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KAPITEL 7

Neben dem Brunnen liege ich

und sterbe vor Durst.

(Charles d’Orléans)

Langsam kam Angel zu sich, geweckt von köstlichem Essensduft. Sie wollte sich aufsetzen – und keuchte auf vor Schmerz.

„Vorsicht“, sagte eine Männerstimme. Ein starker Arm glitt unter ihre Schultern, hob sie sanft an, schob etwas unter ihren Nacken. „Der Schwindel geht gleich weg.“

Ihre Augen waren zugeschwollen. Nur durch einen schmalen Schlitz sah sie den Mann. Stiefel, Latzhose, ein rotes Hemd. Er stand über ein Feuer gebeugt und rührte in einem großen Topf.

Durch ein Fenster vor ihr strömte das Morgenlicht. Es tat in ihren Augen weh. Sie war in einer Hütte, die nicht viel größer zu sein schien als ihr Zimmer im Palast. Der Fußboden bestand aus groben Holzdielen, der Kamin aus bunten Natursteinen. Außer dem Bett konnte sie einen Tisch, vier voll gestellte Wandbretter, einen Korbstuhl, eine Kommode und eine große schwarze Truhe mit einem Deckenstapel darauf ausmachen.

Der Mann kam zurück und setzte sich auf die Bettkante. „Meinst du, dass du etwas essen kannst, Mara?“

Mara.

Sie erstarrte. Erinnerungsscherben kamen zurück in ihren Kopf. Magowans Angriff, die Stimmen um sie herum, jemand, der sie etwas fragte … Ihr Herz stolperte. Sie betastete ihre Finger. An einem war ein Ring. Das Pochen in ihrem Kopf wurde noch heftiger und sie murmelte einen Fluch. Mein Gott, ausgerechnet er.

„Es ist Fleischbrühe. Du musst hungrig sein.“

Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, wo er sich seine Suppe hinstecken konnte, aber der beißende Schmerz in ihrem Unterkiefer hielt sie auf. Michael Hosea stand auf und ging zurück zum Feuer. Als er wiederkam und sich setzte, hatte er eine Schüssel und einen Löffel dabei. Er wollte sie füttern! Sie fluchte erneut und versuchte, ihren Kopf abzuwenden, aber selbst dieses Manöver war zu viel.

„Ich freue mich, dass es dir besser geht“, sagte er trocken. Sie presste die Lippen trotzig zusammen. Ihr Magen knurrte. „Gib dem Wolf in deinem Bauch etwas zu essen, Mara, dann kannst du besser mit dem Wolf kämpfen, der vor deiner Tür steht.“

Sie gab nach; sie fühlte sich tatsächlich halb verhungert. Die Suppe, die er ihr einflößte, war besser als alles, was Henri je zustande gebracht hatte. Das Pochen in ihrem Kopf ließ nach, aber ihr Kiefer tat entsetzlich weh. Ein Arm schien in einer Schlinge zu liegen.

„Deine Schulter war ausgerenkt“, erklärte Michael. „Du hast vier gebrochene Rippen, einen Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung. Ob du auch innere Verletzungen hast, konnte der Arzt nicht sagen.“

Die Anstrengung des Aufsitzens ließ ihr den Schweiß ausbrechen. Sie sprach langsam und undeutlich. „Jetzt hast du mich also, du Glückspilz. Wohnst du hier?“

„Ja.“

„Wie bin ich hierhergekommen?“

„Auf meinem Wagen. Joseph hat mir geholfen, eine Hängematte reinzuhängen, damit ich dich aus dem Palast fortschaffen konnte.“

Sie betrachtete den einfachen Goldring an ihrem Finger und ballte ihre Hand zur Faust. „Wie weit bin ich von Pair-a-Dice weg?“

„Ein ganzes Leben.“

„Ich meine, in Meilen.“

„Dreißig. Wir sind nordwestlich von New Helvetia.“ Er bot ihr den nächsten Löffel an. „Iss noch, du musst was auf die Rippen kriegen.“

„Hab ich nicht genug Fleisch für deine Ansprüche?“

Er antwortete nicht.

Angel wusste nicht, ob er die Spitze gerade verstanden hatte oder nicht. Aber war es nicht unklug, wenn sie ihn womöglich wütend machte, jetzt, in diesem Zustand? Sie schluckte noch ein paar Löffel von der Suppe und versuchte, ihre Angst nicht zu zeigen. Michael ging zurück zu dem Topf und füllte die Schüssel wieder. Dann setzte er sich an den kleinen Tisch und aß selbst.

„Seit wann bin ich hier?“, fragte sie.

