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Zweites Kapitel 1

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An diesem neunzehnten sollte ich auch mein erstes Gehalt für den ersten Monat in meiner Petersburger »privaten« Anstellung bekommen. Wegen dieser Anstellung war ich überhaupt nicht gefragt worden, sondern ich wurde einfach hingeschickt, ich glaube, gleich am Tage meiner Ankunft. Das war sehr wenig manierlich, und ich war beinahe verpflichtet, zu protestieren. Es erwies sich, daß es sich um eine Anstellung im Hause des alten Fürsten Sokolskij handelte. Aber wenn ich damals protestiert hätte, – so hätte es den sofortigen Bruch mit ihnen bedeutet; das schreckte mich zwar nicht sonderlich, wäre aber eine Schädigung meiner wesentlichen Ziele gewesen, und deshalb nahm ich die Stelle an, bis auf weiteres, schweigend und hinter diesem Schweigen meine Würde verschanzend. Ich will gleich von Anfang an erklären, daß dieser Fürst Sokolskij, ein reicher Mann und Geheimrat, in gar keinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Moskauer Fürsten Sokolskij stand (kleinen armen Teufeln schon seit mehreren Generationen), gegen die Wersilow seinen Prozeß angestrengt hatte. Sie waren nur Namensvettern. Nichtsdestoweniger interessierte sich der alte Fürst sehr für sie und hatte einen von diesen Fürsten besonders in sein Herz geschlossen, sozusagen, den ältesten ihres Geschlechtes,– einen jungen Offizier. Wersilow hatte vor noch gar nicht langer Zeit einen ungeheuren Einfluß auf die Angelegenheiten dieses alten Herrn gehabt und war sein Freund gewesen, ein sonderbarer Freund, denn ich merkte, daß dieser arme Fürst sich schrecklich vor jenem fürchtete, und nicht nur zu der Zeit, wo ich in seinen Dienst trat, sondern es muß während der ganzen Zeit ihrer Freundschaft so gewesen sein. Übrigens hatten sie sich schon lange nicht mehr gesehen; die ehrlose Handlung, deren Wersilow bezichtigt wurde, ging nämlich gerade die Familie des Fürsten an; aber Tatjana Pawlowna mengte sich in die Sache, und durch ihre Vermittlung wurde ich bei dem alten Herrn untergebracht, der einen »jungen Mann« in seinem Arbeitszimmer um sich zu haben wünschte. Hierbei erwies es sich, daß er auch den dringenden Wunsch hegte, Wersilow gefällig zu sein, sozusagen, ihm gegenüber den ersten Schritt zu tun, und Wersilow gestattete es ihm. Diese Sache arrangierte der alte Fürst in Abwesenheit seiner Tochter, der Witwe eines Generals, die ihm diesen Schritt wahrscheinlich nicht erlaubt hätte. Hiervon später, aber ich bemerke gleich, daß diese Sonderbarkeit in den Beziehungen zu Wersilow mich überraschte, und zwar in einer für diesen günstigen Richtung. Ich kombinierte so: wenn das Haupt der beleidigten Familie immer noch Achtung für Wersilow hegt, so muß all das Gerede von seiner Schlechtigkeit doch wohl absurd oder zum wenigsten zweideutig und übertrieben sein. Teilweise war es auch dieser Umstand, der mich veranlaßte, nicht gegen den Antritt dieser Stellung zu protestieren: durch meinen Antritt hoffte ich eben, mir über dies alles Klarheit zu verschaffen.

