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|6|2. Klärung der Methodik
anhand des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11b–32)

2.1 Einführung

Im Sinne neuerer Erzähltheorien lässt sich eine schriftlich vorliegende Erzählung als Text definieren, durch den eine Erzählerin oder ein Erzähler mit bestimmten Adressaten im Erzählvorgang so kommuniziert, dass ein aus diversen, aufeinander folgenden Ereignissen bestehendes Geschehen zur Darstellung kommt.[25] Demgemäß können Erzählungen generell auf den drei Ebenen des Erzählvorgangs, des dargestellten Geschehens und des Textes auf ihre jeweilige Eigenart hin untersucht werden.[26]

Für die Gliederung einer Erzählung ist naturgemäß die Analyse auf der Textebene entscheidend. Allerdings muss eine derartige Textanalyse die geschilderten Ereignisse[27] und die mittels der Erzählung vollzogene Kommunikation insoweit berücksichtigen, als sie sich im Text selbst widerspiegeln. Andererseits zeitigt nicht jeder auf der Textebene denkbare Untersuchungsschritt Ergebnisse, die zu einer Gliederung beitragen. Hilfreich dürften diejenigen Verfahren sein, die das Gesamtgefüge einer Erzählung hinsichtlich seines inhaltlichen Zusammenhangs oder seines gestalterischen Zusammenhalts in den Blick nehmen, die also darauf angelegt sind, überblicksweise zu klären, »was« und »wie« erzählt wird[28].

Beide Leitfragen sind der Klarheit halber zu differenzieren: In Bezug auf den Inhalt gilt es zu erheben,

a) wovon die Erzählung handelt und

b) welche Welt sie dabei aufbaut;

in Bezug auf ihre äußere Gestalt muss man ermitteln,

c) in welcher Weise sie dargeboten wird und

d) welche sprachlichen Mittel dabei eingesetzt werden.

Es geht also darum, eine Erzählung in der Ausrichtung einerseits auf (a) ihr Thema und (b) ihr narratives Inventar, andererseits auf (c) den sie prägenden Erzählstil und (d) ihre Sprache zu gliedern.

|7|In einem Schema lassen sich diese analytischen Zugänge wie folgt darstellen:


Im Folgenden sollen die den genannten vier Aspekten entsprechenden Analyseverfahren der Reihe nach vorgestellt, auf ihre Sachgemäßheit geprüft und hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen ausgewertet werden. Dazu werden sie exemplarisch auf einen Text angewendet, der bekannt und übersichtlich ist, zugleich aber – wie die Auslegungsgeschichte zeigt – interpretatorische Fragen aufgibt und daher eine eingehende Untersuchung lohnt: das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11b–32). Anschließend sind die Ergebnisse der Analysen miteinander zu vergleichen, um auf dieser Basis ein geeignetes Verfahren zur Gliederung neutestamentlicher Erzählungen zu entwickeln.

Damit die weiteren Ausführungen leichter nachzuvollziehen sind, sei die Erzählung aus Lk 15 nachstehend synoptisch in ihrem griechischen Wortlaut[29] und einer möglichst wortgetreuen deutschen Übersetzung[30] dargeboten.

|8|Lk 15,11b–32: griechischer Text (NT Graece28)

