Читать книгу Ein Werdender - Fjodor M. Dostojewski - Страница 14

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». . . Ich kann die Frauenzimmer erstens nicht leiden, weil sie sich rüpelhaft benehmen, zweitens, weil sie ungeschickt und minderwertig, drittens, weil sie unselbständig sind, viertens, weil sie in unanständigen Kleidern herumlaufen!« schloß ich ziemlich unlogisch meine lange Tirade.

»Nicht so streng, teuerster Freund, Schonung!« schrie er äußerst belustigt, was mich noch wütender machte.

Ich bin nur in Kleinigkeiten nachgiebig und kleinlich, in Hauptsachen weiche ich keinen Schritt zurück. Aber in Kleinigkeiten, in allem, was gesellschaftliche Manieren sind, kann man mit mir Gott weiß was anfangen, und diesen Zug an mir habe ich schon oft verflucht. Aus einer gewissen faulen Gutmütigkeit heraus bin ich schon oft genug bereit gewesen, irgendeinem feinen Gecken zuzustimmen, einzig und allein, weil ich durch seine Höflichkeit bestochen wurde, oder einen Krakeel mit irgendeinem Hansnarren anzufangen, was das Unverzeihlichste ist. Das kommt alles von einem Mangel an Weitläufigkeit und davon, daß ich im Winkel aufgewachsen bin, ich sehe das ein, aber morgen ist es wieder dieselbe Geschichte. Deshalb hat man mich manchmal schon beinahe für einen Sechzehnjährigen gehalten. Aber statt mir Weltläufigkeit zu erwerben, ziehe ich es auch heute vor, mich noch tiefer in meinem Winkel zu verschanzen, wenn auch in der misanthropischsten Manier: Und mag ich auch linkisch sein, aber – verzeiht mir! Ich sage das sehr ernsthaft und ein für allemal. Übrigens bezieht sich das durchaus nicht auf den Fürsten und nicht einmal auf unser damaliges Gespräch.

»Ich sage das absolut nicht, um Sie zu belustigen,« schrie ich ihn beinah an, »ich spreche einfach meine Überzeugung aus.«

»Aber wieso sind die Frauen rüpelhaft und unanständig angezogen? Das ist mir neu.«

»Rüpelhaft? Gehen Sie einmal ins Theater, auf die Promenade. Jeder Mann weiß, wo rechts ist, man begegnet sich und geht aneinander vorbei, er rechts und ich rechts. So ein Frauenzimmer, das heißt eine Dame – ich spreche von den Damen – prescht geradeswegs auf Sie los, sie bemerkt Sie einfach nicht, als wären Sie sowieso unbedingt verpflichtet, beiseite zu springen und ihr den Weg zu räumen. Ich bin bereit, ihr Platz zu machen, weil es das schwächere Geschlecht ist, aber was hat sie für ein Recht darauf, warum ist sie so fest überzeugt, daß ich dazu verpflichtet bin, – das ist das Beleidigende dabei! Ich spucke immer aus, wenn ich ihnen begegne. Und dabei schreien sie, sie würden unterdrückt und fordern gleiche Rechte; was sind das für gleiche Rechte, wenn so eine mich stößt und mir Sand in den Mund schmeißt!«

»Sand?«

»Jawohl; weil sie unanständig angezogen sind – das kann nur ein ganz verdorbener Lebemann nicht bemerken. Vor Gericht wird bei verschlossenen Türen verhandelt, wenn es sich um unanständige Sachen dreht; warum erlaubt man so was auf der Straße, wo noch viel mehr Leute dabei sind? Sie legen sich hinterwärts allerlei Falbelkram unter, damit man sieht, daß sie schicke Damen sind; ganz öffentlich! Das muß ich doch sehen, und jeder junge Mann sieht es, und jedes Kind, jeder werdende Knabe sieht es auch; das ist gemein. Mögen sich alte Lebegreise daran aufregen und mit heraushängender Zunge hinterherlaufen, aber es gibt noch eine reine Jugend, und die muß gehütet werden. Da bleibt einem nichts übrig, als auszuspucken. Da geht so eine den Boulevard entlang, und hinter sich her schleift sie eine Schleppe von anderthalb Faden Länge und wirbelt den Staub auf; wie soll man hinter ihr gehen: man muß laufen und sie überholen oder sich seitwärts fort machen, sonst schmeißt sie einem nicht nur in die Nase, sondern auch in den Mund gleich fünf Pfund Sand. Und außerdem, diese Seide, sie schleppt sie drei Werst weit über die Steine, nur weil das einmal Mode ist, und ihr Mann verdient in seinem Bureau fünfhundert Rubel im Jahr; daher kommen die vielen Bestechungen! Ich spucke jedesmal aus, ich spucke aus und schimpfe ganz laut.«

