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KAPITEL 8

Der Spötter sucht Weisheit

und findet sie nicht.

Sprüche Salomos 14,6

Würde sie je wieder aufstehen können? Es war Angel egal. Eine stumme schwarze Decke lag auf ihr. Einen Notausgang aus ihrem elenden Leben hatte sie in einem Augenblick der Verzweiflung nehmen wollen – und es wieder nicht geschafft. Schmerzen statt Frieden, Sklaverei statt Freiheit. Warum nur gelang ihr nichts? Warum gingen alle ihre Pläne schief?

Michael Hosea – der Mann, dem sie am meisten von allen hatte aus dem Weg gehen wollen. Und jetzt besaß er sie, und sie hatte nicht die Kraft, sich gegen ihn zu wehren, ja schlimmer noch, sie war völlig von ihm abhängig. Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf – alles gab er ihr. Es machte ihren Hass nur noch größer.

Wäre er wenigstens so wie die anderen Männer gewesen, dann hätte sie gewusst, wie sie ihm beikommen konnte. Aber er war anders. Nichts von dem, was sie sagte, schien einen Eindruck auf ihn zu machen. Er war wie Granit, unverwundbar. Seine ruhige Entschlossenheit machte sie fertig. Sein Blick – ihr fehlten die Worte dafür. Einmal sagte er, dass er während ihres Fiebers eine Menge über sie gelernt hatte, aber was das war, verriet er ihr nicht. Und was meinte er damit, dass er „alles“ von ihr erwartete? Immer, wenn sie aufwachte, war er an ihrer Seite. Warum konnte er sie nicht in Ruhe lassen?

Sie saß in der Falle. Wieder einmal. Diesmal war es kein elegantes Stadthaus, auch kein Zelt aus faulendem Segeltuch oder ein zweistöckiges Bordell. Aber es war wieder eine Gefängniszelle, und dieser Verrückte besaß den Schlüssel zu ihr.

Was wollte er nur von ihr? Und warum hatte sie das Gefühl, dass er ihr gefährlicher werden konnte als alle anderen Männer, denen sie bisher begegnet war?

Nach einer Woche ließ er sie jeden Tag ein paar Stunden allein in der Hütte, während er hinausging, um zu arbeiten. Gut. Sie wollte allein sein. Sie musste nachdenken, und das ging nicht, wenn dieser Mensch in der Nähe war.

Bald hatte sie mehr Zeit für sich, als ihr lieb war. Sie spürte die totale Einsamkeit, lauschte dem Trommeln des Regens auf dem Dach. Mit dem Geräusch des Regens kamen die alten Bilder zurück: die elende Hütte beim Hafen. Mama. Rab. Und Duke, und dann all das andere … bis sie Angst bekam, wahnsinnig zu werden. Vielleicht würde sie dann auch anfangen, mit Gott zu reden, wie dieser Verrückte, der ihr den Trauring seiner Mutter an die Hand gesteckt hatte.

Warum hatte er das gemacht? Warum hatte er sie geheiratet? Sie verstand es nicht.

Und dann stand er auf einmal wieder in der Tür, groß, stark, ruhig, mit diesem merkwürdigen Blick in den Augen. Sie versuchte, ihn wie Luft zu behandeln, aber er füllte die Hütte mit seiner Gegenwart – selbst dann, wenn er schweigend vor dem Kamin saß und wieder in dem alten Buch las.

Sie begriff ihn heute so wenig wie damals in dem Bordell, aber irgendwie hatte er sich verändert. Er sprach nicht mehr so viel. Er lächelte sie an, fragte, wie es ihr ging und ob sie etwas brauchte, und fuhr dann mit seinen Beschäftigungen fort. Einen Tag nach dem anderen schaute sie ihm zu, wie er sich den Hut aufsetzte, um sie wieder allein zu lassen.

„Mister“, sagte sie. (Nein, niemals würde sie ihn mit seinem Namen anreden.) „Warum hast du mich hierhergebracht, wenn du mich bloß die ganze Zeit allein lässt?“

„Damit du Zeit zum Nachdenken hast.“

„Nachdenken? Worüber?“

„Was du willst. Was du brauchst. Wenn es so weit ist, wirst du auch wieder aufstehen.“ Damit nahm er seinen Hut vom Haken und ging.

