeheuren Gewinn habe ich ohne das geringste Risiko erzielt: ich sah es dem Käufer an den Augen an, daß er nicht zurücktreten würde. Selbstverständlich verstehe ich nur zu gut, daß das nur ein Zufall war; aber solche Zufälle suche ich ja eben, deswegen habe ich ja beschlossen, auf der Straße zu leben. Nun, und mögen solche Zufälle auch sehr selten sein; ganz gleich, meine erste Regel wird sein: niemals etwas zu riskieren, und meine zweite: unbedingt jeden Tag wenigstens ein bißchen mehr als das Minimum zu verdienen, das ich für meinen Unterhalt ausgeben muß, so daß mein Kapital ununterbrochen wächst.

Man wird mir sagen: »das sind alles nur Träume, du kennst die Straße nicht und wirst beim ersten Schritt schon übervorteilt werden.« Aber ich besitze Willen und Charakter, und die Wissenschaft der Straße ist eine Wissenschaft wie jede andere, sie muß sich einem ergeben, wenn man sie mit Ausdauer und Aufmerksamkeit betreibt und Fähigkeiten mitbringt. Im Gymnasium war ich bis zur obersten Klasse immer unter den ersten, ich war ein ausgezeichneter Mathematiker. Wie kann man denn die Erfahrung und die Wissenschaft der Straße so götzendienerisch überschätzen, daß man mir den sicheren Mißerfolg prophezeit? So was sagen immer nur die Leute, die noch nie einen Versuch in irgendeiner Richtung gemacht haben, die keine Art von Leben angefangen, sondern immer nur im Fertigen vegetiert haben. »Einer hat sich die Nase gebrochen, also muß sie sich jeder andere unbedingt auch brechen!« Nein, ich breche mir meine nicht. Ich habe Charakter, und wenn ich gut aufpasse, lerne ich schon noch alles. Kann man sich denn überhaupt vorstellen, daß einer mit der ausdauerndsten Hartnäckigkeit, mit dem ausdauerndsten Scharfblick, mit der ausdauerndsten Überlegung und Berechnung, mit der größten ununterbrochenen Tätigkeit und Lauferei – daß es einer durch das alles nicht herausbringen sollte, wie man es machen muß, um täglich zwanzig Kopeken zu verdienen? Die Hauptsache ist, ich bin entschlossen, meinen Gewinn nie gewaltsam auf ein Maximum treiben zu wollen, nein, ich will immer ruhig bleiben. Nachher, später, wenn ich erst das erste Tausend habe und das zweite, dann werde ich natürlich ganz von selbst aufhören, den Vermittler und den Käufer und Wiederverkäufer auf der Straße zu spielen. Natürlich weiß ich noch zu wenig von Börse, Aktien, Bankiergeschäften und alledem. Aber dafür weiß ich so gut, wie ich fünf Finger an der Hand habe, daß ich alle diese Börsen- und Bankiergeschäfte zu ihrer Zeit so gut verstehen werde, wie kein anderer, und daß diese Wissenschaft mir sehr leicht fallen wird, einfach weil mich meine Sache dahin führen wird. Ist denn dazu wirklich so viel Verstand nötig? Was kann einem da alle salomonische Weisheit nützen: Charakter muß einer haben; Kenntnisse, Gewandtheit, Wissen kommen ganz von selbst. Man darf nur nicht aufhören zu »wollen«.

Die Hauptsache ist: nichts riskieren. Und das versteht nur einer, der Charakter hat. Erst kürzlich kam mir hier, in Petersburg, eine Subskriptionsliste auf Eisenbahnaktien in die Hand; die Leute, die damals subskribieren konnten, haben viel daran verdient. Eine Zeitlang stiegen die Aktien rapid! Und jetzt setzen wir einmal den Fall, irgend jemand, dem es nicht gelungen ist, zu subskribieren, und der sehr gern welche haben möchte, sieht solche Aktien in meinen Händen und schlägt mir vor, er will sie mir abkaufen und mir dafür eine Prämie von soundso viel Prozenten zahlen. Ich würde sie ihm unbedingt sofort verkaufen. Selbstverständlich würde man über mich lachen: »wenn du noch gewartet hättest, so hättest du vielleicht den zehnfachen Betrag verdient.« – Sehr richtig, aber meine Prämie ist schon deshalb sicherer, weil ich sie in der Tasche habe, während die Ihre noch in der Luft herumfliegt. – Man wird mir sagen, auf diese Weise verdiente man nicht viel; – pardon, das ist ja gerade der Fehler, der Fehler aller unserer großen Spekulanten. Die Wahrheit lautet: Ausdauer und Hartnäckigkeit im Verdienen und vor allem im Behalten bedeutet unendlich viel mehr als momentane Coups, mögen sie auch hundert und aberhundert Prozente einbringen.

