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Zwei Damen traten ein, beides junge Mädchen, die eine war eine Stieftochter eines Vetters der verstorbenen Frau des Fürsten, oder so was Ähnliches, eine seiner Pflegetöchter, der er ihre Mitgift schon herausbezahlt hatte und die (ich bemerke das für späterhin) auch selbst nicht mittellos war; die zweite war Anna Andrejewna Wersilowa, Wersilows Tochter, drei Jahre älter als ich; sie lebte mit ihrem Bruder bei der Fanariotowa, und ich hatte sie bisher in meinem Leben nur ein einziges Mal gesehen, ganz flüchtig auf der Straße, obschon ich mit ihrem Bruder, allerdings auch ganz flüchtig, schon in Moskau eine Affäre gehabt hatte (es ist sehr möglich, daß ich späterhin etwas von dieser Affäre erwähne, wenn ich Raum dafür habe, denn eigentlich ist es der Mühe nicht wert). Diese Anna Andrejewna war in ihren Kinderjahren eine besondere Favoritin des Fürsten gewesen (Wersilows Bekanntschaft mit dem Fürsten datierte schon ungeheuer weit zurück). Ich war noch so verwirrt von dem, was soeben geschehen war, daß ich bei ihrem Eintritt nicht einmal aufstand, obgleich der Fürst sich erhob und ihnen entgegenging; nachher dachte ich mir, jetzt wäre es schon genierlich, aufzustehen, und blieb sitzen. Der Hauptgrund war, daß ich mich so vor den Kopf gestoßen fühlte, weil der Fürst mich vor drei Minuten so angeschrien hatte, und noch nicht wußte, ob ich fortgehen sollte oder nicht. Aber der alte Herr hatte schon alles absolut vergessen, wie es so seine Mode war, und hatte sich ganz freudig belebt, als er die beiden jungen Mädchen sah. Er hatte sogar, mit schnell verwandeltem Ausdruck und einem gewissen geheimen Blinzeln, Zeit gefunden, mir direkt vor ihrem Eintritt hastig zuzuwispern:

»Schau dir die Olympia an, schau sie dir ganz genau an, ganz genau . . . ich erzähl' dir nachher, warum . . .«

Ich sah sie mir recht genau an und fand nichts Besonderes: es war ein junges Mädchen von mittlerer Größe, dicklich und mit außerordentlich roten Backen. Ihr Gesicht war übrigens ziemlich angenehm, von der Sorte, wie sie den Materialisten gefällt. Es lag vielleicht ein Zug von Güte darin, aber dies mit einer gewissen Einschränkung. Durch besondere Intelligenz glänzte es nicht, aber nur, wenn man das Wort im höheren Sinn anwendet, denn die Schlauheit las man ihr in den Augen. Sie war höchstens neunzehn. Mit einem Wort, nichts irgendwie Bemerkenswertes. Bei uns im Gymnasium hätte man sein Urteil dahin zusammengefaßt: ein gutes Kissen. (Wenn ich so sehr in die Details eingehe, so geschieht das nur, weil ich das für später nötig habe.)

Übrigens möchte ich bemerken: alles, was ich bis jetzt mit scheinbar überflüssiger Ausführlichkeit erzählt habe, – das alles führt aufs Zukünftige und wird sich dort als notwendig erweisen. An seiner Stelle komme ich auf alles zurück; vermeiden konnte ich es nicht; wem es langweilig erscheint, den bitte ich, es nicht zu lesen.

Ein ganz anderes Wesen war Wersilows Tochter. Sie war groß, sogar ein bißchen hager; das Gesicht länglich und auffallend blaß, ihr Haar schwarz und üppig; große, dunkle Augen, ein tiefer Blick; schmale purpurrote Lippen, ein frischer Mund. Sie war die erste Frau, die mir durch ihren Gang keinen Ekel eingeflößt; übrigens war sie schlank und mager. Ihr Gesichtsausdruck war nicht besonders gutmütig, dafür aber selbstbewußt; sie war zweiundzwanzig. Fast keine Spur von äußerer Ähnlichkeit in den Zügen mit Wersilow, dabei aber, ganz wunderlich, eine außerordentliche Ähnlichkeit im Ausdruck ihres Gesichtes. Ich weiß nicht, ob sie hübsch ist; das ist Geschmackssache. Sie waren beide sehr bescheiden gekleidet, so daß es sich nicht verlohnt, näheres darüber zu sagen. Ich erwartete sofort durch irgendeinen Blick oder eine Geste von Fräulein Wersilowa beleidigt zu werden und bereitete mich darauf vor; hatte mich doch ihr Bruder in Moskau gleich bei unserer ersten Berührung in diesem Leben beleidigt. Von Angesicht konnte sie mich nicht kennen, aber sie hatte natürlich gehört, daß ich täglich zum Fürsten käme. Alles, was der Fürst unternahm und tat, erweckte in diesem ganzen Haufen von Verwandten und »Aspirantinnen« Interesse und wurde als ein Ereignis angesehen, – um so mehr natürlich die plötzliche große Zuneigung des Fürsten zu mir. Ich wußte zuverlässig, daß der Fürst sich sehr für Anna Andrejewnas Zukunft interessierte und einen Bräutigam für sie suchte. Aber es war schwerer für das Fräulein Wersilowa einen Bräutigam zu finden, als für die Damen, die auf Canevas stickten.

