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KAPITEL 4

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht;

sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

Römer 7,19

Er kam wieder, am nächsten Abend und am übernächsten, und jedes Mal wuchs Angels Unruhe mehr. Er redete und redete, und sie spürte, wie die Verzweiflung sie packen wollte. Wusste sie nicht genau, dass man niemandem trauen durfte in dieser Welt? Hatte sie nicht ihre Lektion gelernt? Hoffnung – das war eine Traumblase, und wenn sie sich für sie öffnete, würde ihr Leben zur Hölle werden. Nein, sie würde sich nicht wieder von Worten und Versprechungen blenden lassen. Sie würde niemandem mehr glauben, der ihr vorgaukelte, dass er ihr etwas Besseres bieten konnte als das, was sie hatte.

Aber sie konnte sie nicht abschütteln, die Anspannung, die sie spürte, wenn sie ihre Tür öffnete und diesen Mann sah. Er fasste sie nicht an, malte nur schöne Wortbilder aus Wunschträumen und Freiheit, die den alten Hunger ihrer Kindheit wiedererweckten. Er hatte nie wirklich aufgehört, dieser Hunger, aber jedes Mal, wenn sie versucht hatte, ihn zu stillen, war nur eine neue Katastrophe gekommen. Das letzte Mal hatte er sie von Duke fort und in dieses elende Loch geführt.

Nun, sie hatte es schließlich begriffen: Es würde nie besser werden, es konnte allerdings immer noch schlechter werden. Am besten ergab man sich in sein Schicksal und übte das Überleben.

Warum nur bekam dieser Mann es nicht in seinen Dickschädel hinein, dass sie ihm nicht folgen würde, ihm nicht und keinem anderen Mannsbild? Warum gab er es nicht endlich auf und ließ sie in Ruhe?

Immer wieder kam er und umgarnte sie, dass sie halb verrückt wurde. Er war nicht glatt und charmant wie Johnny. Nicht brutal wie Duke. Auch nicht wie die hundert anderen, die mit ihr spielten und sie bezahlten. Er war wie überhaupt kein Mann, den sie bisher erlebt hatte, und das regte sie am meisten auf. Dieser Michael Hosea ließ sich ums Verrecken in keine der ihr bekannten Schubladen stecken.

Jedes Mal, wenn er gegangen war, versuchte sie ihn schnell wieder zu vergessen, aber irgendetwas an ihm ließ ihr keine Ruhe. In den unmöglichsten Augenblicken erwischte sie sich dabei, dass sie an ihn dachte, und sie musste sich zwingen, die Gedanken wegzuwischen. Bis zum nächsten Mal.

„Wer war denn das gestern Abend bei dir?“, fragte Rebecca, als die Mädchen zum Abendessen zusammensaßen.

Angel unterdrückte ihren Unmut und strich Butter auf ihr Brot. „Welcher?“, fragte sie und sah die vollbusige Rothaarige kurz an.

„Na, der Große, Gutaussehende, wer denn sonst?“

Angel biss in ihr Brot. Wen interessierte es denn, wie die Kunden aussahen? Nach einer Weile waren sie sowieso alle gleich.

„Nun komm schon, Angel“, sagte Rebecca ungeduldig. „Gestern Abend war er doch wieder bei dir, er war der Letzte, der ging. Hab ihn im Flur gesehen, als ich die Treppe raufging. Richtig groß, dunkles Haar, blaue Augen. Breite Schultern, kein Gramm Fett am Körper. Ganz wie ein Soldat. Als er mich angelächelt hat, hab ich’s bis in die Zehenspitzen gespürt.“

Lucky ließ den Eintopf stehen und wandte sich der Rotweinflasche zu. „Wenn ein pickliger Jüngling aus Nantucket dich anlächeln würde, würde es dir auch in den Zehen kribbeln.“