Durch das offene Fenster strömte das Morgenlicht herein. Im Kamin brannte ein Feuer. Ihr Magen war voll, sie hatte es warm – gerade die richtige Atmosphäre, um sich zu entspannen und an nichts zu denken. Warum nur gelang ihr das nicht?

War es vielleicht die Stille? Sie war eine Kakophonie der Geräusche gewöhnt: Männer, die an Türen klopften, Männer, lachende, schreiende, singende, fluchende Männer in der Bar im Erdgeschoss. Manchmal auch Klirren und Krachen, wenn unten Stühle und Gläser gegen die Wand flogen. Die Stimme der Gräfin. Oder Magowans Gebrüll. Und jetzt diese Stille. Sie dröhnte geradezu in ihren Ohren.

Sie beschwerte sich bei Hosea. Er antwortete: „Hier gibt es jede Menge Geräusche, du musst nur richtig hinhören.“

Da sie nichts anderes zu tun hatte, befolgte sie seinen Rat. Und richtig: Sie begann, Geräusche zu unterscheiden. Es war wie damals, als sie in dem Hafenschuppen die glänzenden Dosen auf den Boden gestellt hatte, wenn es regnete. Unter dem Bett ertönte eine Grille, draußen vor dem Fenster ein Ochsenfrosch. Ebenfalls von draußen kamen Vogelstimmen: Rotkehlchen, Spatzen, ein schimpfender Eichelhäher.

Es kam der Tag, an dem sie sich stark genug fühlte, um aufzustehen.

Was sollte sie anziehen? Erst jetzt dämmerte ihr, dass es in der ganzen Hütte nichts gab, was sie ihr Eigen nennen konnte. Wo waren ihre Sachen? Hatte er sie nicht mitgenommen?

Er selbst schien herzlich wenig Kleidung zu besitzen. In der kleinen Kommode lagen eine abgetragene Unterhose, eine zweite Latzhose und ein paar dicke Socken – alles viel zu groß für sie. In der Ecke stand eine schwarze Truhe, aber sie war zu müde, um sie zu öffnen und zu durchsuchen. Nackt und buchstäblich zu schwach, um sich auch nur eine Decke vom Bett zu holen, lehnte sie sich an die Fensterbank und atmete die frische Luft ein.

Ein halbes Dutzend Vögel flatterten in dem Geäst eines großen Baumes herum. Keine drei Schritte von der Hütte entfernt stolzierte ein großer Vogel daher und pickte auf dem Boden herum. Sie musste lächeln über sein unbekümmertes Gehabe. Ein sachter Wind wehte einen Duft herbei, der so stark war, dass sie ihn fast auf der Zunge schmecken konnte. So ähnlich hatten die Wiesen um Mamas Häuschen gerochen. Sie schloss genießerisch die Augen. „Oh, Mama“, flüsterte sie. Ein Kloß wanderte ihren Hals hoch. Ihre Rippen schmerzten wieder und sie begann zu zittern.

Michael kam herein. Als er sie nackt an dem offenen Fenster sah, holte er ohne ein Wort eine Decke vom Bett und legte sie um sie. Dann hob er sie sanft hoch. „Wie lange bist du schon auf?“

„Nicht so lange, dass ich schon wieder ins Bett will.“ Er hielt sie wie ein Kind in seinen Armen. Er war warm und roch nach Erde und Sonne. „Du kannst mich wieder runterlassen“, sagte sie. „Aber ins Bett will ich nicht. Ich hab’ mein halbes Leben darin verbringen müssen.“

Er musste grinsen, setzte sie in den Korbstuhl vor dem Feuer und legte Holz nach. Sie umklammerte die Lehnen des Stuhls, spürte jede Stelle, an der Magowans Fäuste und Schuhe gelandet waren; viel ausgelassen hatte er nicht. Sie berührte tastend ihr Gesicht und runzelte die Stirn. „Hast du einen Spiegel?“

Michael nahm die glänzend polierte Dose, die er zum Rasieren benutzte, und hielt sie ihr hin. Sie starrte ihr Spiegelbild an. Nach einem langen Augenblick gab sie ihm die Dose zurück. „Wie viel hast du für mich bezahlt?“

„Alles, was ich hatte.“

Sie lachte schwach. „Mister, du bist verrückt.“ Wie konnte der Mann es aushalten, sie auch nur anzusehen?

