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KAPITEL 6

Dein zu sein und dich zu lieben,

in guten wie in bösen Tagen,

in Armut und Reichtum, gesund oder krank,

bis dass der Tod uns scheidet.

(Trauliturgie der Anglikanischen Kirche)

Es gelang Michael einfach nicht, Angel zu vergessen. Sosehr er auch versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, immer wieder wanderten seine Gedanken zu ihr. Warum nur? Woher kam dieses bohrende Gefühl, dass ihr irgendetwas passiert war? Jeden Tag arbeitete er bis nach Sonnenuntergang, und wenn er dann vor seinem Kamin saß, sah er in den Flammen ihr Gesicht, das ihn bittend ansah. Wohin wollte sie ihn locken? Zu sich in ihre Hölle. Oder war das hier schon die Hölle?

Er sah sie wieder vor sich, wie sie auf der Straße an ihm vorbeigegangen war an jenem ersten Tag, ein Bild tragischer Einsamkeit. Aber jetzt wusste er, dass sie ein Herz aus Stein hatte. Nein, nie wieder würde er zu ihr gehen!

Aber wenn er dann endlich einschlief, war sie wieder da, in seinen Träumen, und wenn er die Arme nach ihr ausstreckte, wich sie aufreizend zurück. Du willst mich, Michael, nicht wahr? Dann komm zurück. Komm zurück.

Nach ein paar Tagen wurden aus den Träumen Albträume. Sie war auf der Flucht vor irgendetwas. Er rannte hinter ihr her, rief ihr zu, sie solle anhalten, aber sie lief weiter, bis sie zu einem Abgrund kam. Jetzt endlich drehte sie sich zu ihm um. Der Wind peitschte ihr goldenes Haar um ihr weißes Gesicht.

Mara, warte!

Sie wandte sich ab, breitete ihre Arme weit aus und sprang.

„Nein!“ Er schrak hoch, schweißüberströmt und keuchend, sein Herz hämmerte. Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Jesus“, flüsterte er in die Dunkelheit hinein. „Jesus, erlöse mich von diesen Träumen.“ Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe?

Er ging zur Tür, öffnete sie und ließ sich gegen den Türrahmen sinken. Draußen regnete es wieder. „Ich wäre doch verrückt, wenn ich wieder zu ihr ginge“, sagte er laut. „Verrückt.“ Er schaute wieder zum dunklen, weinenden Himmel hoch. „Aber genau das willst du, Herr, nicht wahr? Und du wirst mir keine Ruhe lassen, bis ich es tue.“

Er rieb sich aufseufzend den Nacken. „Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, aber nun denn, ich fahre wieder hin.“ Er ging zurück ins Bett und schlief zum ersten Mal seit mehreren Tagen wieder tief und traumlos.

Am Morgen war der Himmel klar. Michael belud seinen Wagen und spannte die Pferde an. Als er spät am Nachmittag nach Pair-a-Dice kam, schaute er zu Angels Fenster hoch. Der Vorhang war zugezogen. Er spürte einen harten Knoten in seinem Magen. Natürlich, sie arbeitete.

Herr, du hast gesagt, ich soll deinen Willen tun, und ich versuche es, ehrlich. Aber warum muss das so wehtun? Ich brauche eine Frau, und ich habe auf die gewartet, die du mir geben wirst. Warum bin ich jetzt wieder in diesem elenden Loch und schaue zu ihrem Fenster hoch und höre mein Herz bis zum Hals klopfen? Sie will doch gar nichts mit mir zu tun haben!

Er zog die Schultern hoch und fuhr weiter, um seine Geschäfte zu tätigen. Ohne Gold würde er nicht zu ihr kommen. Vor Hochschilds Laden hielt er an, sprang vom Wagen und ging die Stufen zur Tür hoch. Im Fenster klebte ein Zettel: Geschlossen. Er klopfte trotzdem. Von drinnen kam Hochschilds Stimme mit einem Schwall von Flüchen, die einen Matrosen erblassen lassen hätten. Als er die Tür aufriss, verflog seine Wut.

„Michael! Wo warst du denn? Hab seit Wochen Ebbe im Laden, und du lässt dich nicht blicken!“ Er war unrasiert und halb betrunken, sein Hemd hing ihm aus der Hose. „Hast du ’ne anständige Ladung dabei? Dem Himmel sei Dank! Ist mir egal, ob’s verschimmelt oder voller Käfer ist, ich nehm’ alles.“

„Mit dir mache ich gerne Geschäfte“, grinste Michael. Er begann, die Kisten aufeinanderzustapeln und in den Laden zu tragen. „Du siehst schlecht aus. Bist du krank gewesen?“

Joseph lachte. „Zu viel Alkohol. Hast du’s eilig, oder hast du Zeit für ein Schwätzchen?“

„Heute nicht.“

„Willst wieder mein ganzes Geld im Palast durchbringen, wie? Ja, wir armen Männer, ohne Frauen können wir nicht sein.“ Hochschild sah Michaels Blick, stieß einen leisen Pfiff aus und wechselte das Thema. „Drei Meilen flussaufwärts sind sie wieder auf Gold gestoßen.“ Er erzählte die Einzelheiten. „Da kann ich glatt meine Preise erhöhen.“

Michael stellte die letzte Kiste auf die Theke. Angels Preis war sicher auch gestiegen. Hochschild zahlte und kratzte sich über seine grauen Bartstoppeln. Gewöhnlich konnte man mit Michael gut reden, aber heute sah er verbissen aus. „Hast du schon dein Vieh?“

„Noch nicht.“ Er hatte alles Gold, das er das letzte Mal verdient hatte, in Angel investiert. Vorsichtig schüttete er Hochschilds Goldstaub in seinen Gürtel.