Ich schreibe diese Worte zwar etwas ins Spaßhafte übertrieben hin und in der Art, wie ich sie damals gesagt habe, aber diese Anschauungen hege ich heute noch.

»Und ist dir das gut bekommen!« fragte der Fürst neugierig.

»Ich spucke aus und mache mich fort. So eine merkt das natürlich, sie zeigt es aber mit keiner Miene, sondern prescht majestätisch weiter, ohne den Kopf zu wenden. Ernstlichen Krakeel habe ich im ganzen nur einmal mit zwei solchen Frauenzimmern gehabt, beide mit langen Schwänzen, auf dem Boulevard, – selbstverständlich habe ich kein schlechtes Wort gebraucht, ich hab nur gesagt, daß die Schwänze eine Unverschämtheit wären.«

»Mit den Worten hast du das gesagt?«

»Natürlich. Erstens sind sie ein Hohn auf die sozialen Verhältnisse, zweitens machen sie Staub, und der Boulevard ist für alle da; ich gehe hier, und der, und jener, Hans, Peter, ganz Wurst. Das habe ich alles gesagt. Und ich kann den weiblichen Gang nicht ausstehen, von hinten gesehen; das habe ich auch gesagt, aber verblümt.«

»Lieber Freund, da kannst du aber in eine ganz ernste Geschichte hinein geraten: sie hätten dich einfach vor den Friedensrichter zitieren können.«

»Gar nichts konnten sie. Sie hatten gar keinen Grund zur Klage, wenn da ein Mensch hinter ihnen geht und mit sich selbst spricht. Jedermann hat das Recht, seine Meinung in den Wind zu sprechen. Ich sprach ganz allgemein, ich habe mich nicht an sie gewandt. Sie haben selbst angefangen, sie haben viel toller geschimpft als ich: ich wäre ein Gelbschnabel, man müßte mir mal ein paar Tage nichts zu essen geben, ein Nihilist wäre ich, und sie würden einen Schutzmann rufen, und ich hätte deshalb mit ihnen angefangen, weil sie allein wären und schwache Frauen, und wenn ein Mann bei ihnen wäre, würde ich sofort den Schwanz zwischen die Beine kneifen. Ich erwiderte ihnen kaltblütig, sie möchten es unterlassen, mit mir zu krakeelen, und ich würde aufs andere Trottoir hinübergehen. Und um ihnen zu beweisen, daß ich keine Angst vor ihren Männern hätte und eine Forderung annehmen würde, wollte ich ihnen in zwanzig Schritt Abstand bis an ihre Wohnung folgen, und dort würde ich vor dem Hause stehen bleiben und auf ihre Männer warten. Und das habe ich dann auch getan.«