„Trink deinen Wein, ich hab nicht mit dir gesprochen“, sagte Rebecca verächtlich. Sie hatte keinen Sinn für Luckys Witze. Nun sah sie wieder Angel an. „Tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, wen ich meine! Du willst nur nicht über ihn reden.“

Angel funkelte sie an. „Ich weiß nichts über ihn, klar? Und jetzt möchte ich gern essen, wenn du nichts dagegen hast.“

Rebecca seufzte auf. „Angel, hab ein bisschen Erbarmen. Im letzten Monat hab ich einen grünen Knaben nach dem anderen entjungfert. Ich bräuchte zur Abwechslung mal ’nen richtigen Mann.“

Tory schob ihren Teller weg. „Wenn so einer in mein Zimmer käme, ich würde ihn einschließen und für mich behalten.“

Angel seufzte. Wenn sie sie nur alle in Ruhe lassen würden!

„Drei Abende hintereinander mit dir – der Mann muss echt Kohle haben.“

„Jedenfalls ist er kein Goldgräber, sondern Farmer.“

„Und wie heißt er?“, fragte Rebecca.

Musste der Kerl sie denn selbst dann verfolgen, wenn er nicht da war? Angel warf ihre Serviette auf den Tisch. „Jetzt reicht’s mir aber! Ich frage keinen Kunden nach seinem Namen! Ist mir scheißegal, wie die alle heißen! Ich gebe ihnen, was sie wollen, und dann gehen sie wieder und fertig.“

„Und warum kommt er dann dauernd zurück?“

„Das weiß ich nicht, und es ist mir auch egal.“

Lucky goss sich ein zweites Glas von dem Wein ein. „Rebecca, du bist ja nur neidisch, dass er nicht zu dir kommt.“

Rebecca sah sie giftig an. „Und wenn du weiter so säufst, setzt die Gräfin deinen Hintern vor die Tür!“

Luckys Lebensgeister erwachten. „Ich bin betrunken noch besser als ihr alle nüchtern.“

Angel achtete nicht auf das Wortgefecht. Hauptsache, sie hatte endlich ihre Ruhe. Nein, sie hatte sie nicht. Sie musste schon wieder an ihn denken.

Meggie, die direkt neben Angel saß und bisher nichts gesagt hatte, gab gedankenverloren einen Teelöffel von dem teuren Zucker in ihren Kaffee. „Und wie ist er nun so, dieser Wundermann, Angel? Hat er was im Hirn?“

Angel warf ihr einen finsteren Blick zu. „Frag ihn doch selbst. Du kannst ihn gern haben.“

„Da hätte die Gräfin was dagegen“, sagte Renée. „Du weißt doch, dass die Männer für Angel mehr zahlen, obwohl ich nicht begreife, warum.“

„Weil sie hundemüde noch besser aussieht als du, wenn du in Bestform bist“, stichelte Lucky.

Renée warf eine Gabel nach ihr. Lucky wich ihr mühelos aus, und sie klirrte gegen die Wand.

„Hör auf, Lucky“, sagte Angel. Hoffentlich hatte Magowan nichts mitbekommen! Wenn Lucky trank, schaltete sie ihren Kopf aus.

„Ist es dir wirklich egal?“, sagte Meggie.

„Schnapp ihn dir jederzeit, meinen Segen hast du“, sagte Angel. Sie meinte es ernst. Sie spürte, dass dieser Mann sie wollte, es strahlte ihm förmlich aus allen Poren, doch er berührte sie nie. Er redete und redete, fragte und wartete. Worauf er wartete? Sie wusste es nicht, und sie war es müde, sich geschliffene Lügen als Antworten auf seine Fragen auszudenken. Er schluckte sie ohnehin nicht, sondern wiederholte seine Fragen einfach, mit etwas anderen Worten. Er gab nicht auf, der Kerl, jedes Mal schien er entschlossener. Das letzte Mal war Magowan zweimal an die Tür gekommen und hatte ihn schließlich angeschrien: „Zieh dich an, Mister, wenn du keinen Ärger willst!“ Dabei hatte Hosea noch nicht mal sein Hemd aufgeknöpft gehabt.