„Es heißt übrigens, dass Angel zurzeit nicht zu haben ist“, sagte Joseph.

Ihr Name fuhr Michael wie ein Schwert durch die Brust. „So? Will sie sich ein bisschen rar machen?“

Hochschilds Augenbrauen gingen hoch und er schüttelte den Kopf. „Na, lassen wir das.“

Er folgte Michael nach draußen, wo er auf den Kutschbock sprang, grüßend an seinen Hut tippte und die Hauptstraße hinauffuhr. Ohne Goldstaub und gute Worte würde er Angel heute nicht sehen können. Er ließ die Pferde und den Wagen bei McPherson und ging zu Fuß zurück in die Stadt, um sich in einem Hotel gegenüber dem Palast einzumieten. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den dringenden Wunsch, sich hemmungslos zu betrinken. Er machte stattdessen einen langen Spaziergang, um sich abzukühlen und sich zurechtzulegen, was er Angel sagen wollte.

Es dämmerte schon, als er zurückkam, innerlich kein bisschen ruhiger. Vor dem Gold Nugget Saloon hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, um dem neuen Prediger zuzuhören, der Gottes Gericht mit Feuer und Schwefel kommen sah. Michael blieb am Rand der Menschentraube stehen und hörte eine Weile zu. Einmal warf er einen kurzen Blick auf Angels Fenster und sah aus dem Augenwinkel, wie eine Gestalt hinter dem Vorhang verschwand.

Eigentlich sollte er sofort hinübergehen und mit der Gräfin verhandeln. Sein Herz begann zu rasen, der Schweiß brach ihm aus. Nein, er würde noch etwas warten.

Jemand tippte ihm auf den Rücken. Er drehte sich um und sah eine verbraucht aussehende Frau, die ihn aus blutunterlaufenen Augen ansah. Ihr Haar war dunkel und lockig, und sie trug ein tief ausgeschnittenes grellgrünes Kleid.

„Ich bin Lucky“, sagte sie. „Angels Freundin.“ Sie war betrunken, ihre Worte klangen verschwommen. „Hab’ Sie von drüben aus gesehen.“ Sie nickte zum Palast hin. „Sie sind doch der, der Angel mitnehmen wollte, nicht?“

Die Wut schoss wie ein Buschfeuer in ihm hoch. „Was hat sie Ihnen noch alles erzählt?“

„Seien Sie nicht böse, Mister, kommen Sie einfach und fragen Sie sie noch mal.“

„Hat sie Sie geschickt?“ Stand sie vielleicht jetzt da oben hinter der Gardine und lachte ihn aus?

„Nein.“ Die Frau schüttelte energisch den Kopf. „Angel bittet niemanden um irgendwas.“ Tränen quollen ihr aus den Augen, sie wischte sich die Nase an ihrem Schultertuch ab. „Sie weiß überhaupt nicht, dass ich mit Ihnen rede.“ Lucky schaute zu ihm hoch. „Holen Sie sie da raus, Mister. Selbst wenn es Ihnen inzwischen egal ist, und auch ihr selbst, holen Sie sie raus, bitte!“

Sie drehte sich um und er packte ihren Arm, plötzlich besorgt. „Was ist mit ihr, Lucky? Was wollen Sie mir sagen?“

Sie wischte sich wieder über die Nase. „Ich muss zurück, bevor die Gräfin mich vermisst.“ Sie ging zurück über die Straße und um den Palast herum, um durch die Hintertür hineinzuschlüpfen.

Michael schaute zu Angels Fenster hoch. Hier war doch etwas faul. Sehr faul. Er ging über die Straße und durch die Schwingtüren des Palasts. Bis auf ein paar kartenspielende und trinkende Männer war der Saloon leer. Der Leibwächter, der sonst am Fuß der Treppe stand, war nicht da. Michael ging die Treppe hoch. Der Flur oben war leer und still. Zu still.

Angels Tür öffnete sich. Ein Mann kam heraus, gefolgt von der Gräfin. Sie sah Michael zuerst. „Was machen Sie hier oben? Ohne Anmeldung darf hier keiner rauf!“

„Ich möchte zu Angel.“

„Die arbeitet heute nicht.“

Er schaute auf die schwarze Ledertasche des Mannes. „Was ist mit ihr?“

„Nichts“, erwiderte die Gräfin scharf. „Sie macht ein paar Tage Pause. Und jetzt raus mit Ihnen!“ Sie versuchte ihm den Weg zu versperren. Er schob sie zur Seite und stürmte in das Zimmer.