»Wahrhaftig?«

»Es war ja natürlich eine Dummheit, aber ich war einmal gereizt. Sie schleppten mich zirka drei Werst hinter sich her, durch den Sonnenbrand, bis dort, wo die Institute sind, und dort traten sie in ein hölzernes einstöckiges Haus ein, – ich muß zugeben, daß es ganz anständig aussah, – durch die Fenster sah ich drinnen eine Menge Blumen, zwei Kanarienvögel, drei Hunde und viele eingerahmte Stiche. Ich stand mitten auf der Straße vor dem Hause, vielleicht eine halbe Stunde. Sie schauten ungefähr dreimal verstohlen heraus, und dann ließen sie alle Vorhänge herunter. Schließlich kam aus dem Seitenpförtchen irgendein ältlicher Beamter heraus; anscheinend hatte er geschlafen und war extra geweckt worden, nicht gerade, daß er einen Schlafrock angehabt hätte, aber er war sehr »für zu Hause« angezogen; er blieb an dem Pförtchen stehen, legte die Hände auf den Rücken und begann mich zu fixieren, und ich wieder ihn. Und dann wendet er die Augen ab, dann schaut er wieder her und fängt an mir zuzulächeln. Ich drehte ihm den Rücken und ging.«

»Teurer Freund, das könnte von Schiller sein! Ich hab' mich schon immer gewundert: du hast rote Backen, dein Gesicht sprüht vor Gesundheit, und dabei – dieser, kann man doch sagen, Widerwille gegen die Frauen! Wie ist es denn möglich, daß die Frau auf einen Menschen in deinen Jahren nicht einen gewissen Eindruck macht? Was mich betrifft, mon cher, so war ich erst elf, als mein Hofmeister es schon tadelnd anmerkte, daß ich die Statuen im Sommergarten gar zu ausführlich in Augenschein nahm.«

»Sie möchten furchtbar gern, daß ich mich hier an irgendeine Josephine heranmache und Ihnen dann Bericht davon erstatte. Sie bemühen sich vergeblich: ich selbst habe schon mit dreizehn Jahren ein nacktes Weib gesehen, splitternackt; seit damals habe ich einen Ekel davor.«

»Im Ernst? Aber, cher enfant, von einer hübschen, frischen Frau geht ein Duft aus, wie von einem Apfel, wie kann einen das ekeln!«