Er hatte das Gleiche gesagt, was er immer sagte, bevor er ging. „Kommen Sie mit mir, heiraten Sie mich!“

„Ich hab’ schon so oft Nein gesagt, Mister. Kapierst du es immer noch nicht? Nein, nein, nein!“

„Sie sind nicht glücklich hier.“

„Mit dir wäre ich keinen Deut glücklicher.“

„Wie wollen Sie das wissen?“

„Ich weiß es eben.“

„Ziehen Sie sich etwas über und kommen Sie mit. Jetzt. Denken Sie nicht so viel darüber nach, tun Sie es einfach.“

„Magowan hätte sicher etwas dagegen.“ Aber sie sah deutlich, dass er keinen Gedanken an Magowan verschwendete. Wie mochte es wohl sein, mit jemandem zusammenzuleben, der vor nichts Angst hatte? Oh, Duke hatte auch vor nichts Angst gehabt, und sie wusste doch, was für eine Hölle das Leben mit ihm gewesen war.

„Zum letzten Mal: Nein!“, hatte sie gesagt, und ihre Hand war zum Türknopf gewandert.

Er hatte ihr Handgelenk gepackt. „Was hält Sie hier?“

Sie hatte ihre Hand fortgezogen und die Tür aufgerissen. „Mir gefällt es hier! Und jetzt hau ab!“

„Bis morgen dann“, hatte er gesagt und war gegangen.

Angel hatte die Tür hinter ihm zugeknallt und sich gegen sie gelehnt. Wenn Hosea fort war, hatte sie immer rasende Kopfschmerzen. Die gleichen Schmerzen plagten sie jetzt. Und je mehr Hoseas Fragen durch ihren Kopf echoten, umso schlimmer wurden sie.

Ja, was hielt sie hier? Warum ging sie nicht einfach?

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Als Erstes müsste sie ihr Gold von der Gräfin bekommen, und die würde ihr nie im Leben alles auf einmal geben. Ein bisschen hier, ein bisschen da, so würde sie es machen – genug, um sich ein paar nette Sachen zu gönnen, aber nicht genug zum Leben. So viel Großzügigkeit konnte die Gräfin sich nicht leisten.

Und was, wenn sie tatsächlich genug Gold hatte, um zu gehen? Würde es ihr dann nicht womöglich wieder genauso gehen wie bei ihrer Ankunft in Kalifornien, als man sie ausgeraubt und den menschlichen Aasgeiern überlassen hatte? Das war der Tiefpunkt ihres Lebens gewesen. Sie hatte gefroren, gehungert und Angst um ihr Leben gehabt. Beinahe hatte sie sich sogar zu Duke zurückgesehnt.

Nackte Verzweiflung überkam sie. Ich kann hier nicht weg. Ohne jemand wie die Gräfin oder Magowan reißen die Männer mich in Stücke.

Also doch mit Michael Hosea gehen? Nein, auf keinen Fall. Dieses Risiko war das Allergrößte von allen.

Langsam wurden Michaels Gold und seine Zeit knapp. Er kam nicht an sie heran. In dem Augenblick, in dem er die Tür öffnete, sah er schon, wie sie sich in ihre innere Festung zurückzog. Wenn er dann redete, wirkte sie, als ob sie zuhörte, aber ihr Blick verriet ihm, dass seine Worte an ihr vorbeirauschten. Sie wartete nur darauf, dass die halbe Stunde um war und sie ihn wieder hinauskomplimentieren konnte.

Ich habe noch genug Goldstaub für ein einziges Mal, Gott. Gib, dass sie mir diesmal zuhört, bitte!

