Читать книгу Wettstreit der purpurnen Raben - Florian Rattinger - Страница 12
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ОглавлениеGan erwacht mit einem Schreck. Sofort fällt ihr Blick auf die Uhr. Es ist 17 Uhr. Sie hat vier Stunden geschlafen.
„Grundgütiger!“, ruft sie. Das weckt auch Claudette, die es sich bei Gans Füßen gemütlich gemacht hat. Die goldbraun getigerte Katze springt im hohen Bogen in die Luft. Aufgrund des Schlafsands in den Augen hält Gan Claudette für die Fledermaus, mit der ihre Misere begonnen hat. Gan schnappt sich ihr Kissen und schlägt damit nach der fliegenden Katze. Claudette macht eine Reihe Salti und landet zum Schluss anmutig auf allen vier Pfoten. Sie raunzt ihr Frauchen an, faucht und rennt aus dem Zimmer.
„Oh, Mist!“, schreit Gan und eilt ihrer Katze sofort hinterher. An der Türschwelle bleibt sie stehen. Sie ruft: „Es tut mir leid, Claudette. Ich hab‘ dich für eine Fledermaus gehalten!“
Vom schnellen Aufstehen sieht Gan Sterne. Gan setzt sich auf ihre Matratze und umarmt ihr Kissen.
Am liebsten würde Gan zurück ins Bett fallen und einen Haken hinter diesen Tag setzen.
Doch dann hat sie keine Spezialzutat für ihre morgigen Kreationen. Und wenn Gan nur mit ihren herkömmlichen Sachen auffährt, könnte es sein, dass ihr Kunden abspringen. Kunden, die dann bei Derrick einkaufen.
Das muss Gan um jeden Preis verhindern.
Gan erhebt sich mit einem Ruck. Als sie dieses Mal Sterne sieht, reibt sie sich solange die Augen, bis sie alle verschwinden. Auf dem Weg ins Erdgeschoss fällt ihr Blick in den Spiegel an der Wand. Ihre Haare haben ihre natürliche schokoladenbraune Farbe. Die Pickel auf ihrer Stirn leuchten stärker denn je. Gan fletscht die Zähne.
„Das werde ich ihm alles heimzahlen!“
Gan stürmt durch ihre Küche in den Verkaufsraum. Ihr Stampfen weckt Sheriff, der in seinem Korb ein Nickerchen gemacht hat.
„So!“, verkündet sie und wirft einen zweiten Blick auf die Uhr. Es ist 5 nach 5. „Ich gehe!“
Sie kämmt sich die Haare mit den Fingern und setzt ihren Hexenhut auf. Anschließend drückt Gan einen geheimen Knopf unter dem Lichtschalter. Dadurch öffnet sich der Boden und ein langer Hebel kommt zum Vorschein. Einer wie die, mit denen man Weichen stellt. Momentan ist er auf ganz links eingestellt. Auf Welt 1. Ihre eigene Welt. Je weiter Gan den Hebel nach rechts stellt, umso weiter entfernt ist die Welt, in die sie reist. Neben dem Schalter an der Wand ist eine Plakette angebracht. Auf ihr hat Gan die erkundete Welten vermerkt und dazu, welche Spezialzutaten sich dort auftreiben lassen. In etwa einem Viertel der 1344 Welten ist sie schon gewesen.
Gan schnappt sich ihren Korb und fährt mit dem Zeigefinger über die Plakette.
„Heute ist keine Zeit für Spielchen...“, sagt sie. „Hm, die 525. Welt hört sich doch gut an.“ Welt 525 ist ein Ort, der über und über mit riesigen Pilzen bewachsen ist. Die einzigen Bewohner sind kleine Männchen mit langen Bärten und Feenflügeln. Sie nennen sich selbst Halapukki. Sie haben Gan bei ihrem ersten Besuch eine Sorte leuchtender Pilze gezeigt. Eine blaue Morchelart, die auf sandigem Boden wächst und süß-sauer-scharf schmeckt. Frisch geschnitten, in der Pfanne angebraten und dann zerkleinert eignen sie sich hervorragend als Garnitur für Vanille-Tartelettes.
Gans Entschluss ist gefasst.
Sie stellt den Hebel auf 70,31 Grad ein.
Gans Ladentür leuchtet auf. Erst blau, dann rot, schließlich gelb. Seltsame Geräusche sind auf der anderen Seite zu hören. Rauch dringt aus dem Türspalt. Knapp eine Minute dauert das Spektakel, dann ist die Weltentür arretiert.
„Will jemand mitkommen?“, fragt Gan ihren Hund und ihre Katze. Beide scheinen vom Angebot ihres Frauchens nicht sonderlich begeistert zu sein. Sheriff legt die Pfote über die Schnauze, Claudette, die auf den Tresen gesprungen ist, hüpft auf den Boden und läuft zurück in Gans Bett.
„Ok, dann eben nicht!“, sagt Gan und zuckt mit den Schultern.
Sie öffnet die Tür. Auf der anderen Seite ist nichts als Schwärze zu sehen. Durch die Tür zu gehen, hat Gan am Anfang einiges an Überwindung gekostet. Nun ist es zur Routine geworden.
Gan schreitet in das schwarze Loch.
Just in diesem Moment tritt Derrick aus dem Schatten. Als Sheriff nach ihm schnappen will, wirft er ihm eine Kugel in den Rachen. Sheriff beißt zu und schläft augenblicklich ein. Um Sheriffs Bellen schert sich Claudette wenig. Sie sieht es nicht ein, ihren gemütlichen Platz unter Gans Decke wegen des Hundes aufzugeben.
Derrick wartet einen Moment. Dann schleicht er sich zum Hebel von Gans Tür und rückt ihn so lange nach rechts, bis es Click macht.
Derrick grinst schelmisch. Mit seinem Cupcake hat er auch Gans Fähigkeit gelöscht, fremde Magie zu spüren. Zumindest für eine Weile. Lange genug, um sich einer Rivalin zu entledigen.