»In meiner früheren Pension, bei Touchard, bevor ich ins Gymnasium kam, hatte ich einen Kameraden, Lambert. Er prügelte mich in einem fort, weil er um mehr als drei Jahre älter war, und ich machte seinen Diener und zog ihm die Stiefel aus. Als seine Konfirmation war, kam Abbé Rigaud zu ihm, um ihm zur ersten Kommunion zu gratulieren, und sie warfen sich in Tränen einander um den Hals, und der Abbé Rigaud drückte ihn unter allerlei verzücktem Getue krampfhaft an seine Brust. Und ich weinte auch und beneidete ihn sehr. Als sein Vater starb, ging er ab, und ich sah ihn zwei Jahre lang nicht, und nach zwei Jahren traf ich ihn auf der Straße. Er sagte, er würde zu mir kommen. Ich war schon auf dem Gymnasium und wohnte bei Nikolaj Semionowitsch. Er kam eines Morgens, zeigte mir fünfhundert Rubel und sagte, ich sollte mitkommen. Wenn er mich vor zwei Jahren auch geprügelt hatte, er hatte mich doch immer nötig gehabt, nicht nur der Stiefel wegen; er schüttete mir immer sein Herz aus. Heute erzählte er mir, er hätte das Geld aus der Schatulle seiner Mutter genommen, mit Hilfe eines Nachschlüssels, denn das Geld von seinem Vater her gehörte alles ihm, sie sollte es nicht riskieren, es ihm vorzuenthalten, – und gestern abend wäre der Abbé Rigaud gekommen, um ihm Vorhaltungen zu machen – er wäre gekommen und hätte sich vor ihm aufgepflanzt und zu schluchzen angefangen und ihm mit zum Himmel erhobenen Händen die Schrecken der Hölle geschildert, »aber ich habe mein Messer herausgezogen und ihm gesagt, ich würde es ihm hereinrennen« (er sagte: hecheinchennen). Wir fuhren nach dem Kusnezkij-Most. Unterwegs teilte er mir mit, seine Mutter hätte ein Verhältnis mit dem Abbé Rigaud, und er hätte das wohl bemerkt, und er spuckte auf alles, und was sie von der heiligen Kommunion sagten, das wäre alles Blech. Er sagte noch allerlei, und ich fürchtete mich. Auf dem Kusnezkij-Most kaufte er eine doppelläufige Flinte, eine Jagdtasche, fertige Patronen, eine Reitpeitsche und nachher noch ein Pfund Konfekt. Wir fuhren dann vor die Stadt hinaus, um zu schießen, und unterwegs kam uns ein Vogelsteller mit seinen Käfigen entgegen; Lambert kaufte ihm einen Kanarienvogel ab. In einem Wäldchen ließ er ihn frei, weil so ein Vogel direkt aus dem Käfig nicht weit fortfliegen kann und fing auf ihn zu schießen an, traf aber nicht. Er schoß zum erstenmal in seinem Leben, aber die Flinte hatte er sich schon lange kaufen wollen, schon, als er noch bei Touchard war, und wir hatten schon lange von der Flinte geträumt. Er war wie berauscht. Seine Haare waren furchtbar schwarz, sein Gesicht weiß und rot, wie eine Maske, seine Nase lang, mit einem Höcker, richtig französisch, die Zähne weiß, die Augen schwarz. Er band den Kanarienvogel mit einem Faden an einen Zweig und gab jetzt auf nur eine Spanne Entfernung zwei Schüsse gegen ihn ab, und er zerstob zu hundert Federchen. Dann kehrten wir um, fuhren in ein Gasthaus, nahmen uns ein Zimmer und fingen zu essen und Champagner zu trinken an; dann kam eine Dame . . . Ich war sehr erstaunt, weiß ich noch, wie elegant sie gekleidet war, sie trug ein grünes Seidenkleid. Da habe ich dann auch alles gesehen, wovon ich Ihnen sprach . . . Und dann, als wir wieder zu trinken anfingen, begann er sie aufzuziehen und zu schimpfen; sie saß ohne Kleid da; er hatte ihr das Kleid weggenommen, und als sie anfing wieder zu schimpfen und um das Kleid zu bitten, schlug er sie aus voller Kraft mit der Peitsche über die nackten Schultern. Ich sprang auf, packte ihn bei den Haaren, und so geschickt, daß ich ihn mit einem Ruck zu Boden warf. Er ergriff eine Gabel und stach mich in den Schenkel. Und da stürzten auf meinen Schrei Leute herein, und es glückte mir, zu entkommen. Seit damals ist es mir ekelhaft, an nackte Weiber zu denken; und sie können sich drauf verlassen, sie war hübsch.«

Während ich so erzählte, hatte sich der leichtfertige Ausdruck des Fürsten allmählich in einen tief traurigen verwandelt.

»Mon pauvre enfant! Ich war schon immer der Überzeugung, daß deine Kindheit sehr viel traurige Tage gekannt hat!«

»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, bitte.«

»Aber du warst allein, das hast du mir selbst gesagt, und wenn auch dieser Lambert da war; und du hast das so beschrieben: dieser Kanarienvogel, diese Konfirmation mit Tränen und Umarmungen, und dann, ein lumpiges Jahr nachher, diese Geschichte von seiner Mutter und dem Abbé . . . Oh, mon cher, diese Frage der Kinder ist zu unserer Zeit einfach fürchterlich: so lange diese Goldköpfchen mit ihren Locken und ihrer Unschuld, in der ersten Kindheit, um dich herflattern und dich mit hellem Lachen und hellen Augen anschauen, – dann ist dir, als wären es Engel Gottes oder reizende Vöglein; aber nachher . . . aber nachher ist es manchmal so, daß es besser wäre, sie würden überhaupt nicht groß!«

»Wie weichlich Sie sind, Fürst! Und als ob Sie selbst Kinder hätten. Sie haben ja doch keine Kinder und werden nie welche haben.«