„Es sind keine bleibenden Verletzungen.“

„Nicht? Na ja, meine Zähne hab ich noch alle, das ist etwas.“

„Ich habe dich nicht wegen deiner Schönheit geheiratet.“

„Nein, natürlich nicht, sondern wegen meines übermäßigen Charmes. Oder weil der liebe Gott es dir befohlen hat?“

„Vielleicht denkt er, dass die Hörner an deinem Kopf zu den Löchern in meinem passen.“

Sie legte ihren Kopf zurück. „Ich hab’ mir gleich gedacht, dass du verrückt bist.“ Diese elende Müdigkeit ... am liebsten wäre sie doch wieder ins Bett gegangen, aber der Weg war so weit und sie so schwach ...

Michael trat zu ihr und hob sie behutsam hoch.

„Mister, ich hab’ dir doch gesagt, ich will nicht schon wieder liegen.“

„Schön, dann setz dich aufs Bett.“

„Wo sind meine Sachen?“

„Die habe ich vergessen, und hier könntest du sowieso nichts mit ihnen anfangen. Satin und Spitze sind nichts für die Frau eines Farmers.“

„Nein, die läuft besser nackt durch die Bohnen- und Möhrenbeete.“

Er grinste. „Klingt interessant.“

Sie verstand, warum die anderen Mädchen so wild auf ihn gewesen waren, aber ihr konnten gut aussehende Männer nichts vormachen. Duke war ebenfalls ein schöner Mann gewesen, der perfekte Charmeur. „Hör zu“, sagte sie gepresst. „Ich will so langsam mal aufstehen, und dazu brauche ich etwas anzuziehen.“

„Dann sollst du etwas haben.“ Dieser Kerl war so unerträglich gelassen ... er ging zu der alten Truhe hinüber, holte ein Bündel heraus und brachte es ihr. „Das sollte fürs Erste genügen.“

Neugierig faltete sie das Bündel auf. Ein fadenscheiniges Schultertuch aus grauer Wolle, darin eingeschlagen waren zwei Röcke aus grobem Halbwollzeug, der eine ein verschossenes Braun, der andere schwarz. Dann noch zwei langärmelige, hochgeschlossene Blusen. Die eine musste wohl einmal weiß gewesen sein und sah jetzt beinahe gelb aus, die andere hatte ein bläulich-rosa Blumenmuster. Zwei zu den Blusen passende Hauben waren da auch, und in den Hauben steckten verschämt zwei einfache Mieder, ein paar unförmige Unterhosen und mehrfach gestopfte schwarze Wollstrümpfe. Den Abschluss machten schwarze Schnürstiefel mit abgetragenen Absätzen.

Sie schaute ihn ungläubig an. „Ich werde dir ewig dankbar sein für diese Schätze.“

„Es ist nicht ganz das, was du gewohnt bist, ich weiß. Aber sie werden dir hier draußen bessere Dienste leisten als deine alten Kleider.“

„Da bin ich sicher.“ Sie befühlte die Röcke.

Er lächelte. „In ein, zwei Wochen kannst du anfangen, mir zu helfen.“

Ihr Kopf fuhr hoch, aber Michael war schon wieder auf dem Weg zur Tür. Helfen? Wobei helfen? Sollte sie eine Kuh melken? Für ihn kochen? Das Feuerholz hacken und Wasser aus dem Bach holen? Ach ja, und sicher waschen und bügeln. Nichts davon konnte sie. Er würde sich noch wundern.

Da kam er schon mit einem Arm voll Feuerholz zurück.

