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Selbstverständlich, zwischen dem Menschen, der ich damals war und dem, der ich heute bin, ist ein gewaltiger Unterschied.

Wie ich also, »ohne mich im geringsten beschämt zu fühlen«, hinausging, holte ich noch auf der Treppe Wasin ein – Kraft ließ ich ruhig vorausgehen, wie einen Menschen, der für mich nur in zweiter Linie Interesse hat –, ich holte also Wasin ein und fragte ihn mit der unbefangensten Miene, als ob gar nichts passiert wäre:

»Ich glaube, Sie kennen meinen Vater, das heißt, ich meine Wersilow?«

»Eigentlich bekannt bin ich nicht mit ihm,« antwortete mir Wasin ohne Zögern (und ohne eine Spur von jener beleidigenden, besonders verfeinerten Höflichkeit, die taktvolle Leute anzunehmen pflegen, wenn sie mit jemand sprechen, der sich grade blamiert hat), »aber ich kenne ihn flüchtig: ich habe ihn gelegentlich getroffen und habe ihn sprechen hören.«

»Wenn Sie ihn sprechen gehört haben, dann kennen Sie ihn natürlich, weil Sie eben Sie sind! Was denken Sie von ihm? Entschuldigen Sie die plötzliche Frage, aber ich muß es wissen. Gerade, wie Sie darüber denken, gerade Ihre Meinung ist mir unentbehrlich.«

»Sie fragen viel auf einmal. Ich bin der Ansicht, daß er ein Mensch ist, der fähig ist, ungeheure Forderungen an sich zu stellen und sie vielleicht auch zu erfüllen, – nur mag er keinem Rechenschaft geben.«

»Das ist wahr, das ist sehr wahr, er ist ein sehr stolzer Mensch. Aber ist er ein reiner Mensch? Sagen Sie doch, wie denken Sie über seinen Katholizismus? Übrigens, ich habe gar nicht daran gedacht, Sie wissen am Ende überhaupt nicht, daß er . . .«

Wenn ich nicht so erregt gewesen wäre, hätte ich ihn wohl nicht mit solchen Fragen bombardiert, es war doch schließlich ein Mensch, mit dem ich noch nie gesprochen hatte, nur gehört hatte ich von ihm. Ich wunderte mich, daß Wasin die Verrücktheit meines Gebahrens überhaupt nicht zu bemerken schien.

»Ich habe davon gehört, aber ich weiß nicht, wieviel Wahres daran ist«, antwortete er ruhig und in demselben Ton wie zuvor.

»Kein Wort! Das dichtet man ihm an! Denken Sie denn wirklich, daß er an Gott glauben könnte?«

»Er ist ein sehr stolzer Mensch, wie Sie eben selbst bemerkt haben, und viele von diesen sehr stolzen Menschen lieben es, an Gott zu glauben, besonders die, die eine gewisse Verachtung für die Menschen besitzen. Viele starke Menschen haben, glaube ich, ein gewisses natürliches Bedürfnis, jemand oder etwas zu finden, vor dem sie sich beugen können. Für einen starken Menschen ist es oft schwer, seine Stärke zu ertragen.«

»Hören Sie, das ist sicher höchst wahr!« rief ich wieder, »aber ich verstehe nur nicht . . .«

»Die Ursache ist ganz klar: sie suchen sich Gott aus, weil Sie sich nicht vor Menschen beugen wollen; – natürlich haben sie selbst keine Ahnung davon, wie sich das alles in ihnen bildet; sich vor Gott zu beugen, das ist nicht so demütigend. Aus ihrem Kreise rekrutieren sich die feurigsten Gläubigen, – richtiger gesagt, die, die den feurigsten Wunsch hegen, zu glauben; aber ihren Wunsch halten sie schön für den richtigen Glauben. Und zu guter Letzt werden sie gar oft zu Enttäuschten. Was ich von Herrn Wersilow denke? Ich glaube, er besitzt ungewöhnlich aufrichtige Züge in seinem Charakter. Und überhaupt, er hat mich interessiert.«

»Herr Wasin!« rief ich, »Sie machen mir so eine Freude! Ich staune nicht über Ihren Geist, sondern ich staune, daß Sie, ein Mensch, der so rein ist und so hoch über mir steht, – daß Sie hier mit mir gehen und so einfach und freundlich mit mir sprechen, als ob gar nichts geschehen wäre!«

Wasin lächelte.

»Ihr Lob ist doch wohl etwas übertrieben; geschehen ist dort doch weiter nichts, als daß Sie eine etwas zu große Vorliebe für abstrakte Gespräche haben. Sie haben wahrscheinlich vor dem heutigen Tage sehr lange geschwiegen.«

»Ich habe drei Jahre geschwiegen, ich habe mich drei Jahre auf den Moment vorbereitet, wo ich sprechen wollte . . . Als Dummkopf konnte ich Ihnen natürlich nicht erscheinen, weil Sie selbst ungeheuer klug sind, mag ich mich auch so dumm aufgeführt haben wie nur möglich. Aber vielleicht haben Sie mich für einen Schuft gehalten!«

»Schuft?«

»Ja, natürlich! Sagen Sie, verachten Sie mich nicht im stillen, weil ich gesagt habe, daß ich ein unehelicher Sohn von Wersilow bin . . . und weil ich mich gerühmt habe, ich wäre der Sohn eines Leibeigenen?«

»Sie quälen sich selber zu viel. Wenn Sie finden, daß das nicht richtig war, so sagen Sie sich eben: ich tu es das nächste Mal nicht wieder: Sie haben noch fünfzig Jahre vor sich.«

»Oh, ich weiß, daß ich den Leuten gegenüber sehr schweigsam sein muß. Das niedrigste von allen Lastern ist: sich den Leuten an den Hals zu werfen; das habe ich denen da drinnen vorhin erst gesagt, und jetzt werfe ich mich Ihnen an den Hals! Aber da ist doch ein Unterschied, nicht wahr? Und wenn Sie diesen Unterschied verständen, wenn Sie imstande wären, ihn zu verstehen, ich würde diese Minute segnen.«

Wasin lächelte wieder.

»Kommen Sie zu mir, wenn Sie Lust haben«, sagte er. »Ich habe jetzt eine Arbeit vor und bin sehr beschäftigt, aber Sie würden mir eine Freude damit machen.«

»Ich hatte bisher geglaubt, nach Ihrem Gesicht, Sie wären härter als nötig und wenig umgänglich.«

»Das stimmt vielleicht. Ich habe voriges Jahr in Luga Ihre Schwester Lisaweta Makarowna kennengelernt . . . Kraft ist stehengeblieben und scheint auf Sie zu warten; er muß hier abbiegen.«

Ich drückte Wasin kräftig die Hand und lief Kraft nach, der die ganze Zeit, wo ich mich mit Wasin unterhalten hatte, vor uns hergegangen war. Schweigend gingen wir bis zu seiner Wohnung; ich konnte und wollte noch nicht mit ihm sprechen. Und in Krafts Charakter bildete einen der ausgeprägtesten Züge die Feinfühligkeit.

Ein Werdender

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