»Tiens!« Sein Gesicht wechselte plötzlich wieder den Ausdruck. »Da fällt mir gerade Alexandra Petrowna ein, – da war vorgestern, hehehe! – Alexandra Petrowna Sinizkaja, weißt du, – ich glaube, du mußt sie vor vielleicht drei Wochen hier gesehen haben, – also stell' dir vor, vorgestern sag' ich ihr so im Spaß, wenn ich jetzt heiraten würde, könnte ich wenigstens darüber beruhigt sein, daß ich keine Kinder bekäme, – und auf einmal sagte sie zu mir, und noch so recht boshaft: ›Ganz im Gegenteil, Sie bekommen welche: Leute wie Sie bekommen sicher welche, sogar schon im ersten Jahr, das werden Sie sehen.‹ Hehe! Und alle haben sie, weiß der Kuckuck warum, die Idee, daß ich auf einmal heiraten werde, aber wenn das auch recht boshaft gesagt war, du mußt mir zugeben, es war geistreich.«

»Witzig, ja, aber beleidigend.«

»Nun, cher enfant, man braucht sich wirklich nicht über alles und jedes gleich beleidigt zu fühlen. Ich schätze nichts höher, als den Witz, der sichtlich von Tag zu Tag mehr aus der Welt verschwindet, aber was Alexandra Petrowna so sagt – kann man das irgendwie schwer nehmen?«

»Was, was haben Sie gesagt?« fiel ich ein: »nicht der erste beste kann einen . . . So ist es! Nicht jeder ist es wert, daß man ihn überhaupt beachtet – das ist eine ausgezeichnete Regel! Das ist gerade, was ich brauche. Das schreib' ich mir auf. Ach, Fürst, oft sagen Sie so famose Sachen!«

Er strahlte nur so.

»N'est-ce pas? Cher enfant, der wahre Geist verschwindet, je länger, je mehr. Eh, mais . . . C'est moi qui connaît les femmes! Glaub' mir, das Leben jeder Frau, mag sie verkünden, was sie will, ist ein ewiges Suchen, wie sie sich einem unterwerfen kann . . . sozusagen, ein Durst nach Unterwürfigkeit. Und merk' dir das wohl – da gibt's keine Ausnahme.«

»Sehr richtig, ausgezeichnet!« rief ich entzückt. Zu einer anderen Zeit wären wir sofort in stundenlange philosophische Erörterungen über dies Thema geraten, aber auf einmal gab es mir eine Art von Stich, und ich wurde feuerrot im Gesicht. Mir fiel ein, daß ich mich durch Lobsprüche für sein Bonmot bei ihm ja wegen des Geldes einschmeichelte, und daß er das nachher sicher meinen würde, wenn ich ihn darum bäte. Ich erwähne dies nicht ohne Absicht.

»Fürst, ich bitte Sie ergebenst, mir sofort die fünfzig Rubel zu bezahlen, die Sie mir für diesen Monat schulden«, fuhr ich heraus, in einem Ton, der so gereizt war, daß man ihn hätte grob nennen können.