„Mister, ich habe keine Ahnung, was die Frau eines Farmers so macht.“

Er schichtete das Holz sauber auf. „Davon bin ich auch nicht ausgegangen. Aber du bist ja nicht dumm. Das lernst du alles schnell.“ Er legte neues Holz auf das Feuer. „Schwerere Arbeiten musst du erst erledigen, wenn du so weit bist. Frühestens in einem Monat.“

Schwerer? Was meinte er? Sie verlegte sich auf eine andere Strategie und setzte ein gut einstudiertes Lächeln auf. „Und die anderen ehelichen Pflichten?“

Er sah sie kurz an. „Wenn es für dich mehr ist als ein Job, werden wir die Ehe vollziehen.“

Seine Direktheit überraschte sie. Wo war der junge Mann geblieben, der errötend zusammengezuckt war, als sie ihn berührt hatte? Sie trat einen wütenden Rückzug an. „Schön, Mister, ich helfe dir für jede Stunde und jeden Tag, den du mich gepflegt hast.“

„Und wenn du meinst, wir sind quitt, dann gehst du?“

„Dann gehe ich zurück nach Pair-a-Dice und hole mir, was die Gräfin mir schuldet.“

„Das wirst du nicht tun“, sagte er ruhig.

„Doch, das tue ich.“ Sie würde sich ihr Geld von der Gräfin holen. Und dann würde sie jemanden anheuern, der ihr auch so eine Hütte baute, genügend weit weg von der nächsten Stadt, um ihren Frieden vor dem Lärm und Gestank zu haben, aber nahe genug, dass sie sich alles besorgen konnte, was sie brauchte. Sie würde sich auch ein Gewehr kaufen, ein großes, mit viel Munition, und wenn ein Mann an ihre Tür klopfte, würde sie es benutzen. Es sei denn natürlich, dass sie Geld brauchte. Aber wenn sie gut damit haushaltete, konnte sie lange von dem leben, was sie sich verdient hatte. Sie konnte es kaum erwarten. Noch nie hatte sie ganz allein gewohnt; es würde der Himmel werden!

Du bist gerade eine Woche lang viel allein gewesen, kam eine leise, spöttische Stimme aus dem Innersten ihrer Seele, und wie ist dir das bekommen? Gar nicht! Gib’s doch zu, das Alleinsein macht dir Angst, weil du so viele Dämonen in dir hast, die nur darauf warten, dich zu quälen.

„Du hast vielleicht für mich bezahlt, aber besitzen tust du mich nicht, Mister.“

Michael musterte sie geduldig. Was für einen eisernen Willen sie besaß. Er blitzte aus ihren Augen hervor, er hielt ihren Rücken gerade wie ein Lineal. Sie bildete sich ein, stärker zu sein als er, aber da lag sie falsch. Er tat das, was Gott persönlich ihm aufgetragen hatte, und Gott hatte seine eigenen Wege. Aber für den Moment hatte er genug gesagt; sollte sie erst einmal darüber nachdenken.

„Du hast vollkommen recht“, antwortete er. „Ich besitze dich nicht. Aber du wirst auch nicht weglaufen.“

Sie nahmen ihre Mahlzeit ein, jeder in seiner Ecke des Raumes: sie auf dem Bett, den Teller auf ihrem Schoß, er am Tisch. Das einzige Geräusch war das Knistern des Feuers im Kamin.

Angel stellte ihren Teller auf den Nachttisch. Sie zitterte vor Schwäche, war aber fest entschlossen, sich noch nicht hinzulegen. Sie musterte Michael. Früher oder später würde sie ihn schon knacken. War er nicht ein Mann? Männer waren einfach strukturiert.

„Sie haben alle ihre schwachen Seiten“, hatte Sally ihr gesagt. „Du musst nur herauskriegen, was sie von dir wollen. Solange du sie glücklich machst, fressen sie dir aus der Hand. Erst, wenn du das nicht mehr machst, werden sie gemein.“

Wie Duke. Nach der ersten Nacht hatte sie schon alles über ihn gewusst, was es zu wissen gab. Er war ein Machtmensch, der sofortigen Gehorsam verlangte. Sie brauchte das, was er von ihr verlangte, nicht zu mögen, aber sie musste es tun, und das möglichst lächelnd. Zögern brachte ihr seinen finsteren Drohblick ein, Protest eine Ohrfeige, Trotz brutale Gewalt, und auf Weglaufen stand das glühende Ende seiner Zigarre. Als er ihrer müde wurde, hatte sie eine wichtige Lektion gelernt: Egal, wie ängstlich oder angewidert oder wütend du bist, tu so, als ob du das magst, was die Männer wollen und wofür sie gezahlt haben. Und wenn du nicht so tun kannst, als ob du es magst, dann tu wenigstens so, als sei es dir egal. Sie war eine Expertin geworden in diesem Spiel.