Er stieg gerade die Treppe hinauf und legte sich die Argumente zurecht, mit denen er sie diesmal zu überzeugen versuchen wollte, als er mit einer Rothaarigen zusammenstieß. Er murmelte eine Entschuldigung. Die Rothaarige legte eine Hand auf seinen Arm und lächelte zu ihm hoch. „Lassen Sie Angel heute Abend mal in Ruhe. Sie hat gesagt, mich werden Sie bestimmt mehr mögen.“

Er starrte sie an. „Was hat sie noch gesagt?“

„Dass sie froh wäre, wenn sie Sie nicht mehr am Hals hätte.“

Er knirschte mit den Zähnen und schob ihre Hand weg. „Danke für die Auskunft.“ Er ging den Flur entlang zu Angels Tür. Vor der Tür blieb er stehen und versuchte, seinen Zorn zu bezähmen. Jesus, was soll ich hier noch? Ich hab’s versucht, das weißt du doch! Sie will nicht. Was soll ich denn noch machen? Sie an den Haaren hier rausschleifen?

Sein Klopfen hallte durch den schummrigen Flur. Sie öffnete, sah ihn an und sagte: „Ach, du schon wieder?“

„Ja, ich schon wieder.“ Er trat ein und schlug die Tür hinter sich zu. Ihre Augenbrauen wanderten in die Höhe. Ein wütender Mann war gefährlich, und dieser hier konnte einiges anrichten, ohne sich groß anzustrengen.

„Ich komme nicht recht voran mit Ihnen, nicht wahr?“

„Es ist nicht meine Schuld, wenn du dein Gold vergeudest“, sagte sie ruhig. „Ich hab dich gleich am ersten Abend gewarnt, erinnerst du dich?“ Sie setzte sich auf das eine Ende des Bettes. „Ich habe dich nicht angelogen.“

„Ich muss einiges erledigen.“

„Bitte, ich halte dich bestimmt nicht auf.“

Sein Gesicht war blass. „Ich will Sie nicht in diesem gottverlassenen Loch lassen!“

Sie blinzelte kurz, dann war ihre Maske wieder perfekt. „Das ist nicht dein Problem.“

„Es ist meines geworden in dem Augenblick, wo ich Sie das erste Mal gesehen habe.“

Ihr Fuß begann wieder anmutig vor- und zurückzuschwingen, wie ein Uhrenpendel. Ihre schönen blauen Augen waren leer. „Willst du wieder nur reden?“ Sie unterdrückte ein Gähnen.

„Ermüde ich Sie so?“

Sie hörte seine Irritation heraus. Aha, sie ging ihm auf die Nerven. Gut. Weiter so, und er würde es vielleicht endlich aufgeben. „Ja, der Tag war lang und ich weiß ja im Grunde schon, was du sagen wirst.“

Michaels Herz pochte ihm bis zum Hals. Er trat an das Fenster, zitternd vor Wut und Begehren, zog den Vorhang zur Seite und schaute hinaus. „Magst du diese Aussicht etwa, Angel? Dreck, Bruchbuden, grölende Betrunkene. Ist das alles, was du noch vom Leben erwartest?“

Angel. Es war das erste Mal, dass er sie so nannte und dass er sie duzte. Sie wusste nicht, warum, aber es tat ihr weh. Doch so langsam wurde er mürbe. Bald würde er es endgültig aufgeben und gehen. Sie musste nur aufpassen, dass er nicht ein Stück von ihr mitnahm.

Er ließ den Vorhang zurückgleiten und sah sie wieder an. „Oder fühlst du dich stark, wenn die Männer zu dir kommen und dich um deine Gunst anbetteln?“

„Ich habe dich nicht darum gebeten und die anderen auch nicht.“

„Nein, natürlich nicht! Du bittest nie um etwas, du brauchst auch nichts, wie? Du brauchst nichts und du fühlst nichts. Warum gehe ich nicht wirklich zu dieser Rothaarigen, damit du mich vom Hals hast?“

Aha, sein Stolz war verletzt. „Vielleicht kann ich dir etwas Besonderes bieten, bevor du die Stadt verlässt.“

„Du willst mir etwas bieten? Dann nenn mich bei meinem Namen!“

„Wie war der noch? Ich hab’ ihn vergessen.“

Er zog sie von dem Bett hoch. „Michael. Michael Hosea.“ Er vergaß sich einen Moment lang und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

Michael.