Ich weiß noch (weil ich diesen ganzen Morgen bis zur kleinsten Kleinigkeit auswendig weiß), daß sich hierauf zwischen uns eine in ihrer realen Wahrheit recht häßliche Szene entspann. Er verstand mich zuerst überhaupt nicht, sah mich lange an und begriff nicht, von was für Geld ich eigentlich spräche. Natürlich hatte er ja nicht gedacht, ich bekäme Gehalt – wofür auch? Es ist allerdings wahr, er begann nachher zu versichern, er hätte es nur vergessen, und als er den Zusammenhang verstanden hatte, holte er schleunigst fünfzig Rubel hervor, aber er überhaspelte sich dabei und wurde sogar rot. Ich sah, wie die Sache stand, ich sprang auf und erklärte schneidend, jetzt könnte ich das Geld nicht mehr nehmen, man hätte mir augenscheinlich etwas von einem Gehalt erzählt, aus Versehen oder in betrügerischer Absicht, um mich zu bewegen, die Stellung anzunehmen, und ich sehe jetzt vollkommen ein, daß gar keine Veranlassung zu einer Bezahlung vorläge, weil ich nicht die geringste Arbeit geleistet hätte. Der Fürst erschrak und begann zu beteuern, ich hätte furchtbar viel geleistet, ich würde ihm noch viel mehr Dienste leisten, und fünfzig Rubel wären so lächerlich wenig, daß er mich im Gegenteil noch aufbessern wollte, denn er wäre dazu verpflichtet, und er selbst hätte das alles mit Tatjana Pawlowna so ausgemacht, aber »die ganze Sache unverzeihlicherweise wieder vergessen«. Ich brauste auf und erklärte endgültig, es würde eine Niedrigkeit von mir sein, ein Gehalt dafür zu nehmen, daß ich allerlei Skandalgeschichten erzählte, wie ich zwei Schleppen bis zu den Instituten nachgelaufen wäre, und ich wäre nicht als Lustigmacher bei ihm engagiert, sondern um etwas zu tun, und wenn er nichts für mich zu tun hätte, müßten wir eben ein Ende machen. Ich hatte mir nicht vorstellen können, daß ein Mensch so erschrecken könnte, wie er, als ich das sagte. Selbstverständlich war das Ende vom Lied, daß ich meinen Widerspruch aufgab und er mir die fünfzig Rubel aufdrängte; bis heute denke ich nur mit Erröten daran, daß ich sie annahm! In der Welt endet alles immer mit einer Gemeinheit, und das Schlimmste ist, daß er es damals fertig brachte, mir beinahe zu beweisen, ich hätte dies Geld unstreitig verdient, und ich besaß die Dummheit, es ihm zu glauben, und zudem war es mir gewissermaßen wirklich unmöglich, es nicht zu nehmen.

»Cher, cher enfant!« rief er und umarmte und küßte mich (ich muß gestehen, ich selbst fing, weiß der Teufel warum, zu heulen an, nahm mich aber gleich wieder zusammen, und auch jetzt noch, da ich dies schreibe, steigt mir das Blut in die Wangen). – »Lieber Freund,« rief er »du bist mir wie ein lieber Angehöriger geworden; in diesem einen Monat bist du mir geradezu ans Herz gewachsen! In der ›Gesellschaft‹ ist alles ›Gesellschaft‹ und nichts weiter. Katerina Nikolajewna (seine Tochter) ist eine glänzende Frau, und ich bin stolz auf sie, aber, mein Lieber, oft, sehr, sehr oft, kränkt sie mich auch . . . Na, und diese Mädel (elles sont charmantes) und ihre Mütter, die zum Namenstag herkommen, – na, die bringen eben nur ihren Canevas her, selbst wissen sie nichts zu sagen. Ich habe zirka sechzig Kissen mit ihrem Canevas darauf, und ewig Hunde und Hirsche. Ich hab' sie sehr gern, aber mit dir verkehre ich, wie mit einem nahen Angehörigen, – und nicht wie mit einem Sohn, sondern wie mit einem Bruder und besonders gern hab' ich es, wenn du mit mir diskutierst: du bist literarisch gebildet, du hast viel gelesen, du verstehst es, dich zu begeistern . . .«

»Ich habe nichts gelesen und bin durchaus nicht literarisch gebildet. Ich hab' nur gelesen, was mir gerade vorkam, und die letzten zwei Jahre hab' ich überhaupt nichts gelesen und will auch nichts mehr lesen.«

»Warum denn nicht?«

»Ich habe andere Ziele.«

»Cher . . . es wäre schade, wenn du dir am Ende deines Lebens sagen müßtest, wie ich: Je sais tout, mais je ne sais rien de bon. Ich weiß durchaus nicht, wozu ich auf Erden gelebt habe! Aber . . . ich bin dir so zu Dank verpflichtet . . . ich hab' sogar die Idee gehabt . . .«

Er brach plötzlich ganz sonderbar ab, sank in sich zusammen und fiel in Nachsinnen. Nach jeder Erregung (und Erregungen konnten ihm ganz momentan kommen, Gott weiß woher) verlor er in der Regel für einige Zeit den gesunden Zusammenhang im Denken und die Herrschaft über sich selbst; übrigens hatte er sich bald wieder in der Hand, so daß es weiter nichts machte. Wir saßen so vielleicht eine Minute. Seine sehr volle Unterlippe hing kraftlos herab . . . am meisten hatte es mich gewundert, daß er auf einmal von seiner Tochter gesprochen hatte, und dazu mit einer solchen Offenherzigkeit. Ich schrieb es natürlich seiner Zerstreutheit zu.