Kurz vor der französischen Revolution trat in Paris ein gewisser Law auf und heckte ein im Prinzip geniales Projekt aus (das nachher bei der Ausführung jämmerlich verkrachte). Ganz Paris war in Aufregung; Laws Aktien gingen wie warme Semmeln ab, man riß sich um sie. In dem Hause, wo die Subskriptionsliste aufgelegt war, strömte das Geld von ganz Paris zusammen, wie aus einem Sack; aber endlich reichte auch das Haus nicht mehr: das Publikum drängte sich auf der Straße – alle Berufe, Stände, Lebensalter: Bourgeois, Edelleute und ihre Kinder, Gräfinnen, Marquisen, öffentliche Frauenzimmer – alles keilte sich zu einem erregten, halbverrückten Klumpen zusammen, es war, als wären sie alle von tollen Hunden gebissen; Rang, Vorurteile, Rassenunterschiede, Stolz, sogar die Ehre und der gute Name – alles wurde in einen Dreck gestampft; alles wurde geopfert (sogar von Frauen), um nur ein paar Aktien zu bekommen. Die Subskription wurde schließlich auf der Straße fortgesetzt, aber man hatte keine Unterlage zum schreiben. Da schlug man einem Buckligen vor, seinen Buckel für eine Zeitlang als Tisch herzuleihen. Der Bucklige willigte ein – man kann sich vorstellen, wie viel er sich dafür zahlen ließ. Kurze Zeit darauf (sehr kurze Zeit sogar) machten alle Bankerott, alles verkrachte, die ganze Idee ging zum Teufel und die Aktien hatten nicht mehr den geringsten Wert. Wer hatte dabei gewonnen? Nur der Bucklige, eben weil er keine Aktien genommen hatte, sondern bare Louisdors. Nun, ich bin eben jener Bucklige! Ich habe genug Kraft gehabt, zu fasten und mir Kopeke für Kopeke zweiundsiebzig Rubel zu ersparen; es wird auch dazu reichen, daß ich im Wirbelwind des Erwerbsfiebers, der alle ergriffen hat, auf meinen Füßen stehen bleibe und den sicheren Verdienst dem großen vorziehe. Ich bin nur in Kleinigkeiten kleinlich, in großen Sachen – nie. Zur Geduld in kleinen Dingen hat es mir oft an Charakter gemangelt; selbst nachdem meine »Idee« schon geboren war, aber für große Dinge werde ich immer genug Charakter haben. Wenn meine Mutter mir damals morgens, bevor ich zum alten Fürsten ging, kaltgewordenen Kaffee vorsetzte, wurde ich wütend und sagte ihr Grobheiten, und dabei war ich derselbe Mensch, der einen ganzen Monat nur von Brot und Wasser gelebt hatte.

Mit einem Wort, es wäre unnatürlich, wenn ich nicht Geld verdienen sollte, wenn ich nicht lernen sollte, wie man das macht. Und unnatürlich wäre es auch, ich wiederhole es, unnatürlich, wenn einer nicht Millionär werden sollte, der ununterbrochen und gleichmäßig Geld aufhäuft, der ununterbrochen Acht gibt und die Nüchternheit seines Denkens bewahrt, der ewig enthaltsam, ökonomisch und von einer Energie ist, die alles überflügelt. Wodurch hat sich jener Bettler sein Geld erworben, als durch den Fanatismus seines Charakters und seiner Hartnäckigkeit? Bin ich vielleicht schlechter, als dieser Bettler? »Und schließlich, mag ich auch gar nichts erreichen, mag meine Berechnung falsch sein, mag ich verspielen und zugrunde gehen, ganz einerlei – ich gehe meinen Weg. Ich gehe ihn, weil ich nun einmal will.« Das habe ich schon gesagt, als ich noch in Moskau war.

Man wird einwenden, hier wäre überhaupt gar keine Idee vorhanden, und ebenso nichts Neues. Ich aber sage, und jetzt zum letztenmal: es liegt eine sehr große Idee und unendlich viel Neues darin.

Oh, ich habe schon so ein Vorgefühl gehabt, wie trivial alle Einwände sein würden, und wie trivial ich selbst, wenn ich meine »Idee« erläuterte. Ja, und was habe ich ausgesprochen? Nicht den hundertsten Teil habe ich ausgesprochen, ich fühle, daß es kleinlich, plump, oberflächlich und sogar jugendlicher herausgekommen ist, als es für meine Jahre paßt.

Ein Werdender

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