Und siehe da, es kam ganz anders, als ich erwartet hatte. Fräulein Wersilowa schüttelte dem Fürsten die Hand und wechselte ein paar lustige weltläufige Phrasen mit ihm, dann schaute sie äußerst neugierig auf mich, und als sie sah, daß ich sie auch anschaute, grüßte sie mich plötzlich mit einem Lächeln. Es ist ja richtig, sie war gerade gekommen und begrüßte mich als neuer Ankömmling, aber ihr Lächeln war so liebenswürdig, daß man merken konnte, sie hatte sich das schon vorher vorgenommen. Und ich weiß noch, ich hatte ein sehr angenehmes Gefühl dabei.

»Und das . . . und das ist mein lieber junger Freund Arkadij Andrejewitsch Dol . . .« stammelte der Fürst, der bemerkt hatte, daß sie mich begrüßte, daß ich aber noch immer saß, – aber auf einmal brach er ab: vielleicht machte ihn der Gedanke verwirrt, daß er mich mit ihr bekannt machen sollte (denn in Wirklichkeit waren wir ja Bruder und Schwester). Das »Kissen« begrüßte mich gleichfalls; ich aber brauste plötzlich höchst albernerweise auf und fuhr von meinem Stuhl empor: ein Anfall von künstlich gesteigertem, gänzlich sinnlosem Stolz; alles nur aus Eitelkeit.

»Entschuldigen Sie, Fürst, ich . . . ich heiße nicht Arkadij Andrejewitsch, sondern Arkadij Makarowitsch«, fiel ich ihm schneidend ins Wort, ohne daran zu denken, daß ich doch die Begrüßung der Damen erwidern mußte. Wenn doch der Teufel diese peinliche Minute geholt hätte!

»Mais . . . tiens!« rief der Fürst und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

»Wo haben Sie Ihre Ausbildung genossen?« erscholl vor mir die dümmliche und gedehnte Frage des Kissens, das direkt auf mich zugetreten war.

»In Moskau, auf dem Gymnasium.«

»Ach ja! Ich hab' schon davon gehört. Und ist es da nett?«

»Sehr nett.«

Ich stand noch immer und sprach wie ein Soldat, der eine Meldung macht.

Die Fragen dieses jungen Mädchens waren zweifellos nicht sehr geistvoll, aber immerhin mühte sie sich doch, meinen dummen Ausbruch zu vertuschen, und dem Fürsten in seiner Verlegenheit zu helfen, der übrigens derweil schon mit lustigem Lächeln zuhörte, wie ihm Fräulein Wersilowa irgend etwas Lustiges ins Ohr wisperte, – es bezog sich augenscheinlich nicht auf mich. Aber es war die Frage: warum wirft sich dieses junge Mädchen, das ich gar nicht kenne, dazu auf, meinen dummen Ausbruch zu vertuschen? Und zugleich konnte ich mir gar nicht vorstellen, daß sie sich so ganz ohne Grund an mich gewandt hätte: da steckte irgendeine Absicht dahinter. Sie schaute mich gar zu neugierig an, ganz, als wünschte sie, ich möchte sie auch möglichst viel bemerken. Das alles habe ich mir dann später kombiniert und – mich nicht getäuscht.

»Was, also heute?« rief der Fürst plötzlich und sprang auf.

»Haben Sie denn das nicht gewußt?« sagte Fräulein Wersilowa erstaunt. »Olympia, der Fürst wußte gar nicht, daß Katerina Nikolajewna heute ankommen wollte. Wir wollten sie ja besuchen, wir dachten, sie wäre schon mit dem Frühzug gekommen und längst zu Hause. Gerade eben haben wir sie unten an der Treppe getroffen: sie kam direkt von der Bahn und sagte, wir sollten nur zu Ihnen hinaufgehen, sie käme auch gleich . . . Da ist sie ja schon!«

Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und – jene Frau trat ein.

Ich kannte ihr Gesicht schon, von dem wundervollen Porträt, das im Kabinett des Fürsten hing. Jetzt war ich nur drei Minuten mit ihr im Kabinett zusammen und wandte auch nicht eine Sekunde die Augen von ihrem Gesicht. Aber wenn ich das Porträt nicht gekannt hätte, und man hätte mich nach diesen drei Minuten gefragt: »Wie sieht sie aus?« – ich wäre nicht imstande gewesen, eine Antwort zu geben, so umwölkt hatte sich alles in mir. Ich erinnere mich nach diesen drei Minuten nur einer wirklich schönen Frau, die der Fürst küßte, während er ein Kreuz über sie schlug, und die mich auf einmal mit einem schnellen Blick zu fixieren begann, – fast im gleichen Moment als sie eingetreten war. Ich hörte deutlich, wie der Fürst, indem er ganz offen mit der Hand auf mich deutete, irgend etwas von dem neuen Sekretär murmelte und meinen Namen nannte, dabei schlug er eine Art von kleiner Lache auf. Sie rümpfte in ganz besonderer Art die Nase, musterte mich mit einem bösen Blick und lächelte so dreist, daß ich unwillkürlich einen plötzlichen Schritt machte, auf den Fürsten zutrat und zu stammeln anfing, ohne ein Wort zu Ende zu bringen; dabei zitterte ich schrecklich und klapperte, glaub' ich, mit den Zähnen.

»Jetzt will ich . . . ich habe zu tun . . . Ich gehe.«

Und ich drehte mich um und ging. Keiner sagte ein Wort zu mir, nicht einmal der Fürst; alle schauten mich nur an. Später hat mir der Fürst gesagt, ich wäre so bleich geworden, daß er einfach »Angst gekriegt« hätte.

Das war nun allerdings ganz überflüssig!

Ein Werdender

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