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Geld zu verlangen, und mag es selbst ein Gehalt sein, ist eine sehr widerwärtige Sache, wenn man irgendwo in den tiefsten Winkeln seines Gewissens das Gefühl hegt, daß man es eigentlich nicht recht verdient hat. Aber ich hatte am Abend vorher meine Mutter mit meiner Schwester flüstern hören, ganz leise, daß Wersilow nichts davon merkte (»Andrej Petrowitsch könnte es peinlich sein«). Sie wollte ein Heiligenbild ins Pfandhaus tragen, von dem sie sich aus irgendeinem Grunde ganz besonders schwer trennte. Ich war mit einem Monatsgehalt von fünfzig Rubel angestellt, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sie bekommen würde; als man mich hingebracht hatte, war davon überhaupt nicht gesprochen worden. Vor drei Tagen hatte ich unten den Beamten getroffen und mich bei ihm erkundigt, bei wem ich hier mein Gehalt zu erheben hätte. Er hatte mich mit einem verwunderten Lächeln angesehen (er konnte mich nicht leiden).

»Ach, Sie bekommen Gehalt?«

Ich dachte mir, er würde auf meine Antwort weiter fragen:

»Und wofür, wenn man fragen darf?«

Aber er entgegnete mir ganz trocken, er »wüßte von nichts«, und beugte sich wieder über sein liniiertes Buch, in das er von verschiedenen Blättern Rechnungen übertrug.

Übrigens war es ihm nicht unbekannt, daß ich doch immerhin einiges getan hatte. Vor vierzehn Tagen hatte ich ganze vier Tage über einer Arbeit gesessen, die ich von ihm selbst bekommen hatte: es handelte sich um die Abschrift eines Konzeptes, kam aber beinahe auf eine Umarbeitung heraus. Es war ein ganzer Haufen »Gedanken« des Fürsten, die er demnächst seinem Aktionärkomitee unterbreiten wollte. Das mußte zu einem ganzen zusammengearbeitet und dem Stil mußte nachgeholfen werden. Ich habe nachher einen ganzen Tag mit dem Fürsten über diesem Schriftstück gesessen, und er zankte sich dabei äußerst leidenschaftlich mit mir, war aber schließlich im ganzen doch zufrieden mit meiner Arbeit; nur weiß ich nicht, ob er das Schriftstück eingereicht hat oder nicht. Von zwei, drei Briefen, gleichfalls in Geschäftssachen, die ich in seinem Auftrag geschrieben hatte, will ich gar nicht reden.

Um mein Gehalt zu bitten war mir auch deswegen peinlich, weil ich schon die Absicht gefaßt hatte, meine Stellung aufzugeben, denn ich hatte das Vorgefühl, daß ich bald genötigt sein würde, infolge zwingender Umstände von hier fortzugehen. Als ich an diesem Morgen aufwachte und mich zu Hause oben in meinem Kämmerchen anzog, fühlte ich, wie mir das Herz klopfte, und ob ich mich auch sehr zusammennahm, empfand ich doch, als ich das Haus des Fürsten betrat, wieder die gleiche Erregung: heute früh mußte der Mensch hier erscheinen, die Frau, von deren Ankunft ich die Aufklärung über alles erwartete, was mich quälte!

Und dieser Mensch war eben die Tochter des Fürsten, die Generalin Achmakowa, jene junge Witwe, von der ich schon gesprochen habe, und die in bitterster Feindschaft mit Wersilow lebte. Endlich habe ich diesen Namen hergeschrieben! Was sie selbst betrifft, so hatte ich sie natürlich nie gesehen, ja, ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie ich mit ihr sprechen und ob ich es überhaupt tun würde; aber ich hatte die Idee (und vielleicht war sie sehr begründet), daß sich mit ihrer Ankunft das Dunkel lichten würde, das in meinen Augen Wersilow umgab. Ich konnte meiner Unruhe nicht Herr werden: es war mir furchtbar ärgerlich, daß ich vom ersten Schritt an so kleinmütig und linkisch war; ich war furchtbar gespannt, und, was die Hauptsache war, furchtbar angewidert – das waren drei ganz verschiedene Gefühle. Ich weiß diesen ganzen Tag auswendig!

Mein Fürst ahnte noch nichts von der voraussichtlichen Ankunft seiner Tochter und erwartete ihre Heimkehr aus Moskau frühestens in acht Tagen. Ich hatte es tags vorher ganz zufällig erfahren: Tatjana Pawlowna, der die Generalin einen Brief geschrieben, hatte meiner Mutter gegenüber etwas davon fallen lassen. Wenn sie auch ganz leise flüsterten und sich in sehr allgemeinen Ausdrücken bewegten, ich erriet, um was es sich handelte. Selbstverständlich habe ich nicht etwa gehorcht: ich mußte einfach aufhorchen, als ich sah, wie meine Mutter bei der Nachricht von der Ankunft dieser Frau plötzlich in solche Erregung geriet. Wersilow war nicht zu Hause.

