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10.

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Florian bekam einen Brief. Absender war das Dekanat der Universität. Er sollte sich am kommenden Mittwoch um fünfzehn Uhr im Dekanat Raum 114 einfinden. Er dachte nach. Er hatte nichts Schlechtes gemacht. Man konnte ihm nichts vorwerfen. Seit er Student war, hatte er sich nicht an politischen Diskussionen beteiligt. Sein Studium war verlaufen, wie es vorgesehen war. Er hatte alle Prüfungen so gemacht, wie es vorgesehen war. Er konnte beruhigt ins Dekanat gehen. Er hatte am Mittwoch nachmittags eine Vorlesung. Er würde sie ausfallen lassen und ins Dekanat gehen.

Der Mittwoch kam und Florian machte sich auf den Weg. Das Dekanat war im Hauptgebäude der Universität untergebracht. Er fragte beim Pförtner nach dem angegebenen Raum. Der Gang war lang mit vielen Türen. Er fand eine Tür mit der Nummer 114. Es stand nur die Nummer an der Tür. Sonst nichts. Florian war jetzt etwas unruhig. Was hatte das zu bedeuten?

Er klopfte. Nichts. Er klopfte wieder. Nichts. Er wartete. Er öffnete die Tür vorsichtig und sah in den Raum. Ein Tisch, zwei Stühle. Gegenüber. Ein Mann lesend. In Akten auf dem Tisch.

„Entschuldigung“, sagte Florian. Der Mann sah auf. Vielleicht vierzig. Graues Hemd und graue Hose. Stämmig.

„Sind sie Herr L.?“

„Ja“, sagte Florian. Der Mann wies auf den Stuhl gegenüber.

„Nehmen sie Platz.“

„Ich habe einen Brief vom Dekanat bekommen. Ich soll mich hier melden. Raum hundertvierzehn.“ Der Mann las weiter in seinen Akten, die auf dem Tisch lagen. Erst nach einer Weile sah er auf. Seine Stimme war nicht unfreundlich als er sagte:

„Sie werden sich gefragt haben, warum wir ihnen geschrieben haben.“

„Ja. das habe ich. Ich habe überlegt ob ich etwas verbrochen habe.“

„Und? Haben sie etwas verbrochen?“

„Mir ist nichts eingefallen.“

„Dann können sie beruhigt sein.“ Florian hatte jetzt einen gewissen Verdacht. Mehr nicht. Der Mann schwieg wieder. Dann sagte er:

„Wir wollten einmal mit ihnen sprechen. Sie kennen lernen.“ Er öffnete eine Akte. Florian sah seinen Namen auf dem Aktendeckel.

„Sie kommen aus C. im Bezirk Dresden. Sie sind dort zur Schule gegangen. Grundschule und Oberschule. Sie haben einen sehr guten Abschluss gemacht. Ihre Lehrer haben sie sehr gut beurteilt. Auch ihre gesellschaftliche Tätigkeit war gut. Sie waren bei den jungen Pionieren und sind dann Mitglied der FDJ geworden. Sie waren bei der jungen Gemeinde. Allerdings nur kurz.“

„Damals war ich fünfzehn. In dem Alter denkt man über den lieben Gott nach. Ich wollte mich informieren.“

„In der jungen Gemeinde waren junge Leute, die mit unserem Staat nicht einverstanden waren. Der Westen stand dahinter. Wussten sie das nicht?“

„In C. gab es einen netten Pfarrer. Der betreute die junge Gemeinde. Die Mädchen haben von ihm geschwärmt. Ich weiß nicht, wie ich da hinein geraten bin. Ich bin dann nicht mehr hingegangen. Ich glaubte nicht mehr an Gott.“

„Aber sie haben geglaubt?“

„Nur kurze Zeit.“

„Warum waren sie nicht mehr gläubig?“

„Wollen sie das wirklich wissen?“

„Sie müssen nicht antworten.“

„Eines Tages habe ich mir das überlegt. Die Sachen, die in der Bibel stehen. Dass Gott als sein Sohn auf die Erde gekommen ist. Ich habe plötzlich gesehen, dass das ganz und gar unwahrscheinlich ist. Eine Theorie, die so schlecht durch Tatsachen belegt ist, ist unhaltbar. Im ersten Moment, nachdem ich das gedacht hatte, befürchtete ich vom Blitz erschlagen zu werden. Oder etwas Ähnliches. Es passierte nichts. So war das.“

Der Mann lachte. Ein intensives Lachen.