»Cher enfant, du bist mir doch nicht böse, weil ich ›du‹ zu dir sage, nicht wahr?« riß es sich plötzlich aus ihm los.

»Nicht im geringsten. Ich gestehe, anfangs, die ersten Male, war ich etwas gekränkt und wollte zu Ihnen auch ›du‹ sagen, aber ich sah ein, daß das dumm wäre, denn Sie duzen mich ja nicht, um mich zu beleidigen.«

Er hörte schon nicht mehr zu und hatte seine Frage vergessen.

»Nun, was macht denn dein Vater?« sagte er auf einmal und erhob seinen sinnenden Blick zu mir.

Ich erzitterte nur so. Erstens bezeichnete er Wersilow als meinen Vater, – was er sich mir gegenüber noch nie erlaubt hatte, und zweitens fing er von Wersilow zu sprechen an, was noch nie passiert war.

»Er sitzt ohne Geld da und fängt Grillen«, antwortete ich kurz, dabei brannte ich aber selbst vor Neugierde.

»Ja, das Geld! Heute wird ihre Sache vor dem Bezirksgericht entschieden, und ich erwarte Fürst Seriosha; was er wohl für eine Nachricht bringen wird? Er hat mir versprochen, direkt vom Gericht zu mir zu kommen. Da hängt nun ihr ganzes Schicksal dran; es sind sechzig- oder achtzigtausend Rubel. Selbstverständlich habe ich auch Andrej Petrowitsch (das heißt, Wersilow) immer alles Gute gewünscht, und er wird ja wohl auch gewinnen, und die Fürsten haben das Nachsehen. Gesetz ist Gesetz.«

»Heute auf dem Gericht?« rief ich erstaunt.

Der Gedanke, daß Wersilow es selbst hier nicht für nötig gehalten hatte, mir etwas zu sagen, setzte mich äußerst in Erstaunen. »Also hat er es auch wohl der Mutter nicht gesagt, und vielleicht keinem Menschen?« malte ich mir sofort aus. »Was für ein Charakter!«

»Aber ist denn Fürst Sokolskij in Petersburg?« Dieser zweite Gedanke durchzuckte mich plötzlich.

»Seit gestern. Direkt aus Berlin, extra wegen heute.«

Auch das war eine für mich sehr wichtige Nachricht. »Und er kommt heute hierher, dieser Mensch, der ihn geohrfeigt hat!«

»Na, sag' mal,« sagte der Fürst mit plötzlich verwandeltem Ausdruck, »spielt er noch immer den Propheten Gottes, wie damals, und, und . . . du erlaubst schon, ist er noch immer hinter den Mädeln her, den Mädeln, die noch nicht flügge sind? He, he! da wird auch jetzt wieder eine äußerst lustige Anekdote kolportiert . . . Hehe!«

»Prophet? Wer? Wer ist hinter den Mädeln her?«

»Andrej Petrowitsch! Wirst du's mir glauben? Damals hat er uns allen zugesetzt: was wir essen, woran wir denken! – Das heißt, beinahe so. Er machte uns Vorwürfe und predigte uns Buße: ›Wenn du religiös bist, warum gehst du nicht ins Kloster?‹ Er verlangte das beinah von einem. Mais quelle idée! Und mag es auch richtig sein, es ist doch wohl etwas gar zu streng? Und gerade mir drohte er mit Vorliebe mit dem Jüngsten Gericht, mir am allermeisten.«

»Ich habe nichts dergleichen bemerkt, und ich bin doch schon einen Monat mit ihm zusammen«, erwiderte ich, während ich voll Ungeduld horchte. – Ich ärgerte mich fürchterlich, daß er sich nicht zusammennahm und so ohne Faden daherredete.

