Читать книгу Wettstreit der purpurnen Raben - Florian Rattinger - Страница 13
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ОглавлениеAn Gan ziehen tausende bunter Farben vorbei. Sie geht weiterhin geradeaus, bis zum grellen Licht am Ende des Tunnels.
Gan freut sich darauf, den Ältesten der Halapukki zu treffen. Das erste Mal als Gan diese Welt betreten hat, sind die Halapukki aus Angst vor Claudette reihenweise in Ohnmacht gefallen. Erst als Claudette den zehn Zentimeter großen Bergtroll gefressen hat, der die Tochter des Ältesten entführt hatte, hatte sich die Situation entspannt. Seither sind Gan und Claudette gern gesehene Gäste in der 525. Welt. Das letzte Mal ist Gan vor sechs Monaten hier gewesen. Der Älteste wird sicher bedauern, dass Claudette heute nicht mitgekommen ist.
Aus dem weißen Rechteck am Ende des Tunnels kommt warmes Licht. Gan sonnt sich einen Moment darin, dann tritt sie ein.
Gan weiß sofort, dass etwas nicht stimmt. Statt einen Schritt auf festem Boden zu machen, finden ihre Füße nichts als Leere.Gan verpasst den Moment, in dem sie sich noch hätte retten können. Ein unsichtbarer Sog ergreift von ihr Besitz und zieht sie hinein in einen fremden Raum. Sie fällt in ein Meer aus Finsternis. Nach einer Weile färbt sich die Schwärze. Bunte Schlieren und Punkte erscheinen. Gan ist in Sternenmilch gefangen.
„Was ist hier los?“, blinkt es in roten Buchstaben vor Gans geistigem Auge. Ihr Hexenhut hebt ab und schwebt davon. Gan versucht zu schwimmen, doch kommt nicht vom Fleck. Stattdessen driftet sie immer weiter von ihrer rettenden Ladentür weg.
Gan tritt unsichtbare Wellen los, die runde Kreise durch die Schwärze ziehen. Sterne bewegen sich aufeinander zu, stoßen zusammen und explodieren in gleißendem Licht. Violette Staubfontänen schießen in alle Richtungen. Die Explosionen lassen schwarze Löcher entstehen, die wiederum mehr leuchtende Punkte anziehen und fressen.
Warme Funken kitzeln auf Gans Haut. Die bebenden Sterne haben kaum Einfluss auf sie. Sie ist eine Gigantin im endlosen Kosmos.
„Habe ich die Tür etwa falsch eingestellt?“, fragt sie sich. „Oder hatte sie eine Fehlfunktion? Bin ich etwa im Raum zwischen den Welten gelandet?“
Um das zu verhindern, hat Gan in den Mechanismus ihrer Tür eigentlich eine spezielle Feder eingebaut, die kein fragwürdiges Winkelmaß zulässt. Über den Raum zwischen den Dimensionen ist nur wenig bekannt. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, ist nicht zu unterschätzen. Noch kann Gan atmen, aber das kann sich jederzeit ändern.
„Ich muss zurück – und zwar schnell!“
Gan versucht es weiter mit schwimmen, doch damit erreicht sie nur, dass sich die Sternenexplosionen beschleunigen. Immer mehr schwarze Löcher entstehen.
„Das ist nicht gut!“
Dann hat Gan einen Geistesblitz!
Sie zückt ihren Zauberstab.
„Wenn ich einen mächtigen Zauber hexe, kann mich der Rückstoß vielleicht zurück zur Tür katapultieren!“
Gan stellt sich vor, eine Rakete zu sein, als sie ihren Stab ausstreckt und ruft: „Hokus Krokus!“
Lila Funken schießen aus der Spitze des Stabs. Gan hat mit einem Blitz gerechnet.
Statt sich in einer geraden Linie auf ihre Tür zuzubewegen, beginnt Gan sich zu drehen. Oben, unten, rechts und links verschmelzen zu einer Richtung. Gan bekommt einen Drehwurm.
„PLARGH!“
Gans Magie reicht nicht aus, um anständig zu zaubern.
Plötzlich schwebt eine kleine rechteckige Karte aus ihrer Hosentasche. Gan wirbelt so schnell um die eigene Achse, dass sie Schwierigkeiten hat, den Text auf der Karte zu lesen. In einer Ecke des Kärtchens ist allerdings ein Logo gedruckt, das Gan eindeutig jemandem zuordnen kann.