Das Gefühl ihrer Haut unter seinen Fingern war unglaublich. Es ließ ihn vergessen, warum er hier war, und er küsste sie.

„Na, das wird aber auch Zeit.“ Sie drückte sich gegen ihn. Ihre Hände wanderten an seinem Körper hoch, und er wusste: Wenn er sie jetzt nicht aufhielt, hatte er verloren – nicht nur die Schlacht, sondern den ganzen Krieg.

Als sie sein Hemd aufknöpfte und ihre Hand hineingleiten ließ, zuckte er zurück. Sie schaute ungläubig zu ihm hoch. Die plötzliche Erkenntnis traf sie wie ein Eimer Eiswasser. „Sag bloß, du hast es geschafft, sechsundzwanzig zu werden, ohne mit einer Frau zu schlafen?!“

Er öffnete die Augen. „Ich habe mir vorgenommen, auf die Richtige zu warten.“

„Und jetzt bildest du dir ein, das bin ich?“ Sie lachte laut auf. „Du armer Irrer!“

Das wirkte. Herr, ich muss dich falsch verstanden haben. Das kann nicht die Frau sein, die du für mich vorgesehen hast.

Er konnte den ganzen Rest seines Lebens damit vergeuden, sie zu bereden und zu belagern. Am liebsten hätte er sie gepackt und geschüttelt, ihr vorgehalten, wie dumm sie war. Doch sie sah ihn mit diesem hintergründigen Lächeln an, als habe sie ihn endlich ganz durchschaut. Sie hatte ihn etikettiert und in eine Schublade gesteckt.

Er verlor die Beherrschung. „Wenn du es unbedingt so willst, bitte sehr!“ Er ging durch die Tür, knallte sie hinter sich zu, marschierte die Treppe hinunter und schnurstracks durch die Bar, schob sich durch die Schwingtüren und ging auf die Straße. Er lief und lief. Vielleicht würde die Abendluft ihn abkühlen.

Michael …

„Vergiss es, Herr! Vergiss, dass ich dich je um eine Frau gebeten hab’! So dringend brauche ich nun auch wieder keine.“

Michael …

„Ich bleibe eben Junggeselle.“

Michael, mein Sohn.

Er ging weiter. „Gott, warum ausgerechnet sie? Sag mir das! Warum nicht ein nettes Mädchen aus einer netten Familie? Oder eine gottesfürchtige Witwe? Eine einfache Frau vom Land, die freundlich und gutmütig ist, die mit mir auf dem Feld arbeitet und pflügt und pflanzt und erntet. Eine, die schmutzige Fingernägel hat, aber eine reine Seele! Eine, die mir Kinder schenkt oder von mir aus auch schon welche hat, wenn du mir keine eigenen geben willst. Warum willst du, dass ich eine Hure heirate?“

Dies ist die Frau, die ich für dich erwählt habe.

Michael hielt an. „Ich bin kein Prophet!“ Er schrie es zu dem dunklen Himmel hoch. „Ich bin nicht einer von deinen Heiligen, ich bin ein gewöhnlicher Mann!“

Geh zurück und hol Angel.

„Das geht doch nicht! Diesmal hast du dich geirrt, Gott!“

Geh zurück.