11 …· ἄνθρωπός τις εἶχεν δύο υἱούς.
12 καὶ εἶπεν ὁ νεώτερος αὐτῶν τῷ πατρί· πάτερ, δός μοι τὸ ἐπιβάλλον μέρος τῆς οὐσίας. ὁ δὲ διεῖλεν αὐτοῖς τὸν βίον.
13 καὶ μετ’ οὐ πολλὰς ἡμέρας συναγαγὼν πάντα ὁ νεώτερος υἱὸς ἀπεδήμησεν εἰς χώραν μακρὰν καὶ ἐκεῖ διεσκόρπισεν τὴν οὐσίαν αὐτοῦ ζῶν ἀσώτως.
14 δαπανήσαντος δὲ αὐτοῦ πάντα ἐγένετο λιμὸς ἰσχυρὰ κατὰ τὴν χώραν ἐκείνην, καὶ αὐτὸς ἤρξατο ὑστερεῖσθαι.
15 καὶ πορευθεὶς ἐκολλήθη ἑνὶ τῶν πολιτῶν τῆς χώρας ἐκείνης, καὶ ἔπεμψεν αὐτὸν εἰς τοὺς ἀγροὺς αὐτοῦ βόσκειν χοίρους,
16 καὶ ἐπεθύμει χορτασθῆναι[a] ἐκ τῶν κερατίων ὧν ἤσθιον οἱ χοῖροι, καὶ οὐδεὶς ἐδίδου αὐτῷ.
17 εἰς ἑαυτὸν δὲ ἐλθὼν ἔφη· πόσοι μίσθιοι τοῦ πατρός μου περισσεύονται ἄρτων, ἐγὼ δὲ λιμῷ ὧδε ἀπόλλυμαι.
18 ἀναστὰς πορεύσομαι πρὸς τὸν πατέρα μου καὶ ἐρῶ αὐτῷ· πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου,
19 οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου· ποίησόν με ὡς ἕνα τῶν μισθίων σου.
20 καὶ ἀναστὰς ἦλθεν πρὸς τὸν πατέρα ἑαυτοῦ. Ἔτι δὲ αὐτοῦ μακρὰν ἀπέχοντος εἶδεν αὐτὸν ὁ πατὴρ αὐτοῦ καὶ ἐσπλαγχνίσθη καὶ δραμὼν ἐπέπεσεν ἐπὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ κατεφίλησεν αὐτόν.
21 εἶπεν δὲ ὁ υἱὸς αὐτῷ· πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου, οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου.
22 εἶπεν δὲ ὁ πατὴρ πρὸς τοὺς δούλους αὐτοῦ· ταχὺ ἐξενέγκατε στολὴν τὴν πρώτην καὶ ἐνδύσατε αὐτόν, καὶ δότε δακτύλιον εἰς τὴν χεῖρα αὐτοῦ καὶ ὑποδήματα εἰς τοὺς πόδας,
23 καὶ φέρετε τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, θύσατε, καὶ φαγόντες εὐφρανθῶμεν,
24 ὅτι οὗτος ὁ υἱός μου νεκρὸς ἦν καὶ ἀνέζησεν, ἦν ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη. καὶ ἤρξαντο εὐφραίνεσθαι.
25 Ἦν δὲ ὁ υἱὸς αὐτοῦ ὁ πρεσβύτερος ἐν ἀγρῷ· καὶ ὡς ἐρχόμενος ἤγγισεν τῇ οἰκίᾳ, ἤκουσεν συμφωνίας καὶ χορῶν,
26 καὶ προσκαλεσάμενος ἕνα τῶν παίδων ἐπυνθάνετο τί ἂν εἴη ταῦτα.
27 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ ὅτι ὁ ἀδελφός σου ἥκει, καὶ ἔθυσεν ὁ πατήρ σου τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, ὅτι ὑγιαίνοντα αὐτὸν ἀπέλαβεν.
28 ὠργίσθη δὲ καὶ οὐκ ἤθελεν εἰσελθεῖν, ὁ δὲ πατὴρ αὐτοῦ ἐξελθὼν παρεκάλει αὐτόν.
29 ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν τῷ πατρὶ αὐτοῦ[b]· ἰδοὺ τοσαῦτα ἔτη δουλεύω σοι καὶ οὐδέποτε ἐντολήν σου παρῆλθον, καὶ ἐμοὶ οὐδέποτε ἔδωκας ἔριφον ἵνα μετὰ τῶν φίλων μου εὐφρανθῶ
30 ὅτε δὲ ὁ υἱός σου οὗτος ὁ καταφαγών σου τὸν βίον μετὰ πορνῶν ἦλθεν, ἔθυσας αὐτῷ τὸν σιτευτὸν μόσχον.
31 ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ· τέκνον, σὺ πάντοτε μετ’ ἐμοῦ εἶ, καὶ πάντα τὰ ἐμὰ σά ἐστιν·
32 εὐφρανθῆναι δὲ καὶ χαρῆναι ἔδει, ὅτι ὁ ἀδελφός σου οὗτος νεκρὸς ἦν καὶ ἔζησεν, καὶ ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη.

|9|Lk 15,11b–32: deutscher Text (eigene Übersetzung)

11 …: Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sagte dem Vater: »Vater, gib mir den (mir) zustehenden Teil des Gutes.« Er aber teilte ihnen das Eigentum zu.
13 Und nach wenigen Tagen, als er alles zusammengeholt hatte, zog der jüngere Sohn fort in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Gut mit heilloser Lebensweise.
14 Nachdem er aber alles ausgegeben hatte, kam eine schwere Hungersnot über jenes Land, und er begann zu darben.
15 Und er ging hin und unterstellte sich einem der Bürger jenes Landes, und der schickte ihn auf seine Felder zum Schweinehüten.
16 Und er gierte danach, asatt zu werden[a-a] von den Schoten, die die Schweine fraßen, und niemand gab ihm (zu essen).
17 Er aber ging in sich und sagte: »Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, doch ich komme hier vor Hunger um.
18 Ich will mich aufmachen, zu meinem Vater gehen und ihm sagen: ›Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir,
19 ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden; mache mich wie einen deiner Tagelöhner.‹«
20 Und er machte sich auf und ging zu seinem eigenen Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde von Mitleid ergriffen, lief (hin) und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sagte ihm: »Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.«
22 Aber der Vater sagte zu seinen Dienern: »Schnell, holt das beste Gewand heraus und kleidet ihn ein, und gebt (ihm) einen Ring an seine Hand und Schuhe an die Füße,
23 und holt das Mastkalb, schlachtet es, und lasst uns essen und feiern;
24 denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist gefunden worden.« Und sie begannen zu feiern.
25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld; und als er (heim)kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz;
26 und er rief einen der Burschen herbei und erkundigte sich, was dies sei.
27 Der aber sagte ihm: »Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das Mastkalb geschlachtet, weil er ihn gesund zurückerhalten hat.«
28 Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Doch sein Vater kam heraus und redete ihm zu.
29 Er aber antwortete und sagte seinem[b] Vater: »Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich dein Gebot übertreten – und mir hast du niemals eine Ziege gegeben, auf dass ich mit meinen Freunden feiere;
30 als aber dein Sohn da, der dein Eigentum mit Huren aufgezehrt hat, kam, hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.«
31 Er aber sagte ihm: »Kind, du bist allezeit bei mir, und alles was mein ist, ist dein;
32 (jetzt) aber war es nötig, zu feiern und fröhlich zu sein, denn dein Bruder da war tot und ist lebendig geworden, und (er war) verloren und ist gefunden worden.«
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