„Seit drei Tagen.“

„Drei Tage?“

„Die meiste Zeit davon warst du bewusstlos. Du hattest hohes Fieber. Es ist erst gestern Nachmittag zurückgegangen. Kannst du dich an nichts erinnern?“

„Nein.“ Sie versuchte es gar nicht erst. „Ich muss dir wohl Danke sagen, dass du mir das Leben gerettet hast“, sagte sie bitter. Er aß weiter, schweigend. „Und was wird jetzt, Mister?“

„Wie meinst du das?“

„Na, was willst du von mir?“

„Erst einmal gar nichts.“

„Nur mit mir reden, nicht?“

Jetzt sah er sie an, und die Ruhe in seinem Blick machte sie noch unsicherer. Er stand auf und trat an das Bett, und ihr Herz hämmerte. „Ich werde dir nichts Böses tun, Mara“, sagte er sanft. „Ich liebe dich.“

Es war nicht das erste Mal, dass ein Mann behauptete, dass er sie liebte. „Wie schmeichelhaft für mich“, sagte sie. Er antwortete nicht, und sie krallte ihre Finger in die Decke. „Ich heiße übrigens nicht Mara, ich heiße Angel. Meinen Namen solltest du schon richtig hinkriegen, wenn du mir ein Fangeisen anlegst.“

„Du hattest gesagt, ich kann dich nennen, wie ich will.“

Die Männer hatten ihr schon oft andere Namen als Angel gegeben – schöne und weniger schöne. Aber sie wollte nicht, dass dieser Kerl sie anders nannte als Angel. Angel hatte er geheiratet, und etwas anderes als Angel würde er nicht bekommen.

„Der Name Mara kommt aus der Bibel“, sagte er. „Er steht im Buch Ruth.“

„Und da du so bibelfest bist, meinst du also, dass Angel zu gut für mich ist.“

„Das hat nichts mit gut zu tun. Angel ist nicht dein richtiger Name.“

„Angel ist das, was ich bin.“

Sein Gesicht wurde ernster. „Angel war eine Hure in Pair-a-Dice, und die gibt es nicht mehr.“

„Du kannst mich nennen, wie du willst, es ändert doch nichts.“

Er setzte sich auf die Bettkante. „Alles ist anders. Du bist jetzt meine Frau.“

Sie zitterte vor Schwäche, aber sie wehrte sich weiter. „Und du glaubst, das macht einen Unterschied? Wie denn? Du hast für mich bezahlt, wie immer.“

„Die Gräfin auszubezahlen schien mir der schnellste Weg zu sein, dich da rauszubekommen. Ich dachte nicht, dass dir das etwas ausmachen würde.“

„Oh nein, das macht gar nichts.“ Diese elenden Kopfschmerzen.

„Leg dich besser wieder hin.“

Sie hatte nicht die Kraft zu protestieren, als er seinen Arm um sie legte und die Stütze unter ihrem Nacken wegzog. Die raue Haut seiner Hand streifte warm gegen ihre bloße Haut. „Streng dich nicht zu sehr an“, sagte er und zog die Decke wieder hoch.

Sie versuchte, sein Gesicht richtig zu sehen. Es ging nicht. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn du noch etwas warten musst. Hab noch nicht genug Kraft, um mich gebührend dankbar zu zeigen.“

Sie hörte das Lächeln in seiner Antwort. „Ich bin ein geduldiger Mensch.“ Seine Fingerspitzen berührten sanft ihre feuchte Stirn. „Ich hätte dich doch nicht so lange aufrecht sitzen lassen sollen, mehr als ein paar Minuten schaffst du noch nicht.“ Sie wollte widersprechen, aber es hatte natürlich keinen Zweck. „Wo tut es am meisten weh?“

„Du brauchst mich nirgends anzufassen, danke.“ Sie schloss die Augen. Wie schön wäre es zu sterben, damit die Schmerzen für immer vorbei waren … Er berührte ihre Schläfe, und sie zog scharf die Luft ein.

„Ganz ruhig.“ Seine Berührung war weder aufdringlich noch grob, und sie entspannte sich. „Übrigens“, fuhr er fort, „ich heiße Michael. Michael Hosea, falls du es vergessen haben solltest.“

„Ja, hatte ich“, log sie.

„Michael. Kann man sich gut merken.“

„Wenn man will, ja.“

Er lachte leise. Sie wusste, dass sie an dem letzten Abend im Bordell gezielt und getroffen hatte. Warum hatte er sie überhaupt zu sich geholt? Als er damals zur Tür hinausgegangen war, hatte sie nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Warum war er zurückgekommen? Was hatte er denn von ihr – in diesem Zustand?

„Warum bist du zurückgekommen?“

„Weil Gott mich geschickt hat.“

Der Mann war verrückt! Klar, das war es. Total verrückt.

„Versuch nicht zu viel zu denken. Vor dem Fenster singt gerade eine Spottdrossel, hörst du?“

Seine Hände waren so sanft. Sie lauschte dem Vogel, und der Schmerz ließ nach. Michael redete weiter, und sie wurde schläfrig. Sie hatte alle möglichen Männerstimmen gehört in ihrem Leben, aber keine wie diese – so tief, so friedlich, so beruhigend.

Sie war müde, todmüde. „Erwartet besser nicht zu viel, du und dein Gott“, murmelte sie.

„Ich erwarte alles.“

„Ja, das ist dein ständiger Spruch.“ Sollte er hoffen, was er wollte, und bitten, was er wollte … er würde nur das kriegen, was am Ende von ihr übrig war, und das war – nichts.

Die Liebe ist stark

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