Die Gräfin versuchte ihn aufzuhalten. „Bleiben Sie hier! Halten Sie ihn fest, Doc!“

Der Arzt sah sie verächtlich an. „Nein, Madam, das werde ich nicht tun.“

Michael stand schon am Bett. „Oh Gott …“

„Das war Magowan“, kam die ruhige Stimme des Arztes hinter seinem Rücken.

„Es war nicht meine Schuld!“ Die Gräfin wich ein paar Schritte zurück, als sie Michaels Blick sah. „Nicht meine Schuld!“

„Das stimmt“, sagte der Arzt. „Wenn sie nicht dazugekommen wäre, hätte er sie wahrscheinlich umgebracht.“

„Und jetzt gehen Sie endlich!“, sagte die Gräfin.

„Jawohl, ich gehe“, antwortete er. „Und Angel nehme ich mit.“

Angel spürte, wie jemand sie berührte. Die Gräfin keifte wieder. Angel wollte nichts mehr hören, nichts mehr fühlen, nie mehr. Aber da war jemand, so nah, dass sie die Wärme seines Atems fühlte. „Ich nehme dich mit“, sagte eine sanfte Stimme.

„Wie Sie wünschen, ich pack sie Ihnen als Geschenk ein“, sagte die Gräfin. „Aber erst zahlen Sie.“

„Haben Sie überhaupt keinen Anstand im Leib, Frau?“ Eine andere Männerstimme. „Das Mädchen hat Glück, wenn es am Leben bleibt …“

„Ach, Unkraut vergeht nicht, keine Bange! Ich kenne Angel, die kann was ab. Und umsonst kriegt er sie nicht. Und ich kann Ihnen noch was erzählen: Sie ist selbst schuld. Die kleine Hexe wusste genau, was sie tat, sie hat Bret provoziert! Seit dem Tag, an dem ich sie in San Francisco aus der Gosse gezogen habe, hab’ ich nichts als Scherereien mit ihr gehabt!“

„Sie kriegen Ihr Gold“, kam die Stimme, die Angel aus der Dunkelheit gezogen hatte. Jetzt klang sie zornig. Hatte sie wieder etwas falsch gemacht? „Aber verschwinden Sie besser von hier, bevor ich mich vergesse.“

Die Tür knallte zu und ein neuer Schmerzball in Angels Kopf explodierte. Sie stöhnte auf. Zwei Männerstimmen. Die eine sprach sie wieder an. „Bevor wir aufbrechen, möchte ich dich heiraten.“

Heiraten? Sie lachte wimmernd auf.

Jemand nahm ihre Hand. Erst dachte sie, es sei Luckys Hand, aber die war klein und weich, und diese hier war groß und fest, die Haut schwielig. „Sag einfach Ja.“

Nun ja, sie würde den Teufel persönlich heiraten, wenn das hieß, dass sie aus dem Palast herauskam. „Warum nicht?“, ächzte sie.

Dann trieb sie auf einem Meer von Schmerzen und leisen Stimmen dahin. Das Zimmer war voll von ihnen. Lucky war da und der Arzt und der andere Mann, dessen Stimme ihr halb bekannt vorkam, aber woher? Sie merkte, wie jemand ihr einen Ring über den Finger streifte, dann hob man ihren Kopf an, um ihr etwas Bitteres zu trinken einzuflößen.

Wieder eine Hand. Diesmal Luckys. „Sie richten gerade seinen Wagen her, damit er dich mitnehmen kann. Bei all dem Laudanum, das du getrunken hast, wirst du den ganzen Weg schlafen wie in Abrahams Schoß.“ Lucky streichelte ihr über das Haar. „Du bist jetzt eine verheiratete Dame, Angel. Er hatte einen Ehering dabei, an einer Kette um seinen Hals. Er sagt, es ist der Ring seiner verstorbenen Mutter. Er hat dir den Trauring seiner Mutter gegeben. Hörst du mich, Liebling?“

Angel wollte fragen, wen sie da gerade geheiratet hatte, aber war das wirklich wichtig? Sie spürte, wie der Schmerz nachließ und sie dafür immer müder wurde. Vielleicht würde sie ja doch noch sterben, dann wäre es endlich vorbei.

Sie hörte das Klingeln einer Flasche gegen ein Glas. Lucky trank wieder. Und weinte. Angel drückte schwach Luckys Hand. Lucky drückte zurück, leise schluchzend. „Angel.“ Sie strich über ihr Haar. „Was hast du bloß gesagt, dass Bret so etwas gemacht hat? Wolltest du etwa, dass er dich umbringt? Ist es wirklich so schlimm für dich?“ Sie streichelte weiter ihr Haar. „Bitte, Angel, gib nicht auf.“

Angel ließ sich in die wohlige Dunkelheit sinken. Lucky sprach weiter, wie aus weiter Ferne. „Ich werde dich vermissen, Angel. Wenn du da draußen vor deinem Blockhaus sitzt, mit den Kletterrosen an der Veranda, denkst du dann auch mal an mich? Vergisst du dann auch nicht deine alte Freundin, deine Lucky?“

Die Liebe ist stark

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