„Sie ist bestimmt sensationell im Bett. Soll ich etwa dafür zu ihr zurückgehen? Sie wird mir nie mehr geben als das, was man für Geld kaufen kann. Jedes Mal gehe ich voller Hoffnung zu ihr und komme geschlagen zurück. Es ist ihr egal, ob sie mich je wieder sieht. Sie hat versucht, mich an die anderen weiterzureichen, wie einen … einen … Nein, Gott, nein! Für sie bin ich nur ein Freier wie alle anderen, ohne Namen und Gesicht. So kannst du das doch nicht gemeint haben! Und ich schon gar nicht!“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Sie hat sich deutlich ausgedrückt. Ich kann sie haben ... vom Hals abwärts. Ohne das Herz, versteht sich. Ich bin auch nur ein Mann, Herr! Weißt du, wie das für mich ist?“

Es begann zu regnen. Ein kalter, beißender Regen. Michael hielt mitten auf der schlammigen Straße an, wohl eine Meile entfernt von der Stadt. Er schloss die Augen. „Ja, danke, danke verbindlichst! Wenn du mich damit abkühlen willst, dann lass dir gesagt sein, dass das nichts nützen wird.“

Tu, was ich dir sage, mein Sohn. Ich habe dich aus der Grube gezogen, aus dem Sumpf des Elends, und deine Füße auf festen Fels gestellt. Geh zurück zu Angel.

Aber Michael hielt seinen Zorn fest wie einen Schild. „Nein. Das Letzte, was ich brauche, ist eine Frau, die innerlich tot ist.“ Er begann wieder zu laufen und nahm Kurs auf den Mietstall, wo sein Gespann wartete.

„Schlechtes Reisewetter, Mister“, sagte der Knecht. „Sieht nach Sturm aus.“

„Ist mir egal, ich bin dieses Loch hier leid.“

„Nicht nur Sie, Mister.“

Auf dem Weg aus der Stadt musste Michael am Palast vorbei. Das Grölen der Betrunkenen und das Klimpern des Pianos schabten in seinen Ohren. Er sah nicht zu Angels Fenster hoch. Wozu auch? Wahrscheinlich arbeitete sie gerade. Wenn er erst einmal zurück in seinem Tal war und dieses Höllenmädchen vergessen konnte, würde es ihm besser gehen.

Und wenn er das nächste Mal Gott bat, ihm die Frau fürs Leben über den Weg zu schicken, würde er sich um einiges genauer ausdrücken.

Angel stand am Fenster, als Michael Hosea unten vorbeifuhr. Obwohl sie sein Gesicht nicht erkennen konnte, wusste sie sofort, dass er es war. Würde er zu ihr hinaufschauen? Er tat es nicht. Sie schaute ihm hinterher, bis er außer Sichtweite war.

Nun, sie hatte es geschafft. Er war endlich weg. Er würde nie mehr in ihrem Zimmer sitzen und sie halb um den Verstand quatschen.

Warum fühlte sie sich so verlassen?

Das letzte Mal hatte er sie Angel genannt. Angel! Sie hob zitternd ihre Hand und drückte sie gegen das Fensterglas. Die Kälte drang durch ihre Haut. Sie presste die Stirn gegen die Scheibe und lauschte auf das Trommeln des Regens. Das Geräusch erinnerte sie an die Hütte am Hafen und an das Lächeln ihrer Mutter.

Oh Gott, ich ersticke!

Sie begann zu zittern. Vielleicht war das der einzige Ausweg – der Tod. Wenn sie tot war, würde keiner mehr sie ausnutzen.

Sie setzte sich auf das Bett, zog die Knie an und begann hin und her zu schaukeln. Warum war er bloß zu ihr gekommen? Sie hatte gelernt, die Dinge so hinzunehmen, wie sie waren. Warum musste er nur ihr winziges Pflänzchen inneren Friedens zerstören? Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Michael Hosea, wie er im Regen davonfuhr – das Bild verfolgte sie.

Tief drinnen hatte sie das grässliche Gefühl, dass sie gerade ihre letzte Chance weggeworfen hatte.

Die Liebe ist stark

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