Dem alten Herrn wollte ich nichts davon sagen, denn es wäre mir wirklich unmöglich gewesen, während dieser ganzen Zeit nicht zu bemerken, was für eine Angst er vor ihrer Rückkunft hatte. Er hatte sogar vor drei Tagen, freilich in schüchternen und bloß andeutenden Worten, etwas davon fallen lassen, daß er sich in meinem Interesse vor ihrer Ankunft fürchte, das heißt, daß er meinetwegen Scherereien haben würde. Übrigens muß ich hier beifügen, daß er trotz alledem in Familienangelegenheiten seine Unabhängigkeit und Oberherrschaft zu wahren wußte, besonders was die Verfügung über seine Gelder betraf. Mein erstes Urteil über ihn war, er wäre ein vollkommenes – altes Weib; aber ich war bald genötigt, mein Urteil dahin umzumodeln, daß er vielleicht allerdings ein altes Weib wäre, aber daß sich zuweilen bei ihm ein Rest von zähem Eigensinn zeigte, wenn man es nicht wirkliche Männlichkeit nennen wollte. Es gab Augenblicke, wo man mit seinem Charakter – der anscheinend so ängstlich und nachgiebig war – fast überhaupt nichts anfangen konnte. Wersilow hat mir das in der Folge des Ausführlicheren auseinander gesetzt. Ich denke heute mit Interesse daran zurück, daß wir beide, der alte Herr und ich, fast nie von der Generalin gesprochen haben, das heißt, wir vermieden es sozusagen, von ihr zu sprechen, besonders ich ging dem aus dem Wege, und er für sein Teil vermied es, von Wersilow zu sprechen; ich war überzeugt, er würde mir nicht antworten, wenn ich eine von den heiklen Fragen an ihn richten würde, die mich so sehr interessierten.

Wenn einer wissen will, wovon wir beide diesen ganzen Monat miteinander geredet haben, so muß ich ihm antworten: von allem möglichen, aber stets von recht sonderbaren Sachen. Mich zog die Geradheit sehr an, mit der er sich mir gegenüber gab. Oft betrachtete ich diesen Menschen mit der höchsten Verwunderung und fragte mich: In welcher Welt hat er eigentlich früher gelebt? Wenn man den ins Gymnasium steckte, meinetwegen sogar in die vierte Lateinklasse, – er würde einen famosen Mitschüler abgeben. Auch über sein Gesicht war ich häufig im höchsten Grade erstaunt: es war scheinbar äußerst ernsthaft (und beinahe hübsch), hager; er hatte dichtes graues Lockenhaar, große Augen; er war überhaupt sehr schlank und hochgewachsen; aber sein Gesicht hatte die unangenehme, fast unschickliche Eigentümlichkeit, seinen Ausdruck manchmal erstaunlich rasch zu verwandeln. Eben war es noch außergewöhnlich ernst gewesen, auf einmal schaute es übertrieben spaßhaft und leichtfertig drein. Wer das zum erstenmal sah, wurde höchst verblüfft, sogar erschreckt davon. Ich habe hierüber mit Wersilow gesprochen, der mit Interesse zuhörte; er hatte wohl nicht erwartet, daß ich imstande wäre, solche Beobachtungen zu machen, nebenbei bemerkte er, diese Erscheinung wäre beim Fürsten erst nach seiner Krankheit aufgetreten, und angeblich erst in allerletzter Zeit.

Vorwiegend drehten sich unsere Gespräche um zwei abstrakte Gegenstände, – um Gott und sein Dasein, das heißt um seine Existenz oder Nichtexistenz – und um die Frauen. Der Fürst war sehr religiös und sehr gefühlvoll. In seinem Kabinett hing ein riesiges Heiligenbild mit einem ewigen Lämpchen davor. Aber auf einmal konnte es ihn fassen, – und er fing plötzlich an der Existenz Gottes zu zweifeln an und sagte erstaunliche Dinge und forderte mich sichtlich zu einer Entgegnung auf. Im allgemeinen gesprochen, war mir diese Idee ziemlich gleichgültig, aber doch gerieten wir sehr in Hitze, und zwar höchst aufrichtig. Überhaupt gedenke ich dieser Gespräche noch heute mit großem Vergnügen. Aber das liebste war ihm doch, von den Frauen zu plaudern; da ich keine Liebhaberei für Unterhaltungen über dies Thema habe, konnte ich ihm hier kein guter Partner sein, und das machte ihn zuzeiten geradezu traurig.

Und gerade an jenem Morgen fing er wieder sofort von solchen Geschichten an, sobald ich eingetreten war. Ich fand ihn in seiner spaßigen Laune, während ich ihn am Abend vorher in der allertraurigsten Stimmung verlassen hatte. Und derweil mußte ich heute die Sache mit dem Geld unbedingt zu einem Ende bringen – bevor gewisse Leute ankamen. Ich stellte mir vor, daß wir heute sicherlich unterbrochen werden würden (nicht umsonst klopfte mein Herz so) – und dann würde ich mich vielleicht nicht entschließen können, vom Geld anzufangen. Aber da ich das Gespräch nicht gleich auf das Geld zu lenken vermochte, war ich natürlich wütend über meine Dummheit und erwiderte in meinem Ärger auf eine allzu leichtfertige und spaßhafte Frage von ihm damit, daß ich eine ganze Breitseite meiner Anschauungen über die Frauen gegen ihn losließ, und zwar mit der größten Hitze. Aber die Folge davon war, daß ich ihn nur noch mehr für mich einnahm.

Ein Werdender

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