Jene Tatjana Pawlowna spielte zu der Zeit, als ich sie in Petersburg antraf, eine eigentümliche Rolle. Ich hatte sie fast gänzlich vergessen und natürlich erst gar nicht erwartet, daß sie eine so bedeutende Stellung einnehmen könnte. Sie war mir vorher drei-, viermal während meines Moskauer Aufenthaltes in den Weg gekommen, und dann war sie immer Gott weiß woher aufgetaucht, Gott weiß in wessen Auftrag, sobald es galt, mich irgendwo zu installieren, – als ich in die Pension Touchard kam, und nachher, dritthalb Jahre später, als ich ins Gymnasium eintrat und mein Zimmer in der Wohnung des unvergeßlichen Nikolaj Semionowitsch bezog. Wenn sie kam, verbrachte sie den ganzen Tag mit mir, revidierte meine Wäsche und Kleider, fuhr mit mir in der Stadt herum, kaufte die Sachen, die ich brauchte, kurzum, sie sorgte für meine ganze Habe, bis zum letzten Kästchen und zum Federmesser, dabei keifte sie die ganze Zeit mit mir, schalt mich, machte mir Vorwürfe, examinierte mich, stellte mir gewisse phantastische Knaben als Muster auf, die sie angeblich in ihrer Bekanntschaft und Verwandtschaft hatte und die alle viel braver waren, als ich, und, um die Wahrheit zu gestehen, sie kniff mich dabei in einem fort und puffte mich tüchtig, oft genug sogar, und so kräftig, daß es schon ziemlich weh tat. Wenn sie mich installiert und an einem Platze eingerichtet hatte, dann verschwand sie auf einige Jahre spurlos aus meinem Gesichtskreise. Und jetzt also, als ich gerade angekommen war, erschien sie wieder, um mich zu installieren. Sie war eine dürre, kleine Person mit einem scharfen Vogelnäschen und scharfen Vogeläuglein. Wersilow diente sie wie eine Sklavin und erwies ihm eine Ehrerbietung, als wäre er der Papst, aber aus innerster, vollster Überzeugung. Bald aber bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß sie bei allen Leuten und überall großen Respekt genoß und, was die Hauptsache war – bei allen und überall bekannt war. Der alte Fürst Sokolskij begegnete ihr mit einer ganz ausnehmenden Hochachtung; seine Familie ebenfalls; Wersilows hochmütige Kinder ebenfalls; und die Fanariotows ebenfalls, – und dabei lebte sie von allerhand Näharbeit, von Spitzenwäsche, von Stickereien, die sie für Magazine anfertigte. Ich geriet mit ihr beim ersten Worte in Streit, sie begann sofort wie früher, vor sechs Jahren, gegen mich zu belfern; und von Stund an setzten sich unsere Streitereien fort, Tag für Tag: aber das hinderte nicht, daß wir uns zuweilen miteinander unterhielten, und ich muß gestehen, gegen Ende des Monats fing sie mir zu gefallen an; ich glaube, weil sie ein so unabhängiger Charakter war. Übrigens habe ich ihr das nicht mitgeteilt.

Ich begriff sofort, daß ich den Posten bei dem kranken alten Herrn nur deshalb bekommen sollte, um ihn etwas »aufzumuntern«, und daß darin mein ganzer Dienst bestand. Selbstverständlich ging das gegen meine Würde, und ich traf sofort meine Maßregeln in dem Sinne; aber in kurzem übte dieser alte Sonderling einen ganz unerwarteten Eindruck auf mich aus, es war fast wie eine Art Mitleid, und zu Ende des Monats fühlte ich mich in seltsamer Weise zu ihm hingezogen, wenigstens hatte ich die Absicht fahren lassen, ihn vor den Kopf zu stoßen. Er war übrigens noch nicht über sechzig. Es war da eine ganze Geschichte passiert. Anderthalb Jahre vorher hatte er ganz plötzlich einen Anfall bekommen; er war irgendwohin gereist, und unterwegs war eine Geistesstörung bei ihm aufgetreten, so daß eine Art Skandal entstand, über den in Petersburg viel geklatscht wurde. Wie es in solchen Fällen gang und gäbe ist, wurde er sofort ins Ausland gebracht, aber nach etwa fünf Monaten kam er wieder, und zwar vollkommen gesund, wenn er auch seinen Abschied genommen hatte. Wersilow versicherte mir sehr ernstlich (und auffallend erregt), daß von einer Geistesstörung bei ihm absolut keine Rede gewesen wäre, es hätte sich nur um etwas wie einen Nervenzufall gehandelt. Diese Erregtheit Wersilows nahm ich ungesäumt zur Kenntnis. Im übrigen, muß ich sagen, teilte ich selbst seine Ansicht beinahe. Der alte Herr zeigte sich höchstens manchmal ein bißchen gar zu leichtfertig, in einem gewissen Mißverhältnis zu seinen Jahren, was früher nicht der Fall gewesen sein soll, wie ich hörte. Man hat mir erzählt, er wäre früher in irgendeiner Behörde eine Art von Rat gewesen und hätte sich einmal sogar bei einem ihm erteilten Auftrag ganz besonders ausgezeichnet. Ich kannte ihn nun einen ganzen Monat, aber ich kann nicht sagen, daß ich bei ihm irgendeine besondere Eignung zum Rat hätte entdecken können. Man sagte ihm nach (ich habe freilich nichts davon bemerken können), daß sich seit seinem Anfall bei ihm eine ganz besondere Manie entwickelt hätte, sich möglichst bald zu verheiraten, und daß er dieser Idee in den anderthalb Jahren des öfteren näher getreten wäre. Davon wußte man wohl in der Gesellschaft, und die es anging, interessierten sich dafür. Aber da eine solche Absicht den Interessen einiger Personen aus der Umgebung des Fürsten gar zu sehr gegen den Strich ging, wurde der alte Herr von allen Seiten überwacht. Seine eigene Familie war klein; er war schon seit zwanzig Jahren Witwer und hatte nur eine einzige Tochter, eben die Generalswitwe, die jetzt täglich aus Moskau zurückerwartet wurde, eine junge Frau, vor deren Charakter er zweifellos Angst hatte. Aber er hatte einen Haufen der verschiedensten entfernten Verwandten, meist von der Seite seiner verstorbenen Frau her, die alle beinahe Bettler waren, außerdem gab es da eine Menge von Pflegesöhnen und Pflegetöchtern, die alle seine Wohltaten genossen und hofften, in seinem Testament bedacht zu werden, und deshalb alle die Generalin bei der Überwachung des alten Herrn unterstützten. Außerdem hatte er, schon von jung auf, eine Schrulle, von der ich nur nicht weiß, ob ich sie lächerlich finden soll oder nicht: er verheiratete arme Mädchen. Das betrieb er jetzt schon fünfundzwanzig Jahre hintereinander. Er verheiratete arme Verwandte, Stieftöchter von Vettern seiner Frau, seine Patentöchter, ja sogar die Tochter seines Hausmeisters. Zuerst nahm er sie als kleine Mädchen in sein Haus, dann erzog er sie mit Gouvernanten und Französinnen, dann schickte er sie in die besten Lehranstalten, und schließlich verheiratete er sie und gab ihnen eine Mitgift. Und das alles drängte sich beständig um ihn; seine Pflegetöchter bekamen in der Ehe natürlich wieder Töchter; alle diese Mädchen spitzten sich darauf, auch seine Pflegetöchter zu werden: er mußte in einem fort den Taufpaten machen, das alles kam, um ihm zum Namenstag zu gratulieren, und alles das machte ihm das größte Vergnügen.