Das Symbol besteht aus zwei ineinander verschlungenen Buchstaben. Einem D und einem S. Dulce Sueños. Derricks Laden.
„ER WAR DAS!“, knurrt Gan.
Gan ist schleierhaft, wie Derrick es angestellt hat, seine Visitenkarte in ihre Hosentasche zu schmuggeln. Geschweige denn, wie er sich an ihrer Tür zu schaffen gemacht hat. Die Visitenkarte ist ein deutlicher Gruß von Gans Erzrivalen, der sagt: „Ällerbätsch. Bin gespannt, wie du aus der Patsche wieder herauskommst.“
„Wenn ich Derrick in die Finger bekomme, werde ich ihm den Kopf an den Hintern hexen!“
Momentan hat Gan jedoch andere Sorgen. Sie treibt immer mehr von ihrer Weltentür weg.
Gan versucht es ein weiteres Mal mit einem Zauber, aber damit ändert sie nur die Richtung, in die sie sich dreht.
„Verflixt, verflixt, verflixt!“
Sie feuert fünf Zauber ab, bevor sie aufgibt. Mittlerweile dreht sich Gan der Magen um. Sie schließt ihre Augen. Auf diese Weise ist der Schwindel nicht mehr ganz so schlimm.
„Okay, was machen?“
Heiße Funken von der Explosion Hunderter Sterne kitzeln an ihrer Wange.
Plötzlich surrt etwas an ihrem Ihr Ohr vorbei.
Gan fällt es schwer, die Quelle des Geräusches auszumachen. Dann aber sieht sie es.
„Was ist das?“, fragt sich Gan.
Leuchtende Kugeln düsen durch die Schwärze. Die Kugeln scheinen, miteinander zu spielen. Sie machen Schleifen, umkreisen sich, fliegen Zickzack.
„HEY, HEY, HEY!“, ruft Gan. Sie versucht, die Aufmerksamkeit der surrenden Kugeln auf sich zu lenken. Eine bleibt plötzlich stehen. Sie hüpft einen Moment auf der Stelle, doch dann schließt sie wieder zu ihren Freunden auf.
„Mist!“, denkt Gan. Der Abstand zum Portal nach Hause vergrößert sich immer mehr.
Sie versucht es erneut mit Schwimmen, da erscheint plötzlich eine weitere dieser leuchtenden Kugeln. Im Gegensatz zu den anderen, ist sie viel kleiner. Sie leuchtet in einem freundlichen Pink.
„HEY, DU DA! KOMM HER!“
Gan brüllt sich die Seele aus dem Leib.
Die pinke Kugel fliegt nach rechts, dann nach links. Sie scheint Gans Rufe nicht zu bemerken.
„Die darf mir nicht entkommen!“, denkt Gan und zückt ihren Stab. Sie versucht, den mickrigen Rest ihrer Magie auf einen letzten Zauber zu konzentrieren. Gan bekommt dadurch heftige Kopfschmerzen.
„HOKUS KRÖSUS!“, ruft Gan und verschießt einen dunkelpurpurnen Blitzball aus der Spitze ihres Zauberstabs. Gans Zauber verwandelt sich sofort in dunklen Rauch.
Die leuchtende Kugel hüpft aufgeregt hin und her. Sie macht eine Spirale, dann ändert sie ihre Richtung und fliegt direkt auf Gan zu.
„Hat das funktioniert?“, fragt sie sich.
Hunderte Sterne um sie herum prallen zusammen und bedecken Gans Haut mit wärmenden Funken. Die leuchtende Kugel kommt näher. Dabei wird sie auch immer größer. Ohne einen Schimmer zu haben, was sie machen soll, öffnet Gan ihre Arme, um die Kugel zu fangen.
Die Kugel prallt gegen ihre Brust. Gan stößt Luft aus und kann auf einmal keine Neue mehr ansaugen. Die pinke Kugel drückt sich fest in Gans Umarmung.
Gan bewegt sich vorwärts. Oder eher rückwärts. Hin zu ihrer Tür.
Sie versucht, die Richtung, in die sie gestoßen wird zu steuern. Die pinke Kugel verleiht ihr den ersehnten Raketenantrieb.
Gleichzeitig kämpft Gan damit, nicht ohnmächtig zu werden.
„Nur noch ein bisschen, nur noch ein bisschen“, denkt sie.
Bevor Gan erfährt, ob ihr Manöver geglückt ist, geht ihr der Sauerstoff aus und sie verliert das Bewusstsein.