„Haben sie nie an Gott geglaubt?“ Florian wollte eine persönlichere Beziehung zu dem Mann

herstellen, über den er sich unsicher war. Der Mann lachte wieder dieses harte Lachen.

„Ich hatte keine Zeit zu glauben. Meine Mutter war allein. Mein Vater hatte sie verlassen. Er hatte eine andere Frau kennen gelernt.“

„Wo sind sie großgeworden?“

„In Thüringen. In Apolda. Kennen sie die Stadt?“

„Nein. Ich kenne nur den Rennsteig. Sind sie schon lange hier im Dekanat?“

„Seid drei Jahren.“

„Macht ihnen die Arbeit Spaß?“

„Man lernt viele Leute kennen. Ich habe mich immer für Menschen interessiert.“

„Sind sie Psychologe?“

„Nein.“ Sie schwiegen eine Weile. „Jetzt wissen sie mehr über mich als ich über sie. Ich wollte sie kennen lernen.“

„Warum? Ich bin nicht interessant. Was haben sie für einen Eindruck von mir?“

„Ich glaube, dass sich unser Staat auf sie verlassen kann. Sie haben nichts zu verbergen.“ Florian war erleichtert. Sein Verdacht schien sich zu bestätigen.

„Es war nett, sie kennen gelernt zu haben.“ Florian wollte aufstehen.

„Ich würde sie gern noch etwas fragen.“

„Bitte!

„Wäre es ihnen recht, wenn wir uns wiedersehen?“ Florian wusste nicht, was der Mann von ihm wollte. Er hatte einen Verdacht. Es war nur ein Verdacht.

„Wenn sie wollen, komme ich wieder.“ Der Mann öffnete ein kleines Buch. Eine Art Notizbuch. Oder ein Kalender.

„Mittwoch in zwei Wochen? Wieder um fünfzehn Uhr?“

„Wieder hier?“

„Ja, wieder hier. Raum hundertundvierzehn.“ Der Mann stand auf und reichte Florian die Hand.

Florian stand wieder auf dem Flur mit den vielen Türen. Er ging am Pförtner vorbei und stand auf der breiten Straße vor dem Hauptgebäude der Universität. Er hatte geschwitzt. Er merkte das erst jetzt. Was war das gewesen? Plötzlich fiel ihm ein: Der hatte eine Akte über ihn gehabt. In der alles über ihn stand. Er hatte gedacht, niemand würde etwas von der Sache mit der jungen Gemeinde wissen. Wie hatten die das erfahren? Trotzdem durfte er nach der Oberschule gleich studieren. Er war bevorzugt worden. Man war großzügig gewesen. Was wollte man jetzt von ihm? Beim nächsten Mal würde er mehr wissen. Sollte er über die Studenten sprechen, die er kannte? Er würde nur Gutes sagen. Das war klar. Er würde niemand belasten. Warum hatte man ihn ausgewählt? Man hatte Vertrauen zu ihm. Es war gut, wenn die Vertrauen zu ihm hatten. Es konnte nicht schaden. Es würde vielleicht auch nützen. Man wusste nie, ob man die nicht brauchen könnte? Vielleicht war es einfacher, nach dem Studium eine Stelle zu bekommen. Die hatte Beziehungen. Der Mann war nicht unsympathisch gewesen.

Auferstanden aus Ruinen

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