»Jetzt sagt er das bloß nicht, aber du kannst mir glauben, so war es. Er ist unstreitig ein sehr gescheiter Mensch, und sehr unterrichtet; aber ist dieser Verstand so recht in Ordnung? Das kam alles, nachdem er die drei Jahre im Ausland gewesen war. Ich muß gestehen, er hat mich sehr erschüttert . . . und alle Welt hat er erschüttert . . . Cher enfant, j'aime le bon Dieu . . . Ich bin gläubig, gläubig, so gut ich kann, – aber damals kam ich tatsächlich ganz aus dem Häuschen. Es mag ja sein, daß meine Art etwas leichtfertig war, aber das hab' ich absichtlich getan, im Ärger, – und zudem war das Wesen meiner Entgegnung ebenso ernsthaft, wie es vom Beginn der Welt gewesen ist: ›Wenn es ein höheres Wesen gibt,‹ sag' ich zu ihm, ›wenn es eins gibt, und es existiert persönlich, und nicht in Gestalt eines Geistes, der über die ganze Schöpfung gegossen ist, wie eine Flüssigkeit etwa (weil dies noch schwerer zu begreifen ist), – wo wohnt Er denn?‹ Lieber Freund, c'était bête, zweifellos, aber schließlich laufen doch alle Entgegnungen in der Sache hierauf heraus. Un domicile – das ist eine wichtige Sache. Er wurde furchtbar böse. Er ist da unten auch zum Katholizismus übergetreten.«

»Von dieser Geschichte habe ich auch schon gehört. Ich bin überzeugt, das ist alles Blödsinn.«

»Ich versichere es dir bei allem, was mir heilig ist. Schau ihn nur richtig an . . . Übrigens sagst du ja, er hätte sich geändert. Na, damals hat er uns alle gepeinigt! Glaube mir, er benahm sich, als ob er ein Heiliger wäre und seine Knochen Reliquien. Er verlangte von uns Rechenschaft über unsern Lebenswandel, ich schwör' es dir! Reliquien! En voilà une autre! Ja, wenn's ein Mönch oder ein Einsiedler gewesen wäre, – aber da läuft einer im Frack herum . . . und auf einmal will er aus Reliquien zusammengesetzt sein! Eine sonderbare Idee für einen Mann von Welt, und, ich muß gestehen, ein sonderbarer Geschmack. Ich will gar nichts dagegen sagen, das sind alles heilige Sachen, und schließlich kann alles vorkommen . . . Außerdem ist das alles de l'inconnu, aber für einen Mann von Welt ist es geradezu unpassend. Wenn mir so etwas passierte, oder wenn man mir das vorschlüge, ich würde mich einfach weigern. Also, ich speise heute im Klub, und auf einmal bin ich – eine Reliquie? Ich mach' mich ja lächerlich! Das hab' ich ihm damals alles auseinandergesetzt . . . Er trug sogar Büßerketten auf dem Leibe.«

Ich wurde vor Zorn feuerrot im Gesicht.

»Haben Sie die selbst gesehen?«

»Ich selbst nicht, aber . . .«

»So kann ich Ihnen nur sagen, daß das alles Lügen sind, ein Gewebe von widerwärtigen Ränken und Verleumdungen seiner Feinde, das heißt, eines Feindes, des unmenschlichen Hauptfeindes, denn er hat nur einen Feind: und das ist Ihre Tochter.«

Jetzt war die Reihe aufzubrausen am Fürsten.

»Mon cher, ich bitte dich, und zwar aufs dringlichste, in Zukunft mir gegenüber nie wieder den Namen meiner Tochter in Verbindung mit dieser ekelhaften Geschichte in den Mund zu nehmen.«

Ich sprang auf. Er war außer sich; sein Kinn zitterte.

»Cette histoire infâme! . . .« fing er wieder an, »ich habe sie nicht geglaubt, ich hab' sie nicht glauben wollen, aber . . . man sagt mir: glaub' es, glaub' es, ich . . .«

Da kam auf einmal der Diener und meldete Besuch; ich setzte mich wieder.

Ein Werdender

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