Was hatte Sally ihr damals gesagt? „Es war dein Pechtag, als dieser betrunkene Trottel dich hierherbrachte. Oder vielleicht auch nicht.“ Sie hatte Angels Kinn angehoben, sodass sie sie ansehen musste. „Und diesen Blick will ich ab heute nie mehr bei dir sehen. Du wirst lernen, deine Gefühle für dich zu behalten, verstanden? Wir haben alle unsere traurigen Geschichten zu erzählen, und einige sind schlimmer als deine. Finde heraus, was ein Mann will, gib ihm das, wofür er zahlt, und zum Schluss entlass ihn mit einem netten Lächeln. Lern das, und ich werde dir deine Mama ersetzen. Lern es nicht, und du wirst denken, dass Duke der Himmel war.“

Sally hatte Wort gehalten, und Angel hatte alles über die Männer gelernt, was es zu lernen gab. Einige wussten genau, was sie wollten, andere bildeten es sich nur ein. Manche sagten das eine und meinten etwas ganz anderes. Einige hatten Mumm, viele waren bitter, aber am Ende lief es immer auf das Gleiche hinaus: Sie legten ihr Geld für ein Stück von ihr hin – und es kostete Angel immer weniger.

Sie blickte zu Michael Hosea hin. Was für einer war er?

Sie befingerte die abgetragenen Kleider und kräuselte missbilligend ihre Lippe. Vielleicht wollte er seine „Ware“ in Halbwollzeug einwickeln, damit er sie nicht zu gut erkennen konnte. Vielleicht wollte er nicht wahrhaben, was er da gekauft hatte. Nun gut, sie konnte für ihn die unschuldige Jungfrau spielen. Sogar die dankbare Jungfrau, wenn es denn sein musste. Danke, mein Ritter, dass du mich der Drachenhöhle entrissen hast … Sie konnte alles spielen, solange es nicht zu lange dauerte. Gott, ich bin es leid, das ständige Schauspielern, ich will nicht mehr so leben! Warum kann ich nicht einfach sterben?

„Das reicht“, sagte sie und stellte den Teller auf den Nachttisch. Oh ja, es reichte ihr. Alles.

Michael entging die Bedeutung der Geste nicht. „Ich werde dir nicht mehr zumuten, als du verkraften kannst.“

Sie sah ihn an. Nein, diesmal meinte er nicht Hausarbeit. „Und du, Mister? Glaubst du, du kannst verkraften, was ich dir zumute?“

„Probier es aus.“

Sie schaute ihm zu, wie er aß. Er sah kein bisschen beunruhigt aus. Der Mann wusste, wer er war und was er vorhatte. Und sie wusste: Wenn sie nicht bald zu Kräften kam und abhaute, würde er sie auseinandernehmen, Stückchen für Stückchen.

Am nächsten Morgen stand sie auf, sobald Hosea aus der Tür war, und zog sich an. Sie legte sich das Mieder um und knotete die ausgefransten Bänder zusammen. Der Stoff war dick und erlaubte keinerlei Einblicke. Noch nie hatte sie so etwas Schlichtes und Billiges angehabt.

Welche Frau mochte vor ihr diese Kleidung getragen haben? Was war aus ihr geworden? Es musste wohl eine von der anständigen und fleißigen Sorte gewesen sein – eine von denen, die sich demonstrativ weggedreht hatten, wenn Mama vorbeiging.

Sie zog die Schuhe an. Sie passten ihr leidlich. Michael kam wieder herein, und sie sah zu ihm hoch, eine Augenbraue gehoben. „Sagtest du nicht, dass du noch nie verheiratet warst?“

„Das sind die Sachen von meiner Schwester Tessie. Sie und ihr Mann Paul sind mit mir in den Westen gekommen, doch sie ist am Green River gestorben, an einem Fieber.“ Die Erinnerung tat ihm jetzt noch weh. Sie hatten Tessie mitten auf dem Weg begraben müssen. Danach waren alle Wagen in dem langen Treck über ihr Grab gerollt, um die Spuren zu verwischen. Paul und er hatten nicht gewollt, dass sie womöglich von Indianern oder wilden Tieren wieder ausgegraben wurde. Ohne Kreuz oder Grabstein hatten sie Tessie verscharrt; sie hätte etwas Besseres verdient gehabt.