Als ich in seine Dienste trat, merkte ich gleich, daß sich im Kopfe des alten Herrn eine schwere Überzeugung festgenistet hatte – und es war unmöglich, das nicht zu bemerken –, die Überzeugung, daß er in der Gesellschaft von jedermann auf eine ganz besondere Weise angesehen würde, daß alle Welt sich gegen ihn anders benähme, als früher, als er noch gesund war; dieser Eindruck ließ ihn selbst in den lustigsten Gesellschaften nicht los. Der alte Herr wurde argwöhnisch und begann in aller Augen ein besonderes Etwas zu lesen. Der Gedanke, daß er immer noch für gestört gehalten würde, peinigte ihn sichtlich; auch mich beobachtete er oft voll Mißtrauen. Und wenn er von irgend jemand erfahren hätte, der dieses Gerücht verbreite und bestätige, ich glaube, dieser überaus harmlose Mensch wäre der Feind des Betreffenden für ewig geworden. Und diesen Umstand bitte ich wohl anzumerken. Ich füge hinzu, daß dies auch vom ersten Tage an der entscheidende Grund war, der mich veranlaßte, ihn nicht vor den Kopf zu stoßen; ich war im Gegenteil froh, wenn ich hier und da Gelegenheit fand, ihn aufzuheitern oder zu zerstreuen; ich glaube nicht, daß dies Geständnis einen Schatten auf meine Würde werfen kann.

Der größte Teil seines Geldes steckte in industriellen Unternehmungen. Er war, und zwar erst nach seiner Krankheit, Teilhaber einer großen Aktiengesellschaft geworden, übrigens eines sehr soliden Unternehmens. Die Geschäfte führten freilich andere Leute, aber er interessierte sich auch sehr für sie, besuchte die Aktionärversammlungen, wurde in den Ausschuß gewählt, saß im Aufsichtsrat, hielt lange Reden, diskutierte, spektakelte, und das alles augenscheinlich mit großer Freude daran. Reden zu halten machte ihm einen großen Spaß: da konnten doch wenigstens alle Leute sehen, wie gescheit er war. Und überhaupt liebte er es, selbst im intimsten Privatleben seine Unterhaltung mit tiefen Bemerkungen und allerlei Bonmots aufzuputzen, und das verstehe ich nur zu gut. In seinem Hause, unten, war eine Art Privatbureau eingerichtet, und ein Beamter saß darin, führte seine Angelegenheiten, Rechnungen und Bücher und verwaltete gleichzeitig das Haus. Dieser Beamte, der nebenbei noch eine staatliche Anstellung hatte, hätte für sich allein vollkommen ausgereicht; aber auf besonderen Wunsch des Fürsten selbst wurde ich dazugenommen, angeblich als Hilfskraft für den Beamten; aber ich kam gleich in das Privatkabinett und hatte häufig nicht einmal zum Schein eine Arbeit vor mir, keine Papiere, keine Bücher.

Ich schreibe das jetzt wie einer, der mit dem allen seit langem abgeschlossen hat, und in vielen Beziehungen sogar wie ein ganz objektiver Beobachter; aber wie soll ich meinen damaligen Kummer beschreiben (gerade jetzt steht er wieder so recht lebendig vor mir), den Kummer, der mein ganzes Herz in Beschlag genommen hatte, und was die Hauptsache ist – meine damalige Aufregung, die mich so unruhig und fieberig gemacht hatte, daß ich sogar die Nächte nicht schlief – vor Ungeduld, vor all den Rätseln, die ich mir selbst aufgegeben hatte.

Ein Werdender

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