„Und was ist aus ihrem Mann geworden? Ist er auch tot?“

Er schlüpfte aus seiner Jacke. „Sein Land ist am Ende dieses Tals, aber es liegt brach. Er ist als Goldgräber am Yuba River. Paul hat nie etwas sehr lange durchhalten können.“ Seine Liebe zu Tess hatte Paul eine Zeit lang auf Kurs gehalten, aber nach ihrem Tod war er wieder abgedriftet.

Angel lächelte zynisch. „Dann ist dein Schwager also auch einer von denen, die die Flüsse Kaliforniens vergewaltigen – und alles andere, was sie kriegen können.“

Michael drehte sich zu ihr um und sah sie an. Sie wusste, was er jetzt dachte, und fuhr fort: „Wenn er ein Mann ist, dann war er wahrscheinlich auch schon im Palast.“ Sie sah, wie sein Blick sich verdüsterte. Aha, richtig geraten. Sie zuckte die Achseln und stach noch tiefer. „Ich weiß natürlich nicht, ob er bei mir war. Beschreib ihn doch mal, vielleicht erinnere ich mich dann.“

Ihre Worte klangen kühl, aber Michael konnte sie nichts vormachen. Er merkte, wie sie fieberhaft alles versuchte, um ihn sich vom Leib zu halten.

Sein Schweigen frustrierte sie. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass er mich erkennen könnte. Bis er wiederkommt, bin ich längst nicht mehr da.“

„Du gehörst zu mir.“

Sie lächelte kühl. „Früher oder später kommt ein Treck mit lauter Jungfrauen, alle anständig und in abgetragenen Wollsachen, und dann wirst du aufwachen, wenn du ihnen sagen musst: ‚Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen, ich hab sie in einem Bordell gekauft‘.“

„Mir ist egal, wer alles noch kommt. Ich habe dich geheiratet.“

„Das kann man ja ändern.“ Sie zog den Ring von ihrem Finger und hielt ihn ihm hin. „Hier, bitte. So einfach ist das.“

Er blickte ihr forschend ins Gesicht. Glaubte sie wirklich, dass es so einfach war? Ring ab, und alles war wieder beim Alten? „Da liegst du falsch, Mara. Wir sind aneinander gebunden, ob du den Ring nun trägst oder nicht. Aber trag ihn doch lieber.“

Sie runzelte die Stirn, streifte den Ring aber wieder über. Sie drehte ihn an ihrem Finger. „Lucky hat gesagt, er hat einmal deiner Mutter gehört.“

„Das stimmt.“

Sie ließ ihre Hände herabsinken. „Sag Bescheid, wenn du ihn zurückhaben willst.“

„Ich werde ihn nie zurückwollen.“

Sie faltete die Hände im Schoß und sah ihn betont gelangweilt an. „Wie du willst, Mister.“

Endlich wurde er lebendig. „Diesen Satz hasse ich. ‚Wie du willst …‘ Als ob du mir eine Tasse Kaffee anbieten würdest.“ Genauso gleichgültig hatte sie jahrelang ihren Körper feilgeboten. „Damit das klar ist: Ich habe dich geheiratet, um dich zu lieben, in guten und bösen Tagen, bis der Tod uns scheidet. Ich habe ein Gelöbnis vor Gott abgelegt, als ich dich zur Frau nahm, und ich werde es nie brechen.“

Ach ja, Gott. Sei lieb und mach alles richtig, sonst zerdrückt er dich wie eine lästige Fliege. Vater unser im Himmel – ein zweiter Alex Stafford, oder? Sei nicht dumm, öffne dich niemandem, schon gar nicht ihm. Wenn dieser Mann sich einbildete, dass er sie dazu bringen konnte … Nein, sie hatte sie früh gelernt, ihre Lektion: An was ich nicht glaube, das kann mir nicht wehtun.

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Erinnerst du dich an unsere Trauung?“

„Nur vage. Da war so ein schwarzer Mann mit einer Stimme wie ein Totengräber.“

„Du hast Ja gesagt. Erinnerst du dich daran?“

„Ich habe nicht Ja gesagt, ich habe gesagt: ‚Warum nicht?‘“

„Auch gut.“

